Keine wissenschaftliche Debatte ist in den letzten Jahren mit soviel Vehemenz in der Öffentlichkeit ausgetragen worden, wie der Streit um die Willensfreiheit. Der traditionelle Begriff von "Willensfreiheit", der auch dem deutschen Strafrecht und seinem Schuldbegriff zugrundeliegt, setzt voraus, daß Menschen jenseits aller psychologischen und neurobiologischen Determinanten entscheiden und handeln können. Eine solche Konzeption von Willensfreiheit ist weder begrifflich-philosophisch noch empirisch akzeptabel. In diesem Buch entwickeln Gerhard Roth und Michael Pauen gemeinsam ein neues Konzept der Willensfreiheit. Grundlage ist ein "aufgeklärter Naturalismus", der vorwissenschaftliche Phänomene, philosophische Begriffe und wissenschaftliche Methoden gleichermaßen ernst nimmt. Hieraus ergibt sich ein Verständnis von Freiheit, das die Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln auf der Basis eigener Wünsche und Überzeugungen in den Mittelpunkt stellt. Roth und Pauen entgehen damit den Schwierigkeiten vieler traditioneller Konzeptionen, erfassen das Alltagsverständnis von Willensfreiheit und werden zugleich auch den Erkenntnissen der Neurobiologie gerecht. Ihr Konzept, so argumentieren die Autoren, macht zudem ein wesentlich differenzierteres Verständnis von Schuld und Verantwortung möglich, aus dem sich weitreichende Konsequenzen für das Strafrecht und den Strafvollzug ergeben.
"Freie Handlungen dürfen weder unter Zwang noch unter vollständiger Determination vollzogen werden. Wir bezeichnen diese Forderung als Autonomieprinzip, aber Handlungen, die wir frei nennen, dürfen auch nicht zufällig sein."
"Freie Handlungen dürfen weder unter Zwang noch unter vollständiger Determination vollzogen werden. Wir bezeichnen diese Forderung als Autonomieprinzip, aber Handlungen, die wir frei nennen, dürfen auch nicht zufällig sein."
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Genauso hatte sich Christine Pries das vorgestellt. Die edition unseld bringt ein Buch für alle heraus, und das freut die Rezensentin. Gut lesbar, für Laien ebenso wie für die Vertreter beider Seiten der, so mutmaßt die Rezensentin, in eine sachlichere Phase eingetretenen Auseinandersetzung über die Willensfreiheit. Dass ein naturwissenschaftlich beschlagener Philosoph und ein philosophisch trainierter Neurobiologe für den Band verantwortlich zeichnen, leuchtet Pries unmittelbar ein. Etwas schwieriger erscheint ihr der Nachvollzug der von den beiden entworfenen Zusammenschau von Freiheit und Determinismus als zwei Seiten ein und derselben Medaille beziehungsweise der handelnden Person. "Selbstdetermination" buchstabiert Pries das Zauberwort, mit dem Michael Pauen und Gerhard Roth die "bisherige Debatte unterlaufen". Allerdings ist sie sich nicht sicher, ob so ein Begriff von Willensfreiheit ausreicht, einem "drohenden Neurodogmatismus" zu begegnen oder ob das Problem (Nachweisbarkeit!) bloß weiter delegiert wird.
© Perlentaucher Medien GmbH
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