Eine neue literarische Stimme aus Amerika in der Nachfolge Don DeLillos Ein anständiger Mensch, ein aufrechter Bürger, ein erfolgreicher Geschäftsmann - das ist Doc Hata, der Held in Chang-rae Lees Roman. Die glatte Fassade des Hier und Jetzt bekommt jedoch zunehmend Risse, und eine erschreckende Vergangenheit bricht mit Gewalt hervor.
Doc Hata kam nach dem Zweiten Weltkrieg aus Japan in die USA. Seine neue Existenz bringt ihm Anerkennung und Befriedigung. Doch als er sich zur Ruhe setzt, gerät sein so wohl geordnetes Dasein durch eine Reihe düsterer Ereignisse aus den Fugen, sieht er sich zur Selbsterkenntnis gezwungen. In fesselnden Rückblenden erinnert er noch einmal sein Leben und legt Schicht für Schicht verdrängte Erfahrungen frei: seine gescheiterte Liebe zu einer Nachbarin, das schmerzhaft in die Brüche gegangene Verhältnis zu seiner Adoptivtochter Sunny und vor allem das tragische Schicksal einer jungen Koreanerin, die während des Zweiten Weltkriegs in Burma von den Japanern erbarmungslos zur Prostitution gezwungen wurde. Diese Frau, deren Tod Hata mitverschuldet hat, war die große Liebe seines Lebens.
Chang-rae Lee gelingt es, in seinem Helden die Zerrissenheit zwischen zwei unterschiedlichen Kulturen eindringlich darzustellen. Mit seiner knappen, fein ziselierten Sprache arbeitet er subtil die innere Spannung der Hauptfigur heraus und macht den Roman zu einem literarischen Ereignis.
Doc Hata kam nach dem Zweiten Weltkrieg aus Japan in die USA. Seine neue Existenz bringt ihm Anerkennung und Befriedigung. Doch als er sich zur Ruhe setzt, gerät sein so wohl geordnetes Dasein durch eine Reihe düsterer Ereignisse aus den Fugen, sieht er sich zur Selbsterkenntnis gezwungen. In fesselnden Rückblenden erinnert er noch einmal sein Leben und legt Schicht für Schicht verdrängte Erfahrungen frei: seine gescheiterte Liebe zu einer Nachbarin, das schmerzhaft in die Brüche gegangene Verhältnis zu seiner Adoptivtochter Sunny und vor allem das tragische Schicksal einer jungen Koreanerin, die während des Zweiten Weltkriegs in Burma von den Japanern erbarmungslos zur Prostitution gezwungen wurde. Diese Frau, deren Tod Hata mitverschuldet hat, war die große Liebe seines Lebens.
Chang-rae Lee gelingt es, in seinem Helden die Zerrissenheit zwischen zwei unterschiedlichen Kulturen eindringlich darzustellen. Mit seiner knappen, fein ziselierten Sprache arbeitet er subtil die innere Spannung der Hauptfigur heraus und macht den Roman zu einem literarischen Ereignis.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.01.2002Der doppelte Doc Hata
Chang-Rae Lees Roman „Fremd im eigenen Leben”
„A Gesture Life”: über den Originaltitel von Chang-Rae Lees zweitem Roman kann man, anders als über den deutschen – „Fremd im eigenen Leben” – eine Weile grübeln. Was könnte das sein, ein „Gesture Life”? Ein Gebärdenleben, so wie es eine Gebärdensprache gibt? Hat sich das Leben von Franklin Hata, dem japanischstämmigen Ex-Sanitätshausbesitzer in Bedley Run, mehr in Gesten als in Worten vollzogen? Und was wären dann die Lebensgesten von Franklin oder, wie er in Bedley Run liebevoll genannt wird, „Doc” Hata gewesen?
