Produktdetails
- Verlag: Hirmer
- Seitenzahl: 280
- Abmessung: 37mm x 291mm x 344mm
- Gewicht: 2920g
- ISBN-13: 9783777475301
- Artikelnr.: 07109393
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.11.1998Der Fromme im Gradnetz der Intellektuellen
John Spike zeigt, warum Fra Angelico mehr war als ein kunstliebender Klosterbruder
Der vermeintliche Antagonismus von Renaissancehumanismus und Religion zeichnet sich als neues und besonders ergiebiges Terrain der Forschung zur neuzeitlichen Kunst ab. Am Beispiel von Raffaels "Sposalizio" hat Jörg Traeger unlängst den vieldiskutierten Versuch unternommen, die religiösen Gehalte einer Malerei herauszupräparieren, die eine vom Humanismus beseelte Kunstgeschichte zu übersehen neigt (F.A.Z. vom 23. April 1998). Als ein Künstler, der immer schon aller heidnisch-antiken Tendenzen unverdächtig und offenbar ausschließlich im Dienst der religiösen Andacht tätig war, galt bislang Fra Angelico (vor 1400 bis 1455).
Als Guido di Piero bei Florenz geboren, ist der malende Dominikanermönch aus Fiesole mit dem schon von den Zeitgenossen gefundenen Epitheton "Angelico" in die Kunstgeschichte eingegangen. Giorgio Vasari hat das Bild vom frömmelnden Malerprior sanktioniert, der nie ein Kruzifix gemalt habe, ohne daß Tränen seine Wangen befeuchteten. Die engelsreichen Wesen seiner Bilder und Fresken haben noch Nazarener und Präraffaeliten entzückt und inspiriert. Endgültig zur Ehre der Altäre erhoben wurde der Maler durch die von Papst Johannes Paul II. zu Beginn der achtziger Jahre bestimmte Seligsprechung.
Damit schien sich im Florenz des Quattrocento, dem lebhaftesten Laboratorium der neuzeitlichen Kunst, ein Relikt spätgotischer Kunstfrömmigkeit erhalten zu haben, das in auffälligem Kontrast zu den Erneuerungen der Malerei in Technik und Gehalt stand, wie sie sich etwa im Werk von Angelicos Zeitgenossen Masaccio manifestierten. Dabei handelte es sich freilich um die weitgehende Verharmlosung eines OEuvres, in dem spektakuläre Raumorganisation und innovative Bildfindungen ebenso präsent sind wie die anschauliche Debatte um theologische Grundfragen der Zeit. Kaum ein anderer Maler hat seine Bilder so häufig mit Inschriften überzogen wie Fra Angelico, den man wohl treffender einen malenden Schriftgelehrten zu nennen hätte.
Tatsächlich ist die Revision des Bildes vom kunstliebhabenden Klosterbruder schon länger in Gang. Georges Didi-Hubermann hat auf den humanistischen Impetus von Angelicos Werk in dessen Freskenzyklus im Dormitorium des Klosters von San Marco in Florenz aufmerksam gemacht. John T. Spikes jetzt in deutscher Übersetzung vorgelegte Werkmonographie nimmt diese Fährte auf und erkennt in dem über die Mönchszellen verteilten Zyklus über das Thema der Erlösung die buchstabengetreue Anwendung der Lehre von den kirchlichen Hierarchien des bedeutendsten christlichen Neuplatonikers, des Pseudo-Dionysius Areopagita.
Die nach zunehmendem Ausarbeitungsgrad vorgenommene Dreiteilung des Zyklus respektiert demnach unter künstlerischen wie religiösen Aspekten dessen Prinzipien, nach denen die Gläubigen ihren jeweiligen Verstandesmöglichkeiten entsprechend in die christlichen Mysterien eingeweiht werden sollten. Die spirituelle Reise des Pseudo-Dionysius erfährt in der von Spike überzeugend nachgezeichneten narrativen Struktur von Angelicos Freskenabteilen ihre kongeniale Entsprechung.
Aber nicht nur in gedanklicher Hinsicht wird hier Fra Angelicos bewußte Zeitgenossenschaft unterstrichen. Galt er bislang als letzter Erbe des weichen, dekorativen Stils eines Lorenzo Monaco, kann Spike den Einfluß des robusteren Gherardi Starnina plausibel machen, der als Lehrer Masolinos zu den stilbildenden Meistern des frühen fünfzehnten Jahrhunderts zählt.
