Franz Josef Strauß ist eine der faszinierendsten und zugleich umstrittensten Gestalten der deutschen Nachkriegspolitik. Im Mittelpunkt der Biografie steht die Frage, aus welchen Gründen Strauß trotz seiner überragenden Fähigkeiten niemals Bundeskanzler geworden ist. Daneben widmet sich die Biografie sämtlichen wichtigen Ereignissen aus dem Leben von FJS, z. B. der »Spiegel-Affäre«, der (absichtlich) missverstandenen »Sonthofen-Rede«, Strauß‘ Rolle im »Deutschen Herbst« und dem geheimnisvollen »Milliardenkredit«. Der Leser wird im Verlauf dieses Buches einen anderen, einen neuen Franz Josef Strauß entdecken, wie man ihn bislang nicht kannte - und der Wahrheit über dieses umstrittene Politikerphänomen näher kommen als jemals zuvor.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2005Kalter Krieger, heißer Kämpfer
So, wie Franz Josef Strauß war und auftrat, hätte er im heutigen Deutschland wohl kaum eine Chance
Stefan Finger: Franz Josef Strauß. Ein politisches Leben. Olzog Verlag, München 2005. 555 Seiten, 34,- [Euro].
Franz Josef Strauß war eine der ungewöhnlichsten politischen Gestalten der alten Bundesrepublik - wenn nicht sogar die ungewöhnlichste. Kein Wunder, daß sich Journalisten und Zeitgeschichtler schon zu seinen Lebzeiten und erst recht nach seinem Tod am 3. Oktober 1988 immer wieder mit ihm befaßt haben. Jetzt legt Stefan Finger eine Biographie vor, die jedenfalls an Umfang die bisherigen Publikationen deutlich übertrifft. Breit angelegt, stützt sie sich auf eine Vielzahl von mehr oder weniger umfangreich übernommenen Zitaten aus bereits erschienenen Veröffentlichungen. Vor allem kommt Strauß selbst mit seinen postum erschienenen "Erinnerungen" ausgiebig zu Wort. Ebenso finden sich lange Passagen aus insgesamt 22 Interviews, die der Verfasser überwiegend mit engen Mitarbeitern und Vertrauten seines Helden geführt hat - auffallenderweise übrigens nicht mit Edmund Stoiber.
Herausgekommen ist ein merkwürdiges Buch. Merkwürdig, weil es sich einerseits unter meist etwas oberflächlicher Zurückweisung entgegenstehender Positionen der damaligen politischen Gegner und insbesondere der Sozialdemokratie durchgängig um die Verteidigung und Rechtfertigung fast aller politischen Aktivitäten und Stellungnahmen von Strauß bemüht, andererseits aber seiner Persönlichkeit mit kritischer Offenheit begegnet. Beides ist eingebettet in eine Schilderung seines Lebensweges und politischen Engagements, die mitunter wegen der ständigen Vermischung von Äußerungen Dritter mit Stellungnahmen des Verfassers nicht leicht zu lesen ist.
Zwei Einschätzungen ziehen sich wie rote Fäden durch das ganze Buch. Einmal, daß Strauß während der ganzen Zeit seines politischen Wirkens von dem Ehrgeiz beseelt gewesen sei, Bundeskanzler zu werden, und das schon Ende der fünfziger Jahre. Deshalb habe er bereits 1961 zusammen mit der FDP eine weitere Amtszeit von Bundeskanzler Konrad Adenauer verhindern wollen; wörtlich ist in diesem Zusammenhang von dem "fast gemeuchelten Adenauer" die Rede. Aus dem gleichen Grunde habe er ab Herbst 1963 Ludwig Erhard als Kanzler unentwegt mit Spott und Häme überzogen und zu einem frühen Zeitpunkt dessen Sturz geplant. Helmut Kohls Kandidatur habe er 1976 mit dem Ziel bekämpft, selbst an dessen Stelle nominiert zu werden. Das Scheitern seiner eigenen Kandidatur im Jahre 1980, für das er unter anderem die ungenügende Unterstützung durch die CDU verantwortlich machte, sei deshalb die eigentliche Tragik seines Lebens gewesen. Auch nach 1982 habe er sich immer wieder überlegt, ob er Kohl "stützen oder stürzen" solle. Dieser sei ihm aber durchaus gewachsen gewesen und habe ihn mehr als einmal ins Leere laufen lassen.
Das ist ein starker, wenn auch nicht ganz frischer Tobak. Finger erklärt seine Einschätzung im Grunde nur damit, daß Strauß eben ehrgeizig gewesen sei und sich stets für den Fähigeren gehalten habe. Gerade auch als politischer Gegner von Strauß hätte ich mir dazu eine ergänzende Erwägung des Inhalts gewünscht, daß er doch wohl nicht einfach um der Macht willen herrschen, sondern in dem angestrebten Amt dem Gemeinwesen besser dienen wollte, als es der jeweilige Amtsinhaber konnte. Daß es ihm also um das Gemeinwohl ging, wie er es sah. Jedenfalls schließe ich das nicht aus. Die Mittel, die er zu diesem Zweck anwandte, würden damit indes nicht automatisch gerechtfertigt.
