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Freelander nimmt den Leser - wie schon der Roman Buick Rivera - mit auf eine rasante Fahrt. Der pensionierte Gymnasiallehrer für Geschichte Karlo Adum erhält ein Telegramm, das ihn zu einer Testamentseröffnung in seine Geburtsstadt Sarajevo zitiert. Widerwillig und eigens mit einer Pistole bewaffnet, verlässt er Zagreb und begibt sich auf eine abenteuerliche Reise.Je näher er in seinem treuen alten Volvo dem Ziel seiner Reise kommt, desto mehr Erinnerungen steigen in ihm auf: an seine hübsche, grausame »Mama Cica«, die gern mit deutschen und italienischen Offizieren flirtete; an den verrückt…mehr

Produktbeschreibung
Freelander nimmt den Leser - wie schon der Roman Buick Rivera - mit auf eine rasante Fahrt. Der pensionierte Gymnasiallehrer für Geschichte Karlo Adum erhält ein Telegramm, das ihn zu einer Testamentseröffnung in seine Geburtsstadt Sarajevo zitiert. Widerwillig und eigens mit einer Pistole bewaffnet, verlässt er Zagreb und begibt sich auf eine abenteuerliche Reise.Je näher er in seinem treuen alten Volvo dem Ziel seiner Reise kommt, desto mehr Erinnerungen steigen in ihm auf: an seine hübsche, grausame »Mama Cica«, die gern mit deutschen und italienischen Offizieren flirtete; an den verrückt gewordenen Vater; an die von der Ustascha erhängten Kommunisten vor der Kathedrale; an die Fahrt zum Meer in einem Bus mit geistig behinderten Kindern und an seine eigenen Verfehlungen in einer Welt voller nationaler Animositäten. Miljenko Jergovic zeigt sich erneut als Sprachkünstler von fulminanter Erzählfreude. Inspiriert von der Landschaft, durch die die Reise geht, sinniert er mal melancholisch, mal urkomisch über die menschliche Dummheit und den Sinn des Lebens.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Miljenko Jergovi¿, geboren 1966 in Sarajevo, lebt in Zagreb. Er arbeitet als Schriftsteller und politischer Kolumnist und ist einer der großen europäischen Gegenwartsautoren. Seine Bücher sind in zahlreiche Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet worden, zuletzt (gemeinsam mit seiner deutschen Übersetzerin Brigitte Döbert) mit dem Georg-Dehio-Buchpreis 2018. Der Österreichische Buchhandel verleiht ihm am 20. November 2022 den Ehrenpreis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.06.2010

Der Balkan ist ein Vorort von Detroit

Phantasievoll, komisch und spannend zugleich: Miljenko Jergovics Roman "Freelander" erzählt von einem Land, das der Krieg so gründlich umgepflügt hat, dass auch danach kein Frieden kommen konnte.

Ist Miljenko Jergovic ein kroatischer Clint Eastwood? Gibt es eine untergründige Verbindung vom Balkan zum Stadtrand von Detroit? Die Geschichte, die Jergovic in seinem neuen Roman "Freelander" erzählt, erinnert jedenfalls frappierend an "Gran Torino", das letzte Meisterstück des amerikanischen Regisseurs und Schauspielers. Hier wie dort steht ein Mann im Mittelpunkt, den die Kriegserinnerungen nicht loslassen. Hier wie dort ist auch in der Nachkriegszeit kein Frieden eingekehrt, abseits der alten Frontverläufe dominiert Gewalt den Alltag.

Der von Eastwood selbst gespielte Walt Kowalski ist ein knorriger alter Mann und gebrochener Patriot. Er hat in Korea gekämpft, bevor er in den Fordwerken von Detroit Autos zusammenschraubte. Die Relikte davon sind ein auf Hochglanz polierter Gran Torino Baujahr 1972 in der Garage und, stets in Griffweite: das alte Gewehr. Beides aber kommt nicht mehr zum Einsatz, denn der lungenkranke Mann wird bis zuletzt nicht mehr reisen und niemanden mehr erschießen. Und doch stirbt er im Krieg - als Opfer eines waffenstarrenden Bandenkampfs zwischen afroamerikanischen und asiatischen Jugendlichen. Eastwoods Heldenfigur rebelliert gegen den Irrsinn ethnisch motivierter Kriege, den der Regisseur von den Schlachtfeldern Koreas und Vietnams bis in die Nachbarschaft einer amerikanischen Vorstadt verlängert sieht.

