Quentin Skinner ist einer der weltweit bedeutendsten Historiker der politischen Theorie und Ideengeschichte, der es wie kaum ein anderer versteht, systematische Einsicht mit historischer Genauigkeit zu verbinden. Davon zeugen auch seine Frankfurter Adorno-Vorlesungen aus dem Jahr 2005, die nun als Buch vorliegen. Gedanklich geschlossen und rhetorisch brillant, erläutert Skinner darin Hobbes`Lehre von der Freiheit nicht nur als Angelpunkt einer philosophischen Theorie von klassischem Rang, sondern auch und vor allem als polemische Intervention in die politischen Debatten seiner Zeit. Mit leichter Hand zeichnet er die Entwicklungen und Brüche dieser Lehre nach, korrigiert einige etablierte Überzeugungen der Hobbes-Forschung und läßt die politischen Motive hinter den philosophischen Argumenten hervortreten. Hobbes` Lehre erscheint so als kraftvoller Beitrag zu den politischen Auseinandersetzungen des siebzehnten Jahrhunderts und zu den aktuellen Debatten um Staat, Politik und Freiheit.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.06.2008Wie Freiheit zur Bewegungsfreiheit wurde
Ein Augenblick, der Epoche machte: Mit Gespür fürs Kontroverse führt Quentin Skinner in das politische Denken von Thomas Hobbes ein
Ohne Gurus, hat ein großer Guru einige Jahre vor seinem Tod in Kalifornien geschrieben, können die Intellektuellen genauso wenig leben wie ohne Pathos. Wie so oft treffen die Worte Richard Rortys ins Schwarze. Auch Quentin Skinner, der britische Historiker, ist ein Guru. Den größten Teil seines akademischen Lebens hat er seit den frühen sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts damit verbracht, unerhört gelehrte Interpretationen der politischen Philosophie der Neuzeit auszuarbeiten. Die italienische Renaissance und das 17. Jahrhundert sind Skinners Forschungsschwerpunkte, für Machiavelli und Thomas Hobbes ist er eine weltweit anerkannte Autorität. Seine Studien sind vor allem in Cambridge entstanden, wo Skinner bis zum vergangenen Jahr der durch die Königin ernannte „Regius Professor for Modern History” gewesen ist. Seither lehrt er in London, was nichts daran geändert hat, dass die von ihm und John Pocock gegründete Sekte die „Cambridge School” heißt.
Was die Mitglieder dieser Schule treiben, würde in Deutschland wohl unter politischer Ideengeschichte firmieren, wäre die Cambridge School in bundesrepublikanischen Universitäten wirklich bekannt. Das aber ist, abgesehen von einigen Experten, nicht der Fall. So ist dem Frankfurter Institut für Sozialforschung zu danken, dass es Skinner vor drei Jahren zu den Adorno-Vorlesungen eingeladen hat, und dem Suhrkamp Verlag dafür, dass die überarbeitete Fassung dieser Vorträge jetzt in einer makellosen Übersetzung vorliegt, die Karin Wördemann mit aller wünschenswerten Gewissenhaftigkeit besorgt hat. Endlich kann ein deutsches Publikum Skinners minutiöse Sondierungen auf dem Terrain nachvollziehen, das er wie kein zweiter beherrscht, also auf dem Feld der politischen Philosophie von Thomas Hobbes.
Einer der Gurus, die den jungen Quentin Skinner auf seinen eigenen Weg gebracht haben, ist der englische Jurist und Philosoph John L. Austin gewesen. Ihm verdankt die jüngere Sprachphilosophie die Einsicht, dass Sätze nicht nur eine Darstellungsfunktion haben, also Sachverhalte identifizieren, sondern auch Handlungen sein können. Diese Beobachtung hat Austin zum Begründer der Sprechakttheorie gemacht.
Verteidigung der Monarchie
Skinners Art, das Leben von Ideen zu erforschen, hat von Austin profitiert. Die Geschichte des politischen Denkens macht er als eine Sequenz von Sprechakten verständlich. Unter diesem Blickwinkel sind die Ideen und Argumente keine Abstraktionsübungen im luftleeren Raum, sondern historisch situierte Stellungnahmen innerhalb womöglich heftig geführter Kontroversen. Was dort zu Protokoll gegeben wird, ist erst zu verstehen, wenn uns die gewöhnlich unübersichtliche Gemengelage vor Augen steht, in die Autoren wie beispielsweise Hobbes mit ihren Überlegungen eingreifen.