Zum anderen charakterisiert Finger den jahrzehntelangen Konflikt mit Rudolf Augstein und dem "Spiegel" sowie mit einer Reihe anderer gewichtiger Medien als den Faktor, der das Bild von Strauß in der Öffentlichkeit geprägt und ihm letzten Endes den Weg ins Kanzleramt versperrt habe. Dem wird man kaum widersprechen können. Allerdings - und das konstatiert Finger zu Recht - hat Strauß zur Perpetuierung und Belebung dieses Konflikts wesentlich beigetragen. Und wer die anschauliche Schilderung des "Herrenabends" liest, den Strauß im März 1957 als Gast im Hause Augsteins zugebracht hat, wird den Ursprung dieses Konflikts und die starke emotionale Abneigung besser verstehen, die Augstein seitdem Strauß entgegenbrachte. In mancher Hinsicht hat dieser Konflikt Strauß sogar genützt. In Bayern jedenfalls, weil es ihm ohne große Mühe gelang, die ständigen und schließlich ermüdenden Angriffe als das typische Verhalten eines Preußen gegenüber einem Bayern darzustellen. Übrigens - nur wenigen ist das bewußt - haben Strauß und Augstein das Kriegsbeil in den achtziger Jahren begraben; manche meinen sogar, sie hätten sich ausgesöhnt.
Die unbestreitbaren Leistungen von Strauß werden zutreffend aufgeführt und gewürdigt: in den fünfziger Jahren die Modernisierung der CSU, die erst unter seiner Mitwirkung zu einer konfessionsübergreifenden und straff organisierten Volkspartei wurde. Dann die von ihm unterstützte Westintegration der Bundesrepublik, der Aufbau der Bundeswehr, die Reform der finanziellen Strukturen und die Konsolidierung während der Amtszeit als Bundesfinanzminister in der Großen Koalition 1966 bis 1969. Und die von ihm geförderte Entwicklung Bayerns vom Agrar- zum modernen Industrie- und High-Tech-Staat, wobei allerdings anzumerken ist, daß diese Entwicklung schon unter Hans Ehard, Wilhelm Hoegner und Alfons Goppel in Gang kam und erhebliche Fortschritte machte. Auch wird seine euphorische Befürwortung der Kernenergie, die anfänglich breite Zustimmung fand, heute viel skeptischer beurteilt, und das nicht erst seit dem spektakulären Scheitern seiner Pläne für eine Wiederaufbereitungsanlage in Schwandorf. Verdient gemacht hat sich Strauß um den Aufbau der deutschen und der europäischen Luftfahrtindustrie. Das gilt besonders für das "Airbus"-Projekt.
Ausführlich erörtert werden die zahlreichen Skandale, die sich in der einen oder anderen Weise mit seinem Namen verbunden haben. Vom Kauf des Hispano-Suiza-Schützenpanzers HS-30 über die Starfighter-Beschaffung und das Fibag-Empfehlungsschreiben bis hin zur "Spiegel"-Affaire bleibt nichts unbehandelt. Die Darstellungen enden in der Regel mit der Feststellung, aus heutiger Sicht sei Strauß eigentlich nichts vorzuwerfen. Schuld sei im Grunde stets die Art und Weise gewesen, in der die Presse und vor allem der "Spiegel" die Dinge dargestellt und aufgebauscht hätten.
Das erscheint reichlich summarisch. Jedenfalls kann auch Finger nicht bestreiten, daß Strauß in der "Spiegel"-Affaire im Bundestag über seine Intervention mit dem Ziel der Verhaftung von Conrad Ahlers in Spanien die Unwahrheit gesagt hat und schon deshalb Ende 1962 vom Amt des Bundesverteidigungsministers zurücktreten mußte. Erstaunlich ist die Feststellung Fingers, es sei keineswegs unwahrscheinlich, daß Adenauer damals Strauß in eine sorgfältig aufgestellte Falle habe laufen lassen. Nicht minder erstaunlich ist die nicht näher belegte Behauptung, Adenauer habe Bundespräsident Heinrich Lübke im Jahre 1962 schon vorher zweimal ersucht, Strauß als Minister zu entlassen. Lübke habe aber Adenauer davon überzeugt, daß die für die Entlassung vorgebrachten Gründe - einmal sein angeblicher Plan, Notstandsregelungen durchzusetzen, die dem Militär eine entscheidende Rolle zugewiesen hätten, und zum anderen dessen angebliche Absicht, einen atomaren Angriffskrieg vorzubereiten - nicht ausreichend zu beweisen seien. Vermissen wird hingegen mancher einen Hinweis, daß die lebhaften Proteste gegen die mit dem Einschreiten gegen den "Spiegel" verbundenen Eingriffe in die Pressefreiheit unsere Demokratie auf Dauer gestärkt haben. Um den Versuch nachträglicher Rechtfertigung geht es ebenfalls bei anderen Straußschen Aktivitäten. Bei seinem - aus heutiger Sicht ganz unverständlichen - Nein zum Atomwaffensperrvertrag etwa, den Strauß seinerzeit als ein "Versailles mit kosmischen Ausmaßen" bezeichnet hat. Oder bei dem Nein zur Brandtschen Ostpolitik, deren Ziele Strauß nach Fingers Meinung schon lange vor Brandt öffentlich vertreten habe. Die Kritik von Strauß habe sich angeblich nur gegen das Wie dieser Politik gerichtet - eine Auffassung, die man als Zeitzeuge kaum nachvollziehen kann. Das Nein zum Helsinki-Prozeß wird zwar von Finger als Irrtum bewertet, jedoch damit entschuldigt, daß Strauß damit nicht allein gestanden habe. In Wahrheit war es wohl der fundamentalste Irrtum des CSU-Vorsitzenden. Denn die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die ohne Brandts Ostpolitik so nicht zustande gekommen wäre, war der Anfang vom Ende des sowjetischen Imperiums. Vielleicht liegt in der Erkenntnis dieser gravierenden Fehleinschätzung ein Grund für die späteren überraschenden Wendungen auf dem Feld der Ostpolitik. Denn der Milliardenkredit an die DDR, der nahezu freundschaftliche Umgang mit dem obersten Devisenbeschaffer der DDR, Alexander Schalck-Golodkowski, und die Tatsache, daß Erich Honecker 1987 in München anders als in Bonn mit allen Ehren eines Staatsoberhaupts empfangen wurde, sind allein mit den von Finger angeführten Argumenten nicht zu erklären.