Vielleicht hilft der Hinweis, dass es Doc Hata zeitlebens nicht leicht gefallen ist, sich auszudrücken. Die einzige soziale Gebärde, die bei ihm wirklich saß, war die des Geschäftsmannes. Das Persönliche und Private hingegen, Liebe, Familie, Freundschaft hat ihn selten froh, meistens unsicher und verlegen gemacht. Ein Umstand, für den Doc Hata sich seine eigene kleine Theorie der migrationsbedingten erotischen Abstinenz zurecht gelegt hat. „Seit meinem Entschluss, Japan zu verlassen”, heißt es am Anfang seiner groß angelegten Lebens-Anamnese, „hatte ich praktisch jeden Gedanken an Frauen und intime Beziehungen abgeschrieben, denn mir war klar, welcher Anstrengungen es bedurfte, mich in einem fremden Land niederzulassen.”
Die Anpassung, von der hier erzählt wird, ist eine große, eine übergroße Verzichts-Leistung, und das Tragische an ihr ist, dass sie komisch wirkt. Deshalb muss sich der alte Sanitäter gleich anschließend für seinen Verzicht rechtfertigen: „Das mag”, sagt er, „wie eine Ausrede klingen, und vielleicht ist es tatsächlich auch ein bisschen deprimierend, und Einheimische werden nur schwer begreifen, wie aufreibend so ein Neubeginn sein kann.” Das alles ist wohl wahr, und das Gemeine daran ist, dass es einem keiner dankt.
Es ist nicht leicht, einen aufregenden Roman über einen Mann zu schreiben, der das Leben ersichtlich hinter sich hat und nun, als allseits wohl gelittener Pensionist in einem amerikanischen Grüngürtel, den Riten des gehobenen Zeitvertreibs nachgeht. Nichts an Doc Hatas Rentnerleben ist weiter der Rede wert, nicht der Golfkurs und auch nicht die Gartenarbeit. Also muss das, was an seinem Leben und diesem Roman von Bedeutung ist, tief im Brunnen der Vergangenheit liegen. Weil es vorwiegend schmerzliche Erinnerungen sind, die der ordnungsliebende alte Mann viele Jahre nach Kräften fernzuhalten bemüht war, braucht es schon ein Feuer unter dem Dach, bis die Anamnesis einsetzt.
Es hat also gebrannt in seinem Haus, Doc Hata musste ins Krankenhaus, nun ist er wieder daheim, und mit Macht drängt die Vergangenheit durch das frisch renovierte Gemäuer. Drei unglückliche Frauengeschichten aus drei Lebensphasen beschäftigen den Alten auf einmal wieder. Mit Mary Burns, der attraktiven Nachbarin, hätte er seinen selbst gewählten Liebes-Bann aufheben können, aber seine Ungelenkigkeit, seine mangelnde Entschlussfreude, ja überhaupt sein dramatischer Mangel an Rasanz haben das Abenteuer vereitelt, ehe es so recht eines werden konnte. Noch niederschmetternder ist die Geschichte mit Sunny, seiner Adoptivtochter, einer halb-koreanischen Kriegswaisen. Wer will schon einen Adoptivvater, dessen Glück sich darin vollendet, beim Sonntagsspaziergang die Huldigungen zufriedener Kunden entgegen zu nehmen? Vielleicht ist das ja ein „Gesture Life”: ein Leben, das nur aus Gesten besteht, die den anderen Unterwürfigkeit signalisieren.
Die dritte und schockierendste dieser Frauen-Geschichte aber spielt in einer anderen Welt und in einem anderen, schnelleren und tragischeren Roman. Sie geht weit zurück, in die Zeit kurz vor Kriegsende, da Doc Hata als japanischer Sanitätsoffizier in Birma Dienst tut. Was er dort erlebt, zuerst mit der ihm angeborenen Anpassungsbereitschaft, dann mit zunehmender Auflehnung, schließlich mit offener Insubordination, ist die reine Barbarei: die Versklavung junger, vor allem koreanischer Frauenzu Zwecken des militärischen Sexualnachschubs.
