"Der schicksalhafte Weg einer Frau von heute aus der Familiengebundenheit in ein Leben frei von allen Beziehungen. Mohrs Menschen leben alle mit einem Urdunklen hinter sich. Sie folgen auf ihren Wegen einem Drang aus dem Unbewußten. Es ist die Angst, das Gefühl des Abgeschnittenseins, das aus der Ebbe, dem Leersein der Welt kommt, was sie auf rastlose Wanderungen treibt. Sie fliehen vor den Falschheiten der Zeit und suchen ihr eigenes Leben, um darin glücklich zu sein. So bewegt, spannend, heutig, taghell und leicht die Vorgänge in diesem Roman sind, so merkwürdig, nächtlich und unfaßbar ist der Untergrund." So der Klappentext der Erstausgabe von 1933. Viel hat sich nicht geändert.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.04.2020Die Zeit ist da
Max Mohrs Roman "Frau ohne Reue"
Dass der reiche Bankier Gade gewarnt war, liegt auf der Hand: Seine Frau Lina, beschäftigt mit der gemeinsamen Tochter Jane, hatte ihm klar gesagt, dass sie an diesem Abend nicht zur Verfügung stünde, wenn er wieder einmal einem Besucher sein Familienglück präsentieren wollte. Er führt trotzdem jenen Paul Fenn, der wegen einer Stelle als Auslandskorrespondent in China zu ihm in die Grunewaldvilla gekommen war, ins Kinderzimmer, wo Lina Jane gerade ins Bett bringt. "Mein liebes Kind", so spricht Gade seine Frau an, stolz darauf, sich durchgesetzt zu haben. Als er kurz darauf ein geschäftliches London-Telefonat führen muss, greift sich Lina die lang gepackte Tasche und verlässt das Haus. Mit Fenn.
Es ist eine große Liebe, die sich da entwickelt, nicht sofort, aber umso fester. Beide opfern, woran sie hängen, Lina ihre Tochter, Paul die ersehnte Korrespondentenstelle, und als sie, inzwischen miteinander verheiratet, dann doch die kleine Jane in Berlin entführen, um mit ihr auf einem Hof in den Tiroler Bergen zu leben, verschieben sich die Gewichte zwischen ihnen allmählich. Max Mohrs Roman "Frau ohne Reue" spielt in der Zeit der Weimarer Republik, die Frage nach einem adäquaten Geschlechterverhältnis ist unterschwellig fortwährend präsent, unangenehme Sprüche der männlichen Protagonisten inklusive, und dass diese Dinge so, wie sie stehen, nicht mehr einfach fortdauern können, ist dem Roman eingeschrieben. Besonders Paul Fenn ist auf der Suche nach seiner Rolle an der Seite einer Frau; dass er dabei scheitert, ist nur konsequent, und auch, dass es für Lina damit noch lange nicht an ein Ende gekommen ist.
Max Mohr, geboren 1891 in Würzburg als Sohn eines jüdischen Malzfabrikanten, studierte Medizin und praktizierte im Ersten Weltkrieg an der Front. 1920 heiratete er und zog mit seiner Frau auf einen Einödhof am Tegernsee, schrieb Romane und Theaterstücke, darunter "Ramper", ein Drama um einen Polarforscher, der in Grönland alles Menschliche einbüßt, gewaltsam in die Zivilisation zurückgebracht und in einem Varieté als "Tiermensch" ausgestellt wird - 1927 wurde das Stück mit Paul Wegener verfilmt. Mohrs Ehe war kompliziert, und nachdem sein Antrag auf Mitgliedschaft im "Reichsverband Deutscher Schriftsteller" abgelehnt worden war, ging er 1934 nach Schanghai, wo er sich als Arzt niederließ und 1937 starb.
"Frau ohne Reue" konnte 1933 noch bei S. Fischer erscheinen, aber in seiner pessimistischen Weltsicht, im Ausprobieren und Verwerfen aller möglichen Entwürfe im Gesellschaftlichen wie im Privaten möchte man den Roman symptomatisch für eine Krisenzeit nennen, die geradewegs in die Katastrophe überging. Das beginnt mit einem Posaunenspieler, der sich in der allerersten Szene an den Straßenrand stellt und spielt, was Lina mit einem gemurmelten "Die Zeit ist da" begleitet, ohne genau zu wissen, was daraus folgt, bis zum Scheitern am Ende beim Versuch, angesichts der Situation in den Städten wenigstens im Naturraum ein emanzipiertes Leben zu führen - ein Ausweg ist nicht in Sicht.
Und trotzdem ist es kein Roman einer Niederlage. Die scharf gezeichneten Protagonisten, allen voran Lina, besitzen eine Würde, die sie selbst im Scheitern nicht verlässt. Und wenn das Buch nun in diesem Frühjahr im Rahmen von "Würzburg liest ein Buch" neue Aufmerksamkeit erhält, dann ist das auch deshalb verdient, weil die Fragen, die es an uns richtet, noch längst nicht beantwortet sind.