Der 1966 geborene Schriftsteller Miljenko Jergovic kennt ethnischen Hass und die bestialische Gewalt zwischen Menschen, die bis gestern noch selbstverständlich zusammenlebten, aus eigener Anschauung. Er hat seine Heimatstadt Sarajevo im Belagerungszustand des Jahres 1993 verlassen. Seitdem lebt er in Zagreb. In "Freelander" erzählt er nun von einem Land, das der Krieg so gründlich umgepflügt hat, dass auch danach kein Frieden kommen konnte. Wie Walt Kowalski ist Jergovics Protagonist Karlo Adum ein griesgrämiger, verwitweter Einzelgänger, der nicht an Gott glauben kann. Seit der Pensionierung ist das Leben des ehemaligen Geschichtslehrers nichts als ein Warten auf den Tod, und wenn es zu einer letzten Selbstermächtigung kommen sollte, dann hat der sechsundsechzigjährige Adum dafür zwei Requisiten zur Hand: die alte Waffe und ein Auto, von dem er glaubt, dass es "wie ein gutes Pferd war, das im lockeren Trab die halbe Welt umrundet". Adum, so heißt es bittersüß, "war dem Volvo wie einem letzten Freund verbunden". Im Unterschied zu Kowalski macht er sich damit noch einmal auf den Weg.

Per Telegramm wird Karlo Adum aufgefordert, bei der Testamentseröffnung seines Onkels anwesend zu sein, und so kommt er zum ersten Mal nach fünfzig Jahren wieder in seine Geburtsstadt Sarajevo. Entlang der Fahrt dorthin, im orangefarbenen Volvo - "Baujahr 1975, Originallackierung und mit einem Hupton, der wie die Blechbläser in einer Mahler-Symphonie klingt" - entrollt sich die Handlung dieses kapitellosen Romans. Von Zagreb aus geht es durch entvölkerte Landstriche der Posavina, über neue Grenzen hinweg, vorbei an Ruinen, Minenfeldern und Friedhöfen nach Bosnien. Was wie ein Film an Adum vorbeizieht, ruft früheste Erinnerungen wach, darunter die schmerzlichsten. Etwa daran, wie die Mutter ihren Jungen kurz nach Kriegsende mit einer Gruppe kranker Kinder zur Erholung ans Meer schickt, in einem klapprigen ehemals deutschen Bus, von dem er schon als Siebenjähriger annimmt, er würde ihn in den Tod transportieren.

Plötzlich ist jedes Detail dieser Fahrt präsent, der Geruch nach Benzin, nach Schweiß von fünfzig Jungen, verschimmeltem Brot und dünner Suppe, die Peitschenhiebe des grausamen Aufsichtspersonals. Seine Mutter, "Mama Cica", war die Einzige, die beim Abschied nicht gewinkt hatte. Mit ihr zeichnet Jergovic eine übermächtige Frauenfigur. Ihren Mann, der durch einen Unfall einen Daumen verloren hatte und darüber bis in den Tod verzweifelte, überlebt sie durch Zähigkeit, der Übergang ins kommunistische System gelingt durch geschickte Anpassung. Auch rettet sie ihrem Sohn einmal das Leben. Die sexuelle Symbolik abgeschnittener männlicher Gliedmaßen lässt bereits ahnen, was Karlos Nachname dann überdeutlich auf den Begriff bringt: Adum, das kommt von Hadum, was Kastrat bedeutet. Der kinderlose Protagonist des Romans ist eine impotente Gestalt, und die Pistole, die er als Phallusersatz bei sich hat, wird bis zuletzt nicht abgefeuert.

So phantasiereich, komisch und nicht zuletzt spannend Miljenko Jergovic erzählt, möchte man das Buch nicht aus der Hand legen. Mit jedem gefahrenen Kilometer setzt Adums Leben sich vor unseren Augen zusammen. Auch für ihn selbst ist es aber eine Reise in die eigene Biographie, in der sich die komplizierte Geschichte Jugoslawiens vom Zweiten Weltkrieg bis heute spiegelt.