Offenbar wollte Chang-Rae Lee, der 1965 in Korea geboren wurde und als Kind mit seinen Eltern in die USA kam, zunächst ein ganz anderes Buch schreiben, eines über das System der Zwangsprostitution, das die japanische Armee im Zweiten Weltkrieg in Südostasien unterhielt. Aber ist das jetzt eigentlich noch die Geschichte von Doc Hata oder nicht vielleicht eine andere, wahrscheinlich viel brisantere, über die man gern mehr erführe, wenn auch nicht unbedingt auf dem Umweg über einen älteren japanischen Herrn an der Ostküste, der sich an all das Schreckliche doch eigentlich nur noch sehr lückenhaft wird erinnern können? So viel Stoff, wie Chang-Rae Lee ihm zumutet, kann der alte, müde Doc Hata gar nicht mehr halten. Das ist nur eines der Probleme, die die Konstruktion seines Romans aufwirft. Erst steht die Zeit in ihm so zäh wie an den Nachmittagen eines Pensionisten, aber es ist immerhin die Zeit, wie Doc Hata selbst sie erlebt. Dann gibt es Handlung in Fülle, nur die Hauptfigur kommt in dem nun losbrechenden Norman Mailerschen Kriegsgetöse abhanden. Erst soll der Held ein lahmer alter Mann sein, in der weiteren Folge entpuppt er sich dann aber als ein junger Heißsporn und, man glaubt es kaum, als ein Liebhaber, der seine Liebe bis in den Tod verteidigt. Welcher Doc Hata ist denn nun der richtige?
Vielleicht würde man die Schwächen dieses Romans mit Gleichgültigkeit quittieren, wäre Chang-Rae Lee nicht vom „New Yorker” unter die „zwanzig besten Erzähler unter vierzig” eingereiht worden. Wenn die Creative-Writing- Routine dieses Romans schon für die erste Reihe reicht, dann scheint in Amerika die Latte im Moment nicht besonders hoch zu liegen.
CHRSITOPH
BARTMANN
CHANG-RAE LEE: Fremd im eigenen Land. Roman. Aus dem Amerikanischen von Marcus Ingendaay. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 398 Seiten, 22, 90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Chang-Rae Lees Roman „Fremd im eigenen Leben”
„A Gesture Life”: über den Originaltitel von Chang-Rae Lees zweitem Roman kann man, anders als über den deutschen – „Fremd im eigenen Leben” – eine Weile grübeln. Was könnte das sein, ein „Gesture Life”? Ein Gebärdenleben, so wie es eine Gebärdensprache gibt? Hat sich das Leben von Franklin Hata, dem japanischstämmigen Ex-Sanitätshausbesitzer in Bedley Run, mehr in Gesten als in Worten vollzogen? Und was wären dann die Lebensgesten von Franklin oder, wie er in Bedley Run liebevoll genannt wird, „Doc” Hata gewesen?
Vielleicht hilft der Hinweis, dass es Doc Hata zeitlebens nicht leicht gefallen ist, sich auszudrücken. Die einzige soziale Gebärde, die bei ihm wirklich saß, war die des Geschäftsmannes. Das Persönliche und Private hingegen, Liebe, Familie, Freundschaft hat ihn selten froh, meistens unsicher und verlegen gemacht. Ein Umstand, für den Doc Hata sich seine eigene kleine Theorie der migrationsbedingten erotischen Abstinenz zurecht gelegt hat. „Seit meinem Entschluss, Japan zu verlassen”, heißt es am Anfang seiner groß angelegten Lebens-Anamnese, „hatte ich praktisch jeden Gedanken an Frauen und intime Beziehungen abgeschrieben, denn mir war klar, welcher Anstrengungen es bedurfte, mich in einem fremden Land niederzulassen.”
Die Anpassung, von der hier erzählt wird, ist eine große, eine übergroße Verzichts-Leistung, und das Tragische an ihr ist, dass sie komisch wirkt. Deshalb muss sich der alte Sanitäter gleich anschließend für seinen Verzicht rechtfertigen: „Das mag”, sagt er, „wie eine Ausrede klingen, und vielleicht ist es tatsächlich auch ein bisschen deprimierend, und Einheimische werden nur schwer begreifen, wie aufreibend so ein Neubeginn sein kann.” Das alles ist wohl wahr, und das Gemeine daran ist, dass es einem keiner dankt.