Während die hermeneutische Tradition in Deutschland meint, Sinn sei verstanden, sobald die Horizonte eines Autors und seines Interpreten verschmelzen, verficht die Cambridge School ein deutlich unfriedlicheres Bild: Argumente sind wie Züge in einer Schachpartie. Deren Sinn erschließt sich, indem die Regeln ermittelt werden, nach denen gespielt wird. Dabei darf die vielleicht triviale, dennoch wichtige Tatsache nicht übersehen werden, dass die Spieler gewinnen wollen. Sie stehen im Streit. Das Gespür fürs Kontroverse animiert Quentin Skinners Methode. Es ist ihr Pathos. Auch und gerade in der Interpretation von Thomas Hobbes versucht er, „den Deckel über der brodelnden Polemik zu lüften, die unter der täuschend glatten Oberfläche seiner Gedankenführung liegt.”
Skinners schmales Buch konzentriert sich auf einen geschichtlichen Augenblick, der Epoche gemacht hat. Mitte des 17. Jahrhunderts begreift Hobbes in seiner Schrift „De Cive” („Über den Bürger”) die Freiheit zum ersten Mal explizit als „die Abwesenheit von allem, was die Bewegung verhindert.” Freiheit wird zu Bewegungsfreiheit, mithin zu dem, was Hannah Arendt den modernen Inbegriff erfahrbarer politischer Freiheit genannt hat. In der Moderne sind Politik und Reiselust verschwistert. Dass Hobbes mit diesem Schritt das Freiheitsverständnis revolutioniert hat, weist Skinner überzeugend nach. Gegen alle Tradition deutet der englische Philosoph die menschliche Freiheit als ein Phänomen, das nicht auf ein besonderes psychisches oder mentales Vermögen verweist, also auf den Willen oder den Geist des Menschen. Für Hobbes gehört Freiheit zur alles umfassenden Welt der Materie in Bewegung. Sie ist eine Eigenschaft bewegbarer Körper; Hobbes sieht in ihr, wie Skinner pointiert, eine „untergeordnete Form der allgemeinen Idee ungehinderter Bewegung.”
Doch empfiehlt sich Skinners Studie nicht schon deshalb einer aufmerksamen Lektüre, weil sie mit diesem Befund aufwartet. Dass Hobbes kein Freund antiker Naturphilosophie und ein mit allen Wassern gewaschener Antiaristoteliker gewesen ist, lässt sich jedem besseren Lexikon entnehmen. Aufregend ist Skinners Interpretation, weil sie mit penibler Kenntnis der zeitgenössischen Diskussionen virtuos nachzeichnet, was Hobbes kraft seiner Neudefinition von Freiheit politisch bezweckt. Sie dient ihm, dem Verteidiger der absoluten Souveränität, dazu, den republikanisch gesinnten Kritikern der Stuart-Monarchie , also Leuten, die Hobbes abschätzig „demokratische gentlemen” genannt hat, das Wasser abzugraben. Deren These lautet, dass sich Monarchien an der natürlichen Freiheit vergehen, weil sie das Leben der Bürger potentiellen Willkürakten des Souveräns ausliefern. Monarchien verwandeln freie Menschen in unfreie Sklaven und gehören deshalb abgeschafft.
Es ist diese Delegitimierungsstrategie, die Hobbes auszuhebeln beabsichtigt, indem er zwei Behauptungen aufstellt. Er behauptet zunächst, frei sei ein Mensch, der physisch nicht daran gehindert wird, seine Kräfte nach eigenem Belieben einzusetzen. Damit widerspricht er der republikanischen Auffassung, es gäbe andere als nur äußere Hindernisse, die die Freiheit einschränken. Insbesondere ist die Überlegung entkräftet, wonach innere Verpflichtungen, also etwa der Gehorsam gegenüber Gesetzen, eine empfindliche Freiheitseinschränkung darstellten. Und dann fügt Hobbes hinzu, seine Definition rufe lediglich die eigentliche und allgemein anerkannte Bedeutung des Wortes „ein freier Mann” in Erinnerung.