Allein das Wort für Lammbraten, der auf Kroatisch janjetina, auf Serbisch indes jagnjetina heißt, zeigt, wie marginal die Unterschiede der benachbarten Kulturen sind. Doch werden sie auch in Adums Augen manifest: "Er fürchtete sich einfach vor denen, die nicht wussten, wie überflüssig dieses g war, oder die aus einer Welt kamen, in der das g nicht überflüssig war." Mit abgründigem Humor erkennt der Protagonist seine bosnische Heimat als ein Land "an der Wende vom siebzehnten ins einundzwanzigste Jahrhundert". Am Ende scheint es, als sei nicht eine Erbschaft der Grund dieser Fahrt gewesen, sondern vielmehr der Versuch, mit sich selbst ins Reine zu kommen, um sterben zu können. Adum hatte fortwährend seinen eigenen Tod geträumt. In Sarajevo soll sich dieses Traumgesicht erfüllen. Er stirbt im Zimmer eines schäbigen Stundenhotels in seiner Geburtsstadt. Den Volvo vor der Tür haben seine Landsleute da bereits gründlich ausgeweidet.

STEFANIE PETER

Miljenko Jergovic: "Freelander". Roman. Aus dem Kroatischen von Brigitte Döbert, Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2010. 231 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.07.2010

