Produktdetails
- Verlag: Landeszentrale f. polit. Bild. Thüringen
- ISBN-13: 9783943588262
- Artikelnr.: 40138226
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2017Die Arbeitskraft, die alles schafft
Anna Kaminsky über die Geschichte der Frauen in der DDR
Zu den zahlreichen Mythen der DDR-Geschichte gehört die Ansicht, dass an der SED-Diktatur zwar so gut wie alles schlecht und manches verbrecherisch gewesen sei, aber immerhin die Frauen gleichberechtigt waren. Diese Legende wird von Anna Kaminsky in ihrer vorzüglichen und gut lesbaren Geschichte der Frauen in der DDR systematisch widerlegt. Auf dem Papier sah alles großartig aus: Die Gleichberechtigung wurde 1946/47 in die Verfassungen der Länder und in die DDR-Verfassung von 1949 aufgenommen. Seit 1947 galt zudem die Devise "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit". Diese Überzeugung stützte sich auf die Lehre von sozialistischen Theoretikern wie Friedrich Engels, August Bebel und Clara Zetkin, dass die Frauenfrage als Teil der sozialen Frage gelöst werden müsse. Mit dem Ende der ökonomischen Abhängigkeit des Arbeiters vom Kapital, so lautete die Quintessenz, werde sich die Befreiung der Frau aus ihren Abhängigkeiten gleichsam automatisch vollziehen.
Die sozialistische Alltagspraxis sah allerdings anders aus. Den Frauen widmete sich die DDR weniger in emanzipatorischer Absicht als aus der Notwendigkeit heraus, dringend benötigte Arbeitskräfte für den Staatsaufbau zu gewinnen. Die nahezu vollständige Einbeziehung von Frauen in den Arbeitsprozess wurde durchgesetzt, weil die marode DDR-Volkswirtschaft auf alle Kräfte angewiesen war. Wer als Frau in den 1950er und 1960er Jahren einen anderen Weg gehen wollte, sah sich schnell propagandistisch als "Heimchen am Herd" oder als "Schmarotzerin" an den Pranger gestellt. In dieser Hinsicht fällt das Urteil vernichtend aus: "Gleichberechtigung hieß in der DDR vor allem: Arbeiten wie die Männer." Als die Mauer schließlich fiel, gingen über 90 Prozent der Frauen in der DDR arbeiten, eine der weltweit höchsten Erwerbstätigkeitsquoten. In der Bundesrepublik gingen zur gleichen Zeit nur die Hälfte der Frauen einer beruflichen Arbeit nach. Die strukturellen Benachteiligungen blieben hingegen bestehen, zumal die SED noch lange Zeit eine reichlich "patriarchalische Haltung" zu Frauenfragen einnahm und selbst die Vorbereitung des "Internationalen Jahrs der Frau in der DDR" 1975 vom ZK-Funktionär Alfred Neumann organisiert wurde.
Und das Leben unter der Mehrfachbelastung war anstrengend, weil die Frauen gleichsam nebenbei stundenlang um Lebensmittel Schlange stehen mussten, sich zudem ständig weiterbilden und gesellschaftlich aktiv sein sollten. Der eher erzwungene als freiwillige Partizipationsprozess trug zu einer fast beiläufigen Emanzipation bei. Die Beteiligung der Frauen an der Produktion war mit erheblichen materiellen Anreizen verbunden: Arbeitszeitverkürzung, die Verlängerung des bezahlten Mutterschaftsurlaubs und der Ausbau von Kindertagesstätten und Kindergärten. In den 1970er Jahren kam die Erhöhung der Mindestlöhne, der Mindestrenten und der Urlaubstage hinzu. Außerdem wurde die Familienpolitik durch die Einführung eines "Babyjahres" und die Vergabe von Krediten an Eltern verbessert.
