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Michel Foucaults besondere Stimme mit ihrer eigentümlichen Faszination, die man mitunter beim Lesen seiner Texte zu vernehmen meint, ist dank einer außergewöhnlichen Edition nun auch wirklich zu hören: Zwei Radiovorträge Foucaults über "Den utopischen Körper" und "Die Heterotopien", die im Dezember 1966 in der Sendung "Culture française" ausgestrahlt wurden, sind in einer zweisprachigen Ausgabe versammelt, der eine CD mit den Originalsendungen beigefügt ist.
Beide - bisher unveröffentlichten - Texte gehören zu jenen raren Beispielen einer Theorie, die phänomengesättigt und beobachtungsreich
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Produktbeschreibung
Michel Foucaults besondere Stimme mit ihrer eigentümlichen Faszination, die man mitunter beim Lesen seiner Texte zu vernehmen meint, ist dank einer außergewöhnlichen Edition nun auch wirklich zu hören: Zwei Radiovorträge Foucaults über "Den utopischen Körper" und "Die Heterotopien", die im Dezember 1966 in der Sendung "Culture française" ausgestrahlt wurden, sind in einer zweisprachigen Ausgabe versammelt, der eine CD mit den Originalsendungen beigefügt ist.

Beide - bisher unveröffentlichten - Texte gehören zu jenen raren Beispielen einer Theorie, die phänomengesättigt und beobachtungsreich neue Deutungsperspektiven eröffnet. Beide Texte folgen einer gemeinsamen Frage, die sich vielleicht auch als Basso continuo durch das gesamte Werk von Foucault zieht: die Frage nach einem anderen Denken, danach, wie es möglich ist, anders zu denken.
Autorenporträt
Paul-Michel Foucault, geb. 15. Okt. 1926 in Poitiers, gest. am 25. Juni 1984 an den Folgen einer HIV-Infektion; studierte Philosophie und Psychologie in Paris. 1952 Assistent für Psychologie an der geisteswissenschaftlichen Fakultät in Lille; 1955 Lektor an der Universität Uppsala (Schweden). Nach Direktorenstellen an Instituten in Warschau und Hamburg kehrte er 1960 nach Frankreich zurück, wo er bis 1966 als Professor für Psychologie und Philosophie an der Universität Clermont-Ferrand arbeitete. 1965 und 1966 war er Mitglied der Fouchet-Kommission, die von der Regierung für die Reform des (Hoch-)Schulwesens eingesetzt wurde. Nach einer Gastprofessur in Tunis (1965-68) war er an der Reform-Universität von Vincennes tätig (1968-70). 1970 wurde er als Professor für Geschichte der Denksysteme an das renommierte Collège de France berufen. Gleichzeitig machte er durch sein politisches Engagement auf sich aufmerksam. 1975-82 unternahm er Reisen nach Berkeley, Japan, Iran und Polen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2005

Das Indianerzelt der verschenkten Begriffe
Zwei radikale Radiovorträge aus dem Jahr 1966: Michel Foucault träumt laut darüber nach, was Friedhöfe, Feriendörfer und Orientteppichmuster gemeinsam haben / Von Joseph Hanimann

Im gesprochenen Werk Michel Foucaults gibt es das, was man die verschenkten Begriffe nennen könnte: eine Intuition, ein paar spontane Erklärungen, ein Vergessen und späteres Wiederauftauchen in variierter Form, schließlich eine im Skizzenstadium stehengebliebene Theorie. Das bietet zumindest einer der beiden hier vorgelegten Rundfunkvorträge. Ihm schwebe eine Wissenschaft von all jenen mythischen oder wirklichen Räumen vor, die wie für Kinder der Estrich, das Indianerzelt im Garten oder das breite Elternbett den üblichen Lebensraum in Frage stellen, sagte Foucault: Und diese Wissenschaft müßte "Heterotopologie" heißen. Von "Heterotopien" war 1966 in "Die Ordnung der Dinge" erstmals die Rede. Gemeint war dort ein beliebig anmutendes Ordnungssystem wie etwa jenes der vierzehn angeblich chinesischen Tierkategorien, mit dem Borges die Tierwelt in einbalsamierte, dem Kaiser gehörende, mit einem feinen Kamelhaarpinsel gemalte, den Wasserkrug zerbrochen habende und noch weiter entlegene Gruppen einteilt.

