Francisco Franco (1892-1975), der sich als Führer Spaniens von Gottes Gnaden stilisierte, beherrschte mit seiner Diktatur fast vier Jahrzehnte lang die Geschicke seines Landes. Seit den Anfängen der Diktatur im Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) war der "Caudillo" eine umstrittene Persönlichkeit, auch in der deutschen Öffentlichkeit: Während er für die einen für die Zerstörung einer bürgerlich-demokratischen Ordnung, eine grausame Repression und die jahrzehntelange Spaltung der Gesellschaft in Sieger und Besiegte steht, sehen andere in ihm eine umsichtige und kluge Persönlichkeit, die Spanien die Kriegsleiden im Zweiten Weltkrieg erspart und für das Wohl seines Volkes gewirkt habe. Die vorliegende Darstellung beleuchtet die Biographie General Francos im Spiegel der aktuellen Forschungen und Debatten um seine Person.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.2015Und er war doch ein Diktator
Carlos Collado Seidel über den spanischen Generalissimus Francisco Franco
Carlos Collado Seidel beginnt seine Biographie mit einer süffigen Kontroverse aus dem Jahr 2011. Damals erschien nach langem Hängen und Würgen in 50 Bänden ein von der Königlichen Akademie herausgegebenes monumentales Lexikon zur Geschichte Spaniens. Den Eintrag zu dem Generalissimus hatte der ihm nicht unfreundlich gesonnene Historiker Luis Suárez verfasst. Dieser konnte sich einfach nicht dazu durchringen, den Mann, der Spanien vier Jahrzehnte lang beherrscht hatte - am 20. November dieses Jahres ist sein vierzigster Todestag - einen Diktator zu nennen. Er bezeichnete ihn lediglich als Führer eines "autoritären, aber nicht totalitären Regimes".
Der größte Teil der Zunft, Collado Seidel gewiss eingeschlossen, war empört. Die Deutung des "Caudillos" durch Suárez wurde, wie der Autor des Buches "Franco - General, Diktator, Mythos" notiert, als "unerträglich milde" wahrgenommen. In einer neuen Auflage kann der Marburger Professor dazu nun bald einen Nachtrag schreiben. Denn unter der neuen Direktorin Carmen Iglesias hat die Königliche Akademie gerade eine Korrektur vorgenommen. Spätestens bis zum Todestag im Herbst, so ließ sie wissen, werde zumindest in der elektronischen Ausgabe des biographischen Lexikons Franco wieder sein, was er auch in ihren Augen immer war: ein Diktator.
Es wird nicht der einzige Beitrag in diesem Jahr zur spanischen Vergangenheitsbewältigung aus inzwischen doch erheblicher historischer Distanz sein. Auf dem einheimischen Markt kündigt sich eine Flut von Bestandsaufnahmen, Persönlichkeitsprofilen und Nachbereitungen der Bedeutung Francos und seiner mutmaßlichen "Schatten" über der modernen Demokratie des Landes an. So liest man Collado Seidels deutsches Buch, das nicht nur Biographie, sondern auch ein Streifzug durch andere spanische und ausländische Rezeptionsgeschichte ist, mit Gewinn. Es wartet nicht mit neuen Enthüllungen, weder über Francos bösen Vater noch über die gelegentlich unterstellte Impotenz des Sohnes, auf. Es ist auch nicht auf politisch unkorrektem Gelände zu verorten. Aber es ist ziemlich ausgewogen, weil Interpreten der verschiedensten Couleur zu Wort kommen.
