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Albanien 1989: Der letzte stalinistische Außenposten in Europa, ein isoliertes Land, das man nur schwer besuchen und noch schwerer verlassen kann. Es herrschen Mangelwirtschaft, Geheimpolizei und das Proletariat. Der Kommunismus hat den Platz der Religion übernommen. Für die zehnjährige Lea Ypi ist dieses Land ihr Zuhause: Ein Ort der Geborgenheit, des Lernens, der Hoffnung und der Freiheit.
Alles ändert sich, als in Berlin die Mauer fällt und in Tirana Enver Hoxhas Statue vom Sockel stürzt. Jetzt können die Menschen wählen, wen sie wollen, sich kleiden, wie sie wollen, anbeten, was sie
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Produktbeschreibung
Albanien 1989: Der letzte stalinistische Außenposten in Europa, ein isoliertes Land, das man nur schwer besuchen und noch schwerer verlassen kann. Es herrschen Mangelwirtschaft, Geheimpolizei und das Proletariat. Der Kommunismus hat den Platz der Religion übernommen. Für die zehnjährige Lea Ypi ist dieses Land ihr Zuhause: Ein Ort der Geborgenheit, des Lernens, der Hoffnung und der Freiheit.

Alles ändert sich, als in Berlin die Mauer fällt und in Tirana Enver Hoxhas Statue vom Sockel stürzt. Jetzt können die Menschen wählen, wen sie wollen, sich kleiden, wie sie wollen, anbeten, was sie wollen. Aber die neue Zeit zeigt bald ihr unfreundliches Gesicht: Skrupellose Geschäftemacher ruinieren die Wirtschaft, die Aussicht auf eine bessere Zukunft löst sich auf in Arbeitslosigkeit und Massenflucht. Als das Land im Chaos zu versinken droht und in ihrer Familie Geheimnisse ans Licht kommen, beginnt Lea sich zu fragen, was das eigentlich ist: Freiheit.

In hinreißender Prosa erzählt Lea Ypi von ihrem Erwachsenwerden im poststalinistischen Albanien und einer schillernden Familie, deren Geschichte eng mit der des Landes verwoben ist. Frei ist ein fesselndes Memoir und eine scharfsinnige Reflexion über die Grenzen des Fortschritts und die Last der Vergangenheit, über glänzende Ideale und harte Realitäten. Vor allem aber über die Leben von Menschen, die vom Sturm der Geschichte erfasst werden.
Autorenporträt
Lea Ypi, geboren 1979 in Tirana, Albanien, hat in Florenz und Rom Philosophie und Literatur studiert und unter anderem in Paris, Oxford, Stanford und Frankfurt am Main geforscht und gelehrt. Derzeit ist sie Professorin für Politische Theorie an der London School of Economics. Für den Guardian schreibt sie regelmäßig zu gesellschaftspolitischen Themen. Im Suhrkamp Verlag erschien 2022 ihr autobiografisches Werk Frei. Erwachsenwerden am Ende der Geschichte. Eva Bonné übersetzt Literatur aus dem Englischen, u. a. von Michael Cunningham, Anne Enright, Richard Flanagan und Sara Gran.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Kerstin Maria Pahl liest gerne Lea Ypis spezielle Autobiografie, die aus der Perspektive der jungen Lea vom Wechsel der Diktatur in Albanien hin zum Liberalismus Mitte der achtziger Jahre erzählt. Besonders spannend findet Pahl dabei etwa die beschriebene Durchdringung aller Lebensbereiche durch die Diktatur, sowie die Verschränkung der Veränderung des politischen Systems mit den körperlichen Veränderungen, die Lea im Erwachsenwerden durchläuft. Dass man hinter der kindlichen Perspektive schnell den "abgeklärten" Blick der Akademikerin erkenne - Ypi ist mittlerweile Professorin für Politische Theorie in London, weiß Pahl - stört bei der Kritikerin dabei weder das Lesevergnügen noch die differenzierten Einblicke in die "Widersprüche von Menschen und Systemen", die Ypi biete. Unnötig findet Pahl dagegen den Epilog, in dem die Erzählebene verlassen und vieles überdeutlich ausgesprochen würde, was zuvor implizit vermittelt worden sei.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.07.2022

Die ersehnte Freiheit ist zwiespältig

Im Sonderfall des Ostblocks: Lea Ypi hat ein Memoir über ihre Kindheit in Albanien und die Enttäuschung über den Westen geschrieben.