Mit dieser rhetorischen Finte trumpft Hobbes in seinem 1651 veröffentlichten Hauptwerk auf. Skinner hält sie für die „ungeheuerlichste Unverfrorenheit”, zu der Hobbes im „Leviathan” ausholt. Sie gestattet ihm, die Reduktion von Freiheit auf Bewegungsfreiheit als den eigentlichen Sinn des Begriffs auszugeben und den Antimonarchisten vorzuwerfen, ihr pervertiertes Freiheitsverständnis mache bei Lichte besehen jede politische Ordnung undenkbar. Denn Ordnungen, Republiken inklusive, lassen sich allein durch den Schutz rechtfertigen, den sie ihren Angehörigen dauerhaft garantieren – eine friedenssichernde Leistung, für die Bürger mit der kostbarsten Währung zahlen, über die sie verfügen, mit ihrem Gehorsam nämlich.
Unkosten des Gehorsams
Dass dieser Gehorsam eine Pflicht ist, die Bürger einem Souverän schulden, der sie mit ihrem Einverständnis schützt, schärft Hobbes in einem Argumentationsgang ein, der zugleich einsichtig machen soll, dass eine derartige Verpflichtung, weit davon entfernt, ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken, sie recht eigentlich erst ermöglicht. So versöhnt Hobbes Gehorsam mit bürgerlicher Freiheit. Die dabei anfallenden Unkosten verschweigt Skinners Deutung nicht. Auch deshalb hat er die beste Einführung in die politische Philosophie von Thomas Hobbes geschrieben. Kaufen und lesen! MARTIN BAUER
QUENTIN SKINNER: Freiheit und Pflicht. Thomas Hobbes’ politische Theorie. Aus dem Englischen von Karin Wördemann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2008, 141 Seiten, 15,80 Euro.
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Ein Augenblick, der Epoche machte: Mit Gespür fürs Kontroverse führt Quentin Skinner in das politische Denken von Thomas Hobbes ein
Ohne Gurus, hat ein großer Guru einige Jahre vor seinem Tod in Kalifornien geschrieben, können die Intellektuellen genauso wenig leben wie ohne Pathos. Wie so oft treffen die Worte Richard Rortys ins Schwarze. Auch Quentin Skinner, der britische Historiker, ist ein Guru. Den größten Teil seines akademischen Lebens hat er seit den frühen sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts damit verbracht, unerhört gelehrte Interpretationen der politischen Philosophie der Neuzeit auszuarbeiten. Die italienische Renaissance und das 17. Jahrhundert sind Skinners Forschungsschwerpunkte, für Machiavelli und Thomas Hobbes ist er eine weltweit anerkannte Autorität. Seine Studien sind vor allem in Cambridge entstanden, wo Skinner bis zum vergangenen Jahr der durch die Königin ernannte „Regius Professor for Modern History” gewesen ist. Seither lehrt er in London, was nichts daran geändert hat, dass die von ihm und John Pocock gegründete Sekte die „Cambridge School” heißt.
Was die Mitglieder dieser Schule treiben, würde in Deutschland wohl unter politischer Ideengeschichte firmieren, wäre die Cambridge School in bundesrepublikanischen Universitäten wirklich bekannt. Das aber ist, abgesehen von einigen Experten, nicht der Fall. So ist dem Frankfurter Institut für Sozialforschung zu danken, dass es Skinner vor drei Jahren zu den Adorno-Vorlesungen eingeladen hat, und dem Suhrkamp Verlag dafür, dass die überarbeitete Fassung dieser Vorträge jetzt in einer makellosen Übersetzung vorliegt, die Karin Wördemann mit aller wünschenswerten Gewissenhaftigkeit besorgt hat. Endlich kann ein deutsches Publikum Skinners minutiöse Sondierungen auf dem Terrain nachvollziehen, das er wie kein zweiter beherrscht, also auf dem Feld der politischen Philosophie von Thomas Hobbes.
Einer der Gurus, die den jungen Quentin Skinner auf seinen eigenen Weg gebracht haben, ist der englische Jurist und Philosoph John L. Austin gewesen. Ihm verdankt die jüngere Sprachphilosophie die Einsicht, dass Sätze nicht nur eine Darstellungsfunktion haben, also Sachverhalte identifizieren, sondern auch Handlungen sein können. Diese Beobachtung hat Austin zum Begründer der Sprechakttheorie gemacht.
Verteidigung der Monarchie
Skinners Art, das Leben von Ideen zu erforschen, hat von Austin profitiert. Die Geschichte des politischen Denkens macht er als eine Sequenz von Sprechakten verständlich. Unter diesem Blickwinkel sind die Ideen und Argumente keine Abstraktionsübungen im luftleeren Raum, sondern historisch situierte Stellungnahmen innerhalb womöglich heftig geführter Kontroversen. Was dort zu Protokoll gegeben wird, ist erst zu verstehen, wenn uns die gewöhnlich unübersichtliche Gemengelage vor Augen steht, in die Autoren wie beispielsweise Hobbes mit ihren Überlegungen eingreifen.
