Von der Kindheit in der Arbeiterklasse im ländlichen Michigan bis hin zu den gefährlichen Verlockungen von New York City: Virtuos bewegt sich Diane Seuss durch Gedanken und Zeit, Poesie und Punk, AIDS und Sucht, Glaube und Mutterschaft. Neben der eigenen Biographie spielen ihr Sohn, dessen Drogensucht und Selbstmordversuch, der frühe Tod des Vaters und eine distanzierte Mutter sowie ein an Aids verstorbener naher Freund eine Rolle. Trotz drastischer biographischer Erfahrungen verliert Seuss nicht den Humor. In ihrem mal schonungslos ehrlichen, mal politisch-pointierten oder lyrisch-verspielten Witz steckt aber auch eine Verletzung, ein Schmerz. In diesen Momenten wird der Humor zum Werkzeug, zum Mittel, um ein an Enttäuschungen reiches Leben zu bewältigen.Weitere Auszeichnungen:- 2021 John Updike Preis- 2021 National Book Critics Circle Award für Lyrik- 2021 PEN / Voelcker Award für Poetry Collection- 2022 Los Angeles Times Book Preis für Lyrik - 2022 Pulitzer-Preis für DichtungFinalistin für the den:- 2022 Kingsley Tufts Poetry Award
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Tobias Döring zieht die lustvolle Sprache von Diane Seuss in ihren Bann. Die Sonettform eignet sich die Autorin laut Döring gekonnt an, indem sie mit Binnenreimen, Assonanzen, aber ohne Endreime arbeitet. So "wundersam" die Form auf diese Weise wird, so vielfältig findet der Rezensent die Themen: Alltag vor allem mit all seinen Ausprägungen der Lust und des Leids. Auch die Übersetzung funktioniert, versichert Döring. Willkommen in der amerikanischen Gegenwartslyrik, meint er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.08.2023Ihr Sonett ist kein Prokrustesbett
Diane Seuss gibt sich "Frank" und steht damit in der ersten Reihe der amerikanischen Gegenwartslyrik
Geschlafen habe sie bereits an vielen Orten, so lesen wir in einem dieser neuen Texte von Diane Seuss, "jahrelang auf Matratzen, die sich durch nichts / als Glück in meinem Leben einfanden, als Kind auf nassen Laken", geschlafen auch "auf dem nackten Gras im üppigen / Park eines zerfallenen Schlosses, in einem flatternden deutschen Zirkuszelt, in einem / Schuppen, den Kopf auf dem Bauch eines kranken Kalbs" sowie an etlichen anderen Schlafstätten, darunter eine Hotelbadewanne und ein Krankenhausbett. Berichtet wird uns das in einem einzigen langen, vielfach gegliederten Satz, der eine assoziative Gedanken- und Erinnerungskette aus subtil rhythmisierter Sprache bildet und in vierzehn Zeilen etwa gleicher Länge angeordnet ist. Endreime finden sich keine, dafür zahlreiche Assonanzen, zuweilen Binnenreime und andere Bindungselemente, wodurch die Wortgestalten zueinanderfinden und sich aneinanderschmiegen wie die Schlafende den Kopf an den kranken Kälbchenbauch. Wer an allen diesen Orten schlafen kann, so ahnen wir, vermag die Welt poetisch einzurichten.
"Frank: Sonette" nennt Seuss ihre neue Gedichtsammlung und stellt sie mit diesem Titel, gleichermaßen selbstbewusst wie nach Selbstvergewisserung suchend, in eine große Tradition der Lyrik. Lang schon bietet das Sonett eine der anspruchsvollsten Formen, um auf sehr engem Raum und in einem intrikaten Reimschema dichterische Weltaneignung zu betreiben. Geprägt vor allem durch die Liebeslyrik der Renaissance, der auch Seuss die Reverenz erweist, gehört das Sonett traditionell zum Rollenspiel der besseren Gesellschaft, die Lust an Kunstfertigkeit mit der Lust an sprachlicher Maskierung teilt.
Aus diesem Grund ist das Sonett ebenso verbreitet wie verachtet. Nicht erst Robert Gernhardt befindet es in seinen "Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Sonettform italienischen Ursprungs" für "eng, rigide, irgendwie nicht gut". Schon der englische Renaissance-Autor Thomas Campion unterzog es einer ätzenden Kritik, wenn er bemerkte, dass ein derart strenges Schema die Gedanken entweder stauche und verstümmele oder ausdehne und strecke, bloß um der formalen Anforderung Genüge zu tun. Er verglich dies mit dem Bett des mythischen Riesen und Räubers Prokrustes, der Reisende gefangen nahm und dann ungeachtet ihrer Größe alle in dieselbe starre Schlafstatt zwang: das nach ihm benannte Folterinstrument des Prokrustesbetts.
