München, 7. November 1923. Ausnahmezustand, Inflation, Putschgerüchte. Die junge Fotografin Fritzi traut sich zu einer illegalen Kundgebung. Mit ihrer "Weibergang", den Frauen des "Bund sozialistischer Frauen", feiert sie auf der Theresienwiese den fünften Jahrestag der Revolution. Die Frauen prangern den zunehmenden Terror der rechten Kampfbünde an und fordern Republik statt Ordnungszelle. Plötzlich verschwindet Fritzi im Bauch der Bavaria. Ist sie entführt worden? Wer hat ein Interesse, Fritzi verschwinden zu lassen? Die Frauen des BSF wollen Fritzi retten, geraten aber in die Vorbereitungen des Bierkellerputsches. Ein jüdischer Kaufmann, Stadträte und Landtagsabgeordnete verschwinden. In einer schlaflosen Nacht gelingt es den Frauen, den Putsch zu stoppen. Aber wo ist Fritzi? Cornelia Naumann hat den vergessenen Frauen des BSF nachgespürt und Erstaunliches zutage gefördert.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.03.2024Vergessene Frauen der Revolution
Cornelia Naumanns Roman „Fräulein Prolet“ erzählt von den bewegten Zeiten zwischen
1918 und dem Hitlerputsch 1923 – und erinnert an unbekannte Frauenrechtlerinnen.
VON ANTJE WEBER
Mit einer Demo auf der Münchner Theresienwiese fängt es an. Es sind kaum 200 Menschen, die sich am 8. November 1923 zu Füßen der Bavaria eingefunden haben: Genau fünf Jahre nach der Revolution versuchen sie, fröstelnd im Schneetreiben, das fünfjährige Bestehen des Freistaats zu feiern. Angemeldet ist die Versammlung nicht, schließlich hat der Generalstaatskommissar Gustav von Kahr den Ausnahmezustand verhängt – zu befürchten ist, dass die Polizei die Demo auflöst oder ein paar Hakenkreuzler auftauchen, um sich zu prügeln.
Einige bekannte Frauenrechtlerinnen immerhin kann die Fotografin Fritzi Novacki entdecken, die das Geschehen aus dem Kopf der Bavaria heraus beobachtet: Anita Augspurg ebenso wie Lida Gustava Heymann und Constanze Hallgarten, auch die SPD-Reichstagsabgeordnete Toni Pfülf ist gekommen. Und Zenzl Mühsam, die Frau des Anarchisten und einstigen Räterepublik-Aktivisten Erich Mühsam, die weinend von dessen harten Haftbedingungen in Niederschönenfeld erzählt und dennoch unter Beifall ruft: „Wir lassen uns nicht unterkriegen!“
Anschaulich lässt Cornelia Naumann mit dieser Szene ihren neuen Roman „Fräulein Prolet“ beginnen – und auch wenn die Demo in dieser Form erfunden ist, sie hätte so ähnlich stattfinden können. Denn die meisten Fakten und Figuren sind historisch belegt in diesem Roman, der im Untertitel „eine rührselige Geschichte aus der Zeit der Revolution mit viel Mord und Totschlag“ verheißt, „an deren Ende ein wahnsinniger Diktator erst einmal verhindert wird“. Anders gesagt, mit dem zweiten Teil des Untertitels: „Von einer Munitionsarbeiterin, die Fotografin wurde und im Kopf der Bavaria verschwand.“
Denn die Fotografin Fritzi wird am Ende der Demo auf der Theresienwiese nicht nach Hause kommen: Sie wird von zwei Männern betäubt und aus der Bavaria entführt; es ist nicht zufällig derselbe Tag, an dem ein gewisser Adolf Hitler im Bürgerbräukeller zu putschen versucht. Und damit kommt ein vielschichtiger Roman in Gang, der manche Schwäche haben mag, aber ungleich mehr Verdienste.
Wenn jemand tief im Stoff steht, was die bayerische Revolution von 1918 und die Rolle der Frauen dabei angeht, dann die Münchner Autorin und Dramaturgin Cornelia Naumann. Spätestens seit dem Jahrhundert-Jubiläum vor sechs Jahren weiß das auch die Öffentlichkeit: Naumann hat damals mit dem Roman „Der Abend kommt so schnell“ an die vergessene Münchner Revolutionärin Sonja Lerch erinnert, eine Ausstellung erarbeitet, einen Materialband. Lerch, die an der Seite des Politikers Kurt Eisner die Münchner Arbeiter zum Streik aufrief, die verhaftet wurde und 1918 im Gefängnis Stadelheim unter mysteriösen Umständen starb, kommt auch im neuen Roman vor. Doch er schlägt einen anderen, weiteren Bogen.
