Kennen Sie Parker? Er ist das durch und durch Böse. Parker ist nach einem Banküberfall auf der Flucht, verfolgt von einer Meute Polizisten mit Spürhunden. Reiner Zufall, dass er auf Tom Lindahl stößt, einen Außenseiter mit Papagei, der ihm eine Fluchtmöglichkeit und ein Dach über dem Kopf bietet. In dem tristen kleinen Ort in Massachusetts schmieden die beiden einen nicht ungefährlichen Plan, und jeder, der diesem in die Quere kommt, scheitert an Parkers Skrupellosigkeit. Parker ist "der hartgesottenste unter den Hartgesottenen, ein wahrhaft furchterregender Typ" (The Guardian). Mit diesem Thriller beginnt Zsolnay die Wiederentdeckung des Autors Richard Stark. Viele Parker-Romane wurden verfilmt, darunter "Point Blank" mit Lee Marvin in der Hauptrolle.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.11.2010Im Schatten des Verbrechens
Es ist an der Zeit, die Parker-Romane von Richard Stark alias Donald Westlake endlich auch bei uns zu entdecken. Dieser einsame Jäger und Gejagte besitzt die Überwältigungskraft eines film noir und eines Comics.
Von Hanns Zischler
Ohne Vorankündigung geht es los. Ein Einbruch, eine Verfolgung, eine Hetzjagd, ein Ausbruch. Mit jedem neuen Parker-Roman von Richard Stark sieht der Leser sich umstellt, auf eine verschlagene Fährte gesetzt. Es gibt kein Zurück. Die Jagd hat immer schon begonnen, unabsehbar ist ihr Verlauf, und wenn sie mit der Erlegung der Beute endet, ist der Jäger erschöpft und neuen Gefahren ausgesetzt. Denn die Beute will gesichert, verwahrt und verteilt werden. Kaum vorhanden, weckt die Beute, Trophäe geworden, Begehrlichkeiten. Und der Jäger wird zum Gejagten.
Die Rede ist von Parker, ein Jäger im ausgewilderten Sinn des Wortes, ein Fährtenleser, Treiber und Wilddieb, ein unerkannter Gesetzloser. Habgier ist ein mächtiger Impuls, sie macht die tief vergrabenen, sicher verwahrten Reichtümer beweglich und reißt jene, die sich ihrer bemächtigen, in unabsehbare Verteilungskämpfe. Parker, der Gangster, domestiziert seine unstillbare Habgier mehr als jeder andere, gerade weil er von ihr beherrscht wird. So gelingt es ihm, aus begreiflicher Notwehr, einen seiner gesetzestreuen Verfolger durch Appell an dessen schlummernde Gier umzudrehen und zu einem Komplizen zu machen - ein Manöver, das dieser nicht überleben wird.
Parker ist ein Mann mit vielen Namen, und wie die Vereinigten Staaten hat auch er keinen Eigennamen. Jeder Schritt ist ein Schritt in Feindesland. Was das Militär euphemistisch die "mobile Geographie" nennt, um das Wort vom Krieg nicht fortwährend zu bemühen, ist Parkers Terrain. Er ist Kartograph, Explorer und Verfolgter in diesem großen, wüsten Land. Die Spuren, die er auf dem Weg zur Beute verfolgt, muss er lesen und gleichzeitig seine eigenen verwischen. Es ist eigentlich immer die Beute selbst, die ersehnte heiße oder die vorübergehend gesicherte und ständig entgleitende, welche die Kulissen im Wortsinn in Rollen bringt.
Parker hat zu tun. Und so verwundert es nicht, dass er und sein Autor keine Zeit und keinen Raum für psychologische Hintergrundgemälde haben. Selbst die wenigen privaten Szenen Parkers mit seiner Freundin Claire werden von Richard Stark so geschildert, dass unschicklich wäre, Intimes zu enthüllen.
Parker/Stark führen uns in abenteuerlichen Lehrgängen durch die abgründige Geographie der Vereinigten Staaten, die physikalische wie die soziale. Meist sind es Landstriche und Städte der Ostküste, die Parker besser kennt als die Polizei. Er besitzt, wie ein deutscher Kritiker 1967 schrieb, "verteufelte Milieu-Kenntnis".
In den sechziger Jahren waren die ersten Parker-Romane erschienen, bald darauf tauchte der Gangster zusammen mit seinem Autor unter. Richard Stark, sein Autor, arbeitete damals noch mit drastischen hammetschen Bildern ("Eva Milford erinnerte an eine zu stark aufgezogene Uhrfeder"). Aus dieser Zeit ist "The Hunter" überliefert, Parkers kalte Wut darüber, dass seine Sorge sich in immaterielles Firmenkapital aufgelöst hat. Lee Marvin hat ihm in John Boormans Film "Point Blank" eine bemerkenswerte Physiognomie gegeben.
Zu Beginn des neuen Jahrtausends, nach einem gut zwanzigjährigen Winterschlaf, sind Parker/Stark plötzlich wieder da. Donald Westlake erzählte einmal, durchaus glaubwürdig, er sei eines Abends auf der Brooklyn Bridge von den beiden angesprochen worden, er solle ihnen jetzt wieder das Revier überlassen, sie verstünden mehr davon.
Starks Prosa hat jetzt alle literarischen Vorbilder rückstandsfrei verbrannt. Aus dem nom de plume ist ein nom de guerre geworden. Und Parker ist noch wortkarger, uralt und alterslos juvenil, eine mythisch überformte Gestalt mit Zügen von Schädlichs Tallhover und Pynchons quecksilbriger, cartoonischer Frenesi. Ein denkender Gangster, ein Simultanschachspieler.
