Produktdetails
- Verlag: Beck
- 1994.
- Seitenzahl: 500
- Deutsch
- Abmessung: 230mm
- Gewicht: 855g
- ISBN-13: 9783406385063
- ISBN-10: 3406385060
- Artikelnr.: 05489200
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.01.1995Menschen aus Fleisch und Thron
Deutsche Historiker porträtieren die französischen Könige und Kaiser der Neuzeit
Biographien sind wieder gefragt: Dieses Buch bedient die Nachfrage im Dutzend. Während die von der "Annales"-Schule angeregte Strukturgeschichte selbst schon zum historiographischen Thema geworden ist, während in Frankreich gerade der erste Band des Briefwechsels zwischen Marc Bloch und Lucien Febvre herauskam, dürfen hier wieder einmal Männer Geschichte machen. Gewiß nicht so subjektivistisch wie im neunzehnten Jahrhundert. Die Betrachtungsperspektive wird aber umgedreht, weg von den Verhältnissen, hin zur Person, und siehe: eine Porträtgalerie tut sich auf mit "Menschen aus Fleisch und Blut", wie der Herausgeber im Vorwort verspricht. Breitschultrige, schlankbeinige, langfüßige, fettleibige, scharfäugige, hagere und kränkliche Gestalten stehen da im Vordergrund. Verfassungs-, wirtschafts-, gesellschafts-, geistes- und kulturgeschichtliche Aspekte bilden "gleichsam den strukturellen Rahmen, innerhalb dessen die Monarchen agierten" - so verrät der Herausgeber weiter. Nur erstarrt dieser Rahmen bei solcher Perspektive leicht zum leeren Horizontschema, in dem die Namen und Daten manchmal umständlich klappern wie im Konversationslexikon.
Dabei will der Band das gerade nicht sein. Er präsentiert sich nicht als trocken enzyklopädisches Nachschlagewerk zu den Königsviten, sondern als ein Spektrum biographischer Essays im unsteten Rhythmus der Thronfolge. Aufgrund des Zentralismus kristallisiert sich in den Namen der französischen Monarchen jeweils eine ganze Epoche. Unter der Renaissance Franz' I., den spätreformatorischen Religionswirren Heinrichs III. und Heinrichs IV., dem barocken Klassizismus Ludwigs XIV., den Stilen Louis XV. und Louis XVI. kann sich jeder durchschnittlich Gebildete etwas Genaues vorstellen. Es ist den zehn Historikern unterschiedlich gut gelungen, in ihren Beiträgen die über vier Jahrhunderte hin wechselnden Färbungen des Ancien régime und dessen Nachglühen im neunzehnten Jahrhundert einzufangen. Brillantes steht neben spröder Materialschieberei. Insgesamt zeigt sich aber doch, daß die essayistische Darstellung mit ihrer Verbindung von Präzision und Lockerheit, ihrer Kunst des Auslassens, Verkürzens und Überraschens nicht zu den Stärken der deutschen Universitätsgeschichtsschreibung gehört. Als Gegenprobe dazu lese man Fernand Braudels biographischen Essay über den Habsburger Karl V.
Besonders gelungen ist im Band die Herausarbeitung des Zusammenhangs von Ehebett und Staatspolitik, der in der französischen Erbmonarchie der Valois und Bourbonen eine so entscheidende Rolle spielte. Ludwig XI. vermählte 1464 seine körperlich behinderte Tochter Jeanne gleich nach der Geburt, bevor noch die Mißbildung bekannt wurde, dem Sprößling des verhaßten Hauses Orléans, dem künftigen Ludwig XII., in der Hoffnung, dieses Haus damit steril zu machen.