In der DDR war, verglichen mit der Bundesrepublik, das Heiratsalter niedriger. Frauen heirateten statistisch gesehen mit 22 Jahren, und sie wurden auch deutlich früher schwanger, was nicht zuletzt mit dem Wohnungsbau zusammenhing. Um der Wohnungsnot beizukommen, wurden in den 1970er Jahren in der DDR Tausende neuer Wohnungen aus dem Boden gestampft, die über Zentralheizung und eigene Toilette verfügten: Nur mit Trauschein bestand für junge Paare eine realistische Chance auf Zuweisung einer dieser ebenso knappen wie begehrten Wohnungen, deren Einrichtung noch mit einem großzügigen staatlichen Kredit gefördert wurde. Dessen Rückzahlung wurde teilweise erlassen, wenn sich Nachwuchs einstellte. Selbst wenn eine junge Frau während der Ausbildungszeit ihre Kinder bekam, war das in der Regel kein Handicap für ihre Berufschancen: Die Kinder konnten problemlos in Kinderkrippen und Ganztageskindergärten untergebracht werden, wo sie zudem den - möglicherweise schädlichen - ideologischen Einflüssen der Eltern entzogen waren.
Die Kehrseite der großen Zahl früh geschlossener Ehen war die überproportional hohe Scheidungsrate. Im Jahr 1985 betrug die Scheidungsrate in der DDR 38,9 Prozent. Die Wohnungsknappheit führte zu paradoxen Situationen. Selbst nach einer Scheidung oder wenn man sich auseinandergelebt hatte und nichts mehr miteinander zu tun haben wollte, lebten viele Ex-Paare notgedrungen zum Teil jahrelang weiter in der gemeinsamen Wohnung zusammen. Hinsichtlich der Familienplanung konnten Frauen ab 1965 mit der "Wunschkindpille" selbst entscheiden, wann sie schwanger werden wollten. Schwangerschaftsabbrüche wurden legalisiert, aber eine professionelle Beratung über die Konsequenzen blieb rudimentär, wenn man einmal von den spärlichen konfessionellen Einrichtungen absah. Wie umstritten die "Geburtenregelung" selbst in der DDR war, zeigte sich daran, dass die Abstimmung hierüber im Jahr 1972 die einzige während der SED-Herrschaft war, bei der die Volkskammerabgeordneten nicht einstimmig votierten. Der immer offensichtlichere Geburtenrückgang beschäftigte auch die SED. Untersuchungen kamen zum Ergebnis, dass die Befragten angesichts der Belastungen nicht länger an die Vereinbarkeit von Haushalt, Familie und Beruf glaubten. Mit finanziellen Anreizen gegenzusteuern konnte sich die DDR seit den 1970er Jahren immer weniger leisten, und hierunter litten vor allem ältere und oftmals alleinstehende Frauen.
Ganz grundsätzlich blieb die Bundesrepublik die "positive Vergleichsgesellschaft" ( M. Rainer Lepsius). Und so wie der sowjetische Parteichef Leonid Breschnew schließlich Erich Honecker warnte, dass mit den Autos der westdeutschen Besucher auch deren "Ideologie" in die DDR komme, wirkten auch die westliche Mode und moderne Haushaltsgegenstände bedrohlich. Ostdeutsche Hausfrauen sollten erst gar keine Begehrlichkeiten entwickeln. Die in den 1970er Jahren in der Bundesrepublik erstmals angebotenen Mikrowellengeräte und ähnliche Gerätschaften wurden beispielsweise von Ost-Berliner Apparatschiks als "teure Spielerei" bezeichnet, die nicht in einen "sozialistischen Haushalt" gehören. In Wirklichkeit hatte sich, so Kaminsky, auch bei den Ostdeutschen die "Gewissheit längst durchgesetzt, dass es sich im Westen besser lebte".
Als die DDR 1989 ihr wohlverdientes Ende fand, waren die Frauen in der DDR in mancher Hinsicht abermals die Leidtragenden: Die vielen, die den Spagat zwischen Berufstätigkeit und Familie versucht hatten, fanden wenig Verständnis für die Belastungen, denen sie ausgesetzt gewesen waren und mussten sich jetzt sogar als "Rabenmütter" beschimpfen lassen, weil sie ihre Kinder in die Betreuungseinrichtungen der SED-Diktatur gegeben hatten.