Parker umgibt sich mit Deck- und Tarnnamen, um den Fahnder, den neugierigen Zufallsbekannten, den unvermeidlichen Augenzeugen in die Irre zu führen. Er bewegt sich ohne Vornamen durch seine Welt. Er ist immer auf der Hut, immer auf der Pirsch: "Sleeps with one eye open when you slumber", wie es bei Bob Dylan heißt. Ein Vorname wäre schon zuviel, würde das Profil mit unnötigen Anhaltspunkten versehen: No name, no fame.
Das Spiel mit den verdeckten Namen hat Donald Westlake selbst auf die Spitze getrieben, als er über den von ihm selbst unter dem Pseudonym J. Morgan Cunningham verfassten Krimi "Comfort Station" den blurb setzen ließ: "Ich wollte, ich hätte diesen Roman geschrieben" - Donald E. Westlake.
Auch Parkers Name ist fast schon kein Familienname mehr, bezeichnet er doch eher einen unauffälligen Zustand, eine Art Schläfer. Er verwendet einige Energie darauf, übersehen und vergessen zu werden, nicht oder nur sehr undeutlich in Erinnerung zu bleiben. Das ist ein Teil seines Handwerks und seiner Kunst.
Einmal, nachdem er bei einem Einbruch festgenommen wird und er im Handumdrehen seinen Ausbruch aus dem Knast plant, gibt er seinen Namen mit Ronald Kasper an, ein leicht hybrides Anagramm von Parker. Ein anderes Mal komprimiert er, im Upstate New York in die Enge getrieben, seinen Namen zu "Ed Smith, aus Chicago" - und dem misstrauischen Amateurfahnder aus der Bürgerwehr dämmert, aber eben zu spät, wie unglaubwürdig allgemein und nichtssagend dieser Name gewesen ist.
Für den Leser gibt es kein Entrinnen, kein entlastendes Ausweichen, keinen Standpunkt, von dem aus wir uns, auf eine moralische Anhöhe gehoben, von seinem Verbrechen absetzen könnten. Mitgehangen, mitgefangen. Wir befinden uns in einem Täter-Krimi, dessen großes Vorbild Patricia Highsmiths Ripley geliefert hat.
Gebannt folgen wir ihm mehr, als dass wir ihn verfolgen. Es sind im Grunde immer zwei Bewegungen, zwei Modi der Unentrinnbarkeit, in die Parker/Stark uns locken. Entweder wir bewegen uns, als Jäger, auf die Beute zu: Pharmaka, Schmuck oder "echtes Bargeld" - eine Chimäre: "Ist doch ziemlich schwierig, echtes Bargeld zu finden, jedenfalls so viel, dass es sich lohnt", sagt einer von Parkers Komplizen. Oder wir treten, als Gejagte, die Flucht an, schließlich geht ja bei allen Beutezügen immer irgendetwas schief.
Und es sind Parkers Intelligenz, seine moralische Skrupellosigkeit und seine untrügliche Beobachtungsgabe, die ihn unter erheblichen materiellen Verlusten immer wieder entkommen lassen - und genau dadurch ein ständiges Dacapo der Jagd unter veränderten Voraussetzungen erzwingen.
Nur selten lässt er sich in die Karten schauen. So souffliert uns Richard Stark - ein Name, der im Englischen durchaus düstere, fahle Konnotationen hat, anders als das sprachverwandte deutsche "stark" - in einer Kampfpause ein kleines, intimes Porträt, ein aside eines schwarzen Gangmitglieds, das genauso gut auf Parker gemünzt werden kann: "Die meisten Leute, mit denen er gut auskam, standen genau wie er auf der falschen Seite des Gesetzes. Es lag nicht daran, dass sie auch intelligent waren, jedenfalls die meisten, sondern daran, dass sie für sich blieben. Er kam gut mit Leuten aus, die für sich blieben: so konnte auch er für sich bleiben."
Das unaufhebbare Misstrauen des Gangsters, der nicht umhinkann, auf andere angewiesen zu sein, ist ein durchgehendes Motiv aller Gangstergeschichten, im Fall der Parker-Romane wird es verschärft durch die asketische Einsamkeit dieser Figur. Es ist unerheblich, ob Parker jemals einen Beruf hat ergreifen wollen, er ist in einem paradoxen Sinn "freiberuflich" tätig und auf das willkürliche Glück und die lockenden Widrigkeiten des Marktes angewiesen - ganz wie der freiberufliche Künstler. Wie der Wilderer dem Jäger überlegen ist, weil er nicht nur die Fährten und Fallen besser kennt, so ist der Gangster, wie Parker ihn repräsentiert, dem beruflichen Allrounder überlegen, weil er jenseits seiner handwerklichen Fertigkeiten sich auch noch durchs Dickicht der Gesetzlosigkeit schlagen muss.
In den Augen seiner Partner, die unversehens von ihm abfallen oder zu seinen Widersachern werden können, umgibt Parker eine bedrohliche Aura: "Er war eine schattenhafte Gestalt, die bald hier, bald da auftauchte, verlässlich, aber gefährlich. Nach einer Weile war man sich einig, dass man auf ihn zählen konnte, aber auch vor ihm auf der Hut sein musste. Wenn er den Verdacht hatte, dass ihn jemand linken wollte, machte er keine Gefangenen."
Westlake hat einmal in einem Interview gesagt, er verfolge keinen Plan, wenn er mit einer Geschichte anfange. Und dies bezeichnet genau die Situation Parkers: Er muss sich durchschlagen, sei es auf dem Weg zur Beute, sei es auf der Suche nach einem Fluchtweg (mit oder ohne Beute). Und die Arbeit des Autors besteht eben genau darin, mit dem Täter (der alles andere als ein verwirrter Triebtäter ist) Schritt zu halten. Er darf ihn nicht aus den Augen verlieren.