Gut hundert Jahre später starrte das Reich während der Religionskriege mit zunehmender Panik auf das kinderlos bleibende Ehelager Heinrichs III., dem ein Bruder nach dem anderen wegstarb und dem somit der protestantische Navarra in der Thronfolgehierarchie immer näher rückte, bis er als Heinrich IV. schließlich die Bourbonen-Dynastie eröffnete. Ludwig XVI. und Marie-Antoinette wiederum mußten insgeheim den ältesten Bruder der Königin, Kaiser Joseph II., als Eheberater nach Versailles kommen lassen, um dem Reich Thronerben zu schenken - die dann allerdings nicht mehr zum Zug kamen. Was sich heute anekdotisch liest, wird in den vorliegenden biographischen Skizzen überzeugend ins Licht der jeweiligen Machtkonstellation gestellt.
Ein republikanischer Kuß
Natürlich handelt es sich bei den Beiträgen nicht um historiographische Quellenarbeit, sondern um Aufarbeitung der einschlägigen Literatur für einen weiteren Leserkreis. Bibliographische Kurzberichte geben im Anhang einen Überblick zum Forschungsstand. Die Autoren ließen sich offenbar von der begrüßenswerten Absicht leiten, gegen Klischeebilder anzuschreiben. Dabei wird allerdings der Anspruch des neuen Blicks gegenüber der bisherigen Forschung mitunter etwas strapaziert. Daß Heinrich IV. mit taktischer Intuition sein mangelndes strategisches Gespür überspielte, ist wohl ein wertvoller Hinweis. Die Feststellung aber, daß hinter dem jovialen Bauernkönig auch ein zielstrebiger, mitunter bedenkenloser Absolutist am Werk war, ist nicht ganz neu.
Bekannt ist auch, daß die politische Auffassungsgabe Ludwigs XVI. besser war als ihr Ruf. Andererseits hätten die Teilerfolge von Franz I. gegen die habsburgische Vormachtstellung vielleicht einen etwas breiteren Betrachtungswinkel verdient: Der Traum von der französischen "Universalmonarchie" mußte politisch endgültig aufgegeben werden, um ein Jahrhundert später unter Ludwig XIV. zumindest kulturell kompensiert werden zu können. Doch stünden derartige historische Vor- und Rückgriffe wohl im Widerspruch zum Konzept eines solchen Porträtspektrums.
Trotz dieser Nachteile ergibt sich im Buch dennoch ein lesenswertes, differenziertes Bild jener Monarchie, die so lange an der hierarchischen Spitze sich konsolidierte, bis sie gerade dort zerbrach. Beinah ein volles Jahrhundert wurde danach gebraucht, um die unverändert zentralistische Machtpyramide in Frankreich dauerhaft auf eine neue, republikanische Grundlage zu stellen. Diese komplizierte Umgestaltungsperiode läßt es denn auch gerechtfertigt erscheinen, daß dieses eine, neunzehnte Jahrhundert ein Drittel des gesamten Buchumfangs ausmacht, obwohl es - mit den beiden Kaisern - nur zwei historisch bedeutende Herrscher hervorbrachte.
Beschrieben wird in diesem letzten Drittel, wie tückenreich der Übergang vom alten zum neuen Regime über mehrere Rückschläge hinweg vonstatten ging. Trotz - oder vielmehr: wegen der brüchigen Konstitutionalität entschieden oft Kleinigkeiten über die weiteren Staatsgeschicke. Ein "republikanischer Kuß" konnte zum Königsmacher werden, wie Chateaubriand anläßlich der öffentlichen Umarmung zwischen Lafayette und Louis-Philippe notierte. Ein Treffen mit dem preußischen Ministerpräsidenten "in einer Kammer von 10 Fuß Gevierte, mit einem fichtnen Tische u. 2 Binsenstühlen", wie Bismarck sein letztes Treffen mit Napoleon III. seiner Frau schilderte, fegte unter dem aufständischen Straßenlärm draußen den letzten Kaiser hinweg. Eine der großen europäischen Monarchien brach in diesem Augenblick endgültig zusammen. Vielleicht hätte man ihren Vertretern, wie einzelne Autoren im Buch von sich aus dies tun, unübersetzt zumindest ihre Namen lassen können. JOSEPH HANIMANN