Während die hermeneutische Tradition in Deutschland meint, Sinn sei verstanden, sobald die Horizonte eines Autors und seines Interpreten verschmelzen, verficht die Cambridge School ein deutlich unfriedlicheres Bild: Argumente sind wie Züge in einer Schachpartie. Deren Sinn erschließt sich, indem die Regeln ermittelt werden, nach denen gespielt wird. Dabei darf die vielleicht triviale, dennoch wichtige Tatsache nicht übersehen werden, dass die Spieler gewinnen wollen. Sie stehen im Streit. Das Gespür fürs Kontroverse animiert Quentin Skinners Methode. Es ist ihr Pathos. Auch und gerade in der Interpretation von Thomas Hobbes versucht er, „den Deckel über der brodelnden Polemik zu lüften, die unter der täuschend glatten Oberfläche seiner Gedankenführung liegt.”
Skinners schmales Buch konzentriert sich auf einen geschichtlichen Augenblick, der Epoche gemacht hat. Mitte des 17. Jahrhunderts begreift Hobbes in seiner Schrift „De Cive” („Über den Bürger”) die Freiheit zum ersten Mal explizit als „die Abwesenheit von allem, was die Bewegung verhindert.” Freiheit wird zu Bewegungsfreiheit, mithin zu dem, was Hannah Arendt den modernen Inbegriff erfahrbarer politischer Freiheit genannt hat. In der Moderne sind Politik und Reiselust verschwistert. Dass Hobbes mit diesem Schritt das Freiheitsverständnis revolutioniert hat, weist Skinner überzeugend nach. Gegen alle Tradition deutet der englische Philosoph die menschliche Freiheit als ein Phänomen, das nicht auf ein besonderes psychisches oder mentales Vermögen verweist, also auf den Willen oder den Geist des Menschen. Für Hobbes gehört Freiheit zur alles umfassenden Welt der Materie in Bewegung. Sie ist eine Eigenschaft bewegbarer Körper; Hobbes sieht in ihr, wie Skinner pointiert, eine „untergeordnete Form der allgemeinen Idee ungehinderter Bewegung.”
Doch empfiehlt sich Skinners Studie nicht schon deshalb einer aufmerksamen Lektüre, weil sie mit diesem Befund aufwartet. Dass Hobbes kein Freund antiker Naturphilosophie und ein mit allen Wassern gewaschener Antiaristoteliker gewesen ist, lässt sich jedem besseren Lexikon entnehmen. Aufregend ist Skinners Interpretation, weil sie mit penibler Kenntnis der zeitgenössischen Diskussionen virtuos nachzeichnet, was Hobbes kraft seiner Neudefinition von Freiheit politisch bezweckt. Sie dient ihm, dem Verteidiger der absoluten Souveränität, dazu, den republikanisch gesinnten Kritikern der Stuart-Monarchie , also Leuten, die Hobbes abschätzig „demokratische gentlemen” genannt hat, das Wasser abzugraben. Deren These lautet, dass sich Monarchien an der natürlichen Freiheit vergehen, weil sie das Leben der Bürger potentiellen Willkürakten des Souveräns ausliefern. Monarchien verwandeln freie Menschen in unfreie Sklaven und gehören deshalb abgeschafft.
Es ist diese Delegitimierungsstrategie, die Hobbes auszuhebeln beabsichtigt, indem er zwei Behauptungen aufstellt. Er behauptet zunächst, frei sei ein Mensch, der physisch nicht daran gehindert wird, seine Kräfte nach eigenem Belieben einzusetzen. Damit widerspricht er der republikanischen Auffassung, es gäbe andere als nur äußere Hindernisse, die die Freiheit einschränken. Insbesondere ist die Überlegung entkräftet, wonach innere Verpflichtungen, also etwa der Gehorsam gegenüber Gesetzen, eine empfindliche Freiheitseinschränkung darstellten. Und dann fügt Hobbes hinzu, seine Definition rufe lediglich die eigentliche und allgemein anerkannte Bedeutung des Wortes „ein freier Mann” in Erinnerung.