Chronologisch und systematisch frischt der Autor das Gedächtnis über eine europäische Rand- und gleichzeitig Schlüsselfigur des zwanzigsten Jahrhunderts auf. Der kleine, gedrungene, von vielen als schüchtern charakterisierte Franco mit seiner glanzlosen Rhetorik und Fistelstimme war zumindest ein untypischer Diktator, wenn man ihn denn mit Alpha-Zeitgenossen der Branche wie Hitler, Mussolini, Stalin, Mao oder Fidel Castro vergleichen mag. In Sachen Charisma ließ er zumindest nach außen zu wünschen übrig. Trotzdem hatte der damals jüngste General Europas - mit 33 Jahren -, der als Offizier im nordafrikanischen Kolonialkrieg aufstieg, in einem auf beiden Seiten mit höchster Brutalität geführten Bürgerkrieg der Republik den Garaus machte, sich zum Herrscher von "Gottes Gnaden" stilisierte, Hitler nervte, Spanien eiertänzerisch aus dem Zweiten Weltkrieg heraushielt, hernach geschickt vor allem mit Amerikanern und anderen Antikommunisten paktierte und bis zu seinem Tod trotz langer und lähmender Parkinsonscher Krankheit das Heft eisern in der Hand behielt, seine unbestrittenen Fähigkeiten als politischer Manipulator und eben Diktator.
Schlau, selbstbeherrscht, berechnend und mit kaltem pragmatischem Machtsinn benutzte er alle und alles: das Militär, die Falange, die Monarchisten, die Kirche, das Opus Dei und seine Technokraten und nicht zuletzt den jungen Prinzen Juan Carlos. Dieser wurde ihm von seinem Vater, dem - dank Franco - erfolglosen Thronprätendenten Don Juan im Alter von zehn Jahren zur Erziehung anvertraut. Er machte ihn schließlich zu seinem Nachfolger, im Glauben, dass der Bourbone das Wesen des Regimes verinnerlicht habe. Großer Irrtum. Nach wenigen Jahren des Übergangs (transición) hatte Spanien eine parlamentarische Monarchie mit demokratischer Verfassung und auch einer zugelassenen kommunistischen Partei. Weil Konsens und Amnestie - manche sprachen von Amnesie - den Vorrang vor der Aufarbeitung der bleiernen Jahre hatten, geriet vieles im Alltag einfach in Vergessenheit. Und Franco gehört, genau besehen, inzwischen dazu.
Im November - wahrscheinlich nicht am 20. - wird in Spanien nun wieder gewählt werden, und es fehlen sowohl eine rechtspopulistische Partei, wie in einigen anderen europäischen Ländern, als auch "Franquisten" als politische Akteure. Das Land ist im Zweifel links. Die Sozialisten und viele Intellektuelle halten der noch regierenden konservativen Volkspartei vor, nie wirklich mit dem alten Regime "gebrochen" zu haben. Aber das sind inzwischen mehr rituelle Auseinandersetzungen - wie die um den Lexikon-Eintrag. Die Entfrancoisierung der spanischen Gesellschaft ist längst erfolgt. Die Figur des Diktators und die Mythen, die sich noch um ihn ranken mögen, werden jetzt eher auf der Suche nach Wählerstimmen noch einmal instrumentalisiert.
Collado Seidel steht im Blick auf die Wirkungsgeschichte auch auf der sicheren Seite, wenn er Defizite der spanischen Vergangenheitsbewältigung moniert, das unverändert umstrittene Gesetz über die "historische Erinnerung" aus der Zeit des sozialistischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero lobend erwähnt und auf das Recht von Hinterbliebenen irgendwo verscharrter Republikaner, deren Gräber zu finden, hinweist. Aber die Benutzung der Erinnerungen an den Diktator ist auch im politischen Alltag nicht mehr so einfach.
Konnte in den vierzig Nach-Franco-Jahren, die im Wesentlichen von einem Zweiparteiensystem aus Sozialisten und Konservativen bestimmt wurden, immer wieder mit der alten Vogelscheuche operiert werden, so verspricht das bald obsolet zu werden. Denn was haben die neuen Konkurrenzparteien - Podemos auf der Linken und Ciudadanos in der rechten Mitte -, die beide gerade die politische Landschaft aufmischen, noch mit Franco zu tun? Der dachte doch noch auf dem Totenbett, dass er "alles gut festgezurrt" hinterlassen würde. Weit gefehlt. Über die deutlich kürzer gewordenen Schatten kündigt sich für Zeitgeschichtler auch hierzu wieder ein neues Kapitel an.
