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Die renommierte englische Historikerin Olwen Hufton legt eine meisterhafte, für ein breites Publikum interessante Gesamtdarstellung der Lebensverhältnisse von Frauen in der Frühen Neuzeit vor. Dieses Buch stellt nach mehr als dreißig Jahren Frauenforschung einen Meilenstein in der Frauengeschichtsschreibung dar.

Produktbeschreibung
Die renommierte englische Historikerin Olwen Hufton legt eine meisterhafte, für ein breites Publikum interessante Gesamtdarstellung der Lebensverhältnisse von Frauen in der Frühen Neuzeit vor. Dieses Buch stellt nach mehr als dreißig Jahren Frauenforschung einen Meilenstein in der Frauengeschichtsschreibung dar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.1998

Wehe, wenn sie Witwen wurden
Von der Wiege bis zur Bahre lauter schwere, harte Jahre: Olwen Hufton erkundet Frauenleben im Europa der Frühen Neuzeit

Eine Talkshow zu nachmittäglicher Stunde, Thema: "Ehefrau trifft Geliebte". Katja, das "Verhältnis", mit weizenblonder Perücke und XXL-Fingernägeln bewaffnet, verachtet ihre Widersacherin: "Die wiegt hundertfünfzig Kilo!" Eine unerhörte Schmähung, findet die betrogene Gattin. Erbarmungslos liegen sich die Rivalinnen in den Haaren, bis ein Zuschauer eingreift. "Meine Frau würde mir den Lümmel abschneiden", sagt er - und erntet tosenden Applaus.

Eifersuchtszank dieser Art trug sich schon vor vierhundert Jahren nicht im stillen Kämmerlein zu. Auf dem Marktplatz, am Waschtrog, beim Kirchgang - täglich und überall trafen Ehefrauen und Favoritinnen aufeinander. Kein Wunder, daß dabei oft die Fetzen flogen, wie Olwen Hufton in ihrer Studie über "Frauenleben" dokumentiert. In der Regel führte eine gebeutelte Gemahlin den ersten Streich und knöpfte sich ihre Nebenbuhlerin vor. Da der Hinauswurf des treulosen Gatten selten in Frage kam, galt es zumindest, dessen Gespielin einzuschüchtern.

Der umworbene Mann - lebenswichtiger Ernährer einerseits, Liebhaber andererseits - mochte sich unterdessen entspannt zurücklehnen und weiterhin den erotischen Vagabunden spielen. Was ging es ihn an, wenn die Weiber einander die Hölle heiß machten? Eine Entmannung aus purer Rache stand kaum zu befürchten, wurden doch tätliche Übergriffe seitens der Ehefrau von den Gerichten drakonisch bestraft. Und eine Annulierung der Heirat drohte allenfalls, wenn die wutschnaubende Gattin nachweisen konnte, daß der Hausherr sein Züchtigungsrecht maßlos überzogen hatte oder im Bett ein Versager war. Dann nämlich, so erklärten Theologen, Juristen und Mediziner, bleibe seiner Gefährtin die wahre Seligkeit verwehrt. Womit freilich nicht der Gipfel der Wollust, sondern die Jammertäler des Wochenbetts gemeint waren.

Den häuslichen Verwicklungen im frühneuzeitlichen Alltag spürt Olwen Hufton, Historikerin in Oxford, erwartungsgemäß besonders aufmerksam nach. Schließlich bestimmten Ehe, Geburten, Kinderstube und Witwenstand das Schicksal jeder Frau. Methodisch hält das Buch keine Überraschungen bereit. Hufton möchte die Wechselwirkungen zwischen Vorstellungs- und Daseinsmustern, zwischen Frauenbild und -existenz aus kultur-, sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Perspektive beleuchten. Auch die Ergebnisse der Untersuchung können keine Originalität beanspruchen. Statt neue Quellen auszugraben, verläßt sich die Expertin auf den Forschungsstand.

Trotzdem ist "Frauenleben" ein Glücksfall. Denn Hufton hat einerseits mit großem Geschick die Literaturberge der Geschlechtergeschichte vermessen und in eine übersichtliche Topographie verwandelt. Andererseits hat sie den Anspruch, mikro- und makrohistorische Betrachtungen zu verbinden, über weite Strecken eingelöst - und das ist mehr, als sich von vielen ähnlich gelagerten Unternehmungen behaupten läßt.

