Der gewaltsame Tod Franz Ferdinands am 28. Juni 1914 in Sarajevo steht am Anfang jeder Erzählung über den Ersten Weltkrieg. Verschwörungstheorien, Mythen und Legenden ranken sich bis heute nicht nur um das Attentat, sondern auch um das Leben und Wirken dieses Mannes, den erst der plötzliche Tod des Kronprinzen Rudolf zum Thronfolger gemacht hatte. Diese neue Biografie, entstanden auf der Grundlage intensiver Archivrecherchen, geht der Frage nach, wie es Franz Ferdinand gelingen konnte, trotz mangelnder Ausbildung und starker privater Differenzen mit Kaiser Franz Joseph seinen Machtbereich so weit auszudehnen, dass in den letzten Jahren vor dem Ersten Weltkrieg keine Entscheidung ohne sein Einverständnis getroffen werden konnte.Der Autorin gelingt es mit Hilfe bislang unbekannter Quellen aus der direkten Umgebung des Thronfolgers einen neuen, spannenden Blick auf dessen private Interessen ebenso wie sein politisches Denken und Handeln zu werfen.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Gleich zwei Historiker, Alma Hannig und Jean-Paul Bled, haben mit Hinblick auf das Gedenkjahr 1914 Biografien über den habsburgischen Thronfolger Franz Ferdinand geschrieben, der vor allem für seine Ermordung beim Attentat von Sarajewo im Juni 1914 bekannt ist, die als Vorwand für den Ersten Weltkrieg diente, sowie für seine charakterlichen Schwächen, berichtet Norbert Mappes-Niediek. Hannigs Buch "Franz Ferdinand" ist ein klein wenig mehr um Unparteilichkeit bemüht, wirklich gut kommt der Thronfolger bei ihr aber auch nicht weg, erklärt der Rezensent: Einerseits setzte Franz Ferdinand seine unstandesgemäße Liebesheirat durch, und sein Geiz hätte wenigstens das Volk für ihn einnehmen können, auf der anderen Seite war er ein schlechter Diplomat, schießwütiger Jäger, ein Antisemit, und pflegte einen Hass auf Ungarn und Italiener. Für Hannig bleibt Franz Ferdinand "einer der großen Unbekannten der Geschichte", fasst Mappes-Niediek zusammen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.04.2014Zwei Särge auf gleicher Höhe
Neues zu Franz Ferdinand
Der wichtigste Gedenkort für Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie ist die Gruft des Schlosses im niederösterreichischen Artstetten. Dort wurden die beiden Opfer des Attentats von Sarajevo Anfang Juli 1914 beigesetzt. Und dort gibt es seit drei Jahrzehnten ein spezielles Museum. Dessen Mitbegründer und früherer Leiter Wladimir Aichelburg nimmt den bevorstehenden hundertsten Todestag zum Anlass, "Notizen zu einem ungewöhnlichen Tagebuch eines außergewöhnlichen Lebens" zu publizieren. Die kolossale Sammlung mit Auszügen aus Dokumenten, Zeitungen, Memoiren und älterer Sekundärliteratur umfasst 3268 Seiten! Im Zentrum der Bände 1 und 2 steht das Leben von Franz Ferdinand, Band 3 behandelt das "Nachleben" seiner drei Kinder sowie seiner Schlösser Artstetten, Chlumetz und Konopischt.
Die editorische Sorgfalt lässt bisweilen zu wünschen übrig; manche Ereignisse kommentiert Aichelburg in Hofhistoriker-Manier. Dennoch entwickelt das Werk beim Durchstöbern seinen eigenen Charme und versetzt den Leser gekonnt zurück in die k.u.k. Zeit und den Thronfolgeralltag, auch mit Mosaiksteinchen: von Abschusslisten bei Jagden und Rezeptverschreibungen über Kommandostränge und Organisationsstrukturen bis zu Denkmalpflege, Gartenbau, Fahrzeugpark und Plazierung bei Festessen - ein Genuss für Geschichtsfeinschmecker mit Ausdauer.
Journalisten hielt Franz Ferdinand stets von Hoftafeln fern; bei der Auswahl von Lehrern kam es ihm darauf an, "immer auf Kaisertreue und Katholizismus" zu achten: "Nicht wer die beste Grammatik schreibt, ist geeignet, sondern nur wer gut gesinnt ist." Aufschlussreich sind Zitate aus diversen Korrespondenzen und Quellen zu den Begegnungen mit Kaiser Wilhelm II. Minutiös rekonstruiert werden die letzten Tage des Thronfolgers, das Attentat vom 28. Juni 1914 und sogar die unmittelbarsten Folgen: "Die städtische Leichenbestattung von Sarajevo organisiert die zweite, festliche Aufbahrung. Die prunkvollen Särge, die besten, die man in Sarajevo hat auftreiben können, haben verschiedene Größe, was später noch in Wien zu vielen Legenden führt. In Sarajevo wird der kleinere Sarg der Herzogin zusätzlich unterlegt, so dass beide auf gleicher Höhe stehen."