Ende jenes Jahres 1966 hielt Michel Foucault dann im französischen Rundfunk zwei Vorträge zum Stichwort "Utopie", deren erster den Begriff der Heterotopie in einer ganz anderen, aussschließlich räumlichen Bedeutung aufgriff. In einer etwas chaotischen Rezeptionsgeschichte hat dieser Begriff - nicht zuletzt über die Internationale Bauausstellung (IBA) in Berlin - vorab im Bereich Architektur und Städtebau bis heute nachgewirkt. Philosophisch hinterläßt die Wiederbegegnung mit diesem in der mündlichen Urfassung hier erstmals publizierten Text indessen den Eindruck einer unausgeschöpften Theorie, über deren Möglichkeiten der Autor vielleicht sich selbst mißverstand.

Spiegel, Friedhöfe, Feriendörfer, aber auch Gärten, Orientteppichmuster, Theater, Bibliotheken, Museen sind laut Foucault Gegenräume, eine Art "lokalisierte Utopien", welche die normale Raum-Zeit-Konfiguration durcheinanderbringen. Der Vortrag begnügt sich mit einer offenbar improvisierten Typologie dieser "Heterotopien" ohne wirkliche Arbeit am Begriff. Heterotopien waren ursprünglich für biologische Krisensituationen wie Schwangerschaft oder Pubertät vorgesehen, fassen unmittelbar erfahrbare, geheiligte, imaginäre oder andersartige Raumdimensionen an einem Ort zusammen, organisieren den Zugang nach bestimmten Schwellenriten.

Interessant wird dieser Theorieentwurf Foucaults vor dem Hintergrund dessen, was, ausgehend von Tenons "Heilmaschinen" der klassischen Krankenhausarchitektur oder von Benthams Panopticon, den Autor von "Überwachen und Strafen" bald als auch räumliche Disziplinierung des Körpers beschäftigen sollte. Der Pariser Architekt Ionel Schein lud den Philosophen kurz nach jenem Rundfunkbeitrag zur Vorlesung in den von Bauhaus und Le Corbusier geprägten Cercle d'études architecturales ein. Dort wie schon im Rundfunkvortrag betonte Foucault sein Interesse, allerdings auch seine Inkompetenz in Sachen architektonische Raumtheorie. Dieses später wiederholt ausgesprochene Interesse an klinischen, strafrechtlichen, städtebaulichen Raumdispositiven trägt implizit auch der Ablösung des Philosophen vom Denkhorizont der Linken Rechnung. Gern wurde Foucaults sprunghaftes Theoriegefüge in nicht homogener Zeit von links der konterrevolutionären Geschichtsleugnung verdächtigt.

