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Die ruandische Autorin Scholastique Mukasonga erinnert sich an ihre Mutter Stefania. "Die Frau auf bloßen Füßen" ist eine Liebeserklärung an eine starke Frau, deren Obsession es war, ihre Kinder zu schützen: vor dem Verlust des kulturellen Erbes der Tutsi und vor allem vor dem gewaltsamen Tod. Es gelang ihr letztendlich nicht: Zusammen mit 36 Familienmitgliedern fiel Stefania 1994 dem Genozid in Ruanda zum Opfer. Die Autorin, einzige Überlebende, findet viele Jahre später eine wunderbar poetische, klare Sprache für die Erinnerung an das Leben ihrer Familie im kargen Südruanda, wo viele…mehr

Produktbeschreibung
Die ruandische Autorin Scholastique Mukasonga erinnert sich an ihre Mutter Stefania. "Die Frau auf bloßen Füßen" ist eine Liebeserklärung an eine starke Frau, deren Obsession es war, ihre Kinder zu schützen: vor dem Verlust des kulturellen Erbes der Tutsi und vor allem vor dem gewaltsamen Tod. Es gelang ihr letztendlich nicht: Zusammen mit 36 Familienmitgliedern fiel Stefania 1994 dem Genozid in Ruanda zum Opfer. Die Autorin, einzige Überlebende, findet viele Jahre später eine wunderbar poetische, klare Sprache für die Erinnerung an das Leben ihrer Familie im kargen Südruanda, wo viele Tutsi-Familien in den 60er Jahren als Vertriebene lebten. Umgeben vom wachsenden Hass der Hutu hatte sich Stefania hier mit Stolz ein Leben in der Tradition ihrer Kultur erkämpft. Scholastique Mukasonga lässt den Alltag der Tutsi-Gemeinde mit Wärme und Humor wieder auferstehen. Sie gibt den namenlosen Toten des Völkermordes ihre Namen und Geschichten zurück und einer alten Kultur ihre Schönheit.
Autorenporträt
Scholastique Mukasonga, 1956 in Ruanda in eine Tutsifamilie geboren, erlebte schon als Kind den ethnischen Konflikt zwischen Hutu und Tutsi. Sie besuchte das Gymnasium in Kigali, schloss ihre Ausbildung zur Sozialarbeiterin im Exil in Burundi ab und arbeitete für UNICEF und die Weltbank. Mit ihrem französischen Ehemann ging sie 1992 nach Frankreich, wo sie heute mit ihrer Familie in der Normandie lebt. Der größte Teil ihrer Familie fiel dem Völkermord in Ruanda zum Opfer. Für ihre Romane, die die Ereignisse in Ruanda verarbeiten, wurde die Autorin mehrfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem "Prix Simone de Beauvoir pour la liberté des femmes 2021".
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Tobias Döring hätte sich etwas mehr Informationen gewünscht für deutsche Leser über die ethnografischen Hintergründe zu der Lebensgeschichte, die die aus Ruanda stammende Autorin Scholastique Mukasonga in ihrem Memoirenband festhält. Es ist laut Döring vor allem eine Kindheitsgeschichte in dem von den Hutu terrorisierten Land und eine Erinnerung und Hommage an die 1994 ermordete Mutter. Im Zentrum steht der entbehrungsreiche, von Ritualen geprägte ländliche Alltag der Familie, für Döring eine erschütternde Lektüre.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.09.2022

Was bleibt von ihr?
Nach dem Massaker: Scholastique Mukasongas Memoiren

Füße waren das Erkennungsmerkmal: "Um zu wissen, wer du bist, woher du kommst, sah man zuerst auf die Füße." Als Schönheitsideal galten schlanke Füße mit feinen dünnen Zehen. Doch wer vom Land kam und von morgens bis abends barfuß die Erde umgraben musste, konnte damit nicht aufwarten. Lehmig waren die Füße dann, ständig mit Erdklumpen und Ackerkrume verkrustet: Ausweis zugleich einer innigen Verbundenheit mit dem heimischen Nährboden. Für die ruandische Autorin Scholastique Mukasonga, Jahrgang 1956 und seit dreißig Jahren in Frankreich lebend, ist es das wichtigste Erinnerungsmerkmal ihrer Mutter, eigentlich aller Mütter und "Nährmütter, deren Kind Afrika ist".