Es ist nicht leicht, einen aufregenden Roman über einen Mann zu schreiben, der das Leben ersichtlich hinter sich hat und nun, als allseits wohl gelittener Pensionist in einem amerikanischen Grüngürtel, den Riten des gehobenen Zeitvertreibs nachgeht. Nichts an Doc Hatas Rentnerleben ist weiter der Rede wert, nicht der Golfkurs und auch nicht die Gartenarbeit. Also muss das, was an seinem Leben und diesem Roman von Bedeutung ist, tief im Brunnen der Vergangenheit liegen. Weil es vorwiegend schmerzliche Erinnerungen sind, die der ordnungsliebende alte Mann viele Jahre nach Kräften fernzuhalten bemüht war, braucht es schon ein Feuer unter dem Dach, bis die Anamnesis einsetzt.
Es hat also gebrannt in seinem Haus, Doc Hata musste ins Krankenhaus, nun ist er wieder daheim, und mit Macht drängt die Vergangenheit durch das frisch renovierte Gemäuer. Drei unglückliche Frauengeschichten aus drei Lebensphasen beschäftigen den Alten auf einmal wieder. Mit Mary Burns, der attraktiven Nachbarin, hätte er seinen selbst gewählten Liebes-Bann aufheben können, aber seine Ungelenkigkeit, seine mangelnde Entschlussfreude, ja überhaupt sein dramatischer Mangel an Rasanz haben das Abenteuer vereitelt, ehe es so recht eines werden konnte. Noch niederschmetternder ist die Geschichte mit Sunny, seiner Adoptivtochter, einer halb-koreanischen Kriegswaisen. Wer will schon einen Adoptivvater, dessen Glück sich darin vollendet, beim Sonntagsspaziergang die Huldigungen zufriedener Kunden entgegen zu nehmen? Vielleicht ist das ja ein „Gesture Life”: ein Leben, das nur aus Gesten besteht, die den anderen Unterwürfigkeit signalisieren.
Die dritte und schockierendste dieser Frauen-Geschichte aber spielt in einer anderen Welt und in einem anderen, schnelleren und tragischeren Roman. Sie geht weit zurück, in die Zeit kurz vor Kriegsende, da Doc Hata als japanischer Sanitätsoffizier in Birma Dienst tut. Was er dort erlebt, zuerst mit der ihm angeborenen Anpassungsbereitschaft, dann mit zunehmender Auflehnung, schließlich mit offener Insubordination, ist die reine Barbarei: die Versklavung junger, vor allem koreanischer Frauenzu Zwecken des militärischen Sexualnachschubs.
Offenbar wollte Chang-Rae Lee, der 1965 in Korea geboren wurde und als Kind mit seinen Eltern in die USA kam, zunächst ein ganz anderes Buch schreiben, eines über das System der Zwangsprostitution, das die japanische Armee im Zweiten Weltkrieg in Südostasien unterhielt. Aber ist das jetzt eigentlich noch die Geschichte von Doc Hata oder nicht vielleicht eine andere, wahrscheinlich viel brisantere, über die man gern mehr erführe, wenn auch nicht unbedingt auf dem Umweg über einen älteren japanischen Herrn an der Ostküste, der sich an all das Schreckliche doch eigentlich nur noch sehr lückenhaft wird erinnern können? So viel Stoff, wie Chang-Rae Lee ihm zumutet, kann der alte, müde Doc Hata gar nicht mehr halten. Das ist nur eines der Probleme, die die Konstruktion seines Romans aufwirft. Erst steht die Zeit in ihm so zäh wie an den Nachmittagen eines Pensionisten, aber es ist immerhin die Zeit, wie Doc Hata selbst sie erlebt. Dann gibt es Handlung in Fülle, nur die Hauptfigur kommt in dem nun losbrechenden Norman Mailerschen Kriegsgetöse abhanden. Erst soll der Held ein lahmer alter Mann sein, in der weiteren Folge entpuppt er sich dann aber als ein junger Heißsporn und, man glaubt es kaum, als ein Liebhaber, der seine Liebe bis in den Tod verteidigt. Welcher Doc Hata ist denn nun der richtige?
Vielleicht würde man die Schwächen dieses Romans mit Gleichgültigkeit quittieren, wäre Chang-Rae Lee nicht vom „New Yorker” unter die „zwanzig besten Erzähler unter vierzig” eingereiht worden. Wenn die Creative-Writing- Routine dieses Romans schon für die erste Reihe reicht, dann scheint in Amerika die Latte im Moment nicht besonders hoch zu liegen.
