Franz Oppenheimer (1864 - 1943), Deutschlands erster Soziologie-Professor, hatte einen außergewöhnlichen Lebensweg: Der Sohn eines jüdischen Predigers studierte erst in Berlin Medizin. Als Arzt in seiner durch die Industrialisierung rasant wachsenden Heimatstadt wurde er unmittelbar mit dem sozialen Elend konfrontiert. Bald begann er, sich mit sozialen Fragen und ihren ökonomischen Bedingtheiten auseinanderzusetzen - zunächst als Journalist, dann als Nationalökonom. 1919 stiftete der Kaufmann Karl Kotzenberg (1866 - 1940) an der jungen Frankfurter Universität extra für Oppenheimer einen Lehrstuhl für Soziologie und Theoretische Nationalökonomie. Seine zehn Frankfurter Jahre waren sehr produktiv, aber auch konfliktreich: Der streitbare Wissenschaftler, der sich selbst als Eigenbrötler, Sonderling und Außenseiter beschrieb, stritt vehement für seine Vorstellungen eines "liberalen Sozialismus", seinen "dritten Weg" zwischen Kommunismus und Kapitalismus. Einige seiner Ideen setzte sein berühmter Schüler Ludwig Ehrhard (1897 - 1977) später mit der Sozialen Marktwirtschaft um.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.05.2014Frankfurter Gelehrte
Zwei Bücher über Oppenheimer und Neumark
Der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Frankfurter Goethe-Universität bemüht sich seit einigen Jahren, durch einen Ausbau der Kompetenzen unter anderem in der Finanzökonomie und der Makroökonomie ("House of Finance") sich in Deutschland unter den besten Universitäten zu etablieren und auch international Zeichen zu setzen. Darüber sollte nicht vergessen werden, dass es zwei Epochen gab, in denen Frankfurt zu den angesehensten deutschen Standorten auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften zählte.
Diese beiden Epochen verbinden sich nicht zuletzt mit den Namen Franz Oppenheimer und Fritz Neumark. Über diese beiden Gelehrten liegen nunmehr handliche und gut lesbare Biographien vor. Oppenheimer und Neumark mussten Deutschland wegen ihrer jüdischen Herkunft in den dreißiger Jahren verlassen. Während Oppenheimer im kalifornischen Exil verstarb, kehrte der deutlich jüngere Neumark nach dem Krieg zurück.
Oppenheimer (1864 bis 1943) zählte einmal mit den etwa gleichaltrigen Max Weber und Werner Sombart zum Dreigestirn deutscher Denker, die früh den Versuch unternahmen, Wirtschaftslehre und Soziologie miteinander zu verbinden. Der aus Berlin stammende Oppenheimer hatte seine Berufslaufbahn zunächst als Arzt begonnen, dann aber beschlossen, als Sozialwissenschaftler einen Beitrag zur Verbesserung der Welt zu leisten. Oppenheimer machte die damals oft diskutierte "Bodenfrage" zu seinem großen Thema. Er war der Ansicht, dass viele Menschen, die in den Großstädten verarmten, besser auf dem Land aufgehoben wären. Dort aber sah er die Möglichkeit eines Landerwerbs durch monopolistisches Verhalten der Großgrundbesitzer, die sogenannte "Bodensperre", eingeschränkt. Oppenheimer, der nach dem Ersten Weltkrieg rund ein Jahrzehnt in Frankfurt lehrte, verfocht in Theorie und Praxis die Idee der Siedlungsgenossenschaft. Seine Vision eines sozialen Liberalismus beeinflusste unter anderen seinen bekanntesten Schüler: Ludwig Erhard.
Die Idee eines sozialen Liberalismus bewegte auch Fritz Neumark (1900 bis 1991), mit dessen Arbeiten nach dem Zweiten Weltkrieg die traditionelle, stark in Institutionen und weniger in mathematischen Modellen denkende deutsche Schule der Finanzwissenschaft einen Höhepunkt erlebte. Der Ansturm der aus Amerika stammenden, sehr viel mathematischeren "Public Finance" drängte die deutsche Schule allerdings in den Hintergrund, weshalb Neumark, der als Politikberater und als akademischer Lehrer zu seiner Zeit einigen Einfluss besaß, jüngeren Ökonomen kaum noch bekannt sein dürfte.