Eindringlich und anschaulich erzählt sie davon in diesem schlanken Memoirenband, einem dankbaren Tribut an die mütterliche Fürsorge und Lebensklugheit, denen sie ihr eigenes Überleben verdankt, und einer Trauerarbeit für den unfassbar schmerzhaften Verlust, vom massakrierten Leib der Mutter heute nur zu wissen, dass er in einem der zahlreichen Massengräber ihres Landes liegen muss. Wie nahezu alle Angehörigen: Die Autorin und ihr Bruder sind die einzigen Überlebenden, da beide als Teenager ins burundische Exil entfliehen konnten, während die Mutter 1994 dem Massenmord an den Tutsis zum Opfer fiel. Was von ihr bleibt, will dieses Buch festhalten: "Auf den Seiten meines Buches weben meine Sätze, wieder und wieder, das Leichentuch für deinen verlorenen Körper."

"La femme aux pieds nus" erschien in Frankreich bereits 2008 und ist der zweite Band eines mittlerweile bereits dreiteiligen Memoirenprojekts, das mit den Mitteln von Erinnerung und Sprache die ländliche Lebenswelt ihrer Herkunftsfamilie nachzeichnen will, die der Völkermord zerstört hat. Außerdem hat die Autorin bislang drei Erzählbände veröffentlicht, die autobiographisches Material in fiktionalisierter Form verarbeiten, am erfolgreichsten davon war der Roman "Die Heilige Jungfrau vom Nil", 2014 auch auf Deutsch erschienen, über ihre Jugendzeit in einem katholischen Klosterinternat, wo sie als eine der wenigen Tutsi-Schülerinnen aufgenommen wurde und schon viel von der Gewalt erfahren musste, die zwei Jahrzehnte später im Genozid blutig explodieren würde.

Auch in "Frau auf bloßen Füßen" liest man einiges davon. Die Familie der Autorin wurde 1960 deportiert und in einer unwirtlichen Gegend an der Grenze zwangsangesiedelt. Dort muss sie nun, wie viele andere Tutsi, um die schiere Existenz kämpfen. Die Bedrohung durch Hutu-Soldaten, die nachts die Hütten stürmen und die Bewohner, die sie nur "die Kakerlaken" nennen, wahllos schikanieren, ist omnipräsent und gibt der Mutter allen Grund, Verstecke und Fluchtrouten für ihre Kinder vorzubereiten. Das Bündel für die Flucht ist stets gepackt. Und doch erfährt man nur sehr wenig über die politische Situation oder das genaue Schicksal der Familie. Der Fokus liegt auf den Erinnerungen eines Kindes, das seine Welt - und sei sie noch so schrecklich - als gegeben kennenlernen und sich darin zurechtfinden muss.

Das Hauptinteresse gilt dem Alltagsleben, insbesondere den Tätigkeiten, mit denen die geliebte Mutter für das Auskommen der Ihren sorgt. Die Erinnerungskapitel heißen beispielsweise "Hirse", "Heilkunde" oder "Das Brot" und schildern ausführlich und oft im Präsens die Lebensweisen, Rituale und ganz gewöhnlichen Verrichtungen, die den Rhythmus der Tage und Jahre prägten. Gewiss kann und muss man dies als den Versuch verstehen, einer grausam vernichteten Lebenswelt noch einmal Präsenz und Würde zu verleihen: Fußstapfen eines Verlusts. Dennoch liest sich etliches davon wie eine Autoethnographie, die seltsam zeit- und raumenthoben wirkt und, jedenfalls für deutsche Leser, nach stärkerer Einbindung verlangt.

Scholastique Mukasonga ist in Frankreich wie auch der anglophonen Welt längst auf große Resonanz gestoßen und für ihr Werk mit vielen Preisen geehrt worden. Es ist höchste Zeit, den erschütternden Geschichten, die sie zu erzählen hat, endlich auch bei uns mehr Aufmerksamkeit zu widmen. TOBIAS DÖRING

Scholastique Mukasonga: "Frau auf bloßen Füßen".

Aus dem Französischen von Gudrun und Otto Honke. Peter Hammer Verlag, Wuppertal 2022. 160 S., geb., 22,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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