Diane Seuss aber kann überall gut schlafen, wie wir wissen. Sie löst dieses Problem nicht nur, indem sie auf Endreime verzichtet; sie variiert zugleich die Zeilenlänge nach Bedarf und verdoppelt, ja vervier- und -fünffacht so den Umfang, wenn erforderlich, für einen vierzehnzeiligen Text. Ihr Buch präsentiert sie im Querformat, und wenn die Seiten immer noch zu kurz sind, klappen wir sie einfach auf, um auch den längsten Langzeilen bis zum Ende folgen zu können: so entstehen wundersam dehnbare, atmende Sonettformen.
Durchweg spricht sich in ihnen eine erste Person aus und erzählt freimütig - "frank", wie schon der Titel ankündigt - aus ihrem wechselvollen Leben. Alltagsbegebenheiten, Kindheitserinnerungen, Reisen und Begegnungen, Lust und Körperlichkeit, Leid und Todesahnung, Schmerz, Gewalt und religiöse Hoffnungsformeln überblenden und durchkreuzen sich darin wie üppig wuchernde, dabei oft wirre Bilder eines wilden Traums. Erstaunlich präsent ist der Tod, vielleicht weil wir, sobald wir angehen, das eigne Leben zu erzählen, es immer nur von einem Endpunkt denkend fassen können.
Darin folgt die Autorin dem englischen Renaissance- und kühnen Sonett-Dichter John Donne, den sie namentlich aufruft. Im Aufbrechen fest gefügter Formen aber wie im Pathos der Selbstaussprache folgt sie dem amerikanischen Lyrik-Pionier Walt Whitman, dessen orgiastischer Überschwang sich hier immer wieder Bahn bricht: "keine / Suche nach Vergleichen, frei sein von Bedeutung, sich aus dem / kratzigen Pullover der Metapher schälen, Körper, Brüste, Vulva, / kleine Höhle des Uterus, Klit, brauchen, berühren, kommen, ich / kam, bevor mir kam, was kommen ist". In solcherlei Passagen, die sich reichlich finden, zeigt sich, dass auch Seuss' Sonette darin an die Tradition anschließen, dass sie ihre eigenen poetischen Verfahren reflektieren: Sonette halten sich gern selbst den Spiegel vor.
Zugleich zeigt sich die Stärke dieser Übersetzung, die der deutschen Fassung mit dem dreifachen "Kommen" noch eine Pointe hinzufügt. Im amerikanischen Original lautet der zuletzt zitierte Vers: "I came / before I knew what coming was". Und da der gesamte Text zweisprachig präsentiert wird, können wir an vielen Stellen mitverfolgen, was für wunderbare deutsche Wendungen der Übersetzer Franz Hofer gefunden hat.
Mit diesem Band, letztes Jahr mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, steht Diane Seuss, Jahrgang 1956, endgültig in der ersten Reihe der amerikanischen Gegenwartslyrik. Wo immer man ihn aufblättert, sogleich verfängt man sich lustvoll in seinem flackernden, flirrenden Bilderstrom. Ein "Daumenkino" nennt ihn Seuss und jedes Sonett darin "ein Einzelbild auf einem langen / Zelluloidstreifen, von dem das meiste auf dem Fußboden / des Schneideraums landet". Es lohnt sich sehr, ihn aufzunehmen. TOBIAS DÖRING
Diane Seuss: "Frank: Sonette".
Aus dem amerikanischen Englisch von Franz Hofner. Maro Verlag, Augsburg 2023. 280 S., br., 28,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Diane Seuss gibt sich "Frank" und steht damit in der ersten Reihe der amerikanischen Gegenwartslyrik
Geschlafen habe sie bereits an vielen Orten, so lesen wir in einem dieser neuen Texte von Diane Seuss, "jahrelang auf Matratzen, die sich durch nichts / als Glück in meinem Leben einfanden, als Kind auf nassen Laken", geschlafen auch "auf dem nackten Gras im üppigen / Park eines zerfallenen Schlosses, in einem flatternden deutschen Zirkuszelt, in einem / Schuppen, den Kopf auf dem Bauch eines kranken Kalbs" sowie an etlichen anderen Schlafstätten, darunter eine Hotelbadewanne und ein Krankenhausbett. Berichtet wird uns das in einem einzigen langen, vielfach gegliederten Satz, der eine assoziative Gedanken- und Erinnerungskette aus subtil rhythmisierter Sprache bildet und in vierzehn Zeilen etwa gleicher Länge angeordnet ist. Endreime finden sich keine, dafür zahlreiche Assonanzen, zuweilen Binnenreime und andere Bindungselemente, wodurch die Wortgestalten zueinanderfinden und sich aneinanderschmiegen wie die Schlafende den Kopf an den kranken Kälbchenbauch. Wer an allen diesen Orten schlafen kann, so ahnen wir, vermag die Welt poetisch einzurichten.