JOACHIM SCHOLTYSECK
Anna Kaminsky: Frauen in der DDR. Ch. Links Verlag, Berlin 2016. 317 S., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Anna Kaminsky über die Geschichte der Frauen in der DDR
Zu den zahlreichen Mythen der DDR-Geschichte gehört die Ansicht, dass an der SED-Diktatur zwar so gut wie alles schlecht und manches verbrecherisch gewesen sei, aber immerhin die Frauen gleichberechtigt waren. Diese Legende wird von Anna Kaminsky in ihrer vorzüglichen und gut lesbaren Geschichte der Frauen in der DDR systematisch widerlegt. Auf dem Papier sah alles großartig aus: Die Gleichberechtigung wurde 1946/47 in die Verfassungen der Länder und in die DDR-Verfassung von 1949 aufgenommen. Seit 1947 galt zudem die Devise "Gleicher Lohn für gleiche Arbeit". Diese Überzeugung stützte sich auf die Lehre von sozialistischen Theoretikern wie Friedrich Engels, August Bebel und Clara Zetkin, dass die Frauenfrage als Teil der sozialen Frage gelöst werden müsse. Mit dem Ende der ökonomischen Abhängigkeit des Arbeiters vom Kapital, so lautete die Quintessenz, werde sich die Befreiung der Frau aus ihren Abhängigkeiten gleichsam automatisch vollziehen.
Die sozialistische Alltagspraxis sah allerdings anders aus. Den Frauen widmete sich die DDR weniger in emanzipatorischer Absicht als aus der Notwendigkeit heraus, dringend benötigte Arbeitskräfte für den Staatsaufbau zu gewinnen. Die nahezu vollständige Einbeziehung von Frauen in den Arbeitsprozess wurde durchgesetzt, weil die marode DDR-Volkswirtschaft auf alle Kräfte angewiesen war. Wer als Frau in den 1950er und 1960er Jahren einen anderen Weg gehen wollte, sah sich schnell propagandistisch als "Heimchen am Herd" oder als "Schmarotzerin" an den Pranger gestellt. In dieser Hinsicht fällt das Urteil vernichtend aus: "Gleichberechtigung hieß in der DDR vor allem: Arbeiten wie die Männer." Als die Mauer schließlich fiel, gingen über 90 Prozent der Frauen in der DDR arbeiten, eine der weltweit höchsten Erwerbstätigkeitsquoten. In der Bundesrepublik gingen zur gleichen Zeit nur die Hälfte der Frauen einer beruflichen Arbeit nach. Die strukturellen Benachteiligungen blieben hingegen bestehen, zumal die SED noch lange Zeit eine reichlich "patriarchalische Haltung" zu Frauenfragen einnahm und selbst die Vorbereitung des "Internationalen Jahrs der Frau in der DDR" 1975 vom ZK-Funktionär Alfred Neumann organisiert wurde.
Und das Leben unter der Mehrfachbelastung war anstrengend, weil die Frauen gleichsam nebenbei stundenlang um Lebensmittel Schlange stehen mussten, sich zudem ständig weiterbilden und gesellschaftlich aktiv sein sollten. Der eher erzwungene als freiwillige Partizipationsprozess trug zu einer fast beiläufigen Emanzipation bei. Die Beteiligung der Frauen an der Produktion war mit erheblichen materiellen Anreizen verbunden: Arbeitszeitverkürzung, die Verlängerung des bezahlten Mutterschaftsurlaubs und der Ausbau von Kindertagesstätten und Kindergärten. In den 1970er Jahren kam die Erhöhung der Mindestlöhne, der Mindestrenten und der Urlaubstage hinzu. Außerdem wurde die Familienpolitik durch die Einführung eines "Babyjahres" und die Vergabe von Krediten an Eltern verbessert.