Schwer tut sich Finger auch mit der Sonthofener Rede vom November 1974 und dem Kreuther Trennungsbeschluß vom November 1976. Die Rede, die in vollem Umfang wiedergegeben wird, kann der Biograph nicht in einen konstruktiven Beitrag zur Überwindung der Herausforderungen umdeuten, vor denen die Bundesrepublik damals stand. Ihre Kernbotschaft war eben, daß alles noch schlechter werden müsse, damit die Chancen der Union steigen, und daß die Union nicht genug an allgemeiner Konfrontation schaffen könne. Der Kreuther Beschluß, der nur wenige Tage hielt, hat dann ungeachtet aller Detailbetrachtungen die Grenzen sichtbar werden lassen, an die Strauß erstmals auch in der eigenen Partei stieß.
Unbefangener charakterisiert Finger die Persönlichkeit von Franz Josef Strauß. Wohl hebt er unter Rückgriff auf entsprechende Äußerungen von Zeitgenossen an vielen Stellen dessen positive Eigenschaften hervor. Seine umfassende Allgemeinbildung und seine hohe Intelligenz zum Beispiel und seine Fähigkeit, sich rasch in ihm fremde Fach- und Wissensgebiete einzuarbeiten. Weiter seine unerschöpfliche Arbeitskraft, seine Beredsamkeit, sein Verhandlungsgeschick, seine Anpassungsfähigkeit, seinen Mut und seine politische Leidenschaft. Daneben sei er empfindsam und mitfühlend gewesen. Wichtige Entscheidungen habe er sorgfältig abgewogen und es sich manchmal noch in letzter Minute anders überlegt.
Dem stehen viele negative Wertungen gegenüber, die zum Teil in ihrer Schärfe überraschen. Beispielsweise werden unter seinen charakterlichen Schwächen neben einem stürmischen Ehrgeiz eine notorische Unpünktlichkeit, ein übermäßiger Alkoholgenuß und eine Neigung zu Überreaktionen aus nichtigem Anlaß genannt. Außerdem habe er sich nicht selten mit fragwürdigen Gestalten umgeben. Ein entscheidender Zug seines Wesens sei die mangelnde Selbstbeherrschung gewesen, die sich insbesondere in der maßlosen Aggressivität vieler seiner Reden geäußert habe. An schlimmen Beispielen ist kein Mangel.
Natürlich liegt die Frage nahe, ob darin typische Elemente des bayerischen Naturells enthalten sind. Finger geht ihr nicht weiter nach. Er schließt ein Ja offenbar aus der Tatsache, daß Strauß bei Landtagswahlen stets Ergebnisse über oder in der Nähe der absoluten Mehrheit erzielt hat. Wahrscheinlich waren es mehr das Erscheinungsbild und die Sprache und auch eine gewisse Genugtuung darüber, daß ein Bayer in der Bundesrepublik über Jahrzehnte hin in der vordersten Reihe präsent war. Schließlich hat Strauß für Bayern ja auch einiges zuwege gebracht. Und er hat eingelenkt, wenn ihm die Volksmeinung das notwendig erscheinen ließ. Etwa bei den Volksbegehren zum Übergang von der Bekenntnis- zur Gemeinschaftsschule und zur Erhaltung der Rundfunkfreiheit. Darüber hätte man gerne etwas mehr erfahren.
Was bleibt? Eine detaillierte Arbeit, die einerseits informiert, andererseits zur Kritik und zum Einspruch herausfordert. Die nicht allzuviel Neues bietet, aber Franz Josef Strauß, bald zwei Jahrzehnte nach seinem Tod, wieder ins Bewußtsein ruft. Die deutlich macht, daß er so, wie er war und auftrat, heute in der Bundesrepublik kaum eine Chance hätte. Die auch den inneren Widerspruch eines Mannes erkennen läßt, der mehr an sich selbst als an seinen Gegnern gescheitert ist. Und der dennoch seinen Platz in der Geschichte unseres Landes gefunden hat.
HANS-JOCHEN VOGEL
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
So, wie Franz Josef Strauß war und auftrat, hätte er im heutigen Deutschland wohl kaum eine Chance
Stefan Finger: Franz Josef Strauß. Ein politisches Leben. Olzog Verlag, München 2005. 555 Seiten, 34,- [Euro].