Peter Carl Hartmann (Hrsg.): "Französische Könige und Kaiser der Neuzeit". Von Ludwig XII. bis Napoleon III. 1498 - 1870. Verlag C. H. Beck, München 1994. 500 S., 16 Abb., geb., 58,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Deutsche Historiker porträtieren die französischen Könige und Kaiser der Neuzeit
Biographien sind wieder gefragt: Dieses Buch bedient die Nachfrage im Dutzend. Während die von der "Annales"-Schule angeregte Strukturgeschichte selbst schon zum historiographischen Thema geworden ist, während in Frankreich gerade der erste Band des Briefwechsels zwischen Marc Bloch und Lucien Febvre herauskam, dürfen hier wieder einmal Männer Geschichte machen. Gewiß nicht so subjektivistisch wie im neunzehnten Jahrhundert. Die Betrachtungsperspektive wird aber umgedreht, weg von den Verhältnissen, hin zur Person, und siehe: eine Porträtgalerie tut sich auf mit "Menschen aus Fleisch und Blut", wie der Herausgeber im Vorwort verspricht. Breitschultrige, schlankbeinige, langfüßige, fettleibige, scharfäugige, hagere und kränkliche Gestalten stehen da im Vordergrund. Verfassungs-, wirtschafts-, gesellschafts-, geistes- und kulturgeschichtliche Aspekte bilden "gleichsam den strukturellen Rahmen, innerhalb dessen die Monarchen agierten" - so verrät der Herausgeber weiter. Nur erstarrt dieser Rahmen bei solcher Perspektive leicht zum leeren Horizontschema, in dem die Namen und Daten manchmal umständlich klappern wie im Konversationslexikon.
Dabei will der Band das gerade nicht sein. Er präsentiert sich nicht als trocken enzyklopädisches Nachschlagewerk zu den Königsviten, sondern als ein Spektrum biographischer Essays im unsteten Rhythmus der Thronfolge. Aufgrund des Zentralismus kristallisiert sich in den Namen der französischen Monarchen jeweils eine ganze Epoche. Unter der Renaissance Franz' I., den spätreformatorischen Religionswirren Heinrichs III. und Heinrichs IV., dem barocken Klassizismus Ludwigs XIV., den Stilen Louis XV. und Louis XVI. kann sich jeder durchschnittlich Gebildete etwas Genaues vorstellen. Es ist den zehn Historikern unterschiedlich gut gelungen, in ihren Beiträgen die über vier Jahrhunderte hin wechselnden Färbungen des Ancien régime und dessen Nachglühen im neunzehnten Jahrhundert einzufangen. Brillantes steht neben spröder Materialschieberei. Insgesamt zeigt sich aber doch, daß die essayistische Darstellung mit ihrer Verbindung von Präzision und Lockerheit, ihrer Kunst des Auslassens, Verkürzens und Überraschens nicht zu den Stärken der deutschen Universitätsgeschichtsschreibung gehört. Als Gegenprobe dazu lese man Fernand Braudels biographischen Essay über den Habsburger Karl V.
Besonders gelungen ist im Band die Herausarbeitung des Zusammenhangs von Ehebett und Staatspolitik, der in der französischen Erbmonarchie der Valois und Bourbonen eine so entscheidende Rolle spielte. Ludwig XI. vermählte 1464 seine körperlich behinderte Tochter Jeanne gleich nach der Geburt, bevor noch die Mißbildung bekannt wurde, dem Sprößling des verhaßten Hauses Orléans, dem künftigen Ludwig XII., in der Hoffnung, dieses Haus damit steril zu machen.
Gut hundert Jahre später starrte das Reich während der Religionskriege mit zunehmender Panik auf das kinderlos bleibende Ehelager Heinrichs III., dem ein Bruder nach dem anderen wegstarb und dem somit der protestantische Navarra in der Thronfolgehierarchie immer näher rückte, bis er als Heinrich IV. schließlich die Bourbonen-Dynastie eröffnete. Ludwig XVI. und Marie-Antoinette wiederum mußten insgeheim den ältesten Bruder der Königin, Kaiser Joseph II., als Eheberater nach Versailles kommen lassen, um dem Reich Thronerben zu schenken - die dann allerdings nicht mehr zum Zug kamen. Was sich heute anekdotisch liest, wird in den vorliegenden biographischen Skizzen überzeugend ins Licht der jeweiligen Machtkonstellation gestellt.
