Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.02.2011Ein Witz von einem Buch
Steve Toltz und sein peinlicher Zwang zur Pointe
Humor ist Geschmackssache, und insbesondere am schwarzen scheiden sich die Geister. Der Romanerstling des Australiers Steve Toltz ist so ein Testfall für das humoristische Empfinden. Erzählt wird die Saga von Vater Martin, Onkel Terry und Sohn Jasper Dean, einer Familie von Haudegen, in der sich Unfälle, Verbrechen und andere Katastrophen derart häufen, dass es auf keine Känguruhaut geht. Jasper ist der Rahmenerzähler, der in Rückblenden allerdings über Hunderte Seiten seinem Vater das Wort erteilt; ihre Stimmen sind jedoch kaum voneinander zu unterscheiden, weil sich im ständig gleichen Tonfall Kalamitäten und Kalauer abwechseln. Ein Kind liegt im Koma, einem Schüler wird ein Messer ins Bein gerammt, eine junge Frau wird bei einer Explosion in tausend Teile zerfetzt - das alles wird geschildert, als sei es ein unendlicher Spaß.
Wenngleich Toltz mit einer Fülle von Schauplätzen und Geschichten aufwarten kann, die, für sich genommen, interessant sind, opfert er das eigentliche Erzählen doch immer wieder einer selbstverliebten Suada mit effektheischenden Kraftausdrücken. In diesem Stil streift er gleich zu Beginn eine jener Unbegreiflichkeiten des 20. Jahrhunderts, für die es keine Worte gibt: nämlich die, wie Juden, die ein Exil überstanden oder sogar das KZ überlebt hatten, bei der Rückkehr in ihre Heimatdörfer erschlagen wurden. Die Art und Weise, mit der Toltz auf die Darstellung solcher Schicksale nonchalant Sätze folgen lässt, die nichts anderem als der Produktion überflüssiger Pointen dienen, grenzt ans Unerträgliche. Insbesondere die Erwähnung Adolf Hitlers schlägt fast immer fehl. Über diesen heißt es etwa, er habe sich "als großer Führer mit einem Händchen fürs Marketing" entpuppt. Auch wenn man einräumt, dass der Erzähler nichts mit dem Autor gemein haben muss, kann man solche Sätze nur als ärgerlich bezeichnen.
Im Original heißt Toltz' Werk "A Fraction of the Whole" ("Ein Teil des Ganzen"). Dieser Titel muss dem hiesigen Verleger aus verschiedenen Gründen unangebracht erschienen sein. Er wirkt bei einem Achthundertseiten-Text recht kühn, wenn nicht bedrohlich angesichts möglicher Folgewerke des Autors. Der stattdessen gewählte reißerische Titel "Vatermord und andere Familienvergnügen" wird dem Ton wie dem vermeintlichen Witz des Buches schon eher gerecht, kann insofern als treffend bezeichnet werden.
Trotz Nominierung für den Booker-Preis und zahlreicher englischer Pressestimmen, die dieses Buch zumeist "hilariously funny" fanden, muss nicht jeder diese Meinung teilen. Dieser Roman ist kein großer Wurf, er verdient höchstens einen - aus dem Fenster.
JAN WIELE
Steve Toltz: "Vatermord". Roman.
Aus dem Englischen von C. Drechsler, H. Hellmann. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010. 792 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Steve Toltz und sein peinlicher Zwang zur Pointe
Humor ist Geschmackssache, und insbesondere am schwarzen scheiden sich die Geister. Der Romanerstling des Australiers Steve Toltz ist so ein Testfall für das humoristische Empfinden. Erzählt wird die Saga von Vater Martin, Onkel Terry und Sohn Jasper Dean, einer Familie von Haudegen, in der sich Unfälle, Verbrechen und andere Katastrophen derart häufen, dass es auf keine Känguruhaut geht. Jasper ist der Rahmenerzähler, der in Rückblenden allerdings über Hunderte Seiten seinem Vater das Wort erteilt; ihre Stimmen sind jedoch kaum voneinander zu unterscheiden, weil sich im ständig gleichen Tonfall Kalamitäten und Kalauer abwechseln. Ein Kind liegt im Koma, einem Schüler wird ein Messer ins Bein gerammt, eine junge Frau wird bei einer Explosion in tausend Teile zerfetzt - das alles wird geschildert, als sei es ein unendlicher Spaß.
Wenngleich Toltz mit einer Fülle von Schauplätzen und Geschichten aufwarten kann, die, für sich genommen, interessant sind, opfert er das eigentliche Erzählen doch immer wieder einer selbstverliebten Suada mit effektheischenden Kraftausdrücken. In diesem Stil streift er gleich zu Beginn eine jener Unbegreiflichkeiten des 20. Jahrhunderts, für die es keine Worte gibt: nämlich die, wie Juden, die ein Exil überstanden oder sogar das KZ überlebt hatten, bei der Rückkehr in ihre Heimatdörfer erschlagen wurden. Die Art und Weise, mit der Toltz auf die Darstellung solcher Schicksale nonchalant Sätze folgen lässt, die nichts anderem als der Produktion überflüssiger Pointen dienen, grenzt ans Unerträgliche. Insbesondere die Erwähnung Adolf Hitlers schlägt fast immer fehl. Über diesen heißt es etwa, er habe sich "als großer Führer mit einem Händchen fürs Marketing" entpuppt. Auch wenn man einräumt, dass der Erzähler nichts mit dem Autor gemein haben muss, kann man solche Sätze nur als ärgerlich bezeichnen.
Im Original heißt Toltz' Werk "A Fraction of the Whole" ("Ein Teil des Ganzen"). Dieser Titel muss dem hiesigen Verleger aus verschiedenen Gründen unangebracht erschienen sein. Er wirkt bei einem Achthundertseiten-Text recht kühn, wenn nicht bedrohlich angesichts möglicher Folgewerke des Autors. Der stattdessen gewählte reißerische Titel "Vatermord und andere Familienvergnügen" wird dem Ton wie dem vermeintlichen Witz des Buches schon eher gerecht, kann insofern als treffend bezeichnet werden.
Trotz Nominierung für den Booker-Preis und zahlreicher englischer Pressestimmen, die dieses Buch zumeist "hilariously funny" fanden, muss nicht jeder diese Meinung teilen. Dieser Roman ist kein großer Wurf, er verdient höchstens einen - aus dem Fenster.
JAN WIELE
Steve Toltz: "Vatermord". Roman.
Aus dem Englischen von C. Drechsler, H. Hellmann. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2010. 792 S., geb., 22,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main