Anstatt die Analyse von Macht, Wissen und Raum eng um den Begriff der Heterotopie zu schnüren, ließ Foucault den Begiff aber fahren und kam später nur beiläufig darauf zurück. Es blieb bei der allgemeinen Feststellung, der Raum sei ein privilegierter Zugang zum Verstehen, wie Macht funktioniert. Auch als die Veranstalter der IBA in Berlin 1984 mit ihrem Konzept einer "Stadt aus Fragmenten" ohne städtebaulichen Gesamtplan auf Foucault zukamen, begnügte sich dieser - kurz vor seinem Tod - damit, eine Wiederverwendung seines Vortrags zu erlauben. Mit seiner Arbeit steckte er tief in der "Geschichte der Sexualität". Latent mochte bei der Distanzhaltung auch seine Skepsis gegenüber der Architektur im Hinblick auf Befreiungsutopien mitgespielt haben. Freiheit war für Foucault stets Praxis, nie Funktionsweise, und konnte durch keine Struktur der Dinge gewährleistet werden. Damit hängt das Thema des zweiten Radiovortrags aus demselben Jahr 1966 über den "utopischen Körper" zusammen. Auf zehn Seiten haben wir hier eine interessante Spur dazu, wie der menschliche Körper damals aus seinem räumlich existentiellen In-der-Welt-Sein der Phänomenologen zum Konstrukt von Macht- und Wunschbeziehungen wurde - wie es in den Gender und Queer Studies bald dargestellt werden sollte. Von der anfänglichen Behauptung, mit seiner unmittelbaren und unabweisbaren Allgegenwart sei unser eigener Körper das schiere Gegenteil einer Utopie, das allenfalls in der Vorstellung eines "körperlosen Körpers" etwa der Feen- und Totenwelt oder des abendländischen Seelen-Begriffs seinen Widerpart finde, mündet der originell angelegte Vortrag bald in die genaue Gegenbehauptung: Doch, unser Körper sei gerade Szene und Triebkraft aller Utopien. Aus einer nie als Gesamtheit erfahrbaren Vielzahl von Organen müsse er, wie die Kleinkinder vor dem Spiegel oder die Griechen bei Homer angesichts der Leichen vor den Stadtmauern Trojas, lernen, immer neu zu einer Art Nullpunkt aller Welterfahrung zusammengefügt zu werden. Spiegel, Leichen und wahrscheinlich auch die Liebeserfahrung stellen unseren Körper laut Foucault in einen radikal anderen Raum und machen ihn so letztlich zum utopischen Körper schlechthin: zum räumlich nicht faßbaren Kern, von dem aus geträumt, phantasiert, gedacht wird.

Im gesprochenen Werk Michel Foucaults, das vorab mit der laufenden Publikation der Vorlesungen am Collège de France gegenüber dem geschriebenen Werk eine eigenständige Gestalt gewinnt, wirken diese beiden Vorträge wie kleine Impromptus. Die überbordende, oft verschenkte Ideenfülle solcher Gelegenheitsarbeiten bestätigt aber postum noch einmal die Produktivität dieses Denkers und rechtfertigt die anhaltend intensive Publikationskadenz von ihm und über ihn bis heute. Und in der mitgelieferten CD mit den Originalvorträgen wird hier der intellektuelle Genuß auch hörbar.

Michel Foucault: "Die Heterotopien. Der utopische Körper". Zwei Radiovorträge. Zweisprachige Ausgabe. Übersetzt von Michael Bischoff. Mit einem Nachwort von Daniel Defert. Mit CD der Originalsendungen. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005. 104 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.07.2005