Franz Josef Strauß war eine der ungewöhnlichsten politischen Gestalten der alten Bundesrepublik - wenn nicht sogar die ungewöhnlichste. Kein Wunder, daß sich Journalisten und Zeitgeschichtler schon zu seinen Lebzeiten und erst recht nach seinem Tod am 3. Oktober 1988 immer wieder mit ihm befaßt haben. Jetzt legt Stefan Finger eine Biographie vor, die jedenfalls an Umfang die bisherigen Publikationen deutlich übertrifft. Breit angelegt, stützt sie sich auf eine Vielzahl von mehr oder weniger umfangreich übernommenen Zitaten aus bereits erschienenen Veröffentlichungen. Vor allem kommt Strauß selbst mit seinen postum erschienenen "Erinnerungen" ausgiebig zu Wort. Ebenso finden sich lange Passagen aus insgesamt 22 Interviews, die der Verfasser überwiegend mit engen Mitarbeitern und Vertrauten seines Helden geführt hat - auffallenderweise übrigens nicht mit Edmund Stoiber.
Herausgekommen ist ein merkwürdiges Buch. Merkwürdig, weil es sich einerseits unter meist etwas oberflächlicher Zurückweisung entgegenstehender Positionen der damaligen politischen Gegner und insbesondere der Sozialdemokratie durchgängig um die Verteidigung und Rechtfertigung fast aller politischen Aktivitäten und Stellungnahmen von Strauß bemüht, andererseits aber seiner Persönlichkeit mit kritischer Offenheit begegnet. Beides ist eingebettet in eine Schilderung seines Lebensweges und politischen Engagements, die mitunter wegen der ständigen Vermischung von Äußerungen Dritter mit Stellungnahmen des Verfassers nicht leicht zu lesen ist.
Zwei Einschätzungen ziehen sich wie rote Fäden durch das ganze Buch. Einmal, daß Strauß während der ganzen Zeit seines politischen Wirkens von dem Ehrgeiz beseelt gewesen sei, Bundeskanzler zu werden, und das schon Ende der fünfziger Jahre. Deshalb habe er bereits 1961 zusammen mit der FDP eine weitere Amtszeit von Bundeskanzler Konrad Adenauer verhindern wollen; wörtlich ist in diesem Zusammenhang von dem "fast gemeuchelten Adenauer" die Rede. Aus dem gleichen Grunde habe er ab Herbst 1963 Ludwig Erhard als Kanzler unentwegt mit Spott und Häme überzogen und zu einem frühen Zeitpunkt dessen Sturz geplant. Helmut Kohls Kandidatur habe er 1976 mit dem Ziel bekämpft, selbst an dessen Stelle nominiert zu werden. Das Scheitern seiner eigenen Kandidatur im Jahre 1980, für das er unter anderem die ungenügende Unterstützung durch die CDU verantwortlich machte, sei deshalb die eigentliche Tragik seines Lebens gewesen. Auch nach 1982 habe er sich immer wieder überlegt, ob er Kohl "stützen oder stürzen" solle. Dieser sei ihm aber durchaus gewachsen gewesen und habe ihn mehr als einmal ins Leere laufen lassen.
Das ist ein starker, wenn auch nicht ganz frischer Tobak. Finger erklärt seine Einschätzung im Grunde nur damit, daß Strauß eben ehrgeizig gewesen sei und sich stets für den Fähigeren gehalten habe. Gerade auch als politischer Gegner von Strauß hätte ich mir dazu eine ergänzende Erwägung des Inhalts gewünscht, daß er doch wohl nicht einfach um der Macht willen herrschen, sondern in dem angestrebten Amt dem Gemeinwesen besser dienen wollte, als es der jeweilige Amtsinhaber konnte. Daß es ihm also um das Gemeinwohl ging, wie er es sah. Jedenfalls schließe ich das nicht aus. Die Mittel, die er zu diesem Zweck anwandte, würden damit indes nicht automatisch gerechtfertigt.
Zum anderen charakterisiert Finger den jahrzehntelangen Konflikt mit Rudolf Augstein und dem "Spiegel" sowie mit einer Reihe anderer gewichtiger Medien als den Faktor, der das Bild von Strauß in der Öffentlichkeit geprägt und ihm letzten Endes den Weg ins Kanzleramt versperrt habe. Dem wird man kaum widersprechen können. Allerdings - und das konstatiert Finger zu Recht - hat Strauß zur Perpetuierung und Belebung dieses Konflikts wesentlich beigetragen. Und wer die anschauliche Schilderung des "Herrenabends" liest, den Strauß im März 1957 als Gast im Hause Augsteins zugebracht hat, wird den Ursprung dieses Konflikts und die starke emotionale Abneigung besser verstehen, die Augstein seitdem Strauß entgegenbrachte. In mancher Hinsicht hat dieser Konflikt Strauß sogar genützt. In Bayern jedenfalls, weil es ihm ohne große Mühe gelang, die ständigen und schließlich ermüdenden Angriffe als das typische Verhalten eines Preußen gegenüber einem Bayern darzustellen. Übrigens - nur wenigen ist das bewußt - haben Strauß und Augstein das Kriegsbeil in den achtziger Jahren begraben; manche meinen sogar, sie hätten sich ausgesöhnt.
