Dieses Buch ist keine Anleitung zum Free Solo. Die gibt es nicht, kann und darf es nie geben. Für viele Alpinisten ist das Klettern ohne irgendeine Sicherung Wahnsinn, sind die Männer und Frauen, die schwierigste Routen ohne Klettergurt und Seil gehen, Verrückte. Für wenige ist das Free Solo Klettern in seiner reinsten Form, eine Begegnung mit sich selbst, bei der die mentale Stärke alles ist, bei der in der Auseinandersetzung mit dem Tod Eindrücke intensivster Daseinserfahrung entstehen, die ein Leben verändern. Alexander Huber, einer der besten Kletterer der Welt, hat selbst viele seilfreie und exponierte Alleingänge unternommen. In Free Solo gibt er Einblick in eine exklusive Welt an der Grenze des Möglichen. Das Ergebnis ist zweifellos eines der spektakulärsten Alpinbücher des Jahres, bebildert mit ebenso opulenten wie faszinierenden Fotos. Authentisch und offen schildert Huber die Motive und Visionen, die hinter diesen atemberaubenden Klettereien stecken und macht deutlich, dass für die meisten der Ausnahmekönner, die nach intensivem Training und minutiöser Planung eine Route ohne Sicherungen durchklettern, ein Free Solo ein kalkulierbares Risiko ist. Dabei gibt er ein sensibles Psychogramm seiner eigenen Motive. Die Geschichte des seilfreien Kletterns ist so alt wie der Alpinismus: Ausführlich werden Wegbereiter wie Paul Preuß, Emilio Comici, Cesare Maestri oder Claudio Barbier gewürdigt, wird die Entwicklung des explizit formulierten Anspruchs "Free solo" durch John Bachar im Yosemite-Valley ebenso beschrieben wie die Entwicklung zum Bigwall-Klettern. Ein wichtiger Fokus des Buches liegt auf der inneren Wirklichkeit der Menschen, die spektakuläre Free Solos unternommen haben. Ihren Textbeiträgen ist breiter Raum gelassen. Der Leser ist dabei, wenn Alex Honnold in "Moonlight Butress" am Half Dome klettert, Alain Robert "La Nuit du Lézard" wagt, Alexander Huber die berühmte "Diretissima" an der großen Zinne durchsteigt, Hansjörg Auer den "Weg durch den Fisch" an der Marmolada-Südwand klettert und bei vielen anderen Unternehmungen mehr.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.12.2009Der Irrsinn im Fels
Verrückt. Völlig verrückt. Das ist der erste Gedanke, der einem bei der Lektüre von Alexander Hubers Buch "Free Solo" kommt. Free Solo, das heißt: klettern ohne Seil, ohne Gurt, ohne Sicherung. Klettern in Urform, klettern als Nervenspiel, mit minimalen Mitteln und maximalem Einsatz - dem eigenen Leben. Free Solo, schreibt der Extrembergsteiger Alexander Huber, sei für ihn der Inbegriff der Kletterkunst, nicht etwa selbstzerstörerischer Akt eines Hasardeurs. Als solcher erscheint es trotzdem manchen Außenstehenden, und die Fotos der Kletterer, die sich in oft haarsträubenden Situationen mit Zehen- und Fingerspitzen an senkrechte Felswände krallen, tragen wenig dazu bei, den Eindruck zu entkräften. Der Tod ist immer mit im Bild: Was, wenn der Fels bröckelt? Ein Griff ausbricht? Die Nerven für einen Moment versagen? Free-Solo-Klettern ist eine eigene Welt. Huber gibt sich alle Mühe, eine Brücke zu schlagen in diese fremde, schwer verständliche Welt. Er beschreibt die Anfänge in den Alpen und die Begründung des Begriffs durch den Amerikaner John Bachar, dessen Alleingänge im Yosemite Valley Anfang der achtziger Jahre Aufsehen erregten. Huber lässt die Kletterer selbst zu Wort kommen, lässt sie erzählen von der mentalen Kraft, der tranceartigen Konzentration, der perfekten Einheit von Geist und Körper. Was von außen wie ein überhebliches Spiel mit dem Tod wirkt, erfahren sie als ungeahnte Intensität des Lebens. Mit allen Zweifeln, die bleiben: Bevor Huber im Sommer des Jahres 2002 die fünfhundert Meter hohe Nordwand der Großen Zinne in den Dolomiten durchstieg, ging ihm durch den Kopf: Was würde er wohl spüren beim Absturz? Würde er sich noch ärgern über den Fehler? Erst als er die "schwarzen Gedanken" beiseitegeschoben, die innere Sicherheit gefunden hat, steigt er ein. Das erste Bild des Buchs zeigt ihn in der Wand, an einem Arm hängend, die Beine über dem Abgrund baumelnd, mit aufgerissenen Augen. Weit weg vom Rest der Welt. Free-Solo-Klettern mag verrückt wirken, hochmütig, größenwahnsinnig. Alexander Huber gelingt es dennoch, Einblicke zu geben in die Frage, was Kletterer dazu antreibt, was sie darin suchen und oft ja auch finden. Kompetent geschrieben und packend illustriert, ist "Free Solo" ein fesselndes Zeugnis einer zwiespältigen Leidenschaft.
