Maggie Nelson wirft Fragen auf, die uns dazu auffordern, neu über Freiheit nachzudenken. Nach "Bluets" und "Die Argonauten" verknüpft sie erneut gekonnt Philosophie mit radikaler Kritik.
Was es heißen könnte, frei zu sein, beschäftigt Maggie Nelson fast ihr ganzes Leben. Kaum ein anderer Wert ist so eng mit unserer Vorstellung vom Menschsein verbunden. Doch seine Bedeutung entgleitet ihr immer wieder. Handelt es sich um einen andauernden Lebenszustand oder um einen einmaligen Moment, der uns befreien wird? Ist Freiheit unerlässlich für Gerechtigkeit und Wohlergehen?
Maggie Nelson erkundet kontroverse Debatten in der Kunstwelt, das Erbe der sexuellen Befreiung, die schmerzhaften Paradoxien der Sucht und die Unabwendbarkeit der Klimakrise und vollzieht damit selbst eine Praxis der Freiheit. Sie bietet keine einfachen Antworten, sondern wirft Fragen auf, die uns dazu auffordern, neu über Freiheit nachzudenken.
Was es heißen könnte, frei zu sein, beschäftigt Maggie Nelson fast ihr ganzes Leben. Kaum ein anderer Wert ist so eng mit unserer Vorstellung vom Menschsein verbunden. Doch seine Bedeutung entgleitet ihr immer wieder. Handelt es sich um einen andauernden Lebenszustand oder um einen einmaligen Moment, der uns befreien wird? Ist Freiheit unerlässlich für Gerechtigkeit und Wohlergehen?
Maggie Nelson erkundet kontroverse Debatten in der Kunstwelt, das Erbe der sexuellen Befreiung, die schmerzhaften Paradoxien der Sucht und die Unabwendbarkeit der Klimakrise und vollzieht damit selbst eine Praxis der Freiheit. Sie bietet keine einfachen Antworten, sondern wirft Fragen auf, die uns dazu auffordern, neu über Freiheit nachzudenken.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Eigentlich ist Maggie Nelson eine Gute, erinnert sich Caspar Shaller in einer zunächst etwas insiderhaft, dann ratlos klingenden Rezension. Also eine, die sich nicht über "Cancel Culture" beschwert oder gar von Toleranz und Aufklärung überzeugt sei. Nein nein, eigentlich ist sie eine der "wichtigsten Stimmen der feministischen und queeren Literatur". Nun scheint sie hier aber für Komplexität zu plädieren, und das macht die Sache dann tatsächlich komplex. Die dezidierteren der Queeren und Woken in Amerika wie Andrea Long Chu, die eigentlich als eine Adeptin Nelsons gegolten habe, hätten Nelsons Essays in den USA äußerst aggressiv in Grund und Boden gerammt. Und hier fragt sich Shaller nun wieder, ob wir in Europa nun die Scharmützel der modischen Theorie in Amerika wirklich in allen Einzelheiten nachvollziehen müssen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.07.2022Du bist so eitel, du meinst, dieser Text sei über dich?
Obacht im Achtsamkeitsdiskurs: Maggie Nelsons Überlegungen zu Kunst- und Interpretationsfreiheit
Der stilistische Einfluss der 1973 geborenen Amerikanerin Maggie Nelson auf die aktuelle deutschsprachige Literatur ist kaum hoch genug einzuschätzen: Es ist vielerorts ein mehr oder weniger eingestandenes Nacheifern und Abkupfern ihrer Schreibweise zu beobachten, die zwischen Roman, Essay und Dichtung kaum noch trennt, literaturgeschichtlich und theoretisch schwer bepackt ist und doch leichthändig mit Einflüssen aus allen Künsten und Epochen jongliert, oft mit dem Ziel, zwischen polemischen Meinungen eine Position der Vagheit einzunehmen.
Werke von Maggie Nelson zu lesen bedeutet, sich in ein Netz der Intertextualität zu begeben. Es besteht die Gefahr, eingesponnen zu werden. Bei dem Versuch, sich aus den Fäden zu wickeln, gibt es allerdings viel zu lernen. Im vorliegenden Band über die von Nelson "empfundene Komplexität des Freiheitsdrangs in vier verschiedenen Bereichen - Sex, Kunst, Drogen und Klima" begegnet intertextuelle Verwicklung allerorten - und besonders im Bezug auf die Kunstfreiheit.