Die unbestreitbaren Leistungen von Strauß werden zutreffend aufgeführt und gewürdigt: in den fünfziger Jahren die Modernisierung der CSU, die erst unter seiner Mitwirkung zu einer konfessionsübergreifenden und straff organisierten Volkspartei wurde. Dann die von ihm unterstützte Westintegration der Bundesrepublik, der Aufbau der Bundeswehr, die Reform der finanziellen Strukturen und die Konsolidierung während der Amtszeit als Bundesfinanzminister in der Großen Koalition 1966 bis 1969. Und die von ihm geförderte Entwicklung Bayerns vom Agrar- zum modernen Industrie- und High-Tech-Staat, wobei allerdings anzumerken ist, daß diese Entwicklung schon unter Hans Ehard, Wilhelm Hoegner und Alfons Goppel in Gang kam und erhebliche Fortschritte machte. Auch wird seine euphorische Befürwortung der Kernenergie, die anfänglich breite Zustimmung fand, heute viel skeptischer beurteilt, und das nicht erst seit dem spektakulären Scheitern seiner Pläne für eine Wiederaufbereitungsanlage in Schwandorf. Verdient gemacht hat sich Strauß um den Aufbau der deutschen und der europäischen Luftfahrtindustrie. Das gilt besonders für das "Airbus"-Projekt.
Ausführlich erörtert werden die zahlreichen Skandale, die sich in der einen oder anderen Weise mit seinem Namen verbunden haben. Vom Kauf des Hispano-Suiza-Schützenpanzers HS-30 über die Starfighter-Beschaffung und das Fibag-Empfehlungsschreiben bis hin zur "Spiegel"-Affaire bleibt nichts unbehandelt. Die Darstellungen enden in der Regel mit der Feststellung, aus heutiger Sicht sei Strauß eigentlich nichts vorzuwerfen. Schuld sei im Grunde stets die Art und Weise gewesen, in der die Presse und vor allem der "Spiegel" die Dinge dargestellt und aufgebauscht hätten.
Das erscheint reichlich summarisch. Jedenfalls kann auch Finger nicht bestreiten, daß Strauß in der "Spiegel"-Affaire im Bundestag über seine Intervention mit dem Ziel der Verhaftung von Conrad Ahlers in Spanien die Unwahrheit gesagt hat und schon deshalb Ende 1962 vom Amt des Bundesverteidigungsministers zurücktreten mußte. Erstaunlich ist die Feststellung Fingers, es sei keineswegs unwahrscheinlich, daß Adenauer damals Strauß in eine sorgfältig aufgestellte Falle habe laufen lassen. Nicht minder erstaunlich ist die nicht näher belegte Behauptung, Adenauer habe Bundespräsident Heinrich Lübke im Jahre 1962 schon vorher zweimal ersucht, Strauß als Minister zu entlassen. Lübke habe aber Adenauer davon überzeugt, daß die für die Entlassung vorgebrachten Gründe - einmal sein angeblicher Plan, Notstandsregelungen durchzusetzen, die dem Militär eine entscheidende Rolle zugewiesen hätten, und zum anderen dessen angebliche Absicht, einen atomaren Angriffskrieg vorzubereiten - nicht ausreichend zu beweisen seien. Vermissen wird hingegen mancher einen Hinweis, daß die lebhaften Proteste gegen die mit dem Einschreiten gegen den "Spiegel" verbundenen Eingriffe in die Pressefreiheit unsere Demokratie auf Dauer gestärkt haben. Um den Versuch nachträglicher Rechtfertigung geht es ebenfalls bei anderen Straußschen Aktivitäten. Bei seinem - aus heutiger Sicht ganz unverständlichen - Nein zum Atomwaffensperrvertrag etwa, den Strauß seinerzeit als ein "Versailles mit kosmischen Ausmaßen" bezeichnet hat. Oder bei dem Nein zur Brandtschen Ostpolitik, deren Ziele Strauß nach Fingers Meinung schon lange vor Brandt öffentlich vertreten habe. Die Kritik von Strauß habe sich angeblich nur gegen das Wie dieser Politik gerichtet - eine Auffassung, die man als Zeitzeuge kaum nachvollziehen kann. Das Nein zum Helsinki-Prozeß wird zwar von Finger als Irrtum bewertet, jedoch damit entschuldigt, daß Strauß damit nicht allein gestanden habe. In Wahrheit war es wohl der fundamentalste Irrtum des CSU-Vorsitzenden. Denn die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE), die ohne Brandts Ostpolitik so nicht zustande gekommen wäre, war der Anfang vom Ende des sowjetischen Imperiums. Vielleicht liegt in der Erkenntnis dieser gravierenden Fehleinschätzung ein Grund für die späteren überraschenden Wendungen auf dem Feld der Ostpolitik. Denn der Milliardenkredit an die DDR, der nahezu freundschaftliche Umgang mit dem obersten Devisenbeschaffer der DDR, Alexander Schalck-Golodkowski, und die Tatsache, daß Erich Honecker 1987 in München anders als in Bonn mit allen Ehren eines Staatsoberhaupts empfangen wurde, sind allein mit den von Finger angeführten Argumenten nicht zu erklären.
Schwer tut sich Finger auch mit der Sonthofener Rede vom November 1974 und dem Kreuther Trennungsbeschluß vom November 1976. Die Rede, die in vollem Umfang wiedergegeben wird, kann der Biograph nicht in einen konstruktiven Beitrag zur Überwindung der Herausforderungen umdeuten, vor denen die Bundesrepublik damals stand. Ihre Kernbotschaft war eben, daß alles noch schlechter werden müsse, damit die Chancen der Union steigen, und daß die Union nicht genug an allgemeiner Konfrontation schaffen könne. Der Kreuther Beschluß, der nur wenige Tage hielt, hat dann ungeachtet aller Detailbetrachtungen die Grenzen sichtbar werden lassen, an die Strauß erstmals auch in der eigenen Partei stieß.