Ein republikanischer Kuß
Natürlich handelt es sich bei den Beiträgen nicht um historiographische Quellenarbeit, sondern um Aufarbeitung der einschlägigen Literatur für einen weiteren Leserkreis. Bibliographische Kurzberichte geben im Anhang einen Überblick zum Forschungsstand. Die Autoren ließen sich offenbar von der begrüßenswerten Absicht leiten, gegen Klischeebilder anzuschreiben. Dabei wird allerdings der Anspruch des neuen Blicks gegenüber der bisherigen Forschung mitunter etwas strapaziert. Daß Heinrich IV. mit taktischer Intuition sein mangelndes strategisches Gespür überspielte, ist wohl ein wertvoller Hinweis. Die Feststellung aber, daß hinter dem jovialen Bauernkönig auch ein zielstrebiger, mitunter bedenkenloser Absolutist am Werk war, ist nicht ganz neu.
Bekannt ist auch, daß die politische Auffassungsgabe Ludwigs XVI. besser war als ihr Ruf. Andererseits hätten die Teilerfolge von Franz I. gegen die habsburgische Vormachtstellung vielleicht einen etwas breiteren Betrachtungswinkel verdient: Der Traum von der französischen "Universalmonarchie" mußte politisch endgültig aufgegeben werden, um ein Jahrhundert später unter Ludwig XIV. zumindest kulturell kompensiert werden zu können. Doch stünden derartige historische Vor- und Rückgriffe wohl im Widerspruch zum Konzept eines solchen Porträtspektrums.
Trotz dieser Nachteile ergibt sich im Buch dennoch ein lesenswertes, differenziertes Bild jener Monarchie, die so lange an der hierarchischen Spitze sich konsolidierte, bis sie gerade dort zerbrach. Beinah ein volles Jahrhundert wurde danach gebraucht, um die unverändert zentralistische Machtpyramide in Frankreich dauerhaft auf eine neue, republikanische Grundlage zu stellen. Diese komplizierte Umgestaltungsperiode läßt es denn auch gerechtfertigt erscheinen, daß dieses eine, neunzehnte Jahrhundert ein Drittel des gesamten Buchumfangs ausmacht, obwohl es - mit den beiden Kaisern - nur zwei historisch bedeutende Herrscher hervorbrachte.
Beschrieben wird in diesem letzten Drittel, wie tückenreich der Übergang vom alten zum neuen Regime über mehrere Rückschläge hinweg vonstatten ging. Trotz - oder vielmehr: wegen der brüchigen Konstitutionalität entschieden oft Kleinigkeiten über die weiteren Staatsgeschicke. Ein "republikanischer Kuß" konnte zum Königsmacher werden, wie Chateaubriand anläßlich der öffentlichen Umarmung zwischen Lafayette und Louis-Philippe notierte. Ein Treffen mit dem preußischen Ministerpräsidenten "in einer Kammer von 10 Fuß Gevierte, mit einem fichtnen Tische u. 2 Binsenstühlen", wie Bismarck sein letztes Treffen mit Napoleon III. seiner Frau schilderte, fegte unter dem aufständischen Straßenlärm draußen den letzten Kaiser hinweg. Eine der großen europäischen Monarchien brach in diesem Augenblick endgültig zusammen. Vielleicht hätte man ihren Vertretern, wie einzelne Autoren im Buch von sich aus dies tun, unübersetzt zumindest ihre Namen lassen können. JOSEPH HANIMANN
Peter Carl Hartmann (Hrsg.): "Französische Könige und Kaiser der Neuzeit". Von Ludwig XII. bis Napoleon III. 1498 - 1870. Verlag C. H. Beck, München 1994. 500 S., 16 Abb., geb., 58,- DM.
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