Die aktuelle Debatte zwischen der modernen Hirnforschung und der Philosophie konzentriert sich auf die Frage, ob so etwas wie ein freier Wille nach den Experimenten der Neurobiologen überhaupt noch gedacht werden könne. Auf dem Spiel steht dabei nicht weniger als das traditionelle Menschenbild mitsamt seinen theoretischen wie praktischen, ja sogar politischen Implikationen. Der berühmte amerikanische Philosoph John R. Searle hat sich in zwei an der Sorbonne gehaltenen Vorlesungen den Herausforderungen der Naturwissenschaft gestellt, die Argumente der Naturwissenschaftler aufgenommen und ihnen in luzider Weise geantwortet. Searles philosophische Antwort auf die Angriffe seitens der Hirnforschung ist der Versuch, philosophische Bedingungen dafür zu formulieren, daß wir überhaupt von Freiheit sprechen können. Freiheit ist kein selbstverständlicher Begriff, sondern steht in einer langen philosophischen Tradition, die, wenn man sie genau betrachtet, bereits Antworten auf viele dervorgebrachten Argumente der Gegenseite bereithält. Wichtig ist, so Searle, zwischen unterschiedlichen Konzeptionen von Freiheit und Determinismus zu unterscheiden und diese auf ihre theoretischen Grundannahmen hin zu befragen, um überhaupt einen fruchtbaren Dialog zu ermöglichen. Searles Antwort zielt auf eine Bestimmung des menschlichen Geistes. Entscheidend ist nicht, ob die Freiheit im Menschenbild der Hirnforschung einen Platz hat, sondern vielmehr, wie der menschliche Geist beschaffen sein muß, damit Freiheit möglich ist.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Kann der Mensch, wie er will oder will er, was er muss? Gibt es sie, die tatsächliche Freiheit der Entscheidung oder ist alles Tun Produkt von Determinismen? Eine Antwort auf diese Fragen hätte sich Rezensent Martin Seel von John Searle erwartet, doch in dieser Hinsicht findet er dessen neues Buch unbefriedigend: Zwei Hypothesen "wendet Searle hin und her", beide erscheinen ihm gleich "unattraktiv" und so steht er am Ende mit "leeren Händen" da, klagt der Rezensent. Für Searle ist es unwahrscheinlich, dass Freiheitsgefühle durch bloße neuronale Mechanismen entstehen; ebenso wenig weiß er jedoch die Quanten-Physik als Erklärung sinnvoll anzuwenden - dem Kritiker bleibt letzterer Ansatz jedenfalls "schleierhaft". Seiner Ansicht nach scheitert Searle auf dem Weg zur finalen Erkenntnis über menschliche Entscheidungen, weil er sich "den Weg zu einer sinnvollen Antwort von Anfang an verstellt". Denn Searle glaube an das Gefühl der "Lücke", jenen Moment zwischen Überlegung und Entscheidung, in dem die Freiheit ins Spiel komme. Deren Existenz jedoch bezweifelt der Rezensent: "Ich für meinen Teil habe sie nie gespürt."
© Perlentaucher Medien GmbH
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