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Franz Fühmann, einem der bedeutendsten Schriftsteller Nachkriegsdeutschlands, der in Ost-Berlin lebte, wird 14 Jahre nach seinem Tod eine Biographie gewidmet. Fotos, teils aus Familienbesitz, Briefe von Freunden und Wegbegleitern, autobiographische Texte, Tagebuchnotizen, zeitgeschichtliche Dokumente zeichnen das Bild eines bewunderten, aber auch umstrittenen Menschen, der sich einem lebenslangen Prozeß der Selbstfindung aussetzte.

Produktbeschreibung
Franz Fühmann, einem der bedeutendsten Schriftsteller Nachkriegsdeutschlands, der in Ost-Berlin lebte, wird 14 Jahre nach seinem Tod eine Biographie gewidmet. Fotos, teils aus Familienbesitz, Briefe von Freunden und Wegbegleitern, autobiographische Texte, Tagebuchnotizen, zeitgeschichtliche Dokumente zeichnen das Bild eines bewunderten, aber auch umstrittenen Menschen, der sich einem lebenslangen Prozeß der Selbstfindung aussetzte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.1998

Rübezahl in der Mark Brandenburg
Wille zur Wandlung und Gespür für die Grube: Leben und Werk des Schriftstellers Franz Fühmann / Von Lothar Müller

Der Schriftsteller Franz Fühmann (1922 bis 1984), einer der großen Selbstquäler der DDR-Literatur, hat in den sechziger und siebziger Jahren mehrfach über sich selbst geschrieben, er sei "wie Tausende andre meiner Generation" nicht über die marxistische Theorie oder den proletarischen Klassenkampf, sondern "über Auschwitz zum Sozialismus gekommen". Erst der Nachsatz macht den Widerhaken in der scheinbar gradlinigen Formel sichtbar: "Alles Nachdenken über unsre Wandlung muß vor der Gaskammer anfangen, genau da."

Fühmann hatte sich im September 1938 als Sechzehnjähriger zur Reiter-SA gemeldet. Er schrieb über Auschwitz als jemand, der von der Vorstellung besessen war, er habe nicht als Opfer, wohl aber als Täter dorthin gelangen können. In seinem ungarischen Reisejournal "Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens" (1973) erinnert er sich daran, daß ihn zwar die Jungenfreundschaft mit einem gewissen K. zur SA führte, daß er aber ebensogut mit einem anderen Freund, W., zur Schwarzen SS hätte gehen können: "Und W. ist nach Auschwitz gekommen."

Fühmann hat in Interviews behauptet, sein Vater, der Apotheker Josef Rudolf Fühmann, sei Begründer der NSDAP-Ortsgruppe in seinem sudetendeutschen Heimatdorf gewesen. Hans Richter hat in seiner im Jahre 1992 erschienenen Fühmann-Biographie nachgewiesen, daß dies eine falsche Behauptung war. Sie diente der Stilisierung und Dämonisierung des Vaters, in dem der Sohn die "rüde nationalistisch-faschistische Lebenssphäre" seiner Herkunft zugleich zu verkörpern und zu bannen suchte. Ein ähnliches Motiv ist in Fühmanns Versuch spürbar, sich selbst als Wachmann in Auschwitz vorzustellen. Auch im eigenen Leben mußte die Herkunftswelt erst das größtmögliche Böse aus sich entlassen, um dann um so nachhaltiger geläutert werden zu können: "Wandlung" ist das Schlüsselwort in Fühmanns zahlreichen Selbstdeutungen. Es war schon den Expressionisten nach dem Ersten Weltkrieg teuer als mit religiösem Pathos aufgeladene Chiffre für das Heraustreten des neuen aus dem korrumpierten alten Menschen. Stets aber spukten bei Fühmann im Bewußtsein des Verwandelten die Dämonen jener Verpuppungen des Ich, die er hinter sich gelassen hatte.

Nach der Auswahl "Briefe 1950 bis 1984" (1994) und dem Briefwechsel mit Christa Wolf zwischen 1968 und 1984 ist nun ein umfangreicher Band zu Leben und Werk Franz Fühmanns erschienen. Sein wichtigstes Charakteristikum sind die drei Punkte zwischen eckigen Klammern, die auf Auslassungen in den zitierten Texten hinweisen. Die Herausgeberin Barbara Heinze legt keine Biographie vor, die erzählend einem Leben zwischen Nationalsozialismus, Stalinismus und Zerfall des Sozialismus nachspürt, sondern bescheidet sich mit einer großzügig bebilderten Textcollage. Darin greift sie vielfach auf bereits publiziertes Material aus Interviews, Briefen und Aufsätzen zurück und bindet zu jeder Lebensstation einen Kranz aus herbeizitierten Passagen des literarischen Werks. Aufschlußreich ist das Buch durch die Vollständigkeit, mit der es auch und gerade die gescheiterten Projekte Fühmanns dokumentiert, und vor allem durch die Archivmaterialien, die es beibringt: Lektoratsgutachten, Akademiekorrespondenzen, Auszüge aus den Akten des Ministeriums für Staatssicherheit. Aus ihnen entsteht ein beklemmendes Bild der wahrhaft heillosen Verstrickung Fühmanns, an dessen Treue zum Sozialismus Heiner Müller gelegentlich den "Eifer des Konvertiten" bespöttelte, in die DDR und ihre Kulturpolitik, bis hin zur endgültigen Desillusionierung nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns im Jahre 1976 und dem Weggang der Lyrikerin Sarah Kirsch.