Es gehört zu den ungewöhnlichen und extrem spannungsreichen Momenten der Parker-Romane, dass nicht nur immer wieder scheinbar ausweglose Situationen eintreten, die auf ebenso überraschende wie plausible Weise gelöst werden, sondern darüber hinaus das, was die kriminelle Energie Parkers ausmacht, sich auch noch, wenn erforderlich, in einer Mimikry moralischer Rhetorik niederschlägt. So zögern Parker und seine Komplizen nicht, eine in flagranti ertappte Ehebrecherin mit moralischen Vorhaltungen einzuschüchtern - "In diesem Staat hier stehen immer noch die guten alten Sittengesetze in den Büchern, wusstest du das?" - einzig mit dem Ziel, aus dem peinigenden Feuer der Gewissensbisse die für ihre nächsten Schritte notwendigen Informationen zu erhalten. Ohne Gewaltanwendung gewissermaßen.
Parkers singuläre Intelligenz beweist sich immer dann, wenn sein Gegenüber sich für besonders clever hält. Als ein smarter Inspektor ihn unmittelbar nach seiner Festnahme mit dem Axiom der Spieltheorie konfrontiert, dass "der, der als Erster loslegt, auch gewinnt, weil es danach nichts mehr gibt, was ein anderer verkaufen könnte", und Parker mit der rhetorischen Frage bedenkt, was die Polizei denn wohl so dringend brauchen könnte, dass sie einen Deal mit den frisch Festgenommenen ins Auge fassen würde, sprengt Parker den Rahmen der Spieltheorie und das Aufnahmevermögen des Inspektors mit der lakonischen Antwort: "Dass ich nicht türme."
Die Dialoge in diesen Romanen sind verblüffend stimmig, weil selbst die kleinste Nebenfigur eine eigene Stimme hat. Eine Tugend, die heute vielen Schreibern, namentlich Drehbuchautoren abgeht, ja fast fremd ist. Hinzu kommt, dass wir wie von unsichtbarer Hand durch die Kapitel geschleust werden, ohne die Drift zu verlieren: Stark ist, wie Joyce, ein Meister des Absatzes. Ein Ökonom der beschleunigenden Pause.
Richard Stark gelingt es, dass wir in Augenblicken von Parkers verschwiegener Ausweglosigkeit um ihn bangen. Und kaum werden wir uns dessen inne, wollen wir uns diesen Anfall von Empathie verbieten. Doch dafür ist es zu spät.
Die Forderung, dass es der Literatur erlaubt sein muss, amoralisch zu sein, ohne im selben Augenblick die mahnende Moral auf den Plan zu rufen, ist mit den Parker-Romanen erfüllt. Es geht in diesen Romanen nicht mehr um die Lotteriefrage "Verbrechen lohnt sich (nicht)", sondern um die Beschreibung eines Landes, das heimgesucht wird von der allgegenwärtige Latenz des Verbrechens und einer inflationären, habituellen Habgier. Parker ist einer der letzten Vertreter der individuellen Beutezüge. Ein Anachronismus, eine Rarität, so selten wie echtes Bargeld. Es sei nicht mehr die Logik des Goldes, welche der frühe Parker studiert und ausgebeutet hatte, als vielmehr die Logik der Drogen, die jetzt dominiere, hat Westlake in einem der letzten Interviews vor seinem Tod am 31. Dezember 2008 festgestellt.
Ich kenne wenige Kriminalromane, die man wirklich zweimal oder noch öfter liest. Zu den Parker-Romanen kehrt man zurück, weil es nicht nur um den Fall geht, sondern weil Starks Sprache die Überwältigungskraft eines film noir und eines Comics hat.
Sechs der Parker-Romane sind in den letzten Jahren in - durchweg hervorragender - deutscher Übersetzung erschienen. Es wäre ein großes Geschenk für den deutschen Leser, wenn wir nach Abschluss der Parker-Serie auch die unbeschwertere und komische Seite Westlakes mit seinen Dortmunder-Romanen aus dem Diebesmilieu kennenlernen dürften.
Als Donald Westlake fünfundsiebzigjährig starb, hatte er gut hundert finstere und komische crime stories geschrieben. Ein Simenon aus Neuengland.
Das überschwengliche Lob, das Schriftsteller Ed McBain, Stephen King und John Banville dem großen Westlake seit vielen Jahren zollen, sollte endlich auch einmal hier vernommen werden.
Richard Stark: "Das große Gold". Roman. Aus dem Englischen von Rudolf Hermstein. Zsolnay Verlag, Wien 2009. 288 S., geb., 16,90 [Euro].
Richard Stark: "Irgendwann gibt jeder auf". Roman. Aus dem Englischen von Rudolf Hermstein. Zsolnay Verlag, Wien 2010. 272 S., geb., 16,90 [Euro].
Richard Stark: "Fragen Sie den Papagei". Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Zsolnay Verlag, Wien 2008. 256 S., geb., 16,90 [Euro].
Richard Stark: "Keiner rennt für immer". Roman. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Zsolnay Verlag, Wien 2009. 288 S., geb., 16,90 [Euro].
Richard Stark: "Das Geld war schmutzig". Roman. Aus dem Englischen von Rudolf Hermstein. Zsolnay Verlag, Wien 2009. 256 S., geb., 16,90 [Euro].
Richard Stark: "Der Gewinner geht leer aus". Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Zsolnay Verlag, Wien 2010. 288 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es ist an der Zeit, die Parker-Romane von Richard Stark alias Donald Westlake endlich auch bei uns zu entdecken. Dieser einsame Jäger und Gejagte besitzt die Überwältigungskraft eines film noir und eines Comics.
Von Hanns Zischler
Ohne Vorankündigung geht es los. Ein Einbruch, eine Verfolgung, eine Hetzjagd, ein Ausbruch. Mit jedem neuen Parker-Roman von Richard Stark sieht der Leser sich umstellt, auf eine verschlagene Fährte gesetzt. Es gibt kein Zurück. Die Jagd hat immer schon begonnen, unabsehbar ist ihr Verlauf, und wenn sie mit der Erlegung der Beute endet, ist der Jäger erschöpft und neuen Gefahren ausgesetzt. Denn die Beute will gesichert, verwahrt und verteilt werden. Kaum vorhanden, weckt die Beute, Trophäe geworden, Begehrlichkeiten. Und der Jäger wird zum Gejagten.