Was dem Buch besonders zugute kommt, ist die straffe Organisation des Materials, die den Vergleich über Klassen- und Ländergrenzen hinweg ermöglicht. Während die Eingangskapitel um weibliche Lebenszyklen kreisen, um Kindheit, Beruf, Heirat, Mutterschaft und Matronendasein im Alter, lenkt der zweite Teil des Bandes den Blick auf die vielfältigen Formen gesellschaftlicher Integration und Abweichung. Hier begegnen uns Kindsmörderinnen, Mätressen und Teufelsanbeterinnen ebenso wie wohltätige Ordensfrauen, Schriftstellerinnen oder jene Pariser Anführerinnen, denen es anno 1789 vor allem darum ging, den eigenen Brotkorb zu verteidigen.

Die wirtschaftlichen Aspekte spielen bei Hufton eine große Rolle. In der Frühen Neuzeit verließen schon elf- oder zwölfjährige Mädchen das Elternhaus, um sich anderswo zu verdingen und auf diese Weise eine Mitgift zusammenzusparen. Ohne entsprechende Rücklagen fand keine Europäerin eine passende Partie. Freilich fiel die Aussteuer je nach Schicht und Alter der Braut sehr unterschiedlich aus. So mußten etwa die Väter des Adels oder der Geldaristokratie rund ein Drittel ihres Vermögens lockermachen, um ihre Töchter unter die Haube zu bringen. Auf den Dörfern hingegen wechselten vor allem Naturalien oder bescheidene Habseligkeiten den Besitzer. Letztlich heiratete der Bauer nicht das Geld, sondern die Arbeitskraft.

Ob in der Stadt oder auf dem flachen Land - die Frauen hatten in der Geschäftswelt der Frühen Neuzeit ihren festen Platz. Im Handwerk etwa sorgten sie für die Lehrlinge und Gesellen, führten die Bücher, erledigten Botengänge und hielten den Verkauf in Schwung. Schwierig gestaltete sich ihre Lage allerdings, sobald der Mann starb und die Werkstatt ohne Meister verwaiste. Gelang es der Witwe nicht, einen neuen Beschützer aufzutreiben, mußte sie sich schnell nach einem anderen Broterwerb umsehen. Als Lohnköchin, Putzmacherin, Kleiderhändlerin oder als Arbeiterin in der aufstrebenden Textilindustrie ließ sich zwar Geld verdienen. Doch das Gespenst der Armut blieb ein ständiger Begleiter. Gerade alleinstehende Frauen werkelten stets mit Notbehelfen und suchten ihr Auskommen mal in diesem, mal in jenem und notfalls auch im unzüchtigen Gewerbe. Dabei galt die Prostituierte keineswegs überall und zu allen Zeiten als Abschaum. Im Venedig der Spätrenaissance rankte sich ein wahrer Kult um jene extravagant gekleideten Geschöpfe, die nicht nur körperliche Reize, sondern auch Bildung, Geschmack und musische Talente vorzuweisen hatten. Dagegen machte die Reformation den lizenzierten Bordellen jenseits der Alpen sofort den Garaus. Doch die Bekehrungsversuche der protestantischen Eiferer fruchteten wenig. Kuppelei und käufliche Liebe blieben ein fester Bestandteil des öffentlichen Lebens und wechselten nur innerhalb Europas ihre Standorte. So stiegen London, Paris und Amsterdam empor und wurden die neuen Metropolen des Lasters, während die Kurtisanenverehrung in Italien allmählich verflachte.

Olwen Hufton lotet die beruflichen wie privaten Spielräume aus, welche die sozialen Zwänge den Frauen ließen, und das macht ihr Buch sympathisch. Obwohl sie die patriarchalischen Strukturen nicht übersieht, verfällt sie nicht in den Leidensgestus hingeopferter Weiblichkeit. Vergleicht man ihre Monographie mit ähnlichen Kompendien, etwa dem dritten Band der "Geschichte der Frauen" im selben Verlag, werden die Vorzüge schnell deutlich. Die Dramaturgie der Darstellung überzeugt ebenso wie die klare, einfache Sprache. Historische Entwicklungen - Brüche und Kontinuitäten - werden im europäischen Querschnitt sichtbar gemacht. Dabei ist zwar manche Forschungskontroverse auf der Strecke geblieben, und die Bibliographie hinkt dem neuesten Stand hinterher. Aber derartige Schönheitsfehler ändern nichts daran, daß Olwen Hufton mit "Frauenleben" eine überaus kompetente und kurzweilige Einführung in die weibliche Welt der Frühen Neuzeit gelungen ist. DORION WEICKMANN.

Olwen Hufton: "Frauenleben". Eine europäische Geschichte 1500-1800. Aus dem Englischen von Holger Fliessbach und Rena Passenthien. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1998. 720 S., Abb., geb., 78,- DM.

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