TILMAN SPRECKELSEN
Max Mohr:
"Frau ohne Reue".
Roman.
Mit einer
biographischen Skizze von Roland Flade.
Weidle Verlag,
Bonn 2020.
224 S., br., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Max Mohrs Roman "Frau ohne Reue"
Dass der reiche Bankier Gade gewarnt war, liegt auf der Hand: Seine Frau Lina, beschäftigt mit der gemeinsamen Tochter Jane, hatte ihm klar gesagt, dass sie an diesem Abend nicht zur Verfügung stünde, wenn er wieder einmal einem Besucher sein Familienglück präsentieren wollte. Er führt trotzdem jenen Paul Fenn, der wegen einer Stelle als Auslandskorrespondent in China zu ihm in die Grunewaldvilla gekommen war, ins Kinderzimmer, wo Lina Jane gerade ins Bett bringt. "Mein liebes Kind", so spricht Gade seine Frau an, stolz darauf, sich durchgesetzt zu haben. Als er kurz darauf ein geschäftliches London-Telefonat führen muss, greift sich Lina die lang gepackte Tasche und verlässt das Haus. Mit Fenn.
Es ist eine große Liebe, die sich da entwickelt, nicht sofort, aber umso fester. Beide opfern, woran sie hängen, Lina ihre Tochter, Paul die ersehnte Korrespondentenstelle, und als sie, inzwischen miteinander verheiratet, dann doch die kleine Jane in Berlin entführen, um mit ihr auf einem Hof in den Tiroler Bergen zu leben, verschieben sich die Gewichte zwischen ihnen allmählich. Max Mohrs Roman "Frau ohne Reue" spielt in der Zeit der Weimarer Republik, die Frage nach einem adäquaten Geschlechterverhältnis ist unterschwellig fortwährend präsent, unangenehme Sprüche der männlichen Protagonisten inklusive, und dass diese Dinge so, wie sie stehen, nicht mehr einfach fortdauern können, ist dem Roman eingeschrieben. Besonders Paul Fenn ist auf der Suche nach seiner Rolle an der Seite einer Frau; dass er dabei scheitert, ist nur konsequent, und auch, dass es für Lina damit noch lange nicht an ein Ende gekommen ist.
Max Mohr, geboren 1891 in Würzburg als Sohn eines jüdischen Malzfabrikanten, studierte Medizin und praktizierte im Ersten Weltkrieg an der Front. 1920 heiratete er und zog mit seiner Frau auf einen Einödhof am Tegernsee, schrieb Romane und Theaterstücke, darunter "Ramper", ein Drama um einen Polarforscher, der in Grönland alles Menschliche einbüßt, gewaltsam in die Zivilisation zurückgebracht und in einem Varieté als "Tiermensch" ausgestellt wird - 1927 wurde das Stück mit Paul Wegener verfilmt. Mohrs Ehe war kompliziert, und nachdem sein Antrag auf Mitgliedschaft im "Reichsverband Deutscher Schriftsteller" abgelehnt worden war, ging er 1934 nach Schanghai, wo er sich als Arzt niederließ und 1937 starb.
"Frau ohne Reue" konnte 1933 noch bei S. Fischer erscheinen, aber in seiner pessimistischen Weltsicht, im Ausprobieren und Verwerfen aller möglichen Entwürfe im Gesellschaftlichen wie im Privaten möchte man den Roman symptomatisch für eine Krisenzeit nennen, die geradewegs in die Katastrophe überging. Das beginnt mit einem Posaunenspieler, der sich in der allerersten Szene an den Straßenrand stellt und spielt, was Lina mit einem gemurmelten "Die Zeit ist da" begleitet, ohne genau zu wissen, was daraus folgt, bis zum Scheitern am Ende beim Versuch, angesichts der Situation in den Städten wenigstens im Naturraum ein emanzipiertes Leben zu führen - ein Ausweg ist nicht in Sicht.
Und trotzdem ist es kein Roman einer Niederlage. Die scharf gezeichneten Protagonisten, allen voran Lina, besitzen eine Würde, die sie selbst im Scheitern nicht verlässt. Und wenn das Buch nun in diesem Frühjahr im Rahmen von "Würzburg liest ein Buch" neue Aufmerksamkeit erhält, dann ist das auch deshalb verdient, weil die Fragen, die es an uns richtet, noch längst nicht beantwortet sind.
TILMAN SPRECKELSEN
Max Mohr:
"Frau ohne Reue".
Roman.
Mit einer
biographischen Skizze von Roland Flade.
Weidle Verlag,
Bonn 2020.
224 S., br., 14,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main