Die Rede ist von Parker, ein Jäger im ausgewilderten Sinn des Wortes, ein Fährtenleser, Treiber und Wilddieb, ein unerkannter Gesetzloser. Habgier ist ein mächtiger Impuls, sie macht die tief vergrabenen, sicher verwahrten Reichtümer beweglich und reißt jene, die sich ihrer bemächtigen, in unabsehbare Verteilungskämpfe. Parker, der Gangster, domestiziert seine unstillbare Habgier mehr als jeder andere, gerade weil er von ihr beherrscht wird. So gelingt es ihm, aus begreiflicher Notwehr, einen seiner gesetzestreuen Verfolger durch Appell an dessen schlummernde Gier umzudrehen und zu einem Komplizen zu machen - ein Manöver, das dieser nicht überleben wird.
Parker ist ein Mann mit vielen Namen, und wie die Vereinigten Staaten hat auch er keinen Eigennamen. Jeder Schritt ist ein Schritt in Feindesland. Was das Militär euphemistisch die "mobile Geographie" nennt, um das Wort vom Krieg nicht fortwährend zu bemühen, ist Parkers Terrain. Er ist Kartograph, Explorer und Verfolgter in diesem großen, wüsten Land. Die Spuren, die er auf dem Weg zur Beute verfolgt, muss er lesen und gleichzeitig seine eigenen verwischen. Es ist eigentlich immer die Beute selbst, die ersehnte heiße oder die vorübergehend gesicherte und ständig entgleitende, welche die Kulissen im Wortsinn in Rollen bringt.
Parker hat zu tun. Und so verwundert es nicht, dass er und sein Autor keine Zeit und keinen Raum für psychologische Hintergrundgemälde haben. Selbst die wenigen privaten Szenen Parkers mit seiner Freundin Claire werden von Richard Stark so geschildert, dass unschicklich wäre, Intimes zu enthüllen.
Parker/Stark führen uns in abenteuerlichen Lehrgängen durch die abgründige Geographie der Vereinigten Staaten, die physikalische wie die soziale. Meist sind es Landstriche und Städte der Ostküste, die Parker besser kennt als die Polizei. Er besitzt, wie ein deutscher Kritiker 1967 schrieb, "verteufelte Milieu-Kenntnis".
In den sechziger Jahren waren die ersten Parker-Romane erschienen, bald darauf tauchte der Gangster zusammen mit seinem Autor unter. Richard Stark, sein Autor, arbeitete damals noch mit drastischen hammetschen Bildern ("Eva Milford erinnerte an eine zu stark aufgezogene Uhrfeder"). Aus dieser Zeit ist "The Hunter" überliefert, Parkers kalte Wut darüber, dass seine Sorge sich in immaterielles Firmenkapital aufgelöst hat. Lee Marvin hat ihm in John Boormans Film "Point Blank" eine bemerkenswerte Physiognomie gegeben.
Zu Beginn des neuen Jahrtausends, nach einem gut zwanzigjährigen Winterschlaf, sind Parker/Stark plötzlich wieder da. Donald Westlake erzählte einmal, durchaus glaubwürdig, er sei eines Abends auf der Brooklyn Bridge von den beiden angesprochen worden, er solle ihnen jetzt wieder das Revier überlassen, sie verstünden mehr davon.
Starks Prosa hat jetzt alle literarischen Vorbilder rückstandsfrei verbrannt. Aus dem nom de plume ist ein nom de guerre geworden. Und Parker ist noch wortkarger, uralt und alterslos juvenil, eine mythisch überformte Gestalt mit Zügen von Schädlichs Tallhover und Pynchons quecksilbriger, cartoonischer Frenesi. Ein denkender Gangster, ein Simultanschachspieler.
Parker umgibt sich mit Deck- und Tarnnamen, um den Fahnder, den neugierigen Zufallsbekannten, den unvermeidlichen Augenzeugen in die Irre zu führen. Er bewegt sich ohne Vornamen durch seine Welt. Er ist immer auf der Hut, immer auf der Pirsch: "Sleeps with one eye open when you slumber", wie es bei Bob Dylan heißt. Ein Vorname wäre schon zuviel, würde das Profil mit unnötigen Anhaltspunkten versehen: No name, no fame.
Das Spiel mit den verdeckten Namen hat Donald Westlake selbst auf die Spitze getrieben, als er über den von ihm selbst unter dem Pseudonym J. Morgan Cunningham verfassten Krimi "Comfort Station" den blurb setzen ließ: "Ich wollte, ich hätte diesen Roman geschrieben" - Donald E. Westlake.
Auch Parkers Name ist fast schon kein Familienname mehr, bezeichnet er doch eher einen unauffälligen Zustand, eine Art Schläfer. Er verwendet einige Energie darauf, übersehen und vergessen zu werden, nicht oder nur sehr undeutlich in Erinnerung zu bleiben. Das ist ein Teil seines Handwerks und seiner Kunst.
Einmal, nachdem er bei einem Einbruch festgenommen wird und er im Handumdrehen seinen Ausbruch aus dem Knast plant, gibt er seinen Namen mit Ronald Kasper an, ein leicht hybrides Anagramm von Parker. Ein anderes Mal komprimiert er, im Upstate New York in die Enge getrieben, seinen Namen zu "Ed Smith, aus Chicago" - und dem misstrauischen Amateurfahnder aus der Bürgerwehr dämmert, aber eben zu spät, wie unglaubwürdig allgemein und nichtssagend dieser Name gewesen ist.
Für den Leser gibt es kein Entrinnen, kein entlastendes Ausweichen, keinen Standpunkt, von dem aus wir uns, auf eine moralische Anhöhe gehoben, von seinem Verbrechen absetzen könnten. Mitgehangen, mitgefangen. Wir befinden uns in einem Täter-Krimi, dessen großes Vorbild Patricia Highsmiths Ripley geliefert hat.
