Eine neue literarische Stimme aus Amerika in der Nachfolge Don DeLillos
Ein anständiger Mensch, ein aufrechter Bürger, ein erfolgreicher Geschäftsmann - das ist Doc Hata, der Held in Chang-rae Lees Roman. Die glatte Fassade des Hier und Jetzt bekommt jedoch zunehmend Risse, und eine erschreckende Vergangenheit bricht mit Gewalt hervor. Doc Hata kam nach dem Zweiten Weltkrieg aus Japan in die USA. Seine neue Existenz bringt ihm Anerkennung und Befriedigung. Doch als er sich zur Ruhe setzt, gerät sein so wohl geordnetes Dasein durch eine Reihe düsterer Ereignisse aus den Fugen, sieht er sich zur Selbsterkenntnis gezwungen. In fesselnden Rückblenden erinnert er sich noch einmal seines Lebens und legt Schicht für Schicht verdrängte Erfahrungen frei: seine gescheiterte Liebe zu einer Nachbarin, das schmerzhaft in die Brüche gegangene Verhältnis zu seiner Adoptivtochter Sunny und vor allem das tragische Schicksal einer jungen Koreanerin, die während des Zweiten Weltkriegs in B urma vonden Japanern erbarmungslos zur Prostitution gezwungen wurde. Diese Frau, deren Tod Hata mitverschuldet hat, war die große Liebe seines Lebens. Chang-rae Lee gelingt es, in seinem Helden die Zerrissenheit zwischen zwei unterschiedlichen Kulturen eindringlich darzustellen. Mit seiner knappen, fein ziselierten Sprache arbeitet er subtil die innere Spannung der Hauptfigur heraus und macht den Roman zu einem literarischen Ereignis.
Ein anständiger Mensch, ein aufrechter Bürger, ein erfolgreicher Geschäftsmann - das ist Doc Hata, der Held in Chang-rae Lees Roman. Die glatte Fassade des Hier und Jetzt bekommt jedoch zunehmend Risse, und eine erschreckende Vergangenheit bricht mit Gewalt hervor. Doc Hata kam nach dem Zweiten Weltkrieg aus Japan in die USA. Seine neue Existenz bringt ihm Anerkennung und Befriedigung. Doch als er sich zur Ruhe setzt, gerät sein so wohl geordnetes Dasein durch eine Reihe düsterer Ereignisse aus den Fugen, sieht er sich zur Selbsterkenntnis gezwungen. In fesselnden Rückblenden erinnert er sich noch einmal seines Lebens und legt Schicht für Schicht verdrängte Erfahrungen frei: seine gescheiterte Liebe zu einer Nachbarin, das schmerzhaft in die Brüche gegangene Verhältnis zu seiner Adoptivtochter Sunny und vor allem das tragische Schicksal einer jungen Koreanerin, die während des Zweiten Weltkriegs in B urma vonden Japanern erbarmungslos zur Prostitution gezwungen wurde. Diese Frau, deren Tod Hata mitverschuldet hat, war die große Liebe seines Lebens. Chang-rae Lee gelingt es, in seinem Helden die Zerrissenheit zwischen zwei unterschiedlichen Kulturen eindringlich darzustellen. Mit seiner knappen, fein ziselierten Sprache arbeitet er subtil die innere Spannung der Hauptfigur heraus und macht den Roman zu einem literarischen Ereignis.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.12.2001Maske ohne Mensch
Chang-rae Lee bleibt höflich · Von Felicitas von Lovenberg
In dem amerikanischen Städtchen Bedley Run kennt man ihn als den guten Doc Hata. So stellt er sich auch dem Leser vor: Franklin Hata, japanisch-amerikanischer Kaufmann koreanischer Abstammung, der seinen wohlverdienten Ruhestand zu genießen scheint. Aber wenn in der Literatur ein guter Mensch und Musterbürger auf sein Leben zurückblickt, kann er keiner gewesen sein: Auf diese Gewißheit baut der Koreaner Chang-rae Lee, der 1968 als kleiner Junge in die Vereinigten Staaten kam und mit "A Gesture Life", zu deutsch "Fremd im eigenen Leben", nun seinen zweiten Roman veröffentlicht hat. Sein Anti-Held ist jener Franklin Hata, dessen zur Schau getragene Anständigkeit Schicht um Schicht abblättert, bis nur noch ein häßlicher Kern übrigbleibt.
