"German Photo Book Award," 2004, "LeadAward 2007 - Style & The Family Tunes," 2007
Die Arbeiten von Frank Thiel (1966 in Kleinmachnow bei Berlin) sind eine einzigartige Reflexion über die Stadtlandschaft Berlins, diesen städtebaulich-geistigen Flickenteppich des 20. Jahrhunderts. Er beschreibt eine Architektur des Übergangs, die Herausbildung eines neuen politischen Raums innerhalb urbaner Strukturen. Sein eigentliches Thema ist das Unvollendete, er bevorzugt den Entstehungsprozess gegenüber dem Endresultat, verfolgt konsequent eine Ästhetik des Vergänglichen, der Veränderung.Thiels Bilder erscheinen wie Momentaufnahmen, die auf einen größeren Erzählzusammenhang verweisen. Zugleich untersuchen seine Arbeiten immer wieder das Verhältnis von Fotografie zu Malerei und Skulptur. Thiels besondere Fähigkeit, in seine Fotografien die dialektische Beziehung zwischen Ideologie und Ästhetik einzuschreiben, verhindert dabei jeden Anschein von Sentimentalität. Diese erste große Monografie versammelt alle wichtigen Werkgruppen seit 1995 zu diesem Thema.
Die Arbeiten von Frank Thiel (1966 in Kleinmachnow bei Berlin) sind eine einzigartige Reflexion über die Stadtlandschaft Berlins, diesen städtebaulich-geistigen Flickenteppich des 20. Jahrhunderts. Er beschreibt eine Architektur des Übergangs, die Herausbildung eines neuen politischen Raums innerhalb urbaner Strukturen. Sein eigentliches Thema ist das Unvollendete, er bevorzugt den Entstehungsprozess gegenüber dem Endresultat, verfolgt konsequent eine Ästhetik des Vergänglichen, der Veränderung.Thiels Bilder erscheinen wie Momentaufnahmen, die auf einen größeren Erzählzusammenhang verweisen. Zugleich untersuchen seine Arbeiten immer wieder das Verhältnis von Fotografie zu Malerei und Skulptur. Thiels besondere Fähigkeit, in seine Fotografien die dialektische Beziehung zwischen Ideologie und Ästhetik einzuschreiben, verhindert dabei jeden Anschein von Sentimentalität. Diese erste große Monografie versammelt alle wichtigen Werkgruppen seit 1995 zu diesem Thema.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.02.2007Berlin ist eine Baustelle: Die Arbeiten des Fotografen Frank Thiel feiern die Stadt als Möglichkeitsform
In München tut man sich leicht. In Hamburg ebenso. Hier lebt barocke Pracht, dort wohnt nordische Noblesse. Nur Berlin hat nichts zu bieten: jedenfalls keine Patina, kein Fertigsein, keine Vollendung. Berlin ist sogar das genaue Gegenteil stadträumlicher Fixierung: Es ist eine ewige Baustelle, ein transformatorischer Zwischenraum. Mehr Übergang denn Ort. Schon deshalb darf man der Stadt gar nicht böse sein: Berlin wünscht sich ein Stadtschloss – ganz so, als wäre es ein kleines Mädchen, das davon träumt, die Prinzessin Lillifee zu sein; wünscht sich auch eine Museumsinsel, die aber genauso neu wie alt aussehen soll; wünscht sich schließlich Stadthäuser und ganze Stadtviertel, die sich als 19. Jahrhundert verkleiden sollen. Berlin sehnt sich nach Stillstand – und dass die Bagger abziehen. Endlich Ruhe. Kann man verstehen.
Andererseits: Der Fotograf Frank Thiel, geboren 1966 in Kleinmachnow bei Berlin, hat in dem Band „A Berlin Decade 1995-2005” (Hatje Cantz Verlag, 260 Seiten, 49,80 Euro) insgesamt 168 großartige Bildwerke versammelt, die zeigen, was Berlin gegen diese so verständliche wie sentimentale Sehnsucht eben auch ist – oder bis zum Jahr 2005 war: eine Stadt, deren Anmut sich aus dem Wandel, aus dem Unvollendeten und Halbfertigen speist. Insofern ruinieren die Berliner exakt das, was ihrer Stadt Bedeutung verleiht: Emsig bauen sie Berlin neu. Reißen ab. Planen um. Bauen dazu. Bauen zu Ende. Zu einem Ende, das aussehen wird wie das popbunte Sandkastenmodell der Freunde des historischen Berlins.