Das mulmige Gefühl stellt sich ganz unerwartet ein. Gerade freute man sich noch mit der sechsjährigen Erzählerin, dass ein monatelanger Streit mit den Nachbarn beigelegt ist, da lässt sie die Raki-geschwängerte Runde erstarren. Beiläufig erwähnt sie, ihre Eltern könnten Onkel Enver wohl nicht leiden, denn sonst hätten sie schon längst sein Foto im Wohnzimmer stehen. Der Nachbar, ein Parteifunktionär, rettet die Situation, indem er das Mädchen sanft ermahnt. "Du musst mir versprechen", schiebt er dann nach, "dass du zu mir kommst und es mir erzählst, falls dir je wieder solche dummen Gedanken über deine Familie in den Sinn kommen." In diesen Momenten ist Lea Ypis autobiographische Erzählung "Frei" besonders eindrucksvoll: wenn sich die Durchdringung aller Lebensbereiche durch die Überwachung einer Diktatur offenbart.

Ypi wächst in Albanien auf, dem Sonderfall des Ostblocks. Enver Hodscha herrschte dort von 1946 bis zu seinem Tod 1985, und unter ihm sagt sich das Land bis zur fast vollständigen Isolation von allen Verbündeten los. Die kleine Lea glaubt an Albanien, sie wünscht sich Familienmitglieder, die als Märtyrer im antifaschistischen Kampf sterben, damit sie deren Geschichten vor der Klasse erzählen kann. Denn Biographie, so lernt sie, ist im Sozialismus wichtiger als die eigene Gesinnung. Sie hätte nie in "die Partei" eintreten können, offenbart ihr die Mutter später, denn ihre Vorfahren seien verdächtig. Bei all dem befindet sich der Leser immer auf Leas Wissenstand. Warum es etwa ein Problem ist, mit jemandem zu verkehren, der gerade seinen Abschluss gemacht hat, erschließt sich erst, wenn man den Code kennt: Universität heißt Gefängnis, der Abschluss ist die Entlassung, der Ausschluss vom Unterricht die Todesstrafe.

So niederschmetternd der Inhalt, so ironisch ist oft der Bericht. Ypi schreibt mit jener unsentimentalen Distanz, die im englischen Sprachraum eine viel gelobte Haltung von Ich-Erzählungen ist. Häufig benutzt sie die direkte Rede, was Eindringlichkeit erzeugt, aber manchmal an ein Theaterstück erinnert. Im Epilog erfährt man, dass die Autorin, heute Professorin für politische Theorie an der London School of Economics, ursprünglich eine Abhandlung über "deckungsgleiche Vorstellungen von Freiheit" aus der liberalen und der sozialistischen Tradition geplant hatte. Aber dann kamen ihr die eigenen Erinnerungen in die Quere - und die Erkenntnis, dass "hinter jeder Personifikation ökonomischer Kategorien ein Mensch aus Fleisch und Blut" stecke. Die ideengeschichtliche Versuchsanordnung ist im Kern geblieben, denn das Buch ist auch ein Argument in einem familiär-historischen Konflikt: Wieso forscht die Tochter von Opfern des Sozialismus heute zu Marx?

Die Antwort gibt sie im zweiten Teil. Er setzt 1991 ein, dem Jahr der ersten freien Wahlen. Die nationale Abgeschlossenheit, zuvor eine Quelle von behütetem Stolz, verwandelt sich in den Frust darüber, eine abgehängte Balkanprovinz zu sein. Der Vater, ein intellektueller Freigeist, versinkt in Mutlosigkeit, weil er fünf Sprachen, aber kein Englisch kann. Die Mutter, mittlerweile Lokalpolitikerin, empfängt eine Delegation französischer Feministinnen im roten Seidennegligé, das sie, falsch informiert durch die Seifenwerbung, für ein edles Hauskleid hält.

Die ersehnte Freiheit ist zwiespältig. Zum einen verschwindet die Kontrolle durch die Partei, das Gleiche gilt zum anderen aber auch für die eingespielten Rituale der Beziehungspflege. Einkommensunterschiede lassen Freundschaften auseinanderbrechen. Die neue Rede von der Liberalisierung ersetzt die alten Parolen vom demokratischen Zentralismus, aber der Schlagwortcharakter bleibt.