Die Zeitspanne, die Naumann diesmal abdeckt, beginnt 1918 zum Zeitpunkt des Todes von Sonja Lerch. Und sie endet im Wesentlichen fünf Jahre später, 1923, mit den Ereignissen um die Entführung der Figur Fritzi. Zwischen diesen Zeitebenen wechselt die Autorin hin und her, angereichert durch „Fotoalben“-Einschübe und eine dezente Ich-Erzählerin, deren Identität erst am Ende gelüftet wird.
Es ist eine ambitionierte Dramaturgie, die für Abwechslung und Spannung sorgt, angesichts der immensen Fülle an Ereignissen, Figuren und Buchseiten jedoch auch etwas anstrengt, zumal die beigemischte Liebesgeschichte tatsächlich etwas rührselig ist. Nichtsdestoweniger wird, wer sich auf die Lektüre einlässt, mit vertieftem Wissen und neuen (Menschen-)Bildern im Kopf wieder daraus auftauchen.
Allen voran prägt sich das junge „Fräulein Prolet“ ein: die Hauptfigur Fritzi mit ihrem feuerroten Haar, rot auch in Herz und Gedanken. Die Munitionsarbeiterin, die während des Zweiten Weltkriegs für Krupp in Freimann Torpedos befüllt und später einen Ausbildungsplatz im berühmten Fotoatelier Elvira in Schwabing ergattert, besucht Versammlungen der sozialistischen Partei USPD. Mit Themen wie Armut und Ungleichheit kennt sie sich aus; beklemmend sind nicht nur die Wohnverhältnisse der Arbeiter, die in überfüllten Baracken und Zimmern hausen: Fritzi teilt sich eine Pritsche mit einer Kollegin, die in Nachtschichten schuftet, später wohnt sie kärglich bei einem verwitweten Leichenkutscher und dessen Kindern. Allein schon die Passagen, in denen Naumann anschaulich das Elend im Stadtviertel Giesing gegen Weltkriegsende beschreibt, sind die Lektüre wert.
Überhaupt ist die aufgeladene Atmosphäre rund um die Revolutionsereignisse spürbar, nicht nur in München, sondern auch in Kolbermoor oder Augsburg, wo sich die Revolutionärin Lilly Prem engagiert. Ob Kundgebungen, die Ausrufung des Freistaats oder die Ermordung des ersten Ministerpräsidenten Kurt Eisner – immer ist Naumann dicht dran. Sie erzählt vom Ringen um die Demokratie, auch mit Hilfe von Räten, von bald ermattender Aufbruchstimmung und dem blutigen Ende der Räterepublik. Und, um endlich zu ihrem Kernanliegen zu kommen: vom bedeutenden, doch weitgehend vergessenen Beitrag so vieler Frauen.
Insbesondere die Geschichte des „Bundes sozialistischer Frauen“ (BSF), dem sie ihre Figur Fritzi hinzudichtet, hat Cornelia Naumann zu recherchieren versucht. Keine einfache Aufgabe, schließlich sind zwei Flugblätter alles, was heute von ihm übrig ist, wie die Autorin im Nachwort erzählt. Der Bund war ein „überparteilicher Zusammenschluss Münchner Frauen, die sich mit Wahlrecht allein nicht abspeisen lassen wollten“, wie sie schreibt. Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann gründeten ihn Ende 1918 als „erste sozialistische Frauenorganisation, die selbständig, unabhängig von den sozialistischen Männerparteien und Fraktionen ist“. Der Bund wollte die Bildung von Frauen fördern, er wollte in den Parlamenten deren Rechte stärken – und in der Räterepublik bitte auch Frauenräte einsetzen, wie eines der Plakate forderte.