Mit dieser rhetorischen Finte trumpft Hobbes in seinem 1651 veröffentlichten Hauptwerk auf. Skinner hält sie für die „ungeheuerlichste Unverfrorenheit”, zu der Hobbes im „Leviathan” ausholt. Sie gestattet ihm, die Reduktion von Freiheit auf Bewegungsfreiheit als den eigentlichen Sinn des Begriffs auszugeben und den Antimonarchisten vorzuwerfen, ihr pervertiertes Freiheitsverständnis mache bei Lichte besehen jede politische Ordnung undenkbar. Denn Ordnungen, Republiken inklusive, lassen sich allein durch den Schutz rechtfertigen, den sie ihren Angehörigen dauerhaft garantieren – eine friedenssichernde Leistung, für die Bürger mit der kostbarsten Währung zahlen, über die sie verfügen, mit ihrem Gehorsam nämlich.
Unkosten des Gehorsams
Dass dieser Gehorsam eine Pflicht ist, die Bürger einem Souverän schulden, der sie mit ihrem Einverständnis schützt, schärft Hobbes in einem Argumentationsgang ein, der zugleich einsichtig machen soll, dass eine derartige Verpflichtung, weit davon entfernt, ihre Bewegungsfreiheit einzuschränken, sie recht eigentlich erst ermöglicht. So versöhnt Hobbes Gehorsam mit bürgerlicher Freiheit. Die dabei anfallenden Unkosten verschweigt Skinners Deutung nicht. Auch deshalb hat er die beste Einführung in die politische Philosophie von Thomas Hobbes geschrieben. Kaufen und lesen! MARTIN BAUER
QUENTIN SKINNER: Freiheit und Pflicht. Thomas Hobbes’ politische Theorie. Aus dem Englischen von Karin Wördemann. Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2008, 141 Seiten, 15,80 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.02.2009Positionen und Begriffe
Wen wollte Hobbes treffen, als er Freiheit als Abwesenheit von Hindernissen definierte? Quentin Skinner liest den "Leviathan" polemisch.
Die Einladung, an der Universität Oxford die aus dem Vermächtnis des Reverend James Ford finanzierten Vorlesungen zu halten, ist eine der größten Auszeichnungen für Historiker Englands. In sechs Vorträgen ist ein Gegenstand aus der englischen (seit 1994: "britischen") Geschichte zu behandeln, wobei eine Epochen- oder Problemsynthese auf der Grundlage von Quellenforschungen erwartet wird. Die Liste der Buchfassungen der Vorlesungen enthält Klassiker wie Christopher Hills "Intellectual Origins of the English Revolution". Im akademischen Jahr 2002/03 hielt Quentin Skinner, damals Königlicher Professor für neuere Geschichte an der Universität Cambridge, die Ford Lectures über das Thema "Freedom, Representation and Revolution, 1603-1651". Die Vorträge zum Problem der Repräsentation hat Skinner als Aufsätze publiziert. In Buchform liegen jetzt die Kapitel über die Freiheit vor - die Freiheit in den Werken des Thomas Hobbes von "The Elements of Law" (1640) über "De cive" (1642) bis zum "Leviathan" (1651).
Gleichzeitig ist eine deutsche Version erschienen, die auf die Adorno-Vorlesungen des Instituts für Sozialforschung und des Suhrkamp Verlages im Jahr 2005 zurückgeht. Was in Oxford im Zusammenhang von Deutungen des englischen Bürgerkrieges stand, stellte Skinner in Frankfurt als Beitrag zur "Theoriebildung in den Humanwissenschaften" zur Diskussion. Die Adorno-Vorlesungen sollen laut Statut den Einfluss Adornos auf diese Theoriebildung fördern. In der Buchfassung kommt Adorno weder explizit noch - diese Feststellung kann man wagen, obwohl Skinner ein Fachmann für versteckte Botschaften ist - implizit vor. Die Vorlesungen sollen allerdings auch keine "philologische Ausdeutung" Adornos bieten. (Nebenbei: Will Suhrkamp sich mit dem Umzug nach Berlin eigentlich auch aus den Fesseln solcher selbstauferlegter Pietätspflichten lösen?)
Toten Denkern ohne philologische Anstrengung Einfluss auf die heutige Theoriebildung zu verschaffen: dafür gäbe Skinner sich nie her. Denn gegen solche Prätentionen richtete sich in den sechziger Jahren die Attacke der Cambridge-Schule der Geschichte des politischen Denkens, als deren Haupt Skinner neben John Pocock gilt. Skinners Adorno-Vorlesungen bieten eine philologische Ausdeutung der Entwicklung des Freiheitsbegriffes von Hobbes nach allen Regeln der Kunst. So ziehen sie zur Interpretation der von Hobbes verwendeten Wörter die Bücher heran, die Hobbes als Hauslehrer der Grafen von Devonshire in der gräflichen Bibliothek zur Hand hatte.
