Ohnmächtige, wehrlose graue Mäuse, das ist oft das Bild, das der Westen von arabischen Frauen hat. Meist wird über sie, selten mit ihnen geredet. Nun kommen Araberinnen selbst zu Wort, lassen ihr Leben für sich sprechen.In Porträts und Reportagen erzählt Karim El-Gawhary vom Leben in den dunklen Zeiten der Diktatur, während der Aufstände und in der heutigen arabischen Welt.Da ist Umm Naama, die mit einem Euro am Tag ihre sechsköpfige Familie durchbringt.Mariam, die gegen sexuelle Gewalt am Tahrir-Platz kämpft.Sareen, die Scharfschützin Gaddafis, und die junge syrische Widerstandskämpferin Kouki. Oder die Palästinenserin Kamile, deren Sohn in den Krieg zieht, weil Mama nicht gegen Gott konkurrieren kann. Da ist Manal, die sich als erste saudische Frau beim Autofahren filmen ließ. Oder Umm Khaled, die einzige LKW-Fahrerin Ägyptens, die mit ihrem 30-Tonner durchs Nilland brettert. Karim El-Gawhary hinterfragt Stereotypen.Es geht nicht darum, Dinge schönzureden. Asmaa, eine junge libysche Frauenrechtlerin, sagt: "Es ist wichtig, was wir im, und nicht, was wir auf dem Kopf haben." In diesem Buch geht es Darum was arabische Frauen im Kopf haben.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Es ist die Summe der vielen einzelnen Schicksale, die für Nadia Pantel das große Bild ergibt. Wenn der Journalist Karim El-Gawhary, zum Glück frei von jeder Erkläronkel-Attitüde, wie die Rezensentin konstatiert, Frauenschicksale in Libyen, Syrien oder dem Jemen detailliert dokumentiert, schätzt sie daran vor allem das von wenig Analyse und Interpretation unterbrochene Protokollarische. Ob der Autor eine Frauenrechtlerin zeigt, die Gründerin einer Gewerkschaft für Brotverkäuferinnen in Suez oder Frauen, die um das Überleben ihrer Familie kämpfen - immer bleibt El-Gawhary laut Pantel neutral, was die Rollenverteilung angeht und gibt, so die Rezensentin weiter, den Ereignissen, die wir aus der Presse kennen, eine persönliche Note.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 26.11.2013Taxi fahren
in Kairo
Kharim El-Gawhary zeigt Frauen
in der islamischen Welt
Wenn ein Mann ein Buch über „Frauenpower“ schreibt, fällt es schwer, ein kritisches Zucken der linken Augenbraue zu unterdrücken. Noch dazu, wenn ein deutscher Journalist in Libyen, Ägypten, Saudi-Arabien, Syrien, Palästina und dem Jemen nach „Pionierinnen“ und „Kämpferinnen“ sucht, wie die Kapitelüberschriften versprechen. Gefällt sich da ein Autor in väterlichem Schulterklopfen? Genau, danke: so geht Emanzipation, sobald eine Frau das Kopftuch ablegt?
Zum Glück ist Karim El-Gawhary kein Erkläronkel sondern ein detailgenauer Chronist. Er analysiert und interpretiert wenig, sondern protokolliert einfach die Gedanken und den Alltag seiner Protagonistinnen. Die haben wenig miteinander gemeinsam. Nur eines eint sie: dass sie Frauen sind. Manche von ihnen machen Karriere, so wie Salwa Aliresa in einer PR-Agentur in Saudi-Arabien, manche kämpfen für faire Arbeitsbedingungen, so wie Abier Aschour, die im ägyptischen Suez die erste Gewerkschaft für Brotverkäuferinnen gründet, manche sind Frauenrechtlerinnen, so wie Manal El-Scharif, die dafür kämpft, dass Frauen in Saudi-Arabien ihren Führerschein machen dürfen, und manche ringen schlicht ums Überleben, so wie Umm Naama, die am Stadtrand von Kairo ihren kranken Mann und ihre vier Kinder mit einem Euro und zehn Cent am Tag satt bekommen muss.