Dafür war nicht nur die junge Republik, dafür waren auch die Männer nicht reif. Naumann beschreibt, wie die Frauen mit ihren Anliegen immer wieder abblitzten. Und bringt Namen in Erinnerung, die aus dem kollektiven Gedächtnis weitgehend verschwunden sind: Wer weiß auf Anhieb, dass Rosa Aschenbrenner eine Landtagsabgeordnete war, die auch eine Frauenhilfe für politische Gefangene gründete? Wer kennt Marie Bertels, die 1919 den Revolutionär Ernst Toller versteckte, wer die Arbeiterrätin und Stadträtin Hedwig Kämpfer? Wer hat jemals die Namen von Mathilde Baumeister, Selma Schröder oder Sophie Setzer vom BSF gehört? Etliche der Frauen wurden nach der Niederschlagung der Revolution „bespitzelt, mundtot gemacht, vertrieben, eingesperrt, ermordet“, wie Naumann schreibt. Anders als bei den männlichen Revolutionären jedoch fiel es ihr schwer, bei manchen von ihnen auch nur die Lebensdaten zu rekonstruieren.
Auch die selten gewürdigte Rolle von Ellen Ammann findet Raum in diesem Roman. Sie war keine Sozialistin, sondern Landtagsabgeordnete der konservativ-katholischen Bayerischen Volkspartei BVP und Gründerin einer Frauenschule. Ammann trug maßgeblich dazu bei, 1923 den Hitlerputsch zu beenden: Als sie vom geplanten Marsch auf die Feldherrnhalle erfuhr, brachte sie heimlich etliche Minister der Regierung in ihrer Schule unter, wo sie noch nachts den Widerstand zu organisieren begannen.
Überhaupt kann man aus dem Roman herauslesen: Hätte man den Frauen in diesen gewalttätigen Zeiten mehr zugetraut, es wäre vielleicht manches anders gekommen. So aber sind nicht nur viele ihrer Spuren verwischt und getilgt, „wie jede Geschichte von Frauen“, wie es im Roman am Ende bitter heißt: „Geschichte schreiben Sieger, nicht mal Siegerinnen.“ Die Frauen müssten als „unbeschriebene Blätter“ immer noch, immer wieder „um unsere Vergangenheit, Gegenwart und unsere Zukunft kämpfen“. Dieses Buch jedenfalls nimmt den Kampf auf.
Cornelia Naumann: Fräulein Prolet. Roman. Verlag Edition AV, 527 Seiten, 20 Euro.
Das Elend in
Arbeiter-Vierteln wie
Giesing war groß
Der „Bund sozialistischer
Frauen“ hat die Autorin
besonders interessiert
Sie trug entscheidend
dazu bei, den Hitlerputsch
zu beenden: Ellen Ammann
Eine Kundgebung auf der Theresienwiese 1918, nach einem Aufruf von SPD, USPD und Gewerkschaften – mit einer Demonstration zu Füßen der Bavaria fünf Jahre später lässt Cornelia Naumann ihren Roman beginnen.
Foto: Georg Pettendorfer/Scherl, Süddeutsche Zeitung Photo
Lücken in der Geschichtsschreibung zu füllen, hat sich die Autorin Cornelia Naumann zur Aufgabe gemacht
Foto: Günther Gerstenberg.
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Cornelia Naumanns Roman „Fräulein Prolet“ erzählt von den bewegten Zeiten zwischen
1918 und dem Hitlerputsch 1923 – und erinnert an unbekannte Frauenrechtlerinnen.
VON ANTJE WEBER
Mit einer Demo auf der Münchner Theresienwiese fängt es an. Es sind kaum 200 Menschen, die sich am 8. November 1923 zu Füßen der Bavaria eingefunden haben: Genau fünf Jahre nach der Revolution versuchen sie, fröstelnd im Schneetreiben, das fünfjährige Bestehen des Freistaats zu feiern. Angemeldet ist die Versammlung nicht, schließlich hat der Generalstaatskommissar Gustav von Kahr den Ausnahmezustand verhängt – zu befürchten ist, dass die Polizei die Demo auflöst oder ein paar Hakenkreuzler auftauchen, um sich zu prügeln.