Für das dünne Mädchen mit Jungenhaarschnitt fallen die Zeiten im Wandel mit der Verwandlung des eigenen Körpers zusammen. Ihr Vater wird ins Parlament gewählt, aber Jungs verziehen den Mund, wenn sie Lea beim Flaschendrehen küssen sollen. Wie viele Albaner verliert Leas Familie ihre Ersparnisse durch das "Pyramidensystem", das Privatanlegern für Firmeninvestitionen überhöhte Zinsversprechen gibt. Dessen Kollaps führt im März 1997 zum Bürgerkrieg, den die Autorin mithilfe ihrer alten Tagebucheinträge erzählt. Das Dauerfeuer der Kalaschnikows lässt sie zeitweise verstummen, zugleich geht das Leben weiter: "Ich habe daran gedacht, mich umzubringen", heißt es an einem Tag. "Irgendwo im Haus hat sich ein Kuckuck versteckt", an einem anderen.

Lea Ypis Buch ist keine klassische Autobiographie, sondern eine kluge Komposition aussagekräftiger Szenen, in denen Tragik und Absurdität, Freude und Grausamkeit nahe beieinander liegen. Dass man hinter der Illusion des allwissenden Kindes recht schnell den abgeklärten Blick der Akademikerin erkennt, trübt das Lesevergnügen nicht. Ob es den Epilog gebraucht hätte, ist dagegen fraglich. Er spricht viel aus, was zuvor nur angedeutet wurde. "Meine Familie setzt den Sozialismus mit Verleugnung gleich", schreibt Ypi. "Ich setze den Liberalismus mit gebrochenen Versprechen gleich, mit der Zerstörung von Solidarität, mit dem Anspruch auf vererbte Privilegien und dem bewussten Ausblenden von Ungerechtigkeit." Das liest sich in Anbetracht der Seiten zuvor, in der die vielen Widersprüche von Menschen und Systemen einfühlsam dargelegt wurden, ausgesprochen nuancenarm. Und zugleich lernt man, worum es in dem Buch wirklich geht: um die Erfahrung, dass die Theorie immer mit den Grenzen der Praxis zu kämpfen hat, die Theorie von Freiheit ebenso wie die von Solidarität und Gemeinschaft. KERSTIN MARIA PAHL

Lea Ypi: "Frei". Erwachsenwerden am Ende der Geschichte.

Aus dem Englischen von Eva Bonné. Suhrkamp Verlag, Berlin 2022. 332 S., geb., 28,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.07.2024

Schmerz und Trotz
und Sehnsucht
Erwachsenwerden ist schwer. Das weiß jeder, der es geschafft hat. Deswegen können Coming-of-Age-Geschichten auch schnell beliebig wirken. „Frei“ ist anders. Weil es nicht nur um die große Enttäuschung der kleinen Lea geht, sondern auch um die Enttäuschung einer ganzen Gesellschaft, die nach dem Ende des Sozialismus plötzlich durch die Kapitalismus-Pubertät muss. Schmerz und Trotz und Wünsche zurück ins Früher inklusive. Lea Ypi beschreibt in ihrem Memoir ihre Kindheit im sozialistischen Albanien und ihre Teenagerjahre nach dem Ende der Sowjetunion. Endlich glaubt man zu verstehen, was eigentlich schiefgelaufen ist, damals, nachdem die Mauer gefallen war und doch alle frei sein sollten, in der Demokratie, im Kapitalismus. Wieso so viele Menschen unterwegs verloren gegangen sind und wieso auf den einen Zusammenbruch bald schon der nächste folgte. Das klingt alles nicht nach einem unterhaltsamen Sommerbuch – aber weil Lea Ypi nicht nur rasend klug, sondern auch sehr witzig ist, ist auch ihr Buch beides.
NADJA SCHLÜTER
Lea Ypi: Frei.
Roman. Aus dem
Englischen von
Eva Bonné. Suhrkamp,
Berlin 2023.
333 Seiten, 14 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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»Ein leuchtendes Memoire über ein vergessenes Stück Europa. Hinreißend erzählt.« Peter Neumann DIE ZEIT 20221117