„Die größte Herausforderung für die Frauen in Ägypten sind nicht die Islamisten (...). Der größte Feind der Frauen ist die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage“, schreibt El-Gawhary. Seine Berichte kommen ohne klare Rollenverteilung aus. Ist die arabische Welt frauenfeindlich? Jede der Frauen in El-Gawharys Buch hat darauf eine andere Antwort. Eine sagt, ohne Anti-Depressiva halte sie die männliche Bevormundung in Saudi-Arabien nicht aus. Eine andere erzählt, dass sie als Taxifahrerin in Kairo nicht diskriminiert, sondern im Gegenteil besonders oft gebucht wird.
Als Leiter des Nahostbüros des ORF in Kairo berichtet El-Gawhary über alle Großereignisse von Gaza bis Tripolis. Und so geistern durch die persönlichen Geschichten dieses Buches die bekannten Schlagzeilen: israelische Phosphor-Granaten in Palästina, tödliche Ausschreitungen der Fußballfans in Port-Said, Euphorie und Gewalt auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Aus der Perspektive einzelner Frauen erzählt, werden diese Nachrichten zu Zeugnissen vom Tod der Tochter, von der Verhaftung des Sohnes oder auch von persönlichen Triumphen. Und je lebendiger „die arabische Welt“ in der Vielzahl der gesammelten Stimmen wird, desto weniger scheint sie erklärbar.
El-Gawhary beendet sein Buch mit den lakonischen Worten: „Der Wandel lässt sich nicht in Jahreszeiten beschreiben“. Statt den arabische Frühling zu feiern, erzählt er von Hoffnung und Versagen und von vielen kleinen, mutigen Entscheidungen.
NADIA PANTEL
Karim El-Gawhary : Frauenpower auf Arabisch. Jenseits von Klischee und Kopftuchdebatte. Verlag Kremayr &Scheriau, 2013. 203 Seiten, 22 Euro.
Der größte Feind der Frauen:
die schlechte ökonomische Lage
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
in Kairo
Kharim El-Gawhary zeigt Frauen
in der islamischen Welt
Wenn ein Mann ein Buch über „Frauenpower“ schreibt, fällt es schwer, ein kritisches Zucken der linken Augenbraue zu unterdrücken. Noch dazu, wenn ein deutscher Journalist in Libyen, Ägypten, Saudi-Arabien, Syrien, Palästina und dem Jemen nach „Pionierinnen“ und „Kämpferinnen“ sucht, wie die Kapitelüberschriften versprechen. Gefällt sich da ein Autor in väterlichem Schulterklopfen? Genau, danke: so geht Emanzipation, sobald eine Frau das Kopftuch ablegt?
Zum Glück ist Karim El-Gawhary kein Erkläronkel sondern ein detailgenauer Chronist. Er analysiert und interpretiert wenig, sondern protokolliert einfach die Gedanken und den Alltag seiner Protagonistinnen. Die haben wenig miteinander gemeinsam. Nur eines eint sie: dass sie Frauen sind. Manche von ihnen machen Karriere, so wie Salwa Aliresa in einer PR-Agentur in Saudi-Arabien, manche kämpfen für faire Arbeitsbedingungen, so wie Abier Aschour, die im ägyptischen Suez die erste Gewerkschaft für Brotverkäuferinnen gründet, manche sind Frauenrechtlerinnen, so wie Manal El-Scharif, die dafür kämpft, dass Frauen in Saudi-Arabien ihren Führerschein machen dürfen, und manche ringen schlicht ums Überleben, so wie Umm Naama, die am Stadtrand von Kairo ihren kranken Mann und ihre vier Kinder mit einem Euro und zehn Cent am Tag satt bekommen muss.