Eingestimmt mit Nelsons grundsätzlicher Betrachtung, dass der Freiheitsbegriff inzwischen so ausgehöhlt sei, dass er auch zu sehr fragwürdigen Auslegungen komme, welche dann die Freiheit anderer beschneiden (Beispiele aus der Trump-Ära finden sich leicht), kommt die Autorin auf eine Grundbewegung der Künste von den historischen Avantgarden bis heute zu sprechen, bei der die radikale Freiheit und die Ästhetik des Schocks, die etwa mit dem Futurismus geradewegs zur Vorstellung von "hygienischer Gewalt" (Marinetti) und Krieg geführt habe, ihr Gegenstück in einer "reparativen" Kunst gefunden hat, die davon ausgeht, dass "das Publikum beschädigt ist und Heilung, Hilfe und Schutz braucht". Diesen Zug weist sie dann auch in der Interpretation und Bewertung von Kunst und Literatur nach. Auch hier ist ein reparativer Ansatz zu beobachten, für den Nelson grundsätzlich Verständnis hat: "In einer Zeit, in der Hetzer und Brutalos die 'freie Meinungsäußerung' zu ihrem unaufrichtigen Schlachtruf erkoren haben und für ihre Zwecke instrumentalisieren, ist es verständlich, dass einige dem Freiheitsdiskurs mit Kritik, Verweigerung oder Diffamierung begegnen und fordern, dass Freiheit durch Care ersetzt wird."
Im Buchtitel und an anderer Stelle wird "care" mit "Zuwendung" übersetzt, es läge freilich auch der Begriff der Achtsamkeit nahe. Die Care-Schule in Anwendung auf Interpretation birgt indes, wie andere literaturwissenschaftliche und kritische Schulen auch, die Gefahr der arroganten Fehldeutung. Auch diese problematisiert Nelson, und zwar anhand eines 2003 veröffentlichten Aufsatzes der Literaturwissenschaftlerin Eve Kosofsky Sedgwick mit dem kuriosen Titel "Paranoid reading and reparative reading, or, You're so paranoid, you probably think this essay is about you". Der Titel ist seinerseits eine gewitzte Anspielung auf eine Liedzeile von Carly Simon: "You're so vain, you probably think this song is about you."
Während Nelson das "paranoide Lesen" gesellschaftlich und insbesondere aus feministischer Sicht für hilfreich und heilsam hält, findet sie dessen Anwendung auf die Kunst äußerst fragwürdig. Hier ist sie erfreulicherweise nicht vage, sondern sehr klar: "Denn wenn wir schon wissen, was ein Kunstwerk ausdrücken oder wie es wirken soll, bevor wir es herstellen oder erleben, wenn seine Aussage auch durch einen TED-Talk, eine PowerPoint-Präsentation, einen Leitartikel, ein Demoschild oder einen Tweet vermittelt werden könnte, wenn seine Interpretation vorprogrammiert und einheitlich wäre, warum sollten wir uns dann mit der langsamen Arbeit des Schauens, Machens, Lesens oder Denkens herumplagen?"
Nelson legt dann mit vielen interessanten Beispielen die "gewaltigen Ironien" des Achtsamkeitsdiskurses offen und damit den Finger in die Wunde einer Literaturkritik, die immer öfter gar nicht mehr bereit dazu scheint, einen literarischen Text als offenes Kunstwerk statt als Meinungsäußerung zu verstehen, und noch weniger bereit, diesen jenseits von identifikatorischer Lektüre (eine Romanfigur oder Erzählstimme gefällt mir nicht, ist also böse) vielleicht auch gerade in seiner Abschreckung als hilfreich und heilsam zu begreifen.
Die dann folgenden Überlegungen Nelsons über "verletzende Worte" und "Polizisten im Kopf" mit ebendieser Haltung zu lesen und nachzuvollziehen, auch und gerade wenn nicht alles davon Zustimmung findet, sondern auch zum Widerspruch fordert, könnte hilfreich und heilsam sein. JAN WIELE
Maggie Nelson:
"Freiheit". Vier Variationen über Zuwendung und Zwang.
Aus dem Englischen
von Cornelius Reiber.
Hanser Berlin Verlag, Berlin 2022. 400 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Obacht im Achtsamkeitsdiskurs: Maggie Nelsons Überlegungen zu Kunst- und Interpretationsfreiheit
Der stilistische Einfluss der 1973 geborenen Amerikanerin Maggie Nelson auf die aktuelle deutschsprachige Literatur ist kaum hoch genug einzuschätzen: Es ist vielerorts ein mehr oder weniger eingestandenes Nacheifern und Abkupfern ihrer Schreibweise zu beobachten, die zwischen Roman, Essay und Dichtung kaum noch trennt, literaturgeschichtlich und theoretisch schwer bepackt ist und doch leichthändig mit Einflüssen aus allen Künsten und Epochen jongliert, oft mit dem Ziel, zwischen polemischen Meinungen eine Position der Vagheit einzunehmen.