Gebannt folgen wir ihm mehr, als dass wir ihn verfolgen. Es sind im Grunde immer zwei Bewegungen, zwei Modi der Unentrinnbarkeit, in die Parker/Stark uns locken. Entweder wir bewegen uns, als Jäger, auf die Beute zu: Pharmaka, Schmuck oder "echtes Bargeld" - eine Chimäre: "Ist doch ziemlich schwierig, echtes Bargeld zu finden, jedenfalls so viel, dass es sich lohnt", sagt einer von Parkers Komplizen. Oder wir treten, als Gejagte, die Flucht an, schließlich geht ja bei allen Beutezügen immer irgendetwas schief.
Und es sind Parkers Intelligenz, seine moralische Skrupellosigkeit und seine untrügliche Beobachtungsgabe, die ihn unter erheblichen materiellen Verlusten immer wieder entkommen lassen - und genau dadurch ein ständiges Dacapo der Jagd unter veränderten Voraussetzungen erzwingen.
Nur selten lässt er sich in die Karten schauen. So souffliert uns Richard Stark - ein Name, der im Englischen durchaus düstere, fahle Konnotationen hat, anders als das sprachverwandte deutsche "stark" - in einer Kampfpause ein kleines, intimes Porträt, ein aside eines schwarzen Gangmitglieds, das genauso gut auf Parker gemünzt werden kann: "Die meisten Leute, mit denen er gut auskam, standen genau wie er auf der falschen Seite des Gesetzes. Es lag nicht daran, dass sie auch intelligent waren, jedenfalls die meisten, sondern daran, dass sie für sich blieben. Er kam gut mit Leuten aus, die für sich blieben: so konnte auch er für sich bleiben."
Das unaufhebbare Misstrauen des Gangsters, der nicht umhinkann, auf andere angewiesen zu sein, ist ein durchgehendes Motiv aller Gangstergeschichten, im Fall der Parker-Romane wird es verschärft durch die asketische Einsamkeit dieser Figur. Es ist unerheblich, ob Parker jemals einen Beruf hat ergreifen wollen, er ist in einem paradoxen Sinn "freiberuflich" tätig und auf das willkürliche Glück und die lockenden Widrigkeiten des Marktes angewiesen - ganz wie der freiberufliche Künstler. Wie der Wilderer dem Jäger überlegen ist, weil er nicht nur die Fährten und Fallen besser kennt, so ist der Gangster, wie Parker ihn repräsentiert, dem beruflichen Allrounder überlegen, weil er jenseits seiner handwerklichen Fertigkeiten sich auch noch durchs Dickicht der Gesetzlosigkeit schlagen muss.
In den Augen seiner Partner, die unversehens von ihm abfallen oder zu seinen Widersachern werden können, umgibt Parker eine bedrohliche Aura: "Er war eine schattenhafte Gestalt, die bald hier, bald da auftauchte, verlässlich, aber gefährlich. Nach einer Weile war man sich einig, dass man auf ihn zählen konnte, aber auch vor ihm auf der Hut sein musste. Wenn er den Verdacht hatte, dass ihn jemand linken wollte, machte er keine Gefangenen."
Westlake hat einmal in einem Interview gesagt, er verfolge keinen Plan, wenn er mit einer Geschichte anfange. Und dies bezeichnet genau die Situation Parkers: Er muss sich durchschlagen, sei es auf dem Weg zur Beute, sei es auf der Suche nach einem Fluchtweg (mit oder ohne Beute). Und die Arbeit des Autors besteht eben genau darin, mit dem Täter (der alles andere als ein verwirrter Triebtäter ist) Schritt zu halten. Er darf ihn nicht aus den Augen verlieren.
Es gehört zu den ungewöhnlichen und extrem spannungsreichen Momenten der Parker-Romane, dass nicht nur immer wieder scheinbar ausweglose Situationen eintreten, die auf ebenso überraschende wie plausible Weise gelöst werden, sondern darüber hinaus das, was die kriminelle Energie Parkers ausmacht, sich auch noch, wenn erforderlich, in einer Mimikry moralischer Rhetorik niederschlägt. So zögern Parker und seine Komplizen nicht, eine in flagranti ertappte Ehebrecherin mit moralischen Vorhaltungen einzuschüchtern - "In diesem Staat hier stehen immer noch die guten alten Sittengesetze in den Büchern, wusstest du das?" - einzig mit dem Ziel, aus dem peinigenden Feuer der Gewissensbisse die für ihre nächsten Schritte notwendigen Informationen zu erhalten. Ohne Gewaltanwendung gewissermaßen.
Parkers singuläre Intelligenz beweist sich immer dann, wenn sein Gegenüber sich für besonders clever hält. Als ein smarter Inspektor ihn unmittelbar nach seiner Festnahme mit dem Axiom der Spieltheorie konfrontiert, dass "der, der als Erster loslegt, auch gewinnt, weil es danach nichts mehr gibt, was ein anderer verkaufen könnte", und Parker mit der rhetorischen Frage bedenkt, was die Polizei denn wohl so dringend brauchen könnte, dass sie einen Deal mit den frisch Festgenommenen ins Auge fassen würde, sprengt Parker den Rahmen der Spieltheorie und das Aufnahmevermögen des Inspektors mit der lakonischen Antwort: "Dass ich nicht türme."
Die Dialoge in diesen Romanen sind verblüffend stimmig, weil selbst die kleinste Nebenfigur eine eigene Stimme hat. Eine Tugend, die heute vielen Schreibern, namentlich Drehbuchautoren abgeht, ja fast fremd ist. Hinzu kommt, dass wir wie von unsichtbarer Hand durch die Kapitel geschleust werden, ohne die Drift zu verlieren: Stark ist, wie Joyce, ein Meister des Absatzes. Ein Ökonom der beschleunigenden Pause.