In Fra Angelicos "Pala di San Marco", einem der ambitioniertesten Kunstaufträge Cosimo de' Medicis, kann Spike in der strengen Geometrie, nach der das Figurenpersonal um einen Mittelpunkt gruppiert ist, die frühe und geglückte Anwendung der Zentralperspektive nachweisen, die allenfalls von Masaccio in dessen legendären Fresken des "Zinsgroschen" oder der "Trinität" präludiert worden ist. Das von Fra Angelico zugrunde gelegte Modulsystem, nämlich Leon Battista Albertis "Gradnetz", belegt die Vertrautheit des Malers mit den avanciertesten Tendenzen der Kunst in Theorie und Praxis. Dafür, daß Alberti hier, wie er mutmaßt, selbst hilfreich intervenierte, bleibt Spike den letzten Beweis schuldig.
Der von der Ikonologiekritik vor Jahren verabschiedete "humanist adviser" feiert hier seine Wiedergeburt. Vieles spricht dafür, in Tommaso Parantucelli den Verantwortlichen für den patristischen Schwerpunkt der Fresken des Klosters von San Marco zu erkennen. Als Nikolaus V. sollte er Fra Angelico 1448 nach Rom rufen. Mit der Ausstattung des studiolo und der Privatkapelle des Papstes im Vatikan schuf der Dominikaner ein von der Antike nachhaltig erfaßtes Spätwerk, das freilich schon früher auf den explizit humanistischen Charakter von Angelicos Bildwelt hätte aufmerksam machen müssen.
Spikes Werkmonographie, nicht schön geschrieben, aber sehr ansehnlich ausgestattet, erscheint zu einem günstigen Zeitpunkt. Sie rehabilitiert einen unerlaubt zum malenden Betbruder reduzierten Protagonisten der Malkunst und signalisiert noch einmal eine mögliche Versöhnung von antiker Überlieferung und christlichem Glauben. Sie bereichert die Diskussion um die Religiosität der Renaissance damit um ein früheres und besonders aufschlußreiches Kapitel. ANDREAS BEYER
John T. Spike: "Fra Angelico". Aus dem Englischen von Klaudia Murmann und Barbara Geratz Matera. Hirmer Verlag, München 1997. 280 S., Abb., geb., 168,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
John Spike zeigt, warum Fra Angelico mehr war als ein kunstliebender Klosterbruder
Der vermeintliche Antagonismus von Renaissancehumanismus und Religion zeichnet sich als neues und besonders ergiebiges Terrain der Forschung zur neuzeitlichen Kunst ab. Am Beispiel von Raffaels "Sposalizio" hat Jörg Traeger unlängst den vieldiskutierten Versuch unternommen, die religiösen Gehalte einer Malerei herauszupräparieren, die eine vom Humanismus beseelte Kunstgeschichte zu übersehen neigt (F.A.Z. vom 23. April 1998). Als ein Künstler, der immer schon aller heidnisch-antiken Tendenzen unverdächtig und offenbar ausschließlich im Dienst der religiösen Andacht tätig war, galt bislang Fra Angelico (vor 1400 bis 1455).
Als Guido di Piero bei Florenz geboren, ist der malende Dominikanermönch aus Fiesole mit dem schon von den Zeitgenossen gefundenen Epitheton "Angelico" in die Kunstgeschichte eingegangen. Giorgio Vasari hat das Bild vom frömmelnden Malerprior sanktioniert, der nie ein Kruzifix gemalt habe, ohne daß Tränen seine Wangen befeuchteten. Die engelsreichen Wesen seiner Bilder und Fresken haben noch Nazarener und Präraffaeliten entzückt und inspiriert. Endgültig zur Ehre der Altäre erhoben wurde der Maler durch die von Papst Johannes Paul II. zu Beginn der achtziger Jahre bestimmte Seligsprechung.
Damit schien sich im Florenz des Quattrocento, dem lebhaftesten Laboratorium der neuzeitlichen Kunst, ein Relikt spätgotischer Kunstfrömmigkeit erhalten zu haben, das in auffälligem Kontrast zu den Erneuerungen der Malerei in Technik und Gehalt stand, wie sie sich etwa im Werk von Angelicos Zeitgenossen Masaccio manifestierten. Dabei handelte es sich freilich um die weitgehende Verharmlosung eines OEuvres, in dem spektakuläre Raumorganisation und innovative Bildfindungen ebenso präsent sind wie die anschauliche Debatte um theologische Grundfragen der Zeit. Kaum ein anderer Maler hat seine Bilder so häufig mit Inschriften überzogen wie Fra Angelico, den man wohl treffender einen malenden Schriftgelehrten zu nennen hätte.