Franklin Hata gehört zu jenen Menschen, die fest davon überzeugt sind, immer recht zu haben und alles richtig zu machen. Selbstgefällig erzählt Hata, wie er dem Ehepaar, das sein Sanitätshaus übernommen hat, Ratschläge gibt. Kein Funken Selbstironie macht seine Arroganz erträglicher: In Bedley Run "erfahre ich eine Verehrung, wie sie älteren Menschen höchstens noch in Asien zuteil wird". Er hat es eben zu etwas gebracht im Leben, der gute Doc Hata. Ihm gehört ein schönes großes Haus in einem guten Viertel ("eines der interessantesten Objekte in der ganzen Gegend"), und auf seine disziplinierte Weise scheint er ein friedliches Leben zu führen. Stets von ausgesuchter Höflichkeit, läßt er niemanden an sich heran - wohl wissend, daß die Menschen in Bedley Run diese Distanziertheit als asiatische Eigenheit betrachten und sich ihm nicht aufdrängen.
Die wenigen Personen, die Franklin Hata einmal näher kannten, haben ihm den Rücken gekehrt oder sind gestorben. Denn Franklin Hata beherrscht die Kunst der Lebenslüge perfekt. Er sieht sich ausschließlich von außen: Solange der Schein gewahrt bleibt, ist auch seine eigene Überlegenheit nicht gefährdet. Diejenigen, die sich bemühen, ihn zu lieben, müssen enttäuscht feststellen, daß es ihnen nicht gelingen will. Warum, das erfährt der Leser nur indirekt, denn Chang-rae Lee schildert Hatas Geschichte ausschließlich aus dessen eigener, selbstgerechter Perspektive - eine erzählerische Taktik, die es normalerweise erlaubt, einen Charakter geschickt zu entlarven. Doch in der eisigen Wahrung dieser Perspektive liegt hier das zunächst Beunruhigende, dann Gespenstische und schließlich zutiefst Verstörende des Romans. Denn nicht ein einziges Mal im Verlauf der knapp vierhundert Seiten gibt es einen Hinweis darauf, daß Hatas geschöntes Selbstbild einen Riß bekommt, daß er begreift, daß seine Heldentaten in Wahrheit Verbrechen sind. Immer drastischer werden die Enthüllungen, der es nicht mehr bedurft hätte, um die Tragik Franklin Hatas zu vermitteln, so daß man sich am Schluß fragt, ob Chang-rae Lee den Ekel vor seiner Figur überhaupt empfunden hat.
Franklin Hata war immer ein Außenseiter, sogar in der Armee. Während des Zweiten Weltkriegs dient er als Sanitätsoffizier in einem japanischen Bataillon, das in Burma stationiert war. Hata soll dafür sorgen, daß die gekidnappten koreanischen Frauen, die als Sexsklavinnen gehalten werden, physisch nicht zusammenbrechen. Seine Liebe zu einer der Frauen hält ihn nicht davon ab, sie zu vergewaltigen. Bald darauf wird die Frau brutal erschlagen, weil sie den "Dienst" verweigert. Jahre später, als aus Jiro Kurohata Franklin Hata geworden ist und er sich in Bedley Run niedergelassen hat, adoptiert er ein koreanisches Mädchen, an dem er das Leid, das der Frau im Lager angetan wurde, wiedergutmachen möchte. Doch je älter sie wird, desto weniger verhehlt Sunny ihre Verachtung für den Adoptivvater; schließlich läuft sie weg. Erst später erfahren wir, daß Hata sie gezwungen hat, ein Kind abzutreiben, das sie bekommen wollte. Auch seine Gefährtin Mary wendet sich von dem Gefühlskalten ab; sie stirbt im Nachbarhaus, ohne daß er sie besucht hätte. Hata akzeptiert zwar, daß die beiden Frauen ihn nicht lieben, doch fragt er sich nie, warum. Sein vermeintlich unbescholtenes Leben in Bedley Run entpuppt sich immer mehr als Parallele zu seiner Zeit im Krieg.
Die große Leistung des Romans besteht in Lees bei aller Präzision doch eleganter Sprache: In unaufdringlichem Ton werden Ereignisse geschildert, die in krassem Gegensatz zu der polierten, gesetzten Stimme des Erzählers stehen. Allein, die schönen Worte können das Grauen nicht vertreiben, zumal sich das Buch mit jedem weiteren Schritt zurück in die Vergangenheit schließlich unnötig in die Länge zieht. Nicht erst am Ende bedauert man, daß sich dieser begabte Schriftsteller eine Figur ausgesucht hat, die dem sprachlichen Aufwand so wenig entgegenzusetzen hat.