Richard Stark gelingt es, dass wir in Augenblicken von Parkers verschwiegener Ausweglosigkeit um ihn bangen. Und kaum werden wir uns dessen inne, wollen wir uns diesen Anfall von Empathie verbieten. Doch dafür ist es zu spät.
Die Forderung, dass es der Literatur erlaubt sein muss, amoralisch zu sein, ohne im selben Augenblick die mahnende Moral auf den Plan zu rufen, ist mit den Parker-Romanen erfüllt. Es geht in diesen Romanen nicht mehr um die Lotteriefrage "Verbrechen lohnt sich (nicht)", sondern um die Beschreibung eines Landes, das heimgesucht wird von der allgegenwärtige Latenz des Verbrechens und einer inflationären, habituellen Habgier. Parker ist einer der letzten Vertreter der individuellen Beutezüge. Ein Anachronismus, eine Rarität, so selten wie echtes Bargeld. Es sei nicht mehr die Logik des Goldes, welche der frühe Parker studiert und ausgebeutet hatte, als vielmehr die Logik der Drogen, die jetzt dominiere, hat Westlake in einem der letzten Interviews vor seinem Tod am 31. Dezember 2008 festgestellt.
Ich kenne wenige Kriminalromane, die man wirklich zweimal oder noch öfter liest. Zu den Parker-Romanen kehrt man zurück, weil es nicht nur um den Fall geht, sondern weil Starks Sprache die Überwältigungskraft eines film noir und eines Comics hat.
Sechs der Parker-Romane sind in den letzten Jahren in - durchweg hervorragender - deutscher Übersetzung erschienen. Es wäre ein großes Geschenk für den deutschen Leser, wenn wir nach Abschluss der Parker-Serie auch die unbeschwertere und komische Seite Westlakes mit seinen Dortmunder-Romanen aus dem Diebesmilieu kennenlernen dürften.
Als Donald Westlake fünfundsiebzigjährig starb, hatte er gut hundert finstere und komische crime stories geschrieben. Ein Simenon aus Neuengland.
Das überschwengliche Lob, das Schriftsteller Ed McBain, Stephen King und John Banville dem großen Westlake seit vielen Jahren zollen, sollte endlich auch einmal hier vernommen werden.
Richard Stark: "Das große Gold". Roman. Aus dem Englischen von Rudolf Hermstein. Zsolnay Verlag, Wien 2009. 288 S., geb., 16,90 [Euro].
Richard Stark: "Irgendwann gibt jeder auf". Roman. Aus dem Englischen von Rudolf Hermstein. Zsolnay Verlag, Wien 2010. 272 S., geb., 16,90 [Euro].
Richard Stark: "Fragen Sie den Papagei". Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Zsolnay Verlag, Wien 2008. 256 S., geb., 16,90 [Euro].
Richard Stark: "Keiner rennt für immer". Roman. Aus dem Englischen von Nikolaus Stingl. Zsolnay Verlag, Wien 2009. 288 S., geb., 16,90 [Euro].
Richard Stark: "Das Geld war schmutzig". Roman. Aus dem Englischen von Rudolf Hermstein. Zsolnay Verlag, Wien 2009. 256 S., geb., 16,90 [Euro].
Richard Stark: "Der Gewinner geht leer aus". Roman. Aus dem Englischen von Dirk van Gunsteren. Zsolnay Verlag, Wien 2010. 288 S., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 08.01.2009Ein durch und durch amoralischer, sehr sympathischer Mensch
Grundkurs in Skrupellosigkeit: Der Roman „Fragen Sie den Papagei” des kürzlich verstorbenen Kriminalschriftstellers Donald E. Westlake alias Richard Stark
Ein Verbrecher, Parker heißt er, versucht einen Banküberfall. Er misslingt. Zu Fuß will er entkommen, durch einen Wald, einen Hügel hinauf. Doch die Polizei ist ihm mit Hunden auf den Fersen. Und schon sieht es so aus, als könnte die Flucht gelingen. Da taucht Tom Lindhal auf und hält den Lauf seines Gewehrs auf den Fliehenden, den er hier vermutet hatte. Dann nimmt er den Ganoven mit. Was folgt, ist eine rasante Räubergeschichte: „Der eine ist ein Bankräuber, der andere erschießt plötzlich einen Menschen – und einen Papagei –, und der Dritte, der sein Leben lang ein ganz normaler, unauffälliger Mensch war, ist auf einmal verschwunden.”
„Fragen Sie den Papagei” ist seit dreiunddreißig Jahren das erste ins Deutsche übersetzte Buch von Richard Stark. Das war eines der Pseudonyme des kürzlich verstorbenen Autors Donald E. Westlake, der 1933 in Brooklyn geboren wurde und einer der erfolgreichsten Kriminalschriftsteller überhaupt war (SZ vom 3.Januar). Er publizierte auch als Tucker Coe oder Samuel Holt. Wenn er von Parker erzählte, hieß er Richard Stark. Dieser Parker, ein Mann ohne Vornamen, ist seine gelungenste Figur. Seit den sechziger Jahren schickte er diesen „Dr. Jekyll und Mr. Hyde der Kriminalliteratur” in die Hinterhöfe der amerikanischen Gesellschaft, in verkommene Gegenden und sonderbare Kulturen. In den achtziger und neunziger Jahren war Stark verschwunden, und mit ihm der Immer-an-alles-Denker und Wenn-es-sein-muss-Mörder Parker. Seit zehn Jahren waren die beiden dann wieder da.
Das Einzigartige an Richard Stark besteht darin, dass er den Leser von Beginn an zum intimen Beobachter im Gangsterleben von Parker macht. Die Ausgangssituation ist denkbar miserabel: Hinter sich die Polizei, vor sich Lindhal – „ich bin ein Feigling, das sag ich Ihnen lieber gleich” –, und dieser Lindahl, ein Verlierer und Pechvogel, will die Pferderennbahn, seinen ehemaligen Arbeitgeber, berauben. Was Parker zunächst gar nicht interessiert, weil er erst einmal nicht weiter auffallen will.