Unbefangener charakterisiert Finger die Persönlichkeit von Franz Josef Strauß. Wohl hebt er unter Rückgriff auf entsprechende Äußerungen von Zeitgenossen an vielen Stellen dessen positive Eigenschaften hervor. Seine umfassende Allgemeinbildung und seine hohe Intelligenz zum Beispiel und seine Fähigkeit, sich rasch in ihm fremde Fach- und Wissensgebiete einzuarbeiten. Weiter seine unerschöpfliche Arbeitskraft, seine Beredsamkeit, sein Verhandlungsgeschick, seine Anpassungsfähigkeit, seinen Mut und seine politische Leidenschaft. Daneben sei er empfindsam und mitfühlend gewesen. Wichtige Entscheidungen habe er sorgfältig abgewogen und es sich manchmal noch in letzter Minute anders überlegt.
Dem stehen viele negative Wertungen gegenüber, die zum Teil in ihrer Schärfe überraschen. Beispielsweise werden unter seinen charakterlichen Schwächen neben einem stürmischen Ehrgeiz eine notorische Unpünktlichkeit, ein übermäßiger Alkoholgenuß und eine Neigung zu Überreaktionen aus nichtigem Anlaß genannt. Außerdem habe er sich nicht selten mit fragwürdigen Gestalten umgeben. Ein entscheidender Zug seines Wesens sei die mangelnde Selbstbeherrschung gewesen, die sich insbesondere in der maßlosen Aggressivität vieler seiner Reden geäußert habe. An schlimmen Beispielen ist kein Mangel.
Natürlich liegt die Frage nahe, ob darin typische Elemente des bayerischen Naturells enthalten sind. Finger geht ihr nicht weiter nach. Er schließt ein Ja offenbar aus der Tatsache, daß Strauß bei Landtagswahlen stets Ergebnisse über oder in der Nähe der absoluten Mehrheit erzielt hat. Wahrscheinlich waren es mehr das Erscheinungsbild und die Sprache und auch eine gewisse Genugtuung darüber, daß ein Bayer in der Bundesrepublik über Jahrzehnte hin in der vordersten Reihe präsent war. Schließlich hat Strauß für Bayern ja auch einiges zuwege gebracht. Und er hat eingelenkt, wenn ihm die Volksmeinung das notwendig erscheinen ließ. Etwa bei den Volksbegehren zum Übergang von der Bekenntnis- zur Gemeinschaftsschule und zur Erhaltung der Rundfunkfreiheit. Darüber hätte man gerne etwas mehr erfahren.
Was bleibt? Eine detaillierte Arbeit, die einerseits informiert, andererseits zur Kritik und zum Einspruch herausfordert. Die nicht allzuviel Neues bietet, aber Franz Josef Strauß, bald zwei Jahrzehnte nach seinem Tod, wieder ins Bewußtsein ruft. Die deutlich macht, daß er so, wie er war und auftrat, heute in der Bundesrepublik kaum eine Chance hätte. Die auch den inneren Widerspruch eines Mannes erkennen läßt, der mehr an sich selbst als an seinen Gegnern gescheitert ist. Und der dennoch seinen Platz in der Geschichte unseres Landes gefunden hat.
HANS-JOCHEN VOGEL
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.11.2005Strauß auf dem Podest
Eine Biografie, die dem CSU-Politiker nicht gerecht wird
Es gibt zwei Kategorien von Menschen, die Franz Josef Strauß am wenigsten leiden konnte. Das war die Zunft der „Reporter vom Grabmal des unbekannten Informanten”, jener Journalisten also, die Zitate erfinden. Das gibt es, leider. Noch weniger mochte er „jubeljaulende Hofhunde”, schreibende und drehende Überanhänger, die peinliches Zeug ablieferten, seine Nähe suchten und meinten, jetzt stünden sie in der Gnadensonne des Großen Vorsitzenden. Dann schon lieber Augstein.
Stefan Finger gehört zu keiner dieser Kategorien, aber auch er hätte mit seinem Buch beim bayerischen Alpenkönig nicht bestanden. Den Fleiß hätte Strauß vielleicht gelobt, auf 555 Seiten hat es Finger gebracht. Es ist mitnichten eine Biografie, es ist eine Art Schutzschrift. Finger ist klug genug, darauf hinzuweisen, dass sein Vater Cheffahrer von Strauß gewesen ist. Denn Strauß behandelte seine Dienstboten höflich wie kein zweiter. Das wird Finger seinem Buben schon vermittelt haben. Spannender wäre es gewesen, hätte der über die Erlebnisse seines Vaters geschrieben.
Finger nimmt die Ambivalenz von Strauß nur am Rande wahr, anfangen kann er damit nichts. Er wollte wohl nur über den guten Strauß schreiben. Man kann solche Bücher machen, vor allem, wenn der Autor die Leser nicht im Unklaren lässt, was er vorhat, sein Anliegen begründen kann, über exklusives Material wie den Nachlass verfügt und die Fähigkeiten zur Durchdringung dieses phänomenalen Menschen hat. Wilfried Scharnagl kann das, weil er Strauß sehr nah war und dessen Aura vermitteln kann. Finger kann das nicht, weil er manchmal nur kolportagehaft und fast immer einseitig die Laufbahn des Münchner Metzgersohns runtererzählt.