CHRSITOPH
BARTMANN
CHANG-RAE LEE: Fremd im eigenen Land. Roman. Aus dem Amerikanischen von Marcus Ingendaay. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 398 Seiten, 22, 90 Euro.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.2001Maske ohne Mensch
Chang-rae Lee bleibt höflich · Von Felicitas von Lovenberg
In dem amerikanischen Städtchen Bedley Run kennt man ihn als den guten Doc Hata. So stellt er sich auch dem Leser vor: Franklin Hata, japanisch-amerikanischer Kaufmann koreanischer Abstammung, der seinen wohlverdienten Ruhestand zu genießen scheint. Aber wenn in der Literatur ein guter Mensch und Musterbürger auf sein Leben zurückblickt, kann er keiner gewesen sein: Auf diese Gewißheit baut der Koreaner Chang-rae Lee, der 1968 als kleiner Junge in die Vereinigten Staaten kam und mit "A Gesture Life", zu deutsch "Fremd im eigenen Leben", nun seinen zweiten Roman veröffentlicht hat. Sein Anti-Held ist jener Franklin Hata, dessen zur Schau getragene Anständigkeit Schicht um Schicht abblättert, bis nur noch ein häßlicher Kern übrigbleibt.
Franklin Hata gehört zu jenen Menschen, die fest davon überzeugt sind, immer recht zu haben und alles richtig zu machen. Selbstgefällig erzählt Hata, wie er dem Ehepaar, das sein Sanitätshaus übernommen hat, Ratschläge gibt. Kein Funken Selbstironie macht seine Arroganz erträglicher: In Bedley Run "erfahre ich eine Verehrung, wie sie älteren Menschen höchstens noch in Asien zuteil wird". Er hat es eben zu etwas gebracht im Leben, der gute Doc Hata. Ihm gehört ein schönes großes Haus in einem guten Viertel ("eines der interessantesten Objekte in der ganzen Gegend"), und auf seine disziplinierte Weise scheint er ein friedliches Leben zu führen. Stets von ausgesuchter Höflichkeit, läßt er niemanden an sich heran - wohl wissend, daß die Menschen in Bedley Run diese Distanziertheit als asiatische Eigenheit betrachten und sich ihm nicht aufdrängen.
Die wenigen Personen, die Franklin Hata einmal näher kannten, haben ihm den Rücken gekehrt oder sind gestorben. Denn Franklin Hata beherrscht die Kunst der Lebenslüge perfekt. Er sieht sich ausschließlich von außen: Solange der Schein gewahrt bleibt, ist auch seine eigene Überlegenheit nicht gefährdet. Diejenigen, die sich bemühen, ihn zu lieben, müssen enttäuscht feststellen, daß es ihnen nicht gelingen will. Warum, das erfährt der Leser nur indirekt, denn Chang-rae Lee schildert Hatas Geschichte ausschließlich aus dessen eigener, selbstgerechter Perspektive - eine erzählerische Taktik, die es normalerweise erlaubt, einen Charakter geschickt zu entlarven. Doch in der eisigen Wahrung dieser Perspektive liegt hier das zunächst Beunruhigende, dann Gespenstische und schließlich zutiefst Verstörende des Romans. Denn nicht ein einziges Mal im Verlauf der knapp vierhundert Seiten gibt es einen Hinweis darauf, daß Hatas geschöntes Selbstbild einen Riß bekommt, daß er begreift, daß seine Heldentaten in Wahrheit Verbrechen sind. Immer drastischer werden die Enthüllungen, der es nicht mehr bedurft hätte, um die Tragik Franklin Hatas zu vermitteln, so daß man sich am Schluß fragt, ob Chang-rae Lee den Ekel vor seiner Figur überhaupt empfunden hat.