Und überhaupt: Vom letzten Überfall fehlen ja noch die Einnahmen. Und so lässt sich Parker von der Geschichte tragen, ein Moment ergibt sich aus dem vorigen, und je weiter das geht, und je schneller der Plot voranschreitet, desto mehr macht sich der Leser die Perspektive Parkers zu eigen. Sehr viel mehr als Recht und Unrecht, Moral und Verrat interessiert nun die Frage des Davonkommens, ja Überlebens.
Was Parker – und nicht nur dieser, auch Lindahl – tut und denkt, arbeitet Westlake unerhört fein und plausibel heraus: ein jeder vor dem Hintergrund seiner Geschichte, in seinen Gedanken, im Hin und Her der Gedanken. Vordergründig mögen dabei Profis und Dilettanten unterschieden sein, in der Tiefe ihre Beweggründe erscheinen sie ähnlich – und auch in ihrer Einsamkeit, in ihrer Verkommenheit, in ihrer sozialen Verlorenheit. Dabei ist zumindest Parker ein durch und durch amoralischer Mensch. Er tötet, wenn es ihm notwendig erscheint, und das Mitgefühl des Lesers begleitet ihn dabei. Er könnte fast jedes Verbrechen begehen, und der Leser würde ihn – situationsbedingt – entschuldigen, Schritt für Schritt, und immer ist jede Bewegung notwendig und überzeugend gewesen.
Denn Parker zeichnet sich, mehr als wohl jeder andere Held der Kriminalliteratur, durch Menschenverständnis und Feingefühl für die Reaktionen seines Gegenübers aus. Er durchschaut Menschen, er weiß um deren Unberechenbarkeit. Er kann sogar komisch und zuweilen witzig sein. Man mag das für Professionalität halten, und das ist es auch, aber zugleich ist es viel mehr: Ein Akt literarischer Phantasie steckt in Parker, die Fähigkeit, in die Haut eines anderen zu schlüpfen. Er ist selbst ein Dichter, wenn auch einer des praktischen Überlebens. Und dieses Dichtertum macht ihn, der auch sehr nervös sein kann, unsicher, ängstlich, zum Verbrecher der Verbrecher – bis der Leser erschrickt und merkt, dass er sich die Skrupellosigkeit in ihrer nacktesten Form zu eigen gemacht hat. CHRISTOPH LUZI
RICHARD STARK: Fragen Sie den Papagei. Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Dirk van Gunsteren. Zsolnay Verlag, Wien 2008. 256 S., 16,90 Euro.
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Grundkurs in Skrupellosigkeit: Der Roman „Fragen Sie den Papagei” des kürzlich verstorbenen Kriminalschriftstellers Donald E. Westlake alias Richard Stark
Ein Verbrecher, Parker heißt er, versucht einen Banküberfall. Er misslingt. Zu Fuß will er entkommen, durch einen Wald, einen Hügel hinauf. Doch die Polizei ist ihm mit Hunden auf den Fersen. Und schon sieht es so aus, als könnte die Flucht gelingen. Da taucht Tom Lindhal auf und hält den Lauf seines Gewehrs auf den Fliehenden, den er hier vermutet hatte. Dann nimmt er den Ganoven mit. Was folgt, ist eine rasante Räubergeschichte: „Der eine ist ein Bankräuber, der andere erschießt plötzlich einen Menschen – und einen Papagei –, und der Dritte, der sein Leben lang ein ganz normaler, unauffälliger Mensch war, ist auf einmal verschwunden.”
„Fragen Sie den Papagei” ist seit dreiunddreißig Jahren das erste ins Deutsche übersetzte Buch von Richard Stark. Das war eines der Pseudonyme des kürzlich verstorbenen Autors Donald E. Westlake, der 1933 in Brooklyn geboren wurde und einer der erfolgreichsten Kriminalschriftsteller überhaupt war (SZ vom 3.Januar). Er publizierte auch als Tucker Coe oder Samuel Holt. Wenn er von Parker erzählte, hieß er Richard Stark. Dieser Parker, ein Mann ohne Vornamen, ist seine gelungenste Figur. Seit den sechziger Jahren schickte er diesen „Dr. Jekyll und Mr. Hyde der Kriminalliteratur” in die Hinterhöfe der amerikanischen Gesellschaft, in verkommene Gegenden und sonderbare Kulturen. In den achtziger und neunziger Jahren war Stark verschwunden, und mit ihm der Immer-an-alles-Denker und Wenn-es-sein-muss-Mörder Parker. Seit zehn Jahren waren die beiden dann wieder da.
Das Einzigartige an Richard Stark besteht darin, dass er den Leser von Beginn an zum intimen Beobachter im Gangsterleben von Parker macht. Die Ausgangssituation ist denkbar miserabel: Hinter sich die Polizei, vor sich Lindhal – „ich bin ein Feigling, das sag ich Ihnen lieber gleich” –, und dieser Lindahl, ein Verlierer und Pechvogel, will die Pferderennbahn, seinen ehemaligen Arbeitgeber, berauben. Was Parker zunächst gar nicht interessiert, weil er erst einmal nicht weiter auffallen will.
Und überhaupt: Vom letzten Überfall fehlen ja noch die Einnahmen. Und so lässt sich Parker von der Geschichte tragen, ein Moment ergibt sich aus dem vorigen, und je weiter das geht, und je schneller der Plot voranschreitet, desto mehr macht sich der Leser die Perspektive Parkers zu eigen. Sehr viel mehr als Recht und Unrecht, Moral und Verrat interessiert nun die Frage des Davonkommens, ja Überlebens.