Einige bekannte Frauenrechtlerinnen immerhin kann die Fotografin Fritzi Novacki entdecken, die das Geschehen aus dem Kopf der Bavaria heraus beobachtet: Anita Augspurg ebenso wie Lida Gustava Heymann und Constanze Hallgarten, auch die SPD-Reichstagsabgeordnete Toni Pfülf ist gekommen. Und Zenzl Mühsam, die Frau des Anarchisten und einstigen Räterepublik-Aktivisten Erich Mühsam, die weinend von dessen harten Haftbedingungen in Niederschönenfeld erzählt und dennoch unter Beifall ruft: „Wir lassen uns nicht unterkriegen!“
Anschaulich lässt Cornelia Naumann mit dieser Szene ihren neuen Roman „Fräulein Prolet“ beginnen – und auch wenn die Demo in dieser Form erfunden ist, sie hätte so ähnlich stattfinden können. Denn die meisten Fakten und Figuren sind historisch belegt in diesem Roman, der im Untertitel „eine rührselige Geschichte aus der Zeit der Revolution mit viel Mord und Totschlag“ verheißt, „an deren Ende ein wahnsinniger Diktator erst einmal verhindert wird“. Anders gesagt, mit dem zweiten Teil des Untertitels: „Von einer Munitionsarbeiterin, die Fotografin wurde und im Kopf der Bavaria verschwand.“
Denn die Fotografin Fritzi wird am Ende der Demo auf der Theresienwiese nicht nach Hause kommen: Sie wird von zwei Männern betäubt und aus der Bavaria entführt; es ist nicht zufällig derselbe Tag, an dem ein gewisser Adolf Hitler im Bürgerbräukeller zu putschen versucht. Und damit kommt ein vielschichtiger Roman in Gang, der manche Schwäche haben mag, aber ungleich mehr Verdienste.
Wenn jemand tief im Stoff steht, was die bayerische Revolution von 1918 und die Rolle der Frauen dabei angeht, dann die Münchner Autorin und Dramaturgin Cornelia Naumann. Spätestens seit dem Jahrhundert-Jubiläum vor sechs Jahren weiß das auch die Öffentlichkeit: Naumann hat damals mit dem Roman „Der Abend kommt so schnell“ an die vergessene Münchner Revolutionärin Sonja Lerch erinnert, eine Ausstellung erarbeitet, einen Materialband. Lerch, die an der Seite des Politikers Kurt Eisner die Münchner Arbeiter zum Streik aufrief, die verhaftet wurde und 1918 im Gefängnis Stadelheim unter mysteriösen Umständen starb, kommt auch im neuen Roman vor. Doch er schlägt einen anderen, weiteren Bogen.
Die Zeitspanne, die Naumann diesmal abdeckt, beginnt 1918 zum Zeitpunkt des Todes von Sonja Lerch. Und sie endet im Wesentlichen fünf Jahre später, 1923, mit den Ereignissen um die Entführung der Figur Fritzi. Zwischen diesen Zeitebenen wechselt die Autorin hin und her, angereichert durch „Fotoalben“-Einschübe und eine dezente Ich-Erzählerin, deren Identität erst am Ende gelüftet wird.
Es ist eine ambitionierte Dramaturgie, die für Abwechslung und Spannung sorgt, angesichts der immensen Fülle an Ereignissen, Figuren und Buchseiten jedoch auch etwas anstrengt, zumal die beigemischte Liebesgeschichte tatsächlich etwas rührselig ist. Nichtsdestoweniger wird, wer sich auf die Lektüre einlässt, mit vertieftem Wissen und neuen (Menschen-)Bildern im Kopf wieder daraus auftauchen.
Allen voran prägt sich das junge „Fräulein Prolet“ ein: die Hauptfigur Fritzi mit ihrem feuerroten Haar, rot auch in Herz und Gedanken. Die Munitionsarbeiterin, die während des Zweiten Weltkriegs für Krupp in Freimann Torpedos befüllt und später einen Ausbildungsplatz im berühmten Fotoatelier Elvira in Schwabing ergattert, besucht Versammlungen der sozialistischen Partei USPD. Mit Themen wie Armut und Ungleichheit kennt sie sich aus; beklemmend sind nicht nur die Wohnverhältnisse der Arbeiter, die in überfüllten Baracken und Zimmern hausen: Fritzi teilt sich eine Pritsche mit einer Kollegin, die in Nachtschichten schuftet, später wohnt sie kärglich bei einem verwitweten Leichenkutscher und dessen Kindern. Allein schon die Passagen, in denen Naumann anschaulich das Elend im Stadtviertel Giesing gegen Weltkriegsende beschreibt, sind die Lektüre wert.
Überhaupt ist die aufgeladene Atmosphäre rund um die Revolutionsereignisse spürbar, nicht nur in München, sondern auch in Kolbermoor oder Augsburg, wo sich die Revolutionärin Lilly Prem engagiert. Ob Kundgebungen, die Ausrufung des Freistaats oder die Ermordung des ersten Ministerpräsidenten Kurt Eisner – immer ist Naumann dicht dran. Sie erzählt vom Ringen um die Demokratie, auch mit Hilfe von Räten, von bald ermattender Aufbruchstimmung und dem blutigen Ende der Räterepublik. Und, um endlich zu ihrem Kernanliegen zu kommen: vom bedeutenden, doch weitgehend vergessenen Beitrag so vieler Frauen.