Max Hohenberg, der älteste Sohn des Thronfolgers, widmete sich 1927 in Artstetten dem "Aktenordnen im Archiv" - laut Aichelburg mangels anderer Beschäftigung. Dabei habe Max die "gewachsene Struktur" der einzelnen Bestände zerstört und "seiner Ansicht nach überflüssige, aber auch kompromittierende oder erotisch angehauchte private Briefe" Franz Ferdinands verbrannt. Nach dem "Anschluss" Österreichs gerieten Max und sein jüngerer Bruder Ernst in Konflikt mit den Nazis; der eine kam für einige Monate, der andere für mehrere Jahre als "Schutzhäftling" in deutsche Konzentrationslager.
Wer sich kürzer und prägnanter über Franz Ferdinand informieren will, dem ist eine neue Biographie von Alma Hannig sehr zu empfehlen. Sie geht nicht chronologisch vor, sondern themenbezogen: Repräsentation, Aufbau einer Nebenregierung, innenpolitische Reformpläne, Verhältnis zu Ungarn, zur Presse und zur katholischen Kirche, außenpolitische Ziele. Die Autorin hebt das "negative Balkanbild" des Thronfolgers hervor; er habe überhaupt einen "recht großen Spielraum" in der Außenpolitik besessen und diesen zu nutzen gewusst: "Ob dies letztlich zum Wohle der Monarchie geschah, bleibt offen."
Auch stellt Alma Hannig die beliebte These vom "Friedensfürsten" in Frage. Es gebe genug Hinweise, dass Franz Ferdinand "kein überzeugter Pazifist" gewesen sei: "Zudem galt er in einigen Kreisen im In- und Ausland als Kriegshetzer. Die Historiker scheinen dies jahrzehntelang ignoriert zu haben." Der Thronfolger sei von der Notwendigkeit einer "künftigen kriegerischen Abrechnung mit Italien und Serbien" überzeugt gewesen. Neben einzelnen Aussagen von Franz Ferdinand spreche "die Auswahl seiner engsten Umgebung nicht gerade für die Umsetzung der Friedensidee". Und was den zeremoniellen Rahmen der oft als "drittklassig" gescholtenen Wiener Trauerfeiern für Franz Ferdinand und dessen "morganatische Ehefrau" betraf, so hätten sich damals "in erster Linie die Zeitungen und das Großbürgertum" empört; die Adeligen nahmen es gelassen, empfanden das Trauerzeremoniell "würdevoll und gemessen" beziehungsweise "einfach und würdig". Zum Schluss widmet sich die Autorin dem Bild des Thronfolgers in der österreichischen Historiographie und Kunst, in Romanen und Filmen. Die Darstellungen seien im Laufe der Zeit vielfältiger und positiver geworden.
RAINER BLASIUS.
Wladimir Aichelburg: Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este 1863-1914. Notizen zu einem ungewöhnlichen Tagebuch eines außergewöhnlichen Lebens. Verlag Berger Horn, Wien 2014. Drei Bände, insgesamt 3268 S., zusammen 150,- [Euro].
Alma Hannig: Franz Ferdinand. Die Biographie. Amalthea Signum Verlag, Wien 2013. 349 S., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Neues zu Franz Ferdinand
Der wichtigste Gedenkort für Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie ist die Gruft des Schlosses im niederösterreichischen Artstetten. Dort wurden die beiden Opfer des Attentats von Sarajevo Anfang Juli 1914 beigesetzt. Und dort gibt es seit drei Jahrzehnten ein spezielles Museum. Dessen Mitbegründer und früherer Leiter Wladimir Aichelburg nimmt den bevorstehenden hundertsten Todestag zum Anlass, "Notizen zu einem ungewöhnlichen Tagebuch eines außergewöhnlichen Lebens" zu publizieren. Die kolossale Sammlung mit Auszügen aus Dokumenten, Zeitungen, Memoiren und älterer Sekundärliteratur umfasst 3268 Seiten! Im Zentrum der Bände 1 und 2 steht das Leben von Franz Ferdinand, Band 3 behandelt das "Nachleben" seiner drei Kinder sowie seiner Schlösser Artstetten, Chlumetz und Konopischt.