In der DDR war, verglichen mit der Bundesrepublik, das Heiratsalter niedriger. Frauen heirateten statistisch gesehen mit 22 Jahren, und sie wurden auch deutlich früher schwanger, was nicht zuletzt mit dem Wohnungsbau zusammenhing. Um der Wohnungsnot beizukommen, wurden in den 1970er Jahren in der DDR Tausende neuer Wohnungen aus dem Boden gestampft, die über Zentralheizung und eigene Toilette verfügten: Nur mit Trauschein bestand für junge Paare eine realistische Chance auf Zuweisung einer dieser ebenso knappen wie begehrten Wohnungen, deren Einrichtung noch mit einem großzügigen staatlichen Kredit gefördert wurde. Dessen Rückzahlung wurde teilweise erlassen, wenn sich Nachwuchs einstellte. Selbst wenn eine junge Frau während der Ausbildungszeit ihre Kinder bekam, war das in der Regel kein Handicap für ihre Berufschancen: Die Kinder konnten problemlos in Kinderkrippen und Ganztageskindergärten untergebracht werden, wo sie zudem den - möglicherweise schädlichen - ideologischen Einflüssen der Eltern entzogen waren.
Die Kehrseite der großen Zahl früh geschlossener Ehen war die überproportional hohe Scheidungsrate. Im Jahr 1985 betrug die Scheidungsrate in der DDR 38,9 Prozent. Die Wohnungsknappheit führte zu paradoxen Situationen. Selbst nach einer Scheidung oder wenn man sich auseinandergelebt hatte und nichts mehr miteinander zu tun haben wollte, lebten viele Ex-Paare notgedrungen zum Teil jahrelang weiter in der gemeinsamen Wohnung zusammen. Hinsichtlich der Familienplanung konnten Frauen ab 1965 mit der "Wunschkindpille" selbst entscheiden, wann sie schwanger werden wollten. Schwangerschaftsabbrüche wurden legalisiert, aber eine professionelle Beratung über die Konsequenzen blieb rudimentär, wenn man einmal von den spärlichen konfessionellen Einrichtungen absah. Wie umstritten die "Geburtenregelung" selbst in der DDR war, zeigte sich daran, dass die Abstimmung hierüber im Jahr 1972 die einzige während der SED-Herrschaft war, bei der die Volkskammerabgeordneten nicht einstimmig votierten. Der immer offensichtlichere Geburtenrückgang beschäftigte auch die SED. Untersuchungen kamen zum Ergebnis, dass die Befragten angesichts der Belastungen nicht länger an die Vereinbarkeit von Haushalt, Familie und Beruf glaubten. Mit finanziellen Anreizen gegenzusteuern konnte sich die DDR seit den 1970er Jahren immer weniger leisten, und hierunter litten vor allem ältere und oftmals alleinstehende Frauen.
Ganz grundsätzlich blieb die Bundesrepublik die "positive Vergleichsgesellschaft" ( M. Rainer Lepsius). Und so wie der sowjetische Parteichef Leonid Breschnew schließlich Erich Honecker warnte, dass mit den Autos der westdeutschen Besucher auch deren "Ideologie" in die DDR komme, wirkten auch die westliche Mode und moderne Haushaltsgegenstände bedrohlich. Ostdeutsche Hausfrauen sollten erst gar keine Begehrlichkeiten entwickeln. Die in den 1970er Jahren in der Bundesrepublik erstmals angebotenen Mikrowellengeräte und ähnliche Gerätschaften wurden beispielsweise von Ost-Berliner Apparatschiks als "teure Spielerei" bezeichnet, die nicht in einen "sozialistischen Haushalt" gehören. In Wirklichkeit hatte sich, so Kaminsky, auch bei den Ostdeutschen die "Gewissheit längst durchgesetzt, dass es sich im Westen besser lebte".
Als die DDR 1989 ihr wohlverdientes Ende fand, waren die Frauen in der DDR in mancher Hinsicht abermals die Leidtragenden: Die vielen, die den Spagat zwischen Berufstätigkeit und Familie versucht hatten, fanden wenig Verständnis für die Belastungen, denen sie ausgesetzt gewesen waren und mussten sich jetzt sogar als "Rabenmütter" beschimpfen lassen, weil sie ihre Kinder in die Betreuungseinrichtungen der SED-Diktatur gegeben hatten.
JOACHIM SCHOLTYSECK
Anna Kaminsky: Frauen in der DDR. Ch. Links Verlag, Berlin 2016. 317 S., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main