„Die größte Herausforderung für die Frauen in Ägypten sind nicht die Islamisten (...). Der größte Feind der Frauen ist die sich verschlechternde wirtschaftliche Lage“, schreibt El-Gawhary. Seine Berichte kommen ohne klare Rollenverteilung aus. Ist die arabische Welt frauenfeindlich? Jede der Frauen in El-Gawharys Buch hat darauf eine andere Antwort. Eine sagt, ohne Anti-Depressiva halte sie die männliche Bevormundung in Saudi-Arabien nicht aus. Eine andere erzählt, dass sie als Taxifahrerin in Kairo nicht diskriminiert, sondern im Gegenteil besonders oft gebucht wird.
Als Leiter des Nahostbüros des ORF in Kairo berichtet El-Gawhary über alle Großereignisse von Gaza bis Tripolis. Und so geistern durch die persönlichen Geschichten dieses Buches die bekannten Schlagzeilen: israelische Phosphor-Granaten in Palästina, tödliche Ausschreitungen der Fußballfans in Port-Said, Euphorie und Gewalt auf dem Tahrir-Platz in Kairo. Aus der Perspektive einzelner Frauen erzählt, werden diese Nachrichten zu Zeugnissen vom Tod der Tochter, von der Verhaftung des Sohnes oder auch von persönlichen Triumphen. Und je lebendiger „die arabische Welt“ in der Vielzahl der gesammelten Stimmen wird, desto weniger scheint sie erklärbar.
El-Gawhary beendet sein Buch mit den lakonischen Worten: „Der Wandel lässt sich nicht in Jahreszeiten beschreiben“. Statt den arabische Frühling zu feiern, erzählt er von Hoffnung und Versagen und von vielen kleinen, mutigen Entscheidungen.
NADIA PANTEL
Karim El-Gawhary : Frauenpower auf Arabisch. Jenseits von Klischee und Kopftuchdebatte. Verlag Kremayr &Scheriau, 2013. 203 Seiten, 22 Euro.
Der größte Feind der Frauen:
die schlechte ökonomische Lage
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.12.2013Sie haben den Schlüssel zur Zukunft in der Hand
Frauenpower ist der Motor der Arabellion: Der Journalist Karim El-Gawhary porträtiert ungewöhnliche Araberinnen, die ihr Schicksal nicht länger klaglos hinnehmen
Man wird Karim El-Gawhary kaum unterstellen, er wisse nicht, wie schlecht es um den Status der Frauen in arabischen und islamischen Ländern bestellt ist, oder lehne gar deren Emanzipation ab. Seit 1991 berichtet er, Sohn einer deutschen Mutter und eines ägyptischen Vaters, für deutsche Zeitungen als Korrespondent über die Ereignisse in der arabischen Welt. Seit 2004 leitet er das Büro des ORF in Kairo. Umso wichtiger ist es, dass er in seinem jüngsten Buch einmal ein ganz anderes Bild von "der arabischen Frau" zeichnet, ein Bild jenseits der Kopftuchdebatte und weitverbreiteter Klischees. Wer kein Kopftuch trägt, kann nicht automatisch als klug oder emanzipiert gelten, und wer es trägt, ist deshalb nicht automatisch dumm. Es kommt ganz auf den Kopf an.
El-Gawhary stellt Frauen aus Ägypten, Libyen, Syrien, Saudi-Arabien, dem Jemen und aus Bahrein vor. Schwerpunkt ist Ägypten, das Herz der Arabellion - jenes Aufstandes der arabischen Massen gegen ihre Unterdrücker, der nun schon drei Jahre alt ist und - vorsichtig ausgedrückt - bis jetzt sehr gemischte Ergebnisse gezeitigt hat. Freilich wird aus diesem Buch deutlich, welche Rolle gerade Frauen in dieser Erhebung gespielt haben - unter ungleich schwierigeren Bedingungen als die arabischen Männer. Und die Frauen - etwa jene des Tahrir-Platzes, die sich gegen sexuelle Belästigung gewehrt haben und wehren - setzen darauf, dass "die Revolution" ihnen eines Tages doch ihre Rechte geben werde.