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"Free Solo" von Alexander Huber. BLV Buchverlag, München 2009. 160 Seiten, 90 Abbildungen. Gebunden, 29,90 Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Verrückt. Völlig verrückt. Das ist der erste Gedanke, der einem bei der Lektüre von Alexander Hubers Buch "Free Solo" kommt. Free Solo, das heißt: klettern ohne Seil, ohne Gurt, ohne Sicherung. Klettern in Urform, klettern als Nervenspiel, mit minimalen Mitteln und maximalem Einsatz - dem eigenen Leben. Free Solo, schreibt der Extrembergsteiger Alexander Huber, sei für ihn der Inbegriff der Kletterkunst, nicht etwa selbstzerstörerischer Akt eines Hasardeurs. Als solcher erscheint es trotzdem manchen Außenstehenden, und die Fotos der Kletterer, die sich in oft haarsträubenden Situationen mit Zehen- und Fingerspitzen an senkrechte Felswände krallen, tragen wenig dazu bei, den Eindruck zu entkräften. Der Tod ist immer mit im Bild: Was, wenn der Fels bröckelt? Ein Griff ausbricht? Die Nerven für einen Moment versagen? Free-Solo-Klettern ist eine eigene Welt. Huber gibt sich alle Mühe, eine Brücke zu schlagen in diese fremde, schwer verständliche Welt. Er beschreibt die Anfänge in den Alpen und die Begründung des Begriffs durch den Amerikaner John Bachar, dessen Alleingänge im Yosemite Valley Anfang der achtziger Jahre Aufsehen erregten. Huber lässt die Kletterer selbst zu Wort kommen, lässt sie erzählen von der mentalen Kraft, der tranceartigen Konzentration, der perfekten Einheit von Geist und Körper. Was von außen wie ein überhebliches Spiel mit dem Tod wirkt, erfahren sie als ungeahnte Intensität des Lebens. Mit allen Zweifeln, die bleiben: Bevor Huber im Sommer des Jahres 2002 die fünfhundert Meter hohe Nordwand der Großen Zinne in den Dolomiten durchstieg, ging ihm durch den Kopf: Was würde er wohl spüren beim Absturz? Würde er sich noch ärgern über den Fehler? Erst als er die "schwarzen Gedanken" beiseitegeschoben, die innere Sicherheit gefunden hat, steigt er ein. Das erste Bild des Buchs zeigt ihn in der Wand, an einem Arm hängend, die Beine über dem Abgrund baumelnd, mit aufgerissenen Augen. Weit weg vom Rest der Welt. Free-Solo-Klettern mag verrückt wirken, hochmütig, größenwahnsinnig. Alexander Huber gelingt es dennoch, Einblicke zu geben in die Frage, was Kletterer dazu antreibt, was sie darin suchen und oft ja auch finden. Kompetent geschrieben und packend illustriert, ist "Free Solo" ein fesselndes Zeugnis einer zwiespältigen Leidenschaft.
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"Free Solo" von Alexander Huber. BLV Buchverlag, München 2009. 160 Seiten, 90 Abbildungen. Gebunden, 29,90 Euro.
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