Thiels souveräne, kühle Betrachtungen feiern dagegen ein Berlin, das es als Stadt der Möglichkeitsform schon gibt. Er interessiert sich für banalste Dinge, für Brandwände, Baugruben, Gerüste, Schutt, Alltagsarchitekturen und Kräne. In seinem Objektiv enthüllt die große Baustelle Berlin einen eigenen Reiz. Da verdichtet sich zum Beispiel die Betonkonstruktion einer Tiefgarage zu einer fast organisch wirkenden Großstruktur. Und die Stahlgitter zur Bewehrung von Geschossdecken liegen so dicht übereinander, dass sie belebt und farblich schillernd erscheinen. Oder die Klinkerwand des großartigen „Kosmos”-Kinos (unser Bild: „Untitled”, 2002): Sie wirkt, als habe man versucht, den genetischen Code Berlins zu enträtseln – sei aber über die ersten Basenpaare nicht hinausgekommen. Was ein Glück ist. GERHARD MATZIG
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In München tut man sich leicht. In Hamburg ebenso. Hier lebt barocke Pracht, dort wohnt nordische Noblesse. Nur Berlin hat nichts zu bieten: jedenfalls keine Patina, kein Fertigsein, keine Vollendung. Berlin ist sogar das genaue Gegenteil stadträumlicher Fixierung: Es ist eine ewige Baustelle, ein transformatorischer Zwischenraum. Mehr Übergang denn Ort. Schon deshalb darf man der Stadt gar nicht böse sein: Berlin wünscht sich ein Stadtschloss – ganz so, als wäre es ein kleines Mädchen, das davon träumt, die Prinzessin Lillifee zu sein; wünscht sich auch eine Museumsinsel, die aber genauso neu wie alt aussehen soll; wünscht sich schließlich Stadthäuser und ganze Stadtviertel, die sich als 19. Jahrhundert verkleiden sollen. Berlin sehnt sich nach Stillstand – und dass die Bagger abziehen. Endlich Ruhe. Kann man verstehen.
Andererseits: Der Fotograf Frank Thiel, geboren 1966 in Kleinmachnow bei Berlin, hat in dem Band „A Berlin Decade 1995-2005” (Hatje Cantz Verlag, 260 Seiten, 49,80 Euro) insgesamt 168 großartige Bildwerke versammelt, die zeigen, was Berlin gegen diese so verständliche wie sentimentale Sehnsucht eben auch ist – oder bis zum Jahr 2005 war: eine Stadt, deren Anmut sich aus dem Wandel, aus dem Unvollendeten und Halbfertigen speist. Insofern ruinieren die Berliner exakt das, was ihrer Stadt Bedeutung verleiht: Emsig bauen sie Berlin neu. Reißen ab. Planen um. Bauen dazu. Bauen zu Ende. Zu einem Ende, das aussehen wird wie das popbunte Sandkastenmodell der Freunde des historischen Berlins.
Thiels souveräne, kühle Betrachtungen feiern dagegen ein Berlin, das es als Stadt der Möglichkeitsform schon gibt. Er interessiert sich für banalste Dinge, für Brandwände, Baugruben, Gerüste, Schutt, Alltagsarchitekturen und Kräne. In seinem Objektiv enthüllt die große Baustelle Berlin einen eigenen Reiz. Da verdichtet sich zum Beispiel die Betonkonstruktion einer Tiefgarage zu einer fast organisch wirkenden Großstruktur. Und die Stahlgitter zur Bewehrung von Geschossdecken liegen so dicht übereinander, dass sie belebt und farblich schillernd erscheinen. Oder die Klinkerwand des großartigen „Kosmos”-Kinos (unser Bild: „Untitled”, 2002): Sie wirkt, als habe man versucht, den genetischen Code Berlins zu enträtseln – sei aber über die ersten Basenpaare nicht hinausgekommen. Was ein Glück ist. GERHARD MATZIG
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