Skinners Verdienst um die Theoriebildung in den Humanwissenschaften, das am Wochenende mit dem an Niklas Luhmann erinnernden Bielefelder Wissenschaftspreis gewürdigt wurde, ist die Betonung des agonalen Kontextes der politischen Philosophie. Was wollte ein politischer Denker sagen? Skinner übersetzte diese Frage in den berühmten Aufsätzen seiner Jugend, die bereits Hobbes als Exempel wählten, mit Austin und Wittgenstein: Was wollte der politische Denker tun? Die Frage nach der Intention führt auf die Frage nach dem Gegner. (Sollte Suhrkamp in Berlin statt Hegel-Vorlesungen - gibt's schon, in Dahlem, natürlich als Hegel Lectures - Schmitt-Vorlesungen stiften wollen, könnten sie Skinner noch einmal einladen.)
Wendet man Skinners Methode auf das Corpus seiner Ford-Adorno-Vorlesungen an, so ist das Frankfurter Ambiente - zwanglos konnten an seine Erläuterungen zu den Paradoxien der Freiheit im "Leviathan", die je nach Perspektive im Staat vollkommen vernichtet oder restlos konserviert wird, Gedanken über den Verhängniszusammenhang der Moderne anschließen - weniger interessant als der Oxforder Kontext. Skinner setzte die Geschichte wieder in ihre Rechte im Reich der politischen Theorie ein: So wird seine Lebensleistung in den Lexika zusammengefasst. In Oxford, so scheint es, nahm Skinner sich das Umgekehrte vor: das klassische Problem der englischen politischen Geschichte durch eine reine Begriffsanalyse zu erhellen.
Wie Hobbes im "Leviathan" zu einer Definition der Freiheit (als Abwesenheit äußerer Hemmnisse) gelangte, die einige Widersprüche seiner früheren Schriften vermied, ist das Thema des Buches. Frappant ist, welche Kontexte nicht vorkommen - selbst wenn man nur nach theoretischen Kontexten fragt. Ist die Unterwerfung unter einen Eroberer, der mir keine Ketten anlegt, also meine Bewegungen nicht mit physischer Gewalt behindert, ein Akt der freien Zustimmung? Hobbes illustriert seine positive Antwort mit einem moralphilosophischen Denkbeispiel aus den Emblembüchern seiner Zeit (der Vorzug der englischen Buchausgabe sind die Abbildungen): Ein Seefahrer, der seine Ladung ins Meer wirft, um einem Seeungeheuer zu entkommen, opfert seinen Besitz willentlich, weil er sein Leben retten will - er wäre frei, sich auffressen zu lassen.
Mit keinem Wort erwähnt Skinner die theologische Schule, die von den Puritanern als Säule des monarchischen Kirchenregiments wahrgenommen wurde und sich durch ihre prädestinationskritische Lehre vom freien Willen definierte: den Arminianismus. Dieses Schweigen ist eine deutliche Stellungnahme im Streit darüber, was für ein Christ Hobbes war. Gegen wen könnte es sich richten, wenn Skinner Freiheit und Revolution in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts erörtert und die Theologie in die Fußnoten verbannt? Der Ford Lecturer des Jahres 1987/88, Conrad Russell, Sohn von Bertrand Russell, hob unter den "Causes of the English Civil War" die Religion hervor. Einen Dissens über die Staatsverfassung wollte Russell dagegen nicht als Ursache des Bürgerkrieges sehen, sondern als dessen Ergebnis.
Skinner gibt den republikanischen Meinungen nun wieder denkbar großes historisches Gewicht: Um der offenkundig damals weithin plausiblen Theorie von der (positiven) Freiheit als Selbstregierung etwas entgegenzusetzen, entwickelte Hobbes seine ungeheuer wirkungsreiche Theorie von der (negativen) Freiheit als Nichtbehinderung.
In der Klarheit der Exposition und der logischen Schärfe reicht Skinner an Hobbes heran. Skinner legt die polemische Intention "unter der täuschend glatten Oberfläche" des "Leviathan" frei. Mit seinem Buch kann man ebenso verfahren. Die Umsicht, mit der es die Argumentation von Hobbes rekonstruiert, soll beweisen, dass James Harrington recht hatte, als er Hobbes vorhielt, er bleibe den Beweis seiner Freiheitstheorie schuldig. Eine Definition ist keine Demonstration.