Tatsächlich ist die Revision des Bildes vom kunstliebhabenden Klosterbruder schon länger in Gang. Georges Didi-Hubermann hat auf den humanistischen Impetus von Angelicos Werk in dessen Freskenzyklus im Dormitorium des Klosters von San Marco in Florenz aufmerksam gemacht. John T. Spikes jetzt in deutscher Übersetzung vorgelegte Werkmonographie nimmt diese Fährte auf und erkennt in dem über die Mönchszellen verteilten Zyklus über das Thema der Erlösung die buchstabengetreue Anwendung der Lehre von den kirchlichen Hierarchien des bedeutendsten christlichen Neuplatonikers, des Pseudo-Dionysius Areopagita.
Die nach zunehmendem Ausarbeitungsgrad vorgenommene Dreiteilung des Zyklus respektiert demnach unter künstlerischen wie religiösen Aspekten dessen Prinzipien, nach denen die Gläubigen ihren jeweiligen Verstandesmöglichkeiten entsprechend in die christlichen Mysterien eingeweiht werden sollten. Die spirituelle Reise des Pseudo-Dionysius erfährt in der von Spike überzeugend nachgezeichneten narrativen Struktur von Angelicos Freskenabteilen ihre kongeniale Entsprechung.
Aber nicht nur in gedanklicher Hinsicht wird hier Fra Angelicos bewußte Zeitgenossenschaft unterstrichen. Galt er bislang als letzter Erbe des weichen, dekorativen Stils eines Lorenzo Monaco, kann Spike den Einfluß des robusteren Gherardi Starnina plausibel machen, der als Lehrer Masolinos zu den stilbildenden Meistern des frühen fünfzehnten Jahrhunderts zählt.
In Fra Angelicos "Pala di San Marco", einem der ambitioniertesten Kunstaufträge Cosimo de' Medicis, kann Spike in der strengen Geometrie, nach der das Figurenpersonal um einen Mittelpunkt gruppiert ist, die frühe und geglückte Anwendung der Zentralperspektive nachweisen, die allenfalls von Masaccio in dessen legendären Fresken des "Zinsgroschen" oder der "Trinität" präludiert worden ist. Das von Fra Angelico zugrunde gelegte Modulsystem, nämlich Leon Battista Albertis "Gradnetz", belegt die Vertrautheit des Malers mit den avanciertesten Tendenzen der Kunst in Theorie und Praxis. Dafür, daß Alberti hier, wie er mutmaßt, selbst hilfreich intervenierte, bleibt Spike den letzten Beweis schuldig.
Der von der Ikonologiekritik vor Jahren verabschiedete "humanist adviser" feiert hier seine Wiedergeburt. Vieles spricht dafür, in Tommaso Parantucelli den Verantwortlichen für den patristischen Schwerpunkt der Fresken des Klosters von San Marco zu erkennen. Als Nikolaus V. sollte er Fra Angelico 1448 nach Rom rufen. Mit der Ausstattung des studiolo und der Privatkapelle des Papstes im Vatikan schuf der Dominikaner ein von der Antike nachhaltig erfaßtes Spätwerk, das freilich schon früher auf den explizit humanistischen Charakter von Angelicos Bildwelt hätte aufmerksam machen müssen.
Spikes Werkmonographie, nicht schön geschrieben, aber sehr ansehnlich ausgestattet, erscheint zu einem günstigen Zeitpunkt. Sie rehabilitiert einen unerlaubt zum malenden Betbruder reduzierten Protagonisten der Malkunst und signalisiert noch einmal eine mögliche Versöhnung von antiker Überlieferung und christlichem Glauben. Sie bereichert die Diskussion um die Religiosität der Renaissance damit um ein früheres und besonders aufschlußreiches Kapitel. ANDREAS BEYER
John T. Spike: "Fra Angelico". Aus dem Englischen von Klaudia Murmann und Barbara Geratz Matera. Hirmer Verlag, München 1997. 280 S., Abb., geb., 168,- DM.
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