"Frank: Sonette" nennt Seuss ihre neue Gedichtsammlung und stellt sie mit diesem Titel, gleichermaßen selbstbewusst wie nach Selbstvergewisserung suchend, in eine große Tradition der Lyrik. Lang schon bietet das Sonett eine der anspruchsvollsten Formen, um auf sehr engem Raum und in einem intrikaten Reimschema dichterische Weltaneignung zu betreiben. Geprägt vor allem durch die Liebeslyrik der Renaissance, der auch Seuss die Reverenz erweist, gehört das Sonett traditionell zum Rollenspiel der besseren Gesellschaft, die Lust an Kunstfertigkeit mit der Lust an sprachlicher Maskierung teilt.
Aus diesem Grund ist das Sonett ebenso verbreitet wie verachtet. Nicht erst Robert Gernhardt befindet es in seinen "Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Sonettform italienischen Ursprungs" für "eng, rigide, irgendwie nicht gut". Schon der englische Renaissance-Autor Thomas Campion unterzog es einer ätzenden Kritik, wenn er bemerkte, dass ein derart strenges Schema die Gedanken entweder stauche und verstümmele oder ausdehne und strecke, bloß um der formalen Anforderung Genüge zu tun. Er verglich dies mit dem Bett des mythischen Riesen und Räubers Prokrustes, der Reisende gefangen nahm und dann ungeachtet ihrer Größe alle in dieselbe starre Schlafstatt zwang: das nach ihm benannte Folterinstrument des Prokrustesbetts.
Diane Seuss aber kann überall gut schlafen, wie wir wissen. Sie löst dieses Problem nicht nur, indem sie auf Endreime verzichtet; sie variiert zugleich die Zeilenlänge nach Bedarf und verdoppelt, ja vervier- und -fünffacht so den Umfang, wenn erforderlich, für einen vierzehnzeiligen Text. Ihr Buch präsentiert sie im Querformat, und wenn die Seiten immer noch zu kurz sind, klappen wir sie einfach auf, um auch den längsten Langzeilen bis zum Ende folgen zu können: so entstehen wundersam dehnbare, atmende Sonettformen.
Durchweg spricht sich in ihnen eine erste Person aus und erzählt freimütig - "frank", wie schon der Titel ankündigt - aus ihrem wechselvollen Leben. Alltagsbegebenheiten, Kindheitserinnerungen, Reisen und Begegnungen, Lust und Körperlichkeit, Leid und Todesahnung, Schmerz, Gewalt und religiöse Hoffnungsformeln überblenden und durchkreuzen sich darin wie üppig wuchernde, dabei oft wirre Bilder eines wilden Traums. Erstaunlich präsent ist der Tod, vielleicht weil wir, sobald wir angehen, das eigne Leben zu erzählen, es immer nur von einem Endpunkt denkend fassen können.
Darin folgt die Autorin dem englischen Renaissance- und kühnen Sonett-Dichter John Donne, den sie namentlich aufruft. Im Aufbrechen fest gefügter Formen aber wie im Pathos der Selbstaussprache folgt sie dem amerikanischen Lyrik-Pionier Walt Whitman, dessen orgiastischer Überschwang sich hier immer wieder Bahn bricht: "keine / Suche nach Vergleichen, frei sein von Bedeutung, sich aus dem / kratzigen Pullover der Metapher schälen, Körper, Brüste, Vulva, / kleine Höhle des Uterus, Klit, brauchen, berühren, kommen, ich / kam, bevor mir kam, was kommen ist". In solcherlei Passagen, die sich reichlich finden, zeigt sich, dass auch Seuss' Sonette darin an die Tradition anschließen, dass sie ihre eigenen poetischen Verfahren reflektieren: Sonette halten sich gern selbst den Spiegel vor.
Zugleich zeigt sich die Stärke dieser Übersetzung, die der deutschen Fassung mit dem dreifachen "Kommen" noch eine Pointe hinzufügt. Im amerikanischen Original lautet der zuletzt zitierte Vers: "I came / before I knew what coming was". Und da der gesamte Text zweisprachig präsentiert wird, können wir an vielen Stellen mitverfolgen, was für wunderbare deutsche Wendungen der Übersetzer Franz Hofer gefunden hat.
Mit diesem Band, letztes Jahr mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, steht Diane Seuss, Jahrgang 1956, endgültig in der ersten Reihe der amerikanischen Gegenwartslyrik. Wo immer man ihn aufblättert, sogleich verfängt man sich lustvoll in seinem flackernden, flirrenden Bilderstrom. Ein "Daumenkino" nennt ihn Seuss und jedes Sonett darin "ein Einzelbild auf einem langen / Zelluloidstreifen, von dem das meiste auf dem Fußboden / des Schneideraums landet". Es lohnt sich sehr, ihn aufzunehmen. TOBIAS DÖRING
Diane Seuss: "Frank: Sonette".
Aus dem amerikanischen Englisch von Franz Hofner. Maro Verlag, Augsburg 2023. 280 S., br., 28,- Euro.
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