Doch schon jetzt gibt es im patriarchalisch strukturierten Arabien Biographien von Frauen, die staunen machen. Da ist Umm Khaled, von Beruf Fernfahrerin, die einzige Ägypterin, die einen schweren Truck durch das Land fährt, allseits respektiert von ihren männlichen Arbeitskollegen, die sich am Ende doch damit abgefunden haben, dass "eine Frau so etwas kann". Da ist eine andere Ägypterin, die Tag für Tag ein Taxi durch den apokalyptischen Verkehrsstrom Kairos steuert; oder Abier, die in Suez - als Folge der Revolution gegen Husni Mubarak und befeuert durch sie - eine Gewerkschaft der Brotverkäuferinnen gegründet hat. Sie organisierte Streiks, wie überhaupt die Rolle der Arbeitsniederlegungen im Kampf gegen das alte Regime bis jetzt zu wenig gewürdigt worden ist. Die Revolution gegen Mubarak hat sich nicht allein auf dem Tahrir-Platz abgespielt.
In Libyen, wo eine neue Unübersichtlichkeit eingezogen ist, haben Frauen sowohl auf der Seite des gestürzten Diktators Gaddafi als auch auf der Seite der Rebellen mitgekämpft. Der Autor stellt sie vor und beschreibt die Hoffnungen, die sie für die Zukunft hegen. Sie zu verwirklichen wird in Libyen nicht viel einfacher sein als in Bahrein, wo die politische Aktivistin Zeinab Demütigungen und Gefängnis auf sich genommen hat in ihrem Kampf an der Seite der Opposition. Die Auseinandersetzung dort ist besonders schwierig und vor allem gefährlich, weil das übermächtige Saudi-Arabien keinerlei Interesse an politischen Veränderungen, gar Umstürzen in seiner Nachbarschaft hat. In Bahrein stellen die diskriminierten Schiiten die Bevölkerungsmehrheit, und die Schiiten Saudi-Arabiens sind ein ständiger Pfahl im Fleisch der dortigen wahhabitischen Herrscher.
Mehr noch gilt dies freilich für mutige Frauen wie Manal El-Scharif, die am 19. Mai 2011 in der saudischen Stadt Khobar auf spektakuläre Weise das für Frauen gültige Verbot, Auto zu fahren, übertrat und damit der Frauenbewegung in ihrem krankhaft auf Geschlechter-Apartheid gegründeten Land neuen Schwung verlieh.
Der mittlere Teil des Buches fällt ein wenig aus dem Gesamtkonzept heraus. Unter der Überschrift "Die bitteren Verliererinnen" schildert der Autor arabische Frauen, die zu Opfern des Fanatismus oder einer ungerechten Justiz wurden. Doch selbst diese palästinensischen oder ägyptischen Frauen, die als Mütter ihre Söhne oder Töchter verloren haben, weil diese freiwillig im Irak "für Saddam Hussein gegen die Imperialisten" kämpfen wollten oder sich im Kampf gegen die israelische Besetzung des Westjordanlandes in die Luft sprengten oder beim berüchtigten Fußball-Massaker von Port Said getötet wurden, treten allmählich aus der bloßen Rolle von Dulderinnen heraus und sind nicht mehr bereit, ihr Schicksal klaglos auf sich zu nehmen.
In letzter Zeit wird die Frage gestellt, ob die Arabellion die Verhältnisse nicht verschlimmert habe, ob der Aufstand der Massen zwischen Tunis und Manama den Aufwand und Eifer seiner Protagonisten überhaupt wert gewesen sei; angesichts des schleppenden Fortschritts in den betroffenen Ländern, angesichts des blutigen Krieges in Syrien ist diese Frage nur allzu berechtigt. Die von Karim El-Gawhary vorgestellten arabischen Frauen sind da optimistischer als auswärtige Beobachter, weil sie eine nicht unbeträchtliche Rolle dabei gespielt haben und noch spielen.