Insbesondere die Geschichte des „Bundes sozialistischer Frauen“ (BSF), dem sie ihre Figur Fritzi hinzudichtet, hat Cornelia Naumann zu recherchieren versucht. Keine einfache Aufgabe, schließlich sind zwei Flugblätter alles, was heute von ihm übrig ist, wie die Autorin im Nachwort erzählt. Der Bund war ein „überparteilicher Zusammenschluss Münchner Frauen, die sich mit Wahlrecht allein nicht abspeisen lassen wollten“, wie sie schreibt. Anita Augspurg und Lida Gustava Heymann gründeten ihn Ende 1918 als „erste sozialistische Frauenorganisation, die selbständig, unabhängig von den sozialistischen Männerparteien und Fraktionen ist“. Der Bund wollte die Bildung von Frauen fördern, er wollte in den Parlamenten deren Rechte stärken – und in der Räterepublik bitte auch Frauenräte einsetzen, wie eines der Plakate forderte.
Dafür war nicht nur die junge Republik, dafür waren auch die Männer nicht reif. Naumann beschreibt, wie die Frauen mit ihren Anliegen immer wieder abblitzten. Und bringt Namen in Erinnerung, die aus dem kollektiven Gedächtnis weitgehend verschwunden sind: Wer weiß auf Anhieb, dass Rosa Aschenbrenner eine Landtagsabgeordnete war, die auch eine Frauenhilfe für politische Gefangene gründete? Wer kennt Marie Bertels, die 1919 den Revolutionär Ernst Toller versteckte, wer die Arbeiterrätin und Stadträtin Hedwig Kämpfer? Wer hat jemals die Namen von Mathilde Baumeister, Selma Schröder oder Sophie Setzer vom BSF gehört? Etliche der Frauen wurden nach der Niederschlagung der Revolution „bespitzelt, mundtot gemacht, vertrieben, eingesperrt, ermordet“, wie Naumann schreibt. Anders als bei den männlichen Revolutionären jedoch fiel es ihr schwer, bei manchen von ihnen auch nur die Lebensdaten zu rekonstruieren.
Auch die selten gewürdigte Rolle von Ellen Ammann findet Raum in diesem Roman. Sie war keine Sozialistin, sondern Landtagsabgeordnete der konservativ-katholischen Bayerischen Volkspartei BVP und Gründerin einer Frauenschule. Ammann trug maßgeblich dazu bei, 1923 den Hitlerputsch zu beenden: Als sie vom geplanten Marsch auf die Feldherrnhalle erfuhr, brachte sie heimlich etliche Minister der Regierung in ihrer Schule unter, wo sie noch nachts den Widerstand zu organisieren begannen.
Überhaupt kann man aus dem Roman herauslesen: Hätte man den Frauen in diesen gewalttätigen Zeiten mehr zugetraut, es wäre vielleicht manches anders gekommen. So aber sind nicht nur viele ihrer Spuren verwischt und getilgt, „wie jede Geschichte von Frauen“, wie es im Roman am Ende bitter heißt: „Geschichte schreiben Sieger, nicht mal Siegerinnen.“ Die Frauen müssten als „unbeschriebene Blätter“ immer noch, immer wieder „um unsere Vergangenheit, Gegenwart und unsere Zukunft kämpfen“. Dieses Buch jedenfalls nimmt den Kampf auf.
Cornelia Naumann: Fräulein Prolet. Roman. Verlag Edition AV, 527 Seiten, 20 Euro.
Das Elend in
Arbeiter-Vierteln wie
Giesing war groß
Der „Bund sozialistischer
Frauen“ hat die Autorin
besonders interessiert
Sie trug entscheidend
dazu bei, den Hitlerputsch
zu beenden: Ellen Ammann
Eine Kundgebung auf der Theresienwiese 1918, nach einem Aufruf von SPD, USPD und Gewerkschaften – mit einer Demonstration zu Füßen der Bavaria fünf Jahre später lässt Cornelia Naumann ihren Roman beginnen.
Foto: Georg Pettendorfer/Scherl, Süddeutsche Zeitung Photo
Lücken in der Geschichtsschreibung zu füllen, hat sich die Autorin Cornelia Naumann zur Aufgabe gemacht
Foto: Günther Gerstenberg.
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