Franklin Hata war immer ein Außenseiter, sogar in der Armee. Während des Zweiten Weltkriegs dient er als Sanitätsoffizier in einem japanischen Bataillon, das in Burma stationiert war. Hata soll dafür sorgen, daß die gekidnappten koreanischen Frauen, die als Sexsklavinnen gehalten werden, physisch nicht zusammenbrechen. Seine Liebe zu einer der Frauen hält ihn nicht davon ab, sie zu vergewaltigen. Bald darauf wird die Frau brutal erschlagen, weil sie den "Dienst" verweigert. Jahre später, als aus Jiro Kurohata Franklin Hata geworden ist und er sich in Bedley Run niedergelassen hat, adoptiert er ein koreanisches Mädchen, an dem er das Leid, das der Frau im Lager angetan wurde, wiedergutmachen möchte. Doch je älter sie wird, desto weniger verhehlt Sunny ihre Verachtung für den Adoptivvater; schließlich läuft sie weg. Erst später erfahren wir, daß Hata sie gezwungen hat, ein Kind abzutreiben, das sie bekommen wollte. Auch seine Gefährtin Mary wendet sich von dem Gefühlskalten ab; sie stirbt im Nachbarhaus, ohne daß er sie besucht hätte. Hata akzeptiert zwar, daß die beiden Frauen ihn nicht lieben, doch fragt er sich nie, warum. Sein vermeintlich unbescholtenes Leben in Bedley Run entpuppt sich immer mehr als Parallele zu seiner Zeit im Krieg.
Die große Leistung des Romans besteht in Lees bei aller Präzision doch eleganter Sprache: In unaufdringlichem Ton werden Ereignisse geschildert, die in krassem Gegensatz zu der polierten, gesetzten Stimme des Erzählers stehen. Allein, die schönen Worte können das Grauen nicht vertreiben, zumal sich das Buch mit jedem weiteren Schritt zurück in die Vergangenheit schließlich unnötig in die Länge zieht. Nicht erst am Ende bedauert man, daß sich dieser begabte Schriftsteller eine Figur ausgesucht hat, die dem sprachlichen Aufwand so wenig entgegenzusetzen hat.
Chang-rae Lee: "Fremd im eigenen Leben". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Marcus Ingendaay. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 395 S., geb., 44,89 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Chang-rae Lee bleibt höflich · Von Felicitas von Lovenberg
In dem amerikanischen Städtchen Bedley Run kennt man ihn als den guten Doc Hata. So stellt er sich auch dem Leser vor: Franklin Hata, japanisch-amerikanischer Kaufmann koreanischer Abstammung, der seinen wohlverdienten Ruhestand zu genießen scheint. Aber wenn in der Literatur ein guter Mensch und Musterbürger auf sein Leben zurückblickt, kann er keiner gewesen sein: Auf diese Gewißheit baut der Koreaner Chang-rae Lee, der 1968 als kleiner Junge in die Vereinigten Staaten kam und mit "A Gesture Life", zu deutsch "Fremd im eigenen Leben", nun seinen zweiten Roman veröffentlicht hat. Sein Anti-Held ist jener Franklin Hata, dessen zur Schau getragene Anständigkeit Schicht um Schicht abblättert, bis nur noch ein häßlicher Kern übrigbleibt.
Franklin Hata gehört zu jenen Menschen, die fest davon überzeugt sind, immer recht zu haben und alles richtig zu machen. Selbstgefällig erzählt Hata, wie er dem Ehepaar, das sein Sanitätshaus übernommen hat, Ratschläge gibt. Kein Funken Selbstironie macht seine Arroganz erträglicher: In Bedley Run "erfahre ich eine Verehrung, wie sie älteren Menschen höchstens noch in Asien zuteil wird". Er hat es eben zu etwas gebracht im Leben, der gute Doc Hata. Ihm gehört ein schönes großes Haus in einem guten Viertel ("eines der interessantesten Objekte in der ganzen Gegend"), und auf seine disziplinierte Weise scheint er ein friedliches Leben zu führen. Stets von ausgesuchter Höflichkeit, läßt er niemanden an sich heran - wohl wissend, daß die Menschen in Bedley Run diese Distanziertheit als asiatische Eigenheit betrachten und sich ihm nicht aufdrängen.