LEO WIELAND
Carlos Collado Seidel: Franco. General, Diktator, Mythos. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2015. 314 S., 26,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Carlos Collado Seidel über den spanischen Generalissimus Francisco Franco
Carlos Collado Seidel beginnt seine Biographie mit einer süffigen Kontroverse aus dem Jahr 2011. Damals erschien nach langem Hängen und Würgen in 50 Bänden ein von der Königlichen Akademie herausgegebenes monumentales Lexikon zur Geschichte Spaniens. Den Eintrag zu dem Generalissimus hatte der ihm nicht unfreundlich gesonnene Historiker Luis Suárez verfasst. Dieser konnte sich einfach nicht dazu durchringen, den Mann, der Spanien vier Jahrzehnte lang beherrscht hatte - am 20. November dieses Jahres ist sein vierzigster Todestag - einen Diktator zu nennen. Er bezeichnete ihn lediglich als Führer eines "autoritären, aber nicht totalitären Regimes".
Der größte Teil der Zunft, Collado Seidel gewiss eingeschlossen, war empört. Die Deutung des "Caudillos" durch Suárez wurde, wie der Autor des Buches "Franco - General, Diktator, Mythos" notiert, als "unerträglich milde" wahrgenommen. In einer neuen Auflage kann der Marburger Professor dazu nun bald einen Nachtrag schreiben. Denn unter der neuen Direktorin Carmen Iglesias hat die Königliche Akademie gerade eine Korrektur vorgenommen. Spätestens bis zum Todestag im Herbst, so ließ sie wissen, werde zumindest in der elektronischen Ausgabe des biographischen Lexikons Franco wieder sein, was er auch in ihren Augen immer war: ein Diktator.
Es wird nicht der einzige Beitrag in diesem Jahr zur spanischen Vergangenheitsbewältigung aus inzwischen doch erheblicher historischer Distanz sein. Auf dem einheimischen Markt kündigt sich eine Flut von Bestandsaufnahmen, Persönlichkeitsprofilen und Nachbereitungen der Bedeutung Francos und seiner mutmaßlichen "Schatten" über der modernen Demokratie des Landes an. So liest man Collado Seidels deutsches Buch, das nicht nur Biographie, sondern auch ein Streifzug durch andere spanische und ausländische Rezeptionsgeschichte ist, mit Gewinn. Es wartet nicht mit neuen Enthüllungen, weder über Francos bösen Vater noch über die gelegentlich unterstellte Impotenz des Sohnes, auf. Es ist auch nicht auf politisch unkorrektem Gelände zu verorten. Aber es ist ziemlich ausgewogen, weil Interpreten der verschiedensten Couleur zu Wort kommen.
Chronologisch und systematisch frischt der Autor das Gedächtnis über eine europäische Rand- und gleichzeitig Schlüsselfigur des zwanzigsten Jahrhunderts auf. Der kleine, gedrungene, von vielen als schüchtern charakterisierte Franco mit seiner glanzlosen Rhetorik und Fistelstimme war zumindest ein untypischer Diktator, wenn man ihn denn mit Alpha-Zeitgenossen der Branche wie Hitler, Mussolini, Stalin, Mao oder Fidel Castro vergleichen mag. In Sachen Charisma ließ er zumindest nach außen zu wünschen übrig. Trotzdem hatte der damals jüngste General Europas - mit 33 Jahren -, der als Offizier im nordafrikanischen Kolonialkrieg aufstieg, in einem auf beiden Seiten mit höchster Brutalität geführten Bürgerkrieg der Republik den Garaus machte, sich zum Herrscher von "Gottes Gnaden" stilisierte, Hitler nervte, Spanien eiertänzerisch aus dem Zweiten Weltkrieg heraushielt, hernach geschickt vor allem mit Amerikanern und anderen Antikommunisten paktierte und bis zu seinem Tod trotz langer und lähmender Parkinsonscher Krankheit das Heft eisern in der Hand behielt, seine unbestrittenen Fähigkeiten als politischer Manipulator und eben Diktator.