Ein streng vertrauliches Gutachten aus dem Archiv der Nationaldemokratischen Partei (NDPD), der Fühmann bis zum Jahre 1973 angehörte, lobt die Werftreportage "Kabelkran und Blauer Peter" (1961) und die autobiographische Prosa "Das Judenauto" (1962), kommt aber in der Frage, ob der Autor mit dem Nationalpreis der DDR für das Jahr 1969 ausgezeichnet werden könne, zu einer negativen Stellungnahme. Nicht ohne Gespür für Ausweichbewegungen wird Fühmanns Konzentration auf Übersetzungen, Kinderbücher und Paraphrasen aus Shakespeare und der Märchenwelt als Symptom einer "inneren Emigration" gedeutet. Durch eine als Bestätigung seiner Haltung mißverstehbare Preisverleihung an den Autor werde die Festigung seines politisch-ideologischen Standpunktes "zumindest außerordentlich erschwert".

Hintergrund dieser Stellungnahme war Fühmanns Verstörung durch den Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die Tschechoslowakei. Eine Archivnotiz hält fest, daß seine Tochter im Oktober 1968 wegen ihrer "politischen Haltung" kurz vor der Relegation von der Schule stand, Fühmann selbst kurierte im November in der Rostocker Universitätsklinik eine Nervenkrise aus. Nicht nur die Verbindungen nach Prag, die er als Übersetzer tschechischer Lyrik hatte, machten das Jahr 1968 zu einer Zäsur in Fühmanns Springprozession zur politischen Desillusionierung. Hinzu kam die heimliche, nie ganz aufgegebene Bindung an die verleugnete Heimat, an Böhmen. Einmal, im Juli 1970, schreibt er an seinen Lektor: "Ich bin kein leichter Luftikus, der springen kann, ich stapfe. Angehörige knödelessender Nationen stapfen."

In Sätzen wie diesen oder der Interviewäußerung, er stamme aus dem Riesengebirge, "wo die Märchen einfach zu Hause sind", wagt sich Fühmanns Rückbindung an die Kindheitswelt eher schüchtern an die Oberfläche. Offiziell herrscht dort der Abscheu vor dem "sudetendeutschen Faschismus" der Zwischenkriegszeit und dem "Revanchismus" der Landsmannschaften nach dem Krieg. Darunter aber spukt, wie zahlreiche private Dokumente in diesem Band zeigen, die nicht stillzustellende Erinnerung. Bis zum Tod steht der Band mit den Sagen um Rübezahl, den Herrn des Riesengebirges, in der Bibliothek. Unmißverständlich hält das aus dem Nachlaß abgedruckte Exposé zum "Libussa-Projekt" aus dem Jahre 1969 nicht nur die Absicht fest, den "matriarchalischen Kern" dieser böhmischen Stammessage herauszuschälen, sondern zugleich "die Schönheit der böhmischen Landschaft ebenso wie die altslawische Götter- und Geisterwelt, von der die deutschen Leser ja so gut wie gar nichts wissen, ein wenig lebendig werden zu lassen".

Von November 1966 bis Juni 1968 unternahm Fühmann den Versuch, "auf den Spuren Theodor Fontanes" dem Kernland Preußens, der Mark Brandenburg, selbst literarisch etwas abzugewinnen. Er ließ sich dabei von der "Theorie des Heimatfindens" leiten, von der Idee also, es ließe sich vorsätzlich eine Heimat dort lokalisieren, wo sie nie war. Der Schlüsselsatz in dem nachgelassenen "Neuruppiner Tagebuch", in dem das gründliche Scheitern dieses Projektes festgehalten ist, lautet: "Ich weiß jetzt mehr denn je, daß meine Heimat Böhmen ist."

Damit ist nicht nur die Unmöglichkeit festgehalten, trotz der Datsche in Märkisch Buchholz in der Mark im vollen Wortsinn zu Hause zu sein, es ist zugleich eine Leerstelle im literarischen Werk markiert, der sich Fühmann mit zunehmendem Alter immer bewußter wurde. Er hat es über dem untauglichen Fontane-Experiment versäumt, sein inneres Böhmen in ähnlicher Weise zu einer poetischen Landschaft zu machen, wie es Peter Huchel in seiner Lyrik mit der Mark und Johannes Bobrowski mit seiner litauischen Heimat gelang. Die nicht vollzogene Rettung der Heimat in die Poesie war eines der Opfer, das Fühmann dem sächsisch-preußischen Sozialismus brachte.