Friedhof und Feriendorf
Zwei Radiovorträge von Michel Foucault aus dem Jahr 1966
Gegenüber der noch nicht abgeschlossenen Publikation von Michel Foucaults Vorlesungen, die der Philosoph während seiner dreizehn Jahre langen Tätigkeit am Collège de France in Paris hielt, stellt dieser Band mit Radiovorträgen aus dem Jahre 1966 sicherlich nicht mehr als eine Marginalie dar. Und doch ist er von Interesse, denn in Foucaults Werk gibt es, wenn auch nur wenige, Begriffe und Begrifflichkeiten, die skizzenhaft geblieben sind, theoretische Intuitionen, die in leicht veränderter Form hier und da im Werk auftauchen.
Da ist etwa der Begriff der Heterotopie, der sich bei Foucault zum ersten Mal in dem 1966 erschienenen Buch „Die Ordnung der Dinge” findet. In Anlehnung an eine von Borges beschriebene chinesische Tierenzyklopädie, die Tiere in Ordnungen einteilt wie „a) dem Kaiser gehörend, b) einbalsamierte Tiere, . . . k) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind” bis hin zu denen, die „n) von weitem wie Fliegen aussehen”, bezeichnet der Begriff eine in der Unordnung vorhandene Vielzahl möglicher, beliebiger Ordnungen und Systeme, an der Foucault die Grenzen des Denkens und des Sprachlichen aufzeigt.
Anders in dem nur wenig später gehaltenen Radiobeitrag „Die Heterotopien” vom 7. Dezember 1966: Foucault spricht hier von einer Wissenschaft der Heterotopologie, der Gegenräumlichkeiten, deren Aufgabe die Erforschung lokalisierter Utopien sein müsse, wie sie etwa der Dachboden oder das Indianerzelt ebenso wie das elterliche Bett für Kinder darstellen. Dazu zählen auch Orte wie Friedhöfe, Bordelle, Feriendörfer, Bibliotheken oder Museen. Orte, die die normale Zeit-Raum-Konfiguration durcheinander bringen, indem sie entweder flüchtig und schnell oder „Ansammlungen von Zeitlichkeiten” sind.
Mit leicht schnarrender Stimme
Auch der Architekt Ionel Schein hörte Foucaults Vortrag und sorgte mit dafür, dass die Heterotopologie in Architektenkreisen Verbreitung fand. Er lud Foucault in den an Ideen Le Corbusiers und des Bauhauses orientierten „Cercle d’études architecturales” ein. Auch die Berliner Internationale Bauausstellung 1984 befasste sich mit den Foucaultschen Gedanken zur Heterotopologie; als Grundlage diente eine leicht umgeschriebene Fassung des Radiobeitrags von 1966. Auch wenn Foucault stets betonte hatte, auf dem Gebiet der Architektur ein Laie zu sein, fand der Text gleichsam erst durch seine Rezeption in die gedruckte Form von Foucaults Werk Eingang. Wohl auch, weil er 1984, kurz vor seinem Tode, mit der Ausarbeitung der Geschichte von Körper- und Sexualitätsdiskursen beschäftigt war und die Auffassung gewann, dass Freiheit nicht durch eine Struktur von Räumlichkeiten, sondern nur als Praxis möglich sei.
Ein Thema, mit dem sich auch der zweite, nur knapp zehnseitige Vortrag „Der utopische Körper” vom 21. Dezember 1966 beschäftigt. „Mein Körper ist das genaue Gegenteil einer Utopie”, sagt Foucault. Er ist nicht mehr der phänomenologische Körper, der sich über das Gefühl des In-der-Welt-Seins verstand, sondern ein in historische Macht- und Hegemoniediskurse eingebunder. Einzig die Vorstellung von einem Feen- oder geisterhaften, „körperlosen” Körper lasse eine körperliche Utopie zu. Und doch, schließt Foucault, ist gerade der Körper Ausgangspunkt sämtlicher Utopien: „Er hat keinen Ort, aber von ihm gehen alle möglichen realen oder utopischen Orte wie Strahlen aus.” Von ihm aus wird gedacht, fantasiert und geträumt.
„In Buchform gegossen” schrieb der Philosoph Merleau Ponty 1953, „spricht Philosophie die Menschen nicht mehr an”. Wie ansprechend Foucaults mit eindringlicher, leicht schnarrender, Stimme vermutlich weitgehend frei gehaltenen Vorträge im Radio damals klangen, davon kann man sich dank der beiliegenden Audio-CD selbst überzeugen, die aus dem ohnehin schönen, mit einem langen Nachwort des Foucault-Herausgebers Daniel Defert versehenen Band einen Genuss macht.
DANIEL KNELLESEN
MICHEL FOUCAULT: Die Heterotopien. Der utopische Körper. Deutsch- französische Ausgabe mit Audio-CD. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005. 104 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Joseph Hanimann ist ganz zwiegespalten, was die in diesem Band veröffentlichten Radiovorträge Michel Foucaults betrifft. Er bewundert einerseits die Fülle an Ideen, die in ihnen steckt und angerissen wird - und ist andererseits doch enttäuscht, dass Foucault sie niemals wirklich systematisiert hat. Der Begriff der "Heterotopie" hat in der Rezeption des Philosophen durchaus Karriere gemacht, aber nicht in der Verwendung, die er im ersten der Vorträge entwirft. Es gibt, so Hanimann, bei Foucault eine Kontinuität der "verschenkten Begriffe", deren möglicher Reichtum in etwa einer "improvisierten Typologie" aufblitzt, um dann wieder vergessen zu werden. Also konstatiert der Rezensent einerseits die "überbordende Ideenfülle", andererseits auch immer wieder die eigene Enttäuschung. Die beiligenden CDs mit den Original-Radiobeiträgen bezeichnet er dann jedoch ohne Vorbehalt als "intellektuellen Genuss".

© Perlentaucher Medien GmbH"