Die editorische Sorgfalt lässt bisweilen zu wünschen übrig; manche Ereignisse kommentiert Aichelburg in Hofhistoriker-Manier. Dennoch entwickelt das Werk beim Durchstöbern seinen eigenen Charme und versetzt den Leser gekonnt zurück in die k.u.k. Zeit und den Thronfolgeralltag, auch mit Mosaiksteinchen: von Abschusslisten bei Jagden und Rezeptverschreibungen über Kommandostränge und Organisationsstrukturen bis zu Denkmalpflege, Gartenbau, Fahrzeugpark und Plazierung bei Festessen - ein Genuss für Geschichtsfeinschmecker mit Ausdauer.
Journalisten hielt Franz Ferdinand stets von Hoftafeln fern; bei der Auswahl von Lehrern kam es ihm darauf an, "immer auf Kaisertreue und Katholizismus" zu achten: "Nicht wer die beste Grammatik schreibt, ist geeignet, sondern nur wer gut gesinnt ist." Aufschlussreich sind Zitate aus diversen Korrespondenzen und Quellen zu den Begegnungen mit Kaiser Wilhelm II. Minutiös rekonstruiert werden die letzten Tage des Thronfolgers, das Attentat vom 28. Juni 1914 und sogar die unmittelbarsten Folgen: "Die städtische Leichenbestattung von Sarajevo organisiert die zweite, festliche Aufbahrung. Die prunkvollen Särge, die besten, die man in Sarajevo hat auftreiben können, haben verschiedene Größe, was später noch in Wien zu vielen Legenden führt. In Sarajevo wird der kleinere Sarg der Herzogin zusätzlich unterlegt, so dass beide auf gleicher Höhe stehen."
Max Hohenberg, der älteste Sohn des Thronfolgers, widmete sich 1927 in Artstetten dem "Aktenordnen im Archiv" - laut Aichelburg mangels anderer Beschäftigung. Dabei habe Max die "gewachsene Struktur" der einzelnen Bestände zerstört und "seiner Ansicht nach überflüssige, aber auch kompromittierende oder erotisch angehauchte private Briefe" Franz Ferdinands verbrannt. Nach dem "Anschluss" Österreichs gerieten Max und sein jüngerer Bruder Ernst in Konflikt mit den Nazis; der eine kam für einige Monate, der andere für mehrere Jahre als "Schutzhäftling" in deutsche Konzentrationslager.
Wer sich kürzer und prägnanter über Franz Ferdinand informieren will, dem ist eine neue Biographie von Alma Hannig sehr zu empfehlen. Sie geht nicht chronologisch vor, sondern themenbezogen: Repräsentation, Aufbau einer Nebenregierung, innenpolitische Reformpläne, Verhältnis zu Ungarn, zur Presse und zur katholischen Kirche, außenpolitische Ziele. Die Autorin hebt das "negative Balkanbild" des Thronfolgers hervor; er habe überhaupt einen "recht großen Spielraum" in der Außenpolitik besessen und diesen zu nutzen gewusst: "Ob dies letztlich zum Wohle der Monarchie geschah, bleibt offen."
Auch stellt Alma Hannig die beliebte These vom "Friedensfürsten" in Frage. Es gebe genug Hinweise, dass Franz Ferdinand "kein überzeugter Pazifist" gewesen sei: "Zudem galt er in einigen Kreisen im In- und Ausland als Kriegshetzer. Die Historiker scheinen dies jahrzehntelang ignoriert zu haben." Der Thronfolger sei von der Notwendigkeit einer "künftigen kriegerischen Abrechnung mit Italien und Serbien" überzeugt gewesen. Neben einzelnen Aussagen von Franz Ferdinand spreche "die Auswahl seiner engsten Umgebung nicht gerade für die Umsetzung der Friedensidee". Und was den zeremoniellen Rahmen der oft als "drittklassig" gescholtenen Wiener Trauerfeiern für Franz Ferdinand und dessen "morganatische Ehefrau" betraf, so hätten sich damals "in erster Linie die Zeitungen und das Großbürgertum" empört; die Adeligen nahmen es gelassen, empfanden das Trauerzeremoniell "würdevoll und gemessen" beziehungsweise "einfach und würdig". Zum Schluss widmet sich die Autorin dem Bild des Thronfolgers in der österreichischen Historiographie und Kunst, in Romanen und Filmen. Die Darstellungen seien im Laufe der Zeit vielfältiger und positiver geworden.
RAINER BLASIUS.
Wladimir Aichelburg: Erzherzog Franz Ferdinand von Österreich-Este 1863-1914. Notizen zu einem ungewöhnlichen Tagebuch eines außergewöhnlichen Lebens. Verlag Berger Horn, Wien 2014. Drei Bände, insgesamt 3268 S., zusammen 150,- [Euro].
Alma Hannig: Franz Ferdinand. Die Biographie. Amalthea Signum Verlag, Wien 2013. 349 S., 24,95 [Euro].
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