Die Verleugnung der Heimat hat mit dem Pathos der "Wandlung" zu tun, mit dem Fühmann die Selbstdeutung der Brüche in seinem Leben umgab. Stets schien es ihm so, als bleibe nichts übrig von dem, was jeweils vorher war. So schreibt er über seine Zeit als Zögling im Jesuitenkonvikt Kalksburg von 1932 bis 1936: "Was mit mir in Kalksburg geschah, war doch auch eine Wandlung gewesen und was für eine: Als naiv-frommes, tiefreligiöses, gottesfürchtiges Kind bin ich da hineingegangen, und als überzeugter Atheist bin ich nach vier Jahren von dort weggelaufen: blackbox, input und output."

Die in diesem Buch versammelten, von der Stasi überlieferten Berichte über die Umerziehung des Kriegsgefangenen Franz Fühmann in der Sowjetunion in den Jahren 1945/46 lassen erkennen, daß hier einer zum Antifaschismus und Sozialismus fand, in dem ein unbändiger Wille zur Wandlung den neuen Lehren zuarbeitete. Dem untergründigen Weiterspuken der im Wandlungsfanatismus nie ganz abgetanen Dämonen des vergangenen Ich dürfte Fühmann es zu verdanken gehabt haben, daß ihm die Eingliederung in den DDR-Sozialismus trotz zeitweiliger Annäherung an den kulturpolitischen Stalinismus der fünfziger Jahre nie vollständig gelang. So stur er daran festhielt, in der DDR seine neue Heimat gefunden zu haben, die er nicht mehr zu verlassen gedachte, so stur blieb er denjenigen Traditionen treu, die zum "sozialistischen Realismus" in Spannung standen: den Märchen, den Mythen und dem literarischen Erbe der deutschen Romantik von Jean Paul über E.T.A. Hoffmann bis zu Ludwig Tieck, den dunklen Gedichten Georg Trakls. Von dieser Treue zeugen die vielen hier versammelten Vortragsexzerpte und Deutungen romantischer Texte, in denen er daran arbeitete, den nachwachsenden Generationen der DDR den Zugang zu dieser Tradition offenzuhalten.

In seinem Testament hat Franz Fühmann von seinem bitteren Schmerz gesprochen, "gescheitert zu sein: In der Literatur und in der Hoffnung auf eine Gesellschaft, wie wir sie alle einmal erträumten." Was die Literatur betraf, so ging die Erfahrung des Scheiterns vor allem aus dem großen Projekt hervor, das Fühmann in den letzten zehn Jahren seines Lebens begleitete, ohne je eine Form anzunehmen, die auf die Möglichkeit eines Abschlusses hätte hoffen lassen.

Unter dem Titel "Im Berg" sind die Fragmente dieses Projektes im Jahre 1991 veröffentlicht worden. Es knüpfte an die romantische Durchdringung von Geologie und Poesie sowie an die Überlagerung der Figuren des Dichters und des Bergmanns bei Novalis an und sollte das Schreiben und das Schürfen nach einer in der Tiefe liegenden Wahrheit verbinden. Fühmann hatte enge Kontakte zur Brigade "Thomas Müntzer" im Bergbaugebiet Sangerhausen angeknüpft und war mehrfach in den dortigen Schacht eingefahren. Er war damit zum einen den "Bitterfelder Weg" zu Ende gegangen, bis hinab in die leibhaftige Unterwelt der DDR. Und er suchte zugleich nach einem Ort, an dem sich die bestimmenden Motive des eigenen Lebens noch einmal aufrufen und zum gesellschaftlichen Ganzen in Beziehung setzen ließen: die Welt Rübezahls und der Märchen, die Doppelgänger und das Unheimliche, die Beamten E.T.A. Hoffmans und die leibhaftigen Parteisekretäre, die Arbeiter und die Riesen, der Alltag und das platonische Höhlengleichnis.

Es blieb von dem Projekt, aus dem nicht weniger hätte werden sollen als ein Werk von den Dimensionen des "Ulysses", nur ein Konglomerat von Entwürfen. Neben Fühmanns Scheitern dokumentiert nun dieser Band das Mißtrauen, mit dem das Ministerium für Staatssicherheit die Kontakte des Schriftstellers zur Bergbaubrigade überwachte.

Barbara Heinze: "Franz Fühmann. Eine Biographie in Bildern, Dokumenten und Briefen". Mit einem Geleitwort von Sigrid Damm. Hinstorff Verlag, Rostock 1998. 400 S., Abb., geb., 68,- DM.

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