Wegen solch feiner Unterschiede fließen Ströme von Blut
In einem alten, orangefarbenen Volvo über die Schlachtfelder: Miljenko Jergovics Roman „Freelander“ erzählt von einer Reise durch Bosnien
Wer denkt, fragt sich Karlo Adum, pensionierter Geschichtslehrer aus Zagreb, „bei einer Fahrt ans Adriatische Meer, an die schönste und abwechslungsreichste Küste der Welt, schon darüber nach, ob bei den letzten Massakern mehr Serben von Kroaten oder mehr Kroaten von Serben umgebracht wurden?“ Die Gäste, so uninformiert sie sonst auch seien, wüssten aber wenigstens, dass es den „Südslawen im Blut liegt, sich nichts schuldig zu bleiben“, weshalb „unser südslawisches Schlachten ebenso wie das Aufwärmen toter Schweine und Rinder in kroatischen Nationalgerichten nie ein Ende haben“ werde.
Man fragt sich unwillkürlich, wo Miljenko Jergovic, der in seinem Roman „Freelander“ diesen Karlo Adum auf eine letzte Reise durch Ex-Jugoslawien schickt, mehr gehasst wird, in Zagreb, in Belgrad oder vielleicht in Sarajevo? Dorthin geht jedenfalls die Reise Adums, durch Gegenden, die, ob sie nun Kroatien oder Bosnien heißen, vom letzten Krieg und all den Händeln zuvor erschöpft und gezeichnet sind.
Der Mann, der diese Reise macht, hat ein Auto, einen Volvo, „orangefarben, Originallackierung, Baujahr 1975, unfallfrei, erster Halter“, von dem es heißt, seine Hupe klänge wie die Blechbläser einer Mahler-Symphonie. Das ist gewissermaßen der mitteleuropäische Kammerton, der am Anfang des Romans erklingt. Am Ende klingt die Mahler-Symphonie noch einmal an, als Professur Adum verwirrt und delirierend in seinem Hotelzimmer in Sarajevo liegt, aber jetzt klingt sie, als würde sie „Richtung Albanien und Makedonien abgespielt, damit sie sich mit örtlichen Noten und Sitten anfüllt.“
Während Adum im Hotel einem ungewissen Ende entgegen dämmert, wird auf der Straße gerade sein Auto auseinander genommen, das Auto, das Adums „letzter Freund“ war. Ansonsten ist dem alten Studienrat alles abhanden gekommen, was ihm wichtig war: Seine Frau ist plötzlich gestorben, sein Schuldienst zu Ende gegangen, und eigentlich steht nichts mehr auf Adums Lebensprogramm, was sein Gemüt noch einmal erregen könnte, als ihn ein Telegramm erreicht. Ein Onkel hat ihm eine Geldsumme hinterlassen, er möge zur Testamentseröffnung nach Sarajevo kommen. Umgehend setzt sich Karlo Adum in seinen Volvo und bricht auf nach Sarajevo, mit einer Pistole im Handschuhfach.
„Freelander“ hieß die Chiffre des Kontos einer Zürcher Bank, auf dem das Geld lag, das nun Adum gehören soll. „Freelander“ heißt ein Auto der Marke Rover, das es noch gar nicht gab, als der Onkel das Testament machte. Ein „Freelander“ ist natürlich Karol Adum selbst, nicht dem Pass nach, aber nach allem, was ihn seine Reise lehrt. Man fühlt sich in Adums und Jergovics Exjugoslawien auf jeden Fall staatenlos, gleich wo man sich für einen Inländer halten möchte.
Mit einem unfehlbaren Sinn für das Schöne im Hässlichen und das Komische im Trostlosen (und umgekehrt) lässt Jergovic die Bizarrerien des ethnisch befriedeten Westbalkans hervortreten. Grenzübertritt nach Bosnien: „Auf dieser Seite, unter den Bergen und neben hässlichen Beton-Imitationen der Geschichten aus tausendundeiner Nacht, Kneipen und Nachtklubs, die Havaji, Holivud oder Bagdad hießen, mit dem beruhigenden, tröstlichen Blick auf kleine Dörfer und die Moscheen dabei, war man an der Wende vom siebzehnten ins einundzwanzigste Jahrhundert.“ In Bosnien erkennt man die nationalen Zugehörigkeiten an einem „g“ mehr oder weniger im Wort für Lammfleischspieße: Professor Adum hätte Hunger, aber ihn stört das „g“ in „jagnjetina“ zu sehr, als dass er hier einkehren wollte. „Wegen solch feiner Unterschiede fließen Ströme von Blut.“
Jergovic, in Sarajevo geboren und während des Belagerungszustands nach Zagreb ausgereist, schafft es spielend, die ganze komplizierte Geschichte von Identität, Herkunft und „Kultur“ in diesem Landstrich ins Anschauliche zu übersetzen.
Während sein Held durchs zwar pazifizierte, aber traurige Bosnien fährt, das „Land der Schrottplätze, Reifenhändler und Betonschwäne“, suchen ihn Erinnerungen heim. An die Ferienfahrt an die Adriaküste kurz nach Ende des Zweiten Weltkriegs, als er sich plötzlich in einem Todestransport wähnt. An die übergroße Figur der Mutter, „Mama Cica“ und ihren Mann, dem sein Bruder – der nun Adum das Geld vermacht hat – versehentlich den Daumen abgehackt hatte. Das titoistische Jugoslawien aus der AdumPerspektive (oder aus der Jergovics) hatte bei allen Defekten immerhin dem Hang zum Schlachten ein zeitweiliges Ende bereitet.
Karlo Adum fühlte sich vielleicht schon in Jugoslawien nicht wohl, aber niemals so unwohl wie jetzt auf der Straße nach Sarajevo, Leuten entgegen, die er nicht mag und die ihn nicht mögen. Man wünscht dem alten, müden Adum und seinem Auto mit der Hupe, die sich so „deutlich von dem hässlichen Bakelit-Quieken abhob, von dem jämmerlichen Winseln der teuren, unfertigen
Bastardprodukte der postmodernen Automobilindustrie“ alles erdenklich Gute, aber man ahnt ja, dass nichts gut werden kann. Ein erstaunliches, bewegendes, ebenso liebevolles wie krasses Buch über sein Land (was immer das
heißen mag) hat Miljenko Jergovic geschrieben, das neugierig macht auf die Bücher, die noch zu erwarten sind.
CHRISTOPH BARTMANN
MILJENKO JERGOVIC: Freelander. Roman. Aus dem Kroatischen von Brigitte Döbert. Verlag Schöffling & Co., Frankfurt am Main 2010. 232 S., 19,90 Euro.
Das Auto, das gerade auf der
Straße auseinandergenommen
wird, war sein „letzter Freund“
Unterwegs im Land der „Schrottplätze, Reifenhändler und Betonschwäne“: Badeort in Bosnien-Herzegowina Foto: blickwinkel
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»Voll atemberaubender erzählerischer Momente, (...) gnadenlos wird hier eine archaische Kultur ad absurdum geführt.«Neue Zürcher Zeitung