GERALD BRAUNBERGER
Volker Caspari / Klaus Lichtblau: Franz Oppenheimer. Societäts-Verlag. Frankfurt 2014. 208 Seiten. 14,80 Euro
Heinz Grossekettler: Fritz Neumark. Societäts-Verlag. Frankfurt 2013. 168 Seiten. 14,80 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwei Bücher über Oppenheimer und Neumark
Der Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der Frankfurter Goethe-Universität bemüht sich seit einigen Jahren, durch einen Ausbau der Kompetenzen unter anderem in der Finanzökonomie und der Makroökonomie ("House of Finance") sich in Deutschland unter den besten Universitäten zu etablieren und auch international Zeichen zu setzen. Darüber sollte nicht vergessen werden, dass es zwei Epochen gab, in denen Frankfurt zu den angesehensten deutschen Standorten auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften zählte.
Diese beiden Epochen verbinden sich nicht zuletzt mit den Namen Franz Oppenheimer und Fritz Neumark. Über diese beiden Gelehrten liegen nunmehr handliche und gut lesbare Biographien vor. Oppenheimer und Neumark mussten Deutschland wegen ihrer jüdischen Herkunft in den dreißiger Jahren verlassen. Während Oppenheimer im kalifornischen Exil verstarb, kehrte der deutlich jüngere Neumark nach dem Krieg zurück.
Oppenheimer (1864 bis 1943) zählte einmal mit den etwa gleichaltrigen Max Weber und Werner Sombart zum Dreigestirn deutscher Denker, die früh den Versuch unternahmen, Wirtschaftslehre und Soziologie miteinander zu verbinden. Der aus Berlin stammende Oppenheimer hatte seine Berufslaufbahn zunächst als Arzt begonnen, dann aber beschlossen, als Sozialwissenschaftler einen Beitrag zur Verbesserung der Welt zu leisten. Oppenheimer machte die damals oft diskutierte "Bodenfrage" zu seinem großen Thema. Er war der Ansicht, dass viele Menschen, die in den Großstädten verarmten, besser auf dem Land aufgehoben wären. Dort aber sah er die Möglichkeit eines Landerwerbs durch monopolistisches Verhalten der Großgrundbesitzer, die sogenannte "Bodensperre", eingeschränkt. Oppenheimer, der nach dem Ersten Weltkrieg rund ein Jahrzehnt in Frankfurt lehrte, verfocht in Theorie und Praxis die Idee der Siedlungsgenossenschaft. Seine Vision eines sozialen Liberalismus beeinflusste unter anderen seinen bekanntesten Schüler: Ludwig Erhard.
Die Idee eines sozialen Liberalismus bewegte auch Fritz Neumark (1900 bis 1991), mit dessen Arbeiten nach dem Zweiten Weltkrieg die traditionelle, stark in Institutionen und weniger in mathematischen Modellen denkende deutsche Schule der Finanzwissenschaft einen Höhepunkt erlebte. Der Ansturm der aus Amerika stammenden, sehr viel mathematischeren "Public Finance" drängte die deutsche Schule allerdings in den Hintergrund, weshalb Neumark, der als Politikberater und als akademischer Lehrer zu seiner Zeit einigen Einfluss besaß, jüngeren Ökonomen kaum noch bekannt sein dürfte.
GERALD BRAUNBERGER
Volker Caspari / Klaus Lichtblau: Franz Oppenheimer. Societäts-Verlag. Frankfurt 2014. 208 Seiten. 14,80 Euro
Heinz Grossekettler: Fritz Neumark. Societäts-Verlag. Frankfurt 2013. 168 Seiten. 14,80 Euro
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