Werke von Maggie Nelson zu lesen bedeutet, sich in ein Netz der Intertextualität zu begeben. Es besteht die Gefahr, eingesponnen zu werden. Bei dem Versuch, sich aus den Fäden zu wickeln, gibt es allerdings viel zu lernen. Im vorliegenden Band über die von Nelson "empfundene Komplexität des Freiheitsdrangs in vier verschiedenen Bereichen - Sex, Kunst, Drogen und Klima" begegnet intertextuelle Verwicklung allerorten - und besonders im Bezug auf die Kunstfreiheit.
Eingestimmt mit Nelsons grundsätzlicher Betrachtung, dass der Freiheitsbegriff inzwischen so ausgehöhlt sei, dass er auch zu sehr fragwürdigen Auslegungen komme, welche dann die Freiheit anderer beschneiden (Beispiele aus der Trump-Ära finden sich leicht), kommt die Autorin auf eine Grundbewegung der Künste von den historischen Avantgarden bis heute zu sprechen, bei der die radikale Freiheit und die Ästhetik des Schocks, die etwa mit dem Futurismus geradewegs zur Vorstellung von "hygienischer Gewalt" (Marinetti) und Krieg geführt habe, ihr Gegenstück in einer "reparativen" Kunst gefunden hat, die davon ausgeht, dass "das Publikum beschädigt ist und Heilung, Hilfe und Schutz braucht". Diesen Zug weist sie dann auch in der Interpretation und Bewertung von Kunst und Literatur nach. Auch hier ist ein reparativer Ansatz zu beobachten, für den Nelson grundsätzlich Verständnis hat: "In einer Zeit, in der Hetzer und Brutalos die 'freie Meinungsäußerung' zu ihrem unaufrichtigen Schlachtruf erkoren haben und für ihre Zwecke instrumentalisieren, ist es verständlich, dass einige dem Freiheitsdiskurs mit Kritik, Verweigerung oder Diffamierung begegnen und fordern, dass Freiheit durch Care ersetzt wird."
Im Buchtitel und an anderer Stelle wird "care" mit "Zuwendung" übersetzt, es läge freilich auch der Begriff der Achtsamkeit nahe. Die Care-Schule in Anwendung auf Interpretation birgt indes, wie andere literaturwissenschaftliche und kritische Schulen auch, die Gefahr der arroganten Fehldeutung. Auch diese problematisiert Nelson, und zwar anhand eines 2003 veröffentlichten Aufsatzes der Literaturwissenschaftlerin Eve Kosofsky Sedgwick mit dem kuriosen Titel "Paranoid reading and reparative reading, or, You're so paranoid, you probably think this essay is about you". Der Titel ist seinerseits eine gewitzte Anspielung auf eine Liedzeile von Carly Simon: "You're so vain, you probably think this song is about you."
Während Nelson das "paranoide Lesen" gesellschaftlich und insbesondere aus feministischer Sicht für hilfreich und heilsam hält, findet sie dessen Anwendung auf die Kunst äußerst fragwürdig. Hier ist sie erfreulicherweise nicht vage, sondern sehr klar: "Denn wenn wir schon wissen, was ein Kunstwerk ausdrücken oder wie es wirken soll, bevor wir es herstellen oder erleben, wenn seine Aussage auch durch einen TED-Talk, eine PowerPoint-Präsentation, einen Leitartikel, ein Demoschild oder einen Tweet vermittelt werden könnte, wenn seine Interpretation vorprogrammiert und einheitlich wäre, warum sollten wir uns dann mit der langsamen Arbeit des Schauens, Machens, Lesens oder Denkens herumplagen?"
Nelson legt dann mit vielen interessanten Beispielen die "gewaltigen Ironien" des Achtsamkeitsdiskurses offen und damit den Finger in die Wunde einer Literaturkritik, die immer öfter gar nicht mehr bereit dazu scheint, einen literarischen Text als offenes Kunstwerk statt als Meinungsäußerung zu verstehen, und noch weniger bereit, diesen jenseits von identifikatorischer Lektüre (eine Romanfigur oder Erzählstimme gefällt mir nicht, ist also böse) vielleicht auch gerade in seiner Abschreckung als hilfreich und heilsam zu begreifen.
Die dann folgenden Überlegungen Nelsons über "verletzende Worte" und "Polizisten im Kopf" mit ebendieser Haltung zu lesen und nachzuvollziehen, auch und gerade wenn nicht alles davon Zustimmung findet, sondern auch zum Widerspruch fordert, könnte hilfreich und heilsam sein. JAN WIELE
Maggie Nelson:
"Freiheit". Vier Variationen über Zuwendung und Zwang.
Aus dem Englischen
von Cornelius Reiber.
Hanser Berlin Verlag, Berlin 2022. 400 S., geb., 26,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main