Schlau, selbstbeherrscht, berechnend und mit kaltem pragmatischem Machtsinn benutzte er alle und alles: das Militär, die Falange, die Monarchisten, die Kirche, das Opus Dei und seine Technokraten und nicht zuletzt den jungen Prinzen Juan Carlos. Dieser wurde ihm von seinem Vater, dem - dank Franco - erfolglosen Thronprätendenten Don Juan im Alter von zehn Jahren zur Erziehung anvertraut. Er machte ihn schließlich zu seinem Nachfolger, im Glauben, dass der Bourbone das Wesen des Regimes verinnerlicht habe. Großer Irrtum. Nach wenigen Jahren des Übergangs (transición) hatte Spanien eine parlamentarische Monarchie mit demokratischer Verfassung und auch einer zugelassenen kommunistischen Partei. Weil Konsens und Amnestie - manche sprachen von Amnesie - den Vorrang vor der Aufarbeitung der bleiernen Jahre hatten, geriet vieles im Alltag einfach in Vergessenheit. Und Franco gehört, genau besehen, inzwischen dazu.
Im November - wahrscheinlich nicht am 20. - wird in Spanien nun wieder gewählt werden, und es fehlen sowohl eine rechtspopulistische Partei, wie in einigen anderen europäischen Ländern, als auch "Franquisten" als politische Akteure. Das Land ist im Zweifel links. Die Sozialisten und viele Intellektuelle halten der noch regierenden konservativen Volkspartei vor, nie wirklich mit dem alten Regime "gebrochen" zu haben. Aber das sind inzwischen mehr rituelle Auseinandersetzungen - wie die um den Lexikon-Eintrag. Die Entfrancoisierung der spanischen Gesellschaft ist längst erfolgt. Die Figur des Diktators und die Mythen, die sich noch um ihn ranken mögen, werden jetzt eher auf der Suche nach Wählerstimmen noch einmal instrumentalisiert.
Collado Seidel steht im Blick auf die Wirkungsgeschichte auch auf der sicheren Seite, wenn er Defizite der spanischen Vergangenheitsbewältigung moniert, das unverändert umstrittene Gesetz über die "historische Erinnerung" aus der Zeit des sozialistischen Ministerpräsidenten José Luis Rodríguez Zapatero lobend erwähnt und auf das Recht von Hinterbliebenen irgendwo verscharrter Republikaner, deren Gräber zu finden, hinweist. Aber die Benutzung der Erinnerungen an den Diktator ist auch im politischen Alltag nicht mehr so einfach.
Konnte in den vierzig Nach-Franco-Jahren, die im Wesentlichen von einem Zweiparteiensystem aus Sozialisten und Konservativen bestimmt wurden, immer wieder mit der alten Vogelscheuche operiert werden, so verspricht das bald obsolet zu werden. Denn was haben die neuen Konkurrenzparteien - Podemos auf der Linken und Ciudadanos in der rechten Mitte -, die beide gerade die politische Landschaft aufmischen, noch mit Franco zu tun? Der dachte doch noch auf dem Totenbett, dass er "alles gut festgezurrt" hinterlassen würde. Weit gefehlt. Über die deutlich kürzer gewordenen Schatten kündigt sich für Zeitgeschichtler auch hierzu wieder ein neues Kapitel an.
LEO WIELAND
Carlos Collado Seidel: Franco. General, Diktator, Mythos. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 2015. 314 S., 26,99 [Euro].
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