Die wenigen Personen, die Franklin Hata einmal näher kannten, haben ihm den Rücken gekehrt oder sind gestorben. Denn Franklin Hata beherrscht die Kunst der Lebenslüge perfekt. Er sieht sich ausschließlich von außen: Solange der Schein gewahrt bleibt, ist auch seine eigene Überlegenheit nicht gefährdet. Diejenigen, die sich bemühen, ihn zu lieben, müssen enttäuscht feststellen, daß es ihnen nicht gelingen will. Warum, das erfährt der Leser nur indirekt, denn Chang-rae Lee schildert Hatas Geschichte ausschließlich aus dessen eigener, selbstgerechter Perspektive - eine erzählerische Taktik, die es normalerweise erlaubt, einen Charakter geschickt zu entlarven. Doch in der eisigen Wahrung dieser Perspektive liegt hier das zunächst Beunruhigende, dann Gespenstische und schließlich zutiefst Verstörende des Romans. Denn nicht ein einziges Mal im Verlauf der knapp vierhundert Seiten gibt es einen Hinweis darauf, daß Hatas geschöntes Selbstbild einen Riß bekommt, daß er begreift, daß seine Heldentaten in Wahrheit Verbrechen sind. Immer drastischer werden die Enthüllungen, der es nicht mehr bedurft hätte, um die Tragik Franklin Hatas zu vermitteln, so daß man sich am Schluß fragt, ob Chang-rae Lee den Ekel vor seiner Figur überhaupt empfunden hat.
Franklin Hata war immer ein Außenseiter, sogar in der Armee. Während des Zweiten Weltkriegs dient er als Sanitätsoffizier in einem japanischen Bataillon, das in Burma stationiert war. Hata soll dafür sorgen, daß die gekidnappten koreanischen Frauen, die als Sexsklavinnen gehalten werden, physisch nicht zusammenbrechen. Seine Liebe zu einer der Frauen hält ihn nicht davon ab, sie zu vergewaltigen. Bald darauf wird die Frau brutal erschlagen, weil sie den "Dienst" verweigert. Jahre später, als aus Jiro Kurohata Franklin Hata geworden ist und er sich in Bedley Run niedergelassen hat, adoptiert er ein koreanisches Mädchen, an dem er das Leid, das der Frau im Lager angetan wurde, wiedergutmachen möchte. Doch je älter sie wird, desto weniger verhehlt Sunny ihre Verachtung für den Adoptivvater; schließlich läuft sie weg. Erst später erfahren wir, daß Hata sie gezwungen hat, ein Kind abzutreiben, das sie bekommen wollte. Auch seine Gefährtin Mary wendet sich von dem Gefühlskalten ab; sie stirbt im Nachbarhaus, ohne daß er sie besucht hätte. Hata akzeptiert zwar, daß die beiden Frauen ihn nicht lieben, doch fragt er sich nie, warum. Sein vermeintlich unbescholtenes Leben in Bedley Run entpuppt sich immer mehr als Parallele zu seiner Zeit im Krieg.
Die große Leistung des Romans besteht in Lees bei aller Präzision doch eleganter Sprache: In unaufdringlichem Ton werden Ereignisse geschildert, die in krassem Gegensatz zu der polierten, gesetzten Stimme des Erzählers stehen. Allein, die schönen Worte können das Grauen nicht vertreiben, zumal sich das Buch mit jedem weiteren Schritt zurück in die Vergangenheit schließlich unnötig in die Länge zieht. Nicht erst am Ende bedauert man, daß sich dieser begabte Schriftsteller eine Figur ausgesucht hat, die dem sprachlichen Aufwand so wenig entgegenzusetzen hat.
Chang-rae Lee: "Fremd im eigenen Leben". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Marcus Ingendaay. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 395 S., geb., 44,89 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Schwach findet Rezensent Christoph Bartmann diesen Roman. Er vermutet, dass der Autor Chang-Rae Lee zunächst eine ganz andere Geschichte erzählen wollte: Die Geschichte der Zwangsprostitution der japanischen Armee im Zweiten Weltkrieg. Um dieses Thema geht es aber nur im Zusammenhang mit der dritten verfehlten Liebesgeschichte der Hauptfigur. Bartmann findet diese Figur des Doc Hata jedoch überladen, sie gehe in der Handlung unter, die sich zunächst ziemlich "zäh" entwickele. Besonders ärgert den Rezensenten angesichts dieses Romans, dass der Autor vom New Yorker unter die 'zwanzig besten Erzähler unter vierzig' einsortiert wurde.
© Perlentaucher Medien GmbH
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