Unbesiegbar scheint der Charme der Señora: Vom Hauskauf über die Planung von Ausstellungen bis zur Sorge für das Enkelkind meistert sie alles - eine temperamentvolle, warmherzige, kluge Frau, der alle Türen offenstehen.Doch plötzlich schwindet ihre Kraft, nicht aber ihr Lebensmut. Gegenüber ihrer Tochter Ana entwirft der Mann an ihrer Seite, der erfolgreiche Maler Nicolás, das Bildnis der »Frau in Rot«. Zugleich liegt jener Mann im Sterben, der das Leben der Familie jahrelang überschattet hat: der spanische Diktator Franco ...Mit der Leichtigkeit des großen Erzählers - und nicht ohne Zweideutigkeit - schafft Miguel Delibes aus den schmerzgeborenen Erinnerungsfragmenten des Malers eine berührende, aber nie sentimentale Liebesgeschichte.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Christian Metz erkennt in Miguel Delibes Novelle von 1991 das untrügliche Gespür des Autors für die bedrohliche Schönheit des Daseins. Wie Delibes hier einen Maler zum Ende der Franco-Ära angesichts einer Schaffenskrise den Pinsel mit dem Schreibstift tauschen und eine Huldigung an seine sterbende Frau und zugleich einen pessimistischen Abgesang auf das allzu kurze Leben aufschreiben lässt, scheint Metz von klassischer Größe und Eindringlichkeit. Die "ausbalancierte Bedrohlichkeit" im Text scheint Metz monströs und bestechend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.10.2020Nach der Trance
Spanischer Klassiker des zwanzigsten Jahrhunderts: "Frau in Rot auf grauem Grund" von Miguel Delibes
Rembrandt hatte sie. Klimt stürzte in sie hinein. Selbst ein so hochproduktiver Gegenwartskünstler wie Gerhard Richter soll sie gekannt haben: die Schaffenskrise des Malers. Wenn in Miguel Delibes' Novellenklassiker "Frau in Rot auf grauem Grund" die Produktivität des Malers Nicolas versiegt, dann befindet er sich mit seinen schon aufgespannten, aber doch weißbleibenden Leinwänden in keiner allzu schlechten Gesellschaft. Und doch ringt er der Muse noch einen letzten Kuss ab: indem er das Medium wechselt, den Pinsel mit dem Stift tauscht und seine Erinnerungen aufzuschreiben beginnt. Dass es diesem Maler sofort glückt, ein erzählerisches Meisterstück hinzulegen? Das gelingt wohl nur, wenn hinter einer solchen Fiktion ein Miguel Delibes wirkt.
Delibes, am 17. Oktober 1920 in Valladolid geboren und vor zehn Jahren dort verstorben, ist unbestritten einer der größten spanischsprachigen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts. 1991 publizierte er diese Künstlerphantasie, vier Jahre später erschien sie zum ersten Mal in deutscher Übersetzung. Jetzt kommt sie anlässlich des hundertsten Geburtstags abermals heraus. Noch immer ist eindrücklich, mit welch erzählerischer Leichtigkeit es Delibes versteht, die Krisengeschichte in eine hochbrisante Familienkonstellation zu überführen.
Die Erzählung spielt 1975. Franco liegt im Sterben. Mit seiner Lebenskraft schrumpft auch die diktatorische Macht. Weshalb es zu ersten Freilassungen politischer Gefangener kommt. Nicolas' Tochter Ana wird nach Jahren aus dem Gefängnis entlassen. An sie wendet sich der Maler mit seiner Erzählung, um ihr das in der Gefangenschaft Verpasste vorzutragen. Doch nicht nur Franco ringt mit dem Tod, sondern auch die Frau des Malers. Nach und nach stellt sich heraus, dass sie an einem Gehirntumor leidet. Während sie aber in einem Akt größter Selbstdisziplin und Fürsorge für die ihr Nächsten ihre Lebenskräfte noch einmal bündelt, fühlt der Maler sich über Monate hinweg schlaff wie ein ausgewrungenes Handtuch. Sie stirbt, er muss weiterleben.
Von ihrem Tod gezeichnet, lässt Nicolas schreibend das Bild seiner Frau aufleben. Nicht etwa als "das berühmte Bildnis mit dem roten Kleid, einer doppelreihigen Perlenkette und Handschuhen bis zu den Ellbogen". Das nämlich hatte schon vor Jahren Nicolas' Konkurrent García Elvira vollbracht. Sondern als schlichte Schwarzweißmalerei der linear verlaufenden Schrift.