Was Parker – und nicht nur dieser, auch Lindahl – tut und denkt, arbeitet Westlake unerhört fein und plausibel heraus: ein jeder vor dem Hintergrund seiner Geschichte, in seinen Gedanken, im Hin und Her der Gedanken. Vordergründig mögen dabei Profis und Dilettanten unterschieden sein, in der Tiefe ihre Beweggründe erscheinen sie ähnlich – und auch in ihrer Einsamkeit, in ihrer Verkommenheit, in ihrer sozialen Verlorenheit. Dabei ist zumindest Parker ein durch und durch amoralischer Mensch. Er tötet, wenn es ihm notwendig erscheint, und das Mitgefühl des Lesers begleitet ihn dabei. Er könnte fast jedes Verbrechen begehen, und der Leser würde ihn – situationsbedingt – entschuldigen, Schritt für Schritt, und immer ist jede Bewegung notwendig und überzeugend gewesen.
Denn Parker zeichnet sich, mehr als wohl jeder andere Held der Kriminalliteratur, durch Menschenverständnis und Feingefühl für die Reaktionen seines Gegenübers aus. Er durchschaut Menschen, er weiß um deren Unberechenbarkeit. Er kann sogar komisch und zuweilen witzig sein. Man mag das für Professionalität halten, und das ist es auch, aber zugleich ist es viel mehr: Ein Akt literarischer Phantasie steckt in Parker, die Fähigkeit, in die Haut eines anderen zu schlüpfen. Er ist selbst ein Dichter, wenn auch einer des praktischen Überlebens. Und dieses Dichtertum macht ihn, der auch sehr nervös sein kann, unsicher, ängstlich, zum Verbrecher der Verbrecher – bis der Leser erschrickt und merkt, dass er sich die Skrupellosigkeit in ihrer nacktesten Form zu eigen gemacht hat. CHRISTOPH LUZI
RICHARD STARK: Fragen Sie den Papagei. Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Dirk van Gunsteren. Zsolnay Verlag, Wien 2008. 256 S., 16,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Recht eingenommen zeigt sich Christoph Luzi für Richard Starks Roman "Fragen Sie den Papagei". Er würdigt den Autor - Stark ist eines der vielen Pseudonyme des kürzlich verstorbenen Donald E. Westlake - als einen der "erfolgreichsten Kriminalschriftsteller" überhaupt. Im Mittelpunkt von "Fragen Sie den Papagei" steht zu seiner Freude wieder der Kriminelle Parker, der nach einem gescheiterten Banküberfall auf der Flucht ist. Das Besondere des Buchs ist für ihn, dass Stark den Leser von Anfang an zum "intimen Beobachter im Gangsterleben" von Parker macht. Immer stärker nehme der Leser dabei die Perspektive Parkers ein. Dieser ist in Luzis Augen eine ganz außergewöhnliche Figur. Er beschreibt Parker als einen "durch und durch amoralischen", aber zugleich "sehr sympathischen" Menschen, der sich mehr als jede andere Figur in der Kriminalliteratur durch "Menschenverständnis" und "Feingefühl für die Reaktionen seines Gegenübers" auszeichnet.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Parker ist intelligent, unnahbar, skrupellos und nie zu fassen; an seiner Seite wird man gern einen Roman lang zum Verbrecher." Der Spiegel, 01.09.08
"Ein exzellenter Krimi. ... Parker, ohne Vorname, ohne Biografie, ohne Gefühle und außerhalb aller Moral, zählt zu den eindrücklichsten Gestalten der Kriminalliteratur." Bruno Steiger, Neue Zürcher Zeitung, 31.08.08
"Ohne ein einziges überflüssiges Wort einfach gnadenlos gut erzählt." Christian von Zittwitz, Focus, 14.07.2008
"Ein hartgesottener Krimineller, dem der Leser trotzdem alles Gute wünscht." Hannes Stein, Die Welt
"Der coolste Verbrecher der US-Krimiliteratur. Zwerchfellstrapazierende Spannung." Tobias Gohlis, Focus
"Groteske Profi-und-Amateur-Geschichte. Comeback von Altmeister Stark mit einem der coolsten Verbrecher der Krimigeschichte. Jubel." Begründung der Jury der KrimiWelt-Bestenliste
"Was für eine Freude. Was für eine Chance: Hier erzählt einer nicht nur vom Weg des Verbrechens, sondern gibt uns die Möglichkeit, ihn gleich noch zu studieren. Stephen King hat einmal gesagt, bei Richard Stark müsse anfangen, wer einen Doktor in Kriminalliteratur machen wolle. Große Krimikunst." Katharina Teutsch, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.11.08
"Parker ist intelligent, unnahbar, skrupellos und nie zu fassen; an seiner Seite wird man gern einen Roman lang zum Verbrecher." Der Spiegel, 01.09.08
"Ein exzellenter Krimi. ... Parker, ohne Vorname, ohne Biografie, ohne Gefühle und außerhalb aller Moral, zählt zu den eindrücklichsten Gestalten der Kriminalliteratur." Bruno Steiger, Neue Zürcher Zeitung, 31.08.08
"Ohne ein einziges überflüssiges Wort einfach gnadenlos gut erzählt." Christian von Zittwitz, Focus, 14.07.2008
"Ein hartgesottener Krimineller, dem der Leser trotzdem alles Gute wünscht." Hannes Stein, Die Welt
"Der coolste Verbrecher der US-Krimiliteratur. Zwerchfellstrapazierende Spannung." Tobias Gohlis, Focus
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"Was für eine Freude. Was für eine Chance: Hier erzählt einer nicht nur vom Weg des Verbrechens, sondern gibt uns die Möglichkeit, ihn gleich noch zu studieren. Stephen King hat einmal gesagt, bei Richard Stark müsse anfangen, wer einen Doktor in Kriminalliteratur machen wolle. Große Krimikunst." Katharina Teutsch, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.11.08
"Parker ist intelligent, unnahbar, skrupellos und nie zu fassen; an seiner Seite wird man gern einen Roman lang zum Verbrecher." Der Spiegel, 01.09.08