Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2010Deutschstunde: Jonathan Franzen liest im Schauspiel Frankfurt
Seit er älter geworden ist und weniger Angst davor hat, Fehler zu machen, spricht Jonathan Franzen besser Deutsch als früher. Als Student in Berlin habe er aus lauter Perfektionismus lieber geschwiegen, als ein Gespräch mit anderen Menschen und mögliche sprachliche Schnitzer zu riskieren, sagte der Schriftsteller im Schauspiel Frankfurt. Dort las er am Freitagabend vor ausverkauftem Haus aus seinem neuen Roman "Freiheit". Während seines Aufenthaltes in Berlin habe er monatelang allein auf seinem Zimmer gehockt und an seinem ersten Roman geschrieben. Was ihm in dieser Zeit an deutscher Literatur in die Hände gefallen sei, habe ihn - von Rilke über Mann und Kafka bis zu Döblin - verwandelt. In Frankfurt schien Franzen nun sein eigenes Buch aus einem englischen in ein deutsches zu verwandeln, ganz allein mit seinem Publikum und einem ihm vertrauten Text, dessen plötzlich fremdem Sprachfluss er so natürlich folgte, als tue er seit Wochen nichts anderes. Trotz mehrfach eingestandener Buchmessenmüdigkeit floh Franzen nur von Zeit zu Zeit ins Englische, kämpfte sich aber immer wieder in die selbstgewählte Konversationssprache des Abends zurück. Die Schuld daran gab er der kulturellen Prägung in der amerikanischen Heimat und seinen noch immer hohen Ansprüchen an sich selbst. "Ich denke wie ein Protestant an die Arbeit, ich komme nach Deutschland, um hier zu arbeiten." Es scheine ihm eben komisch, als Schriftsteller auf Besuch in einem anderen Land stumm eine halbe Stunde dem Vortrag eigener Texte zu lauschen. Anders verhielt es sich in Frankfurt, wo Franzen mitten im Vortrag der bei Rowohlt erschienenen deutschen Fassung seines Buches voller Freude das entdeckte, was er "ein Fehlerchen" nannte. Prompt war ein Stift gezückt und der Schnitzer eingekreist. Sprachliche Freiheit sollte nicht überhand nehmen, da sind Korrekturen manchmal das einzig Richtige. (balk.)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Seit er älter geworden ist und weniger Angst davor hat, Fehler zu machen, spricht Jonathan Franzen besser Deutsch als früher. Als Student in Berlin habe er aus lauter Perfektionismus lieber geschwiegen, als ein Gespräch mit anderen Menschen und mögliche sprachliche Schnitzer zu riskieren, sagte der Schriftsteller im Schauspiel Frankfurt. Dort las er am Freitagabend vor ausverkauftem Haus aus seinem neuen Roman "Freiheit". Während seines Aufenthaltes in Berlin habe er monatelang allein auf seinem Zimmer gehockt und an seinem ersten Roman geschrieben. Was ihm in dieser Zeit an deutscher Literatur in die Hände gefallen sei, habe ihn - von Rilke über Mann und Kafka bis zu Döblin - verwandelt. In Frankfurt schien Franzen nun sein eigenes Buch aus einem englischen in ein deutsches zu verwandeln, ganz allein mit seinem Publikum und einem ihm vertrauten Text, dessen plötzlich fremdem Sprachfluss er so natürlich folgte, als tue er seit Wochen nichts anderes. Trotz mehrfach eingestandener Buchmessenmüdigkeit floh Franzen nur von Zeit zu Zeit ins Englische, kämpfte sich aber immer wieder in die selbstgewählte Konversationssprache des Abends zurück. Die Schuld daran gab er der kulturellen Prägung in der amerikanischen Heimat und seinen noch immer hohen Ansprüchen an sich selbst. "Ich denke wie ein Protestant an die Arbeit, ich komme nach Deutschland, um hier zu arbeiten." Es scheine ihm eben komisch, als Schriftsteller auf Besuch in einem anderen Land stumm eine halbe Stunde dem Vortrag eigener Texte zu lauschen. Anders verhielt es sich in Frankfurt, wo Franzen mitten im Vortrag der bei Rowohlt erschienenen deutschen Fassung seines Buches voller Freude das entdeckte, was er "ein Fehlerchen" nannte. Prompt war ein Stift gezückt und der Schnitzer eingekreist. Sprachliche Freiheit sollte nicht überhand nehmen, da sind Korrekturen manchmal das einzig Richtige. (balk.)
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