Sein Tun von anderen Menschen rechtfertigen zu lassen, war Strauß widerwärtig. Er hatte es nicht mit Selbstkritik, zu der jetzt sein Zögling Edmund Stoiber gezwungen wird, der so lang bei ihm war und so wenig gelernt hat. Strauß stand mit bullenhaftem Charme zu allem, was er getan hat, an guten und an schlechten Tagen. Finger macht den Fehler, Strauß auf einen höheren Sockel zu stellen, als der ihn für sich gewählt hätte. Das gipfelt in seiner Feststellung, eigentlich sei es ein Glück, dass das Subjekt seiner Beobachtung nie Kanzler geworden sei. Endlich ein Wort, zumindest ein Ansatz, denkt der Leser. Aber Stefan Finger meint das anders. Ist es „nicht gerade Straußens Scheitern, welches ihm geschichtliche Größe verleiht?”, fragt er. Es sei ihm erspart geblieben, in einer Reihe mit anderen Kanzlern stehen zu müssen, die „glücklos”, „fast vergessen” oder ohne „erwähnenswerte Kompetenzen” sind. Strauß ist für Finger ein Mythos: „Ähnliches lässt sich von Konrad Adenauer oder Willy Brandt nicht sagen, erst recht nicht von Helmut Schmidt oder Helmut Kohl”. Dass es Strauß nahezu angestrebt haben soll, nicht Kanzler zu werden, um sich von den tatsächlichen, ihm unterlegenen, Kanzlern abzuheben, ist eine interessante Auffassung, die dem ehrgeizigen Strauß aber sehr missfallen hätte und Finger gewiss einen Rüffel eingetragen hätte.
Manchmal weiß man bei Finger nicht, ob man Zitate oder seinen eigenen Text liest, so groß ist sein Zettelkasten und so rastlos springt er zwischen Quellen und seinen Gedanken hin und her. Die Strauß-kritische Presse ist die „rufschädigende vierte Gewalt”, die Spiegel-Affäre, wienerisch gesagt, eine matte Sache, der Spiegel selbst war die Brutalität. Weitere Affären kommen, wenn überhaupt, beiläufig vor und immer war Strauß unschuldig, das letzte Kapitel, die bayerische Zeit bis zum Tod ist besonders dürftig. Das Erlöschen der Strauß-Fackel durch seine Rolle in der Schreiber-Affäre - der BGH hält Strauß senior für den Adressaten der Schmiergelder von Airbus, wo er Verwaltungsratschef war und durch den tiefen Sturz seiner Kinder Monika Hohlmeier und Max Strauß kommt gar nicht vor.
Blutleer ist das Buch so geworden, nicht Hand, nicht Fuß. Strauß war deftig - einmal durfte sein Helfer Stoiber nicht zu einem Gelage mitgehen, warum, erklärte Strauß seinen Kumpanen so: „Da Edi bleibt do. Der sauft ned, der frisst ned und der vögelt ned”. Die zärtliche Liebe des reiferen Strauß zur Abiturientin Ulli, bis Ehefrau Marianne durch einen kurzen Besuch im Elternhaus des Mädchens den Turtelbetrieb einstellte und ihren Franz Josef nach Hause mitnahm - kein Thema für Finger.
So ein dickes Buch hätte Strauß sowieso nicht gelesen, bestenfalls sein Referent und auch nur deswegen, ob „Stellen” drin sind und geklagt werden muss. Es gibt keine Stellen. Man kann das Buch über den halben Strauß vergessen, den ganzen Strauß aber nicht.
MICHAEL STILLER
STEFAN FINGER: Franz Josef Strauß. Ein politisches Leben. Olzog Verlag, München 2005. 556 Seiten, 34 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Eine Biografie, die dem CSU-Politiker nicht gerecht wird
Es gibt zwei Kategorien von Menschen, die Franz Josef Strauß am wenigsten leiden konnte. Das war die Zunft der „Reporter vom Grabmal des unbekannten Informanten”, jener Journalisten also, die Zitate erfinden. Das gibt es, leider. Noch weniger mochte er „jubeljaulende Hofhunde”, schreibende und drehende Überanhänger, die peinliches Zeug ablieferten, seine Nähe suchten und meinten, jetzt stünden sie in der Gnadensonne des Großen Vorsitzenden. Dann schon lieber Augstein.
Stefan Finger gehört zu keiner dieser Kategorien, aber auch er hätte mit seinem Buch beim bayerischen Alpenkönig nicht bestanden. Den Fleiß hätte Strauß vielleicht gelobt, auf 555 Seiten hat es Finger gebracht. Es ist mitnichten eine Biografie, es ist eine Art Schutzschrift. Finger ist klug genug, darauf hinzuweisen, dass sein Vater Cheffahrer von Strauß gewesen ist. Denn Strauß behandelte seine Dienstboten höflich wie kein zweiter. Das wird Finger seinem Buben schon vermittelt haben. Spannender wäre es gewesen, hätte der über die Erlebnisse seines Vaters geschrieben.
Finger nimmt die Ambivalenz von Strauß nur am Rande wahr, anfangen kann er damit nichts. Er wollte wohl nur über den guten Strauß schreiben. Man kann solche Bücher machen, vor allem, wenn der Autor die Leser nicht im Unklaren lässt, was er vorhat, sein Anliegen begründen kann, über exklusives Material wie den Nachlass verfügt und die Fähigkeiten zur Durchdringung dieses phänomenalen Menschen hat. Wilfried Scharnagl kann das, weil er Strauß sehr nah war und dessen Aura vermitteln kann. Finger kann das nicht, weil er manchmal nur kolportagehaft und fast immer einseitig die Laufbahn des Münchner Metzgersohns runtererzählt.