PATRICK BAHNERS
Quentin Skinner: "Hobbes and Republican Liberty". Cambridge University Press, Cambridge 2008. 246 S., 19 Abb., br., 12,99 brit. Pfund.
Quentin Skinner: "Freiheit und Pflicht". Thomas Hobbes' politische Theorie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 142 S., br., 15,80 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wen wollte Hobbes treffen, als er Freiheit als Abwesenheit von Hindernissen definierte? Quentin Skinner liest den "Leviathan" polemisch.
Die Einladung, an der Universität Oxford die aus dem Vermächtnis des Reverend James Ford finanzierten Vorlesungen zu halten, ist eine der größten Auszeichnungen für Historiker Englands. In sechs Vorträgen ist ein Gegenstand aus der englischen (seit 1994: "britischen") Geschichte zu behandeln, wobei eine Epochen- oder Problemsynthese auf der Grundlage von Quellenforschungen erwartet wird. Die Liste der Buchfassungen der Vorlesungen enthält Klassiker wie Christopher Hills "Intellectual Origins of the English Revolution". Im akademischen Jahr 2002/03 hielt Quentin Skinner, damals Königlicher Professor für neuere Geschichte an der Universität Cambridge, die Ford Lectures über das Thema "Freedom, Representation and Revolution, 1603-1651". Die Vorträge zum Problem der Repräsentation hat Skinner als Aufsätze publiziert. In Buchform liegen jetzt die Kapitel über die Freiheit vor - die Freiheit in den Werken des Thomas Hobbes von "The Elements of Law" (1640) über "De cive" (1642) bis zum "Leviathan" (1651).
Gleichzeitig ist eine deutsche Version erschienen, die auf die Adorno-Vorlesungen des Instituts für Sozialforschung und des Suhrkamp Verlages im Jahr 2005 zurückgeht. Was in Oxford im Zusammenhang von Deutungen des englischen Bürgerkrieges stand, stellte Skinner in Frankfurt als Beitrag zur "Theoriebildung in den Humanwissenschaften" zur Diskussion. Die Adorno-Vorlesungen sollen laut Statut den Einfluss Adornos auf diese Theoriebildung fördern. In der Buchfassung kommt Adorno weder explizit noch - diese Feststellung kann man wagen, obwohl Skinner ein Fachmann für versteckte Botschaften ist - implizit vor. Die Vorlesungen sollen allerdings auch keine "philologische Ausdeutung" Adornos bieten. (Nebenbei: Will Suhrkamp sich mit dem Umzug nach Berlin eigentlich auch aus den Fesseln solcher selbstauferlegter Pietätspflichten lösen?)
Toten Denkern ohne philologische Anstrengung Einfluss auf die heutige Theoriebildung zu verschaffen: dafür gäbe Skinner sich nie her. Denn gegen solche Prätentionen richtete sich in den sechziger Jahren die Attacke der Cambridge-Schule der Geschichte des politischen Denkens, als deren Haupt Skinner neben John Pocock gilt. Skinners Adorno-Vorlesungen bieten eine philologische Ausdeutung der Entwicklung des Freiheitsbegriffes von Hobbes nach allen Regeln der Kunst. So ziehen sie zur Interpretation der von Hobbes verwendeten Wörter die Bücher heran, die Hobbes als Hauslehrer der Grafen von Devonshire in der gräflichen Bibliothek zur Hand hatte.
Skinners Verdienst um die Theoriebildung in den Humanwissenschaften, das am Wochenende mit dem an Niklas Luhmann erinnernden Bielefelder Wissenschaftspreis gewürdigt wurde, ist die Betonung des agonalen Kontextes der politischen Philosophie. Was wollte ein politischer Denker sagen? Skinner übersetzte diese Frage in den berühmten Aufsätzen seiner Jugend, die bereits Hobbes als Exempel wählten, mit Austin und Wittgenstein: Was wollte der politische Denker tun? Die Frage nach der Intention führt auf die Frage nach dem Gegner. (Sollte Suhrkamp in Berlin statt Hegel-Vorlesungen - gibt's schon, in Dahlem, natürlich als Hegel Lectures - Schmitt-Vorlesungen stiften wollen, könnten sie Skinner noch einmal einladen.)