Ein zutiefst pessimistisches Weltbild unterliegt dieser Erzählung: Das Leben an sich, so führt der Maler aus, bestehe nur aus einer kurzen Zeit des Erblühens. Schon in der Jugend setze der unaufhaltsame Verfall ein. Leben sei nur hinausgezögertes Sterben. Mit Hilfe einiger Tricks lasse sich diese Tatsache für einzelne Momente vergessen. Liebe, künstlerisches Schaffen und zuletzt nur noch der Alkohol machen dich glauben: "Du nimmst am Leben teil, das Leben geht an der Grube, in der du verwest, nicht vorbei, ohne zu merken, daß es dich gibt." Nur wenn das Leben die eigene Existenz wahrnimmt, kommt es zu einer vorübergehenden Leichtigkeit. Die Erinnerungen verschwinden, "gleichzeitig verwandelt sich die drückende Schwere deines Körpers in eine Art schwebende Durchlässigkeit. So ähnlich wie bei Fieber. Ist der Trancezustand vorüber, überfällt dich die Niedergeschlagenheit."
Dem Medium Schrift vertraut der Maler sich an, weil es, anders als das Bild, die Erinnerungen aufrufen und gleichzeitig in hinreichender Distanz halten kann. Schreiben heißt, das Grubendasein aushalten, ohne sofort auf dem Boden der Tatsachen aufzuschlagen. Schreiben garantiert keine Erlösung. Es ist ein schmutziger Deal, dem unausweichlich etwas zutiefst Unheimliches anhaftet. Wenn in den schriftlichen Erinnerungen der hochverehrten Frau alles mit ungeheurer Leichtigkeit von der Hand geht, wenn sie zugleich ihr Leben vollständig in den Dienst ihres Mannes stellt. Oder auch wenn sie - wie der Erzähler betont - angeblich keinerlei körperliche Spuren von ihren Schwangerschaften trägt, verleihen ihr diese Zuschreibungen etwas Monströses.
"Frau in Rot auf grauem Grund" gilt als erzählerische Hommage an Delibes' Frau, Ángeles de Castro, die 1974 im Alter von 51 Jahren verstarb. Die Erzählung besticht aber nicht etwa durch eine vorbehaltlose Liebeserklärung, an der sich heute manches Unzeitgemäße studieren lässt. Sondern vielmehr durch die fein ausbalancierte Bedrohlichkeit, die diesen Text durchzieht. Wenn das Leben den Menschen in seiner Grube wahrnimmt, sendet es ihm offenbar seinerseits schon wieder nur einen Todesgruß. Für diese bedrohliche Schönheit hat wohl weniger der Maler Nicolas als vielmehr der Autor Miguel Delibes ein wahrhaft meisterhaftes Gespür, das jetzt neu auflebt.
CHRISTIAN METZ
Miguel Delibes: "Frau in Rot auf grauem Grund". Roman.
Aus dem Spanischen von Michael Hofmann. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2020. 144 S., geb., 19,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Spanischer Klassiker des zwanzigsten Jahrhunderts: "Frau in Rot auf grauem Grund" von Miguel Delibes
Rembrandt hatte sie. Klimt stürzte in sie hinein. Selbst ein so hochproduktiver Gegenwartskünstler wie Gerhard Richter soll sie gekannt haben: die Schaffenskrise des Malers. Wenn in Miguel Delibes' Novellenklassiker "Frau in Rot auf grauem Grund" die Produktivität des Malers Nicolas versiegt, dann befindet er sich mit seinen schon aufgespannten, aber doch weißbleibenden Leinwänden in keiner allzu schlechten Gesellschaft. Und doch ringt er der Muse noch einen letzten Kuss ab: indem er das Medium wechselt, den Pinsel mit dem Stift tauscht und seine Erinnerungen aufzuschreiben beginnt. Dass es diesem Maler sofort glückt, ein erzählerisches Meisterstück hinzulegen? Das gelingt wohl nur, wenn hinter einer solchen Fiktion ein Miguel Delibes wirkt.
Delibes, am 17. Oktober 1920 in Valladolid geboren und vor zehn Jahren dort verstorben, ist unbestritten einer der größten spanischsprachigen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts. 1991 publizierte er diese Künstlerphantasie, vier Jahre später erschien sie zum ersten Mal in deutscher Übersetzung. Jetzt kommt sie anlässlich des hundertsten Geburtstags abermals heraus. Noch immer ist eindrücklich, mit welch erzählerischer Leichtigkeit es Delibes versteht, die Krisengeschichte in eine hochbrisante Familienkonstellation zu überführen.