Sein Tun von anderen Menschen rechtfertigen zu lassen, war Strauß widerwärtig. Er hatte es nicht mit Selbstkritik, zu der jetzt sein Zögling Edmund Stoiber gezwungen wird, der so lang bei ihm war und so wenig gelernt hat. Strauß stand mit bullenhaftem Charme zu allem, was er getan hat, an guten und an schlechten Tagen. Finger macht den Fehler, Strauß auf einen höheren Sockel zu stellen, als der ihn für sich gewählt hätte. Das gipfelt in seiner Feststellung, eigentlich sei es ein Glück, dass das Subjekt seiner Beobachtung nie Kanzler geworden sei. Endlich ein Wort, zumindest ein Ansatz, denkt der Leser. Aber Stefan Finger meint das anders. Ist es „nicht gerade Straußens Scheitern, welches ihm geschichtliche Größe verleiht?”, fragt er. Es sei ihm erspart geblieben, in einer Reihe mit anderen Kanzlern stehen zu müssen, die „glücklos”, „fast vergessen” oder ohne „erwähnenswerte Kompetenzen” sind. Strauß ist für Finger ein Mythos: „Ähnliches lässt sich von Konrad Adenauer oder Willy Brandt nicht sagen, erst recht nicht von Helmut Schmidt oder Helmut Kohl”. Dass es Strauß nahezu angestrebt haben soll, nicht Kanzler zu werden, um sich von den tatsächlichen, ihm unterlegenen, Kanzlern abzuheben, ist eine interessante Auffassung, die dem ehrgeizigen Strauß aber sehr missfallen hätte und Finger gewiss einen Rüffel eingetragen hätte.
Manchmal weiß man bei Finger nicht, ob man Zitate oder seinen eigenen Text liest, so groß ist sein Zettelkasten und so rastlos springt er zwischen Quellen und seinen Gedanken hin und her. Die Strauß-kritische Presse ist die „rufschädigende vierte Gewalt”, die Spiegel-Affäre, wienerisch gesagt, eine matte Sache, der Spiegel selbst war die Brutalität. Weitere Affären kommen, wenn überhaupt, beiläufig vor und immer war Strauß unschuldig, das letzte Kapitel, die bayerische Zeit bis zum Tod ist besonders dürftig. Das Erlöschen der Strauß-Fackel durch seine Rolle in der Schreiber-Affäre - der BGH hält Strauß senior für den Adressaten der Schmiergelder von Airbus, wo er Verwaltungsratschef war und durch den tiefen Sturz seiner Kinder Monika Hohlmeier und Max Strauß kommt gar nicht vor.
Blutleer ist das Buch so geworden, nicht Hand, nicht Fuß. Strauß war deftig - einmal durfte sein Helfer Stoiber nicht zu einem Gelage mitgehen, warum, erklärte Strauß seinen Kumpanen so: „Da Edi bleibt do. Der sauft ned, der frisst ned und der vögelt ned”. Die zärtliche Liebe des reiferen Strauß zur Abiturientin Ulli, bis Ehefrau Marianne durch einen kurzen Besuch im Elternhaus des Mädchens den Turtelbetrieb einstellte und ihren Franz Josef nach Hause mitnahm - kein Thema für Finger.
So ein dickes Buch hätte Strauß sowieso nicht gelesen, bestenfalls sein Referent und auch nur deswegen, ob „Stellen” drin sind und geklagt werden muss. Es gibt keine Stellen. Man kann das Buch über den halben Strauß vergessen, den ganzen Strauß aber nicht.
MICHAEL STILLER
STEFAN FINGER: Franz Josef Strauß. Ein politisches Leben. Olzog Verlag, München 2005. 556 Seiten, 34 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Einen zwiespältigen Eindruck hat Stefan Fingers Biografie über Franz Josef Strauß bei dem hier rezensierenden Hans-Jochen Vogel hinterlassen. Er sieht in dem enorm umfangreichen, sich auf Interviews und viele bereits erschienene Veröffentlichungen stützendem Werk ein "merkwürdiges Buch". "Merkwürdig", weil es sich einerseits durchgängig um die Verteidigung und Rechtfertigung fast aller politischen Aktivitäten und Stellungnahmen von Strauß bemühe, andererseits Strauß' Persönlichkeit mit "kritischer Offenheit" begegne. So hebe Finger zwar die positiven Eigenschaften des Politikers hervor, gebe aber auch viele "negative Wertungen" ab, die "zum Teil in ihrer Schärfe überraschen". Detailliert geht Vogel auf die zahlreichen Skandale um Strauß ein, die auch bei Finger "ausführlich erörtert" werden. Wobei er anmerkt, dass Fingers Darstellungen meist mit der Feststellung enden, aus heutiger Sicht sei Strauß eigentlich nichts vorzuwerfen. Der SPD-Politiker Vogel versäumt es nicht, die unbestrittenen Leistungen seines ehemaligen politischen Gegners zu würdigen. Alles in allem erblickt er in Fingers Biografie eine "detaillierte Arbeit", die einerseits informiere, andererseits zur Kritik und zum Einspruch herausfordere, die nicht allzu viel Neues biete, Strauß aber wieder ins Bewusstsein rufe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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