Die "Frauen vom Tahrir" haben die Erfahrung gemacht, dass man sich erfolgreich wehren kann - gegen Patriarchen, Machos, Traditionalisten, Salafisten und oft auch die eigenen Mütter, die in gesellschaftlicher Starre verharren. Freilich wissen sie, und Karim El-Gawhary schreibt auch darüber, dass der Weg in eine selbstbestimmte Zukunft lang und schwierig sein wird. Doch die Frauen haben wohl den Schlüssel zum Erfolg der Arabellion in der Hand. Ob ständige westliche Belehrungen die Entwicklung erleichtern, ist fraglich.
WOLFGANG GÜNTER LERCH
Karim El-Gawhary: "Frauenpower auf Arabisch". Jenseits von Klischees und Kopftuchdebatte.
Verlag Kremayr und Scheriau, Wien 2013. 203 S., Abb., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Frauenpower ist der Motor der Arabellion: Der Journalist Karim El-Gawhary porträtiert ungewöhnliche Araberinnen, die ihr Schicksal nicht länger klaglos hinnehmen
Man wird Karim El-Gawhary kaum unterstellen, er wisse nicht, wie schlecht es um den Status der Frauen in arabischen und islamischen Ländern bestellt ist, oder lehne gar deren Emanzipation ab. Seit 1991 berichtet er, Sohn einer deutschen Mutter und eines ägyptischen Vaters, für deutsche Zeitungen als Korrespondent über die Ereignisse in der arabischen Welt. Seit 2004 leitet er das Büro des ORF in Kairo. Umso wichtiger ist es, dass er in seinem jüngsten Buch einmal ein ganz anderes Bild von "der arabischen Frau" zeichnet, ein Bild jenseits der Kopftuchdebatte und weitverbreiteter Klischees. Wer kein Kopftuch trägt, kann nicht automatisch als klug oder emanzipiert gelten, und wer es trägt, ist deshalb nicht automatisch dumm. Es kommt ganz auf den Kopf an.
El-Gawhary stellt Frauen aus Ägypten, Libyen, Syrien, Saudi-Arabien, dem Jemen und aus Bahrein vor. Schwerpunkt ist Ägypten, das Herz der Arabellion - jenes Aufstandes der arabischen Massen gegen ihre Unterdrücker, der nun schon drei Jahre alt ist und - vorsichtig ausgedrückt - bis jetzt sehr gemischte Ergebnisse gezeitigt hat. Freilich wird aus diesem Buch deutlich, welche Rolle gerade Frauen in dieser Erhebung gespielt haben - unter ungleich schwierigeren Bedingungen als die arabischen Männer. Und die Frauen - etwa jene des Tahrir-Platzes, die sich gegen sexuelle Belästigung gewehrt haben und wehren - setzen darauf, dass "die Revolution" ihnen eines Tages doch ihre Rechte geben werde.
Doch schon jetzt gibt es im patriarchalisch strukturierten Arabien Biographien von Frauen, die staunen machen. Da ist Umm Khaled, von Beruf Fernfahrerin, die einzige Ägypterin, die einen schweren Truck durch das Land fährt, allseits respektiert von ihren männlichen Arbeitskollegen, die sich am Ende doch damit abgefunden haben, dass "eine Frau so etwas kann". Da ist eine andere Ägypterin, die Tag für Tag ein Taxi durch den apokalyptischen Verkehrsstrom Kairos steuert; oder Abier, die in Suez - als Folge der Revolution gegen Husni Mubarak und befeuert durch sie - eine Gewerkschaft der Brotverkäuferinnen gegründet hat. Sie organisierte Streiks, wie überhaupt die Rolle der Arbeitsniederlegungen im Kampf gegen das alte Regime bis jetzt zu wenig gewürdigt worden ist. Die Revolution gegen Mubarak hat sich nicht allein auf dem Tahrir-Platz abgespielt.