Wendet man Skinners Methode auf das Corpus seiner Ford-Adorno-Vorlesungen an, so ist das Frankfurter Ambiente - zwanglos konnten an seine Erläuterungen zu den Paradoxien der Freiheit im "Leviathan", die je nach Perspektive im Staat vollkommen vernichtet oder restlos konserviert wird, Gedanken über den Verhängniszusammenhang der Moderne anschließen - weniger interessant als der Oxforder Kontext. Skinner setzte die Geschichte wieder in ihre Rechte im Reich der politischen Theorie ein: So wird seine Lebensleistung in den Lexika zusammengefasst. In Oxford, so scheint es, nahm Skinner sich das Umgekehrte vor: das klassische Problem der englischen politischen Geschichte durch eine reine Begriffsanalyse zu erhellen.
Wie Hobbes im "Leviathan" zu einer Definition der Freiheit (als Abwesenheit äußerer Hemmnisse) gelangte, die einige Widersprüche seiner früheren Schriften vermied, ist das Thema des Buches. Frappant ist, welche Kontexte nicht vorkommen - selbst wenn man nur nach theoretischen Kontexten fragt. Ist die Unterwerfung unter einen Eroberer, der mir keine Ketten anlegt, also meine Bewegungen nicht mit physischer Gewalt behindert, ein Akt der freien Zustimmung? Hobbes illustriert seine positive Antwort mit einem moralphilosophischen Denkbeispiel aus den Emblembüchern seiner Zeit (der Vorzug der englischen Buchausgabe sind die Abbildungen): Ein Seefahrer, der seine Ladung ins Meer wirft, um einem Seeungeheuer zu entkommen, opfert seinen Besitz willentlich, weil er sein Leben retten will - er wäre frei, sich auffressen zu lassen.
Mit keinem Wort erwähnt Skinner die theologische Schule, die von den Puritanern als Säule des monarchischen Kirchenregiments wahrgenommen wurde und sich durch ihre prädestinationskritische Lehre vom freien Willen definierte: den Arminianismus. Dieses Schweigen ist eine deutliche Stellungnahme im Streit darüber, was für ein Christ Hobbes war. Gegen wen könnte es sich richten, wenn Skinner Freiheit und Revolution in der ersten Hälfte des siebzehnten Jahrhunderts erörtert und die Theologie in die Fußnoten verbannt? Der Ford Lecturer des Jahres 1987/88, Conrad Russell, Sohn von Bertrand Russell, hob unter den "Causes of the English Civil War" die Religion hervor. Einen Dissens über die Staatsverfassung wollte Russell dagegen nicht als Ursache des Bürgerkrieges sehen, sondern als dessen Ergebnis.
Skinner gibt den republikanischen Meinungen nun wieder denkbar großes historisches Gewicht: Um der offenkundig damals weithin plausiblen Theorie von der (positiven) Freiheit als Selbstregierung etwas entgegenzusetzen, entwickelte Hobbes seine ungeheuer wirkungsreiche Theorie von der (negativen) Freiheit als Nichtbehinderung.
In der Klarheit der Exposition und der logischen Schärfe reicht Skinner an Hobbes heran. Skinner legt die polemische Intention "unter der täuschend glatten Oberfläche" des "Leviathan" frei. Mit seinem Buch kann man ebenso verfahren. Die Umsicht, mit der es die Argumentation von Hobbes rekonstruiert, soll beweisen, dass James Harrington recht hatte, als er Hobbes vorhielt, er bleibe den Beweis seiner Freiheitstheorie schuldig. Eine Definition ist keine Demonstration.
PATRICK BAHNERS
Quentin Skinner: "Hobbes and Republican Liberty". Cambridge University Press, Cambridge 2008. 246 S., 19 Abb., br., 12,99 brit. Pfund.
Quentin Skinner: "Freiheit und Pflicht". Thomas Hobbes' politische Theorie. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2008. 142 S., br., 15,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Martin Bauer schreibt eine 1A-Kaufempfehlung. Nicht nur hält er Quentin Skinner für einen Guru auf dem Gebiet der politischen Philosophie von Thomas Hobbes. Skinners Ansatz, politisches Denken als kontroversenträchtige "Sequenz von Sprechakten" zu betrachten, leuchtet ihm ein und macht ihm den politischen Zweck der Versöhnung von Gehorsam und bürgerlicher Freiheit in Hobbes Freiheitsbegriff erst transparent. Skinners kenntnisreiche Dokumentation der zeitgenössischen Diskussionen um Hobbes "De Cive" will aufmerksam gelesen sein, rät Bauer. Dann wird das Buch zum echten Aufreger.
© Perlentaucher Medien GmbH
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