Der 1904 in Wien entstandene Roman behandelt ein typisch »dekadentes« Thema: Verheiratete, gut situierte Frau hat aus Langeweile Affären mit jungen Männern. In dieser Hinsicht lässt er Cankars Nahverhältnis zu den berühmten Vorbildern der Wiener Moderne erkennen. Dekadent aber ist nur die Epoche des fin de siècle, in der Roman angesiedelt ist. Für den Slowenen Ivan Cankar und seine Judit birgt dieses zu Ende gehen zugleich die Hoffnung auf einen Neubeginn in Freiheit; einer Freiheit, die alle Lebensbereiche umfasst. So ist Frau Judit vor allem ein die Gesellschaftsmoral entlarvender Text mit stark satirischer Note, ein Zeugnis des Kulturkampfes gegen den Kleingeist und des Auflebens der Avantgarde in Slowenien.Dass Ivan Cankar mit seiner Protagonistin, der schönen und guten Frau Judit, eine der starken und bleibenden Frauengestalten der Weltliteratur schuf, weiß man bei uns nur deshalb nicht, weil es bis heute keine Übersetzung ins Deutsche gab.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Adam Olschewski stellt einen Autor vor, den hierzulande kaum jemand kennt. Deswegen sei die Initiative des kleinen Drava-Verlages aus dem österreichischen Klagenfurt nicht genug zu loben, meint Olschewski und preist außerdem den Übersetzer Erwin Köstler, in dem Ivan Cankar im deutschen Sprachraum definitiv sein Sprachrohr gefunden habe. Kein Wunder, möchte man einwenden, dass Ivan Cankar hierzulande ein Unbekannter ist: er stammte aus Slowenien und starb bereits 1918 im Alter von 42 Jahren. Eine Figur der literarischen Peripherie, die für Olschweski dennoch zu den ganz Großen zählt. Die Übersetzung des aus dem Jahr 1904 stammenden Romans "Frau Judit" beweist es für ihn zweifelsfrei: soviel Lakonie findet er umwerfend, eine Lakonie, staunt Olschewski, die ganz und gar ohne Illusion sei. "Frau Judit" erzählt die Geschichte einer Frau, die konsequent ihr Leben gelebt hat, ein freies Leben so weit es ging, das ihr dennoch keine größeren Freiheiten eingebracht hat, da ihre Umgebung verlogen und unfrei war. "Frau Judit" sei mehr als ein Plädoyer der Zeit gegen Engstirnigkeit und Kleinstadtmief, meint Olschweski; er sieht in dem Roman den Versuch des Autors, die Unterscheidung zwischen Moral und Unmoral zu widerlegen und zu zeigen, dass Unmoral letztlich Interpretationssache ist.
© Perlentaucher Medien GmbH
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