In Libyen, wo eine neue Unübersichtlichkeit eingezogen ist, haben Frauen sowohl auf der Seite des gestürzten Diktators Gaddafi als auch auf der Seite der Rebellen mitgekämpft. Der Autor stellt sie vor und beschreibt die Hoffnungen, die sie für die Zukunft hegen. Sie zu verwirklichen wird in Libyen nicht viel einfacher sein als in Bahrein, wo die politische Aktivistin Zeinab Demütigungen und Gefängnis auf sich genommen hat in ihrem Kampf an der Seite der Opposition. Die Auseinandersetzung dort ist besonders schwierig und vor allem gefährlich, weil das übermächtige Saudi-Arabien keinerlei Interesse an politischen Veränderungen, gar Umstürzen in seiner Nachbarschaft hat. In Bahrein stellen die diskriminierten Schiiten die Bevölkerungsmehrheit, und die Schiiten Saudi-Arabiens sind ein ständiger Pfahl im Fleisch der dortigen wahhabitischen Herrscher.
Mehr noch gilt dies freilich für mutige Frauen wie Manal El-Scharif, die am 19. Mai 2011 in der saudischen Stadt Khobar auf spektakuläre Weise das für Frauen gültige Verbot, Auto zu fahren, übertrat und damit der Frauenbewegung in ihrem krankhaft auf Geschlechter-Apartheid gegründeten Land neuen Schwung verlieh.
Der mittlere Teil des Buches fällt ein wenig aus dem Gesamtkonzept heraus. Unter der Überschrift "Die bitteren Verliererinnen" schildert der Autor arabische Frauen, die zu Opfern des Fanatismus oder einer ungerechten Justiz wurden. Doch selbst diese palästinensischen oder ägyptischen Frauen, die als Mütter ihre Söhne oder Töchter verloren haben, weil diese freiwillig im Irak "für Saddam Hussein gegen die Imperialisten" kämpfen wollten oder sich im Kampf gegen die israelische Besetzung des Westjordanlandes in die Luft sprengten oder beim berüchtigten Fußball-Massaker von Port Said getötet wurden, treten allmählich aus der bloßen Rolle von Dulderinnen heraus und sind nicht mehr bereit, ihr Schicksal klaglos auf sich zu nehmen.
In letzter Zeit wird die Frage gestellt, ob die Arabellion die Verhältnisse nicht verschlimmert habe, ob der Aufstand der Massen zwischen Tunis und Manama den Aufwand und Eifer seiner Protagonisten überhaupt wert gewesen sei; angesichts des schleppenden Fortschritts in den betroffenen Ländern, angesichts des blutigen Krieges in Syrien ist diese Frage nur allzu berechtigt. Die von Karim El-Gawhary vorgestellten arabischen Frauen sind da optimistischer als auswärtige Beobachter, weil sie eine nicht unbeträchtliche Rolle dabei gespielt haben und noch spielen.
Die "Frauen vom Tahrir" haben die Erfahrung gemacht, dass man sich erfolgreich wehren kann - gegen Patriarchen, Machos, Traditionalisten, Salafisten und oft auch die eigenen Mütter, die in gesellschaftlicher Starre verharren. Freilich wissen sie, und Karim El-Gawhary schreibt auch darüber, dass der Weg in eine selbstbestimmte Zukunft lang und schwierig sein wird. Doch die Frauen haben wohl den Schlüssel zum Erfolg der Arabellion in der Hand. Ob ständige westliche Belehrungen die Entwicklung erleichtern, ist fraglich.
WOLFGANG GÜNTER LERCH
Karim El-Gawhary: "Frauenpower auf Arabisch". Jenseits von Klischees und Kopftuchdebatte.
Verlag Kremayr und Scheriau, Wien 2013. 203 S., Abb., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main