Die Erzählung spielt 1975. Franco liegt im Sterben. Mit seiner Lebenskraft schrumpft auch die diktatorische Macht. Weshalb es zu ersten Freilassungen politischer Gefangener kommt. Nicolas' Tochter Ana wird nach Jahren aus dem Gefängnis entlassen. An sie wendet sich der Maler mit seiner Erzählung, um ihr das in der Gefangenschaft Verpasste vorzutragen. Doch nicht nur Franco ringt mit dem Tod, sondern auch die Frau des Malers. Nach und nach stellt sich heraus, dass sie an einem Gehirntumor leidet. Während sie aber in einem Akt größter Selbstdisziplin und Fürsorge für die ihr Nächsten ihre Lebenskräfte noch einmal bündelt, fühlt der Maler sich über Monate hinweg schlaff wie ein ausgewrungenes Handtuch. Sie stirbt, er muss weiterleben.
Von ihrem Tod gezeichnet, lässt Nicolas schreibend das Bild seiner Frau aufleben. Nicht etwa als "das berühmte Bildnis mit dem roten Kleid, einer doppelreihigen Perlenkette und Handschuhen bis zu den Ellbogen". Das nämlich hatte schon vor Jahren Nicolas' Konkurrent García Elvira vollbracht. Sondern als schlichte Schwarzweißmalerei der linear verlaufenden Schrift.
Ein zutiefst pessimistisches Weltbild unterliegt dieser Erzählung: Das Leben an sich, so führt der Maler aus, bestehe nur aus einer kurzen Zeit des Erblühens. Schon in der Jugend setze der unaufhaltsame Verfall ein. Leben sei nur hinausgezögertes Sterben. Mit Hilfe einiger Tricks lasse sich diese Tatsache für einzelne Momente vergessen. Liebe, künstlerisches Schaffen und zuletzt nur noch der Alkohol machen dich glauben: "Du nimmst am Leben teil, das Leben geht an der Grube, in der du verwest, nicht vorbei, ohne zu merken, daß es dich gibt." Nur wenn das Leben die eigene Existenz wahrnimmt, kommt es zu einer vorübergehenden Leichtigkeit. Die Erinnerungen verschwinden, "gleichzeitig verwandelt sich die drückende Schwere deines Körpers in eine Art schwebende Durchlässigkeit. So ähnlich wie bei Fieber. Ist der Trancezustand vorüber, überfällt dich die Niedergeschlagenheit."
Dem Medium Schrift vertraut der Maler sich an, weil es, anders als das Bild, die Erinnerungen aufrufen und gleichzeitig in hinreichender Distanz halten kann. Schreiben heißt, das Grubendasein aushalten, ohne sofort auf dem Boden der Tatsachen aufzuschlagen. Schreiben garantiert keine Erlösung. Es ist ein schmutziger Deal, dem unausweichlich etwas zutiefst Unheimliches anhaftet. Wenn in den schriftlichen Erinnerungen der hochverehrten Frau alles mit ungeheurer Leichtigkeit von der Hand geht, wenn sie zugleich ihr Leben vollständig in den Dienst ihres Mannes stellt. Oder auch wenn sie - wie der Erzähler betont - angeblich keinerlei körperliche Spuren von ihren Schwangerschaften trägt, verleihen ihr diese Zuschreibungen etwas Monströses.
"Frau in Rot auf grauem Grund" gilt als erzählerische Hommage an Delibes' Frau, Ángeles de Castro, die 1974 im Alter von 51 Jahren verstarb. Die Erzählung besticht aber nicht etwa durch eine vorbehaltlose Liebeserklärung, an der sich heute manches Unzeitgemäße studieren lässt. Sondern vielmehr durch die fein ausbalancierte Bedrohlichkeit, die diesen Text durchzieht. Wenn das Leben den Menschen in seiner Grube wahrnimmt, sendet es ihm offenbar seinerseits schon wieder nur einen Todesgruß. Für diese bedrohliche Schönheit hat wohl weniger der Maler Nicolas als vielmehr der Autor Miguel Delibes ein wahrhaft meisterhaftes Gespür, das jetzt neu auflebt.
CHRISTIAN METZ
Miguel Delibes: "Frau in Rot auf grauem Grund". Roman.
Aus dem Spanischen von Michael Hofmann. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2020. 144 S., geb., 19,- [Euro].
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"Ein kleines Meisterstück über die Idealisierungen in der Liebe und ihren Preis." Der Spiegel