Chang-rae Lee: "Fremd im eigenen Leben". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Marcus Ingendaay. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 395 S., geb., 44,89 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Chang-rae Lee bleibt höflich · Von Felicitas von Lovenberg
In dem amerikanischen Städtchen Bedley Run kennt man ihn als den guten Doc Hata. So stellt er sich auch dem Leser vor: Franklin Hata, japanisch-amerikanischer Kaufmann koreanischer Abstammung, der seinen wohlverdienten Ruhestand zu genießen scheint. Aber wenn in der Literatur ein guter Mensch und Musterbürger auf sein Leben zurückblickt, kann er keiner gewesen sein: Auf diese Gewißheit baut der Koreaner Chang-rae Lee, der 1968 als kleiner Junge in die Vereinigten Staaten kam und mit "A Gesture Life", zu deutsch "Fremd im eigenen Leben", nun seinen zweiten Roman veröffentlicht hat. Sein Anti-Held ist jener Franklin Hata, dessen zur Schau getragene Anständigkeit Schicht um Schicht abblättert, bis nur noch ein häßlicher Kern übrigbleibt.
Franklin Hata gehört zu jenen Menschen, die fest davon überzeugt sind, immer recht zu haben und alles richtig zu machen. Selbstgefällig erzählt Hata, wie er dem Ehepaar, das sein Sanitätshaus übernommen hat, Ratschläge gibt. Kein Funken Selbstironie macht seine Arroganz erträglicher: In Bedley Run "erfahre ich eine Verehrung, wie sie älteren Menschen höchstens noch in Asien zuteil wird". Er hat es eben zu etwas gebracht im Leben, der gute Doc Hata. Ihm gehört ein schönes großes Haus in einem guten Viertel ("eines der interessantesten Objekte in der ganzen Gegend"), und auf seine disziplinierte Weise scheint er ein friedliches Leben zu führen. Stets von ausgesuchter Höflichkeit, läßt er niemanden an sich heran - wohl wissend, daß die Menschen in Bedley Run diese Distanziertheit als asiatische Eigenheit betrachten und sich ihm nicht aufdrängen.
Die wenigen Personen, die Franklin Hata einmal näher kannten, haben ihm den Rücken gekehrt oder sind gestorben. Denn Franklin Hata beherrscht die Kunst der Lebenslüge perfekt. Er sieht sich ausschließlich von außen: Solange der Schein gewahrt bleibt, ist auch seine eigene Überlegenheit nicht gefährdet. Diejenigen, die sich bemühen, ihn zu lieben, müssen enttäuscht feststellen, daß es ihnen nicht gelingen will. Warum, das erfährt der Leser nur indirekt, denn Chang-rae Lee schildert Hatas Geschichte ausschließlich aus dessen eigener, selbstgerechter Perspektive - eine erzählerische Taktik, die es normalerweise erlaubt, einen Charakter geschickt zu entlarven. Doch in der eisigen Wahrung dieser Perspektive liegt hier das zunächst Beunruhigende, dann Gespenstische und schließlich zutiefst Verstörende des Romans. Denn nicht ein einziges Mal im Verlauf der knapp vierhundert Seiten gibt es einen Hinweis darauf, daß Hatas geschöntes Selbstbild einen Riß bekommt, daß er begreift, daß seine Heldentaten in Wahrheit Verbrechen sind. Immer drastischer werden die Enthüllungen, der es nicht mehr bedurft hätte, um die Tragik Franklin Hatas zu vermitteln, so daß man sich am Schluß fragt, ob Chang-rae Lee den Ekel vor seiner Figur überhaupt empfunden hat.
Franklin Hata war immer ein Außenseiter, sogar in der Armee. Während des Zweiten Weltkriegs dient er als Sanitätsoffizier in einem japanischen Bataillon, das in Burma stationiert war. Hata soll dafür sorgen, daß die gekidnappten koreanischen Frauen, die als Sexsklavinnen gehalten werden, physisch nicht zusammenbrechen. Seine Liebe zu einer der Frauen hält ihn nicht davon ab, sie zu vergewaltigen. Bald darauf wird die Frau brutal erschlagen, weil sie den "Dienst" verweigert. Jahre später, als aus Jiro Kurohata Franklin Hata geworden ist und er sich in Bedley Run niedergelassen hat, adoptiert er ein koreanisches Mädchen, an dem er das Leid, das der Frau im Lager angetan wurde, wiedergutmachen möchte. Doch je älter sie wird, desto weniger verhehlt Sunny ihre Verachtung für den Adoptivvater; schließlich läuft sie weg. Erst später erfahren wir, daß Hata sie gezwungen hat, ein Kind abzutreiben, das sie bekommen wollte. Auch seine Gefährtin Mary wendet sich von dem Gefühlskalten ab; sie stirbt im Nachbarhaus, ohne daß er sie besucht hätte. Hata akzeptiert zwar, daß die beiden Frauen ihn nicht lieben, doch fragt er sich nie, warum. Sein vermeintlich unbescholtenes Leben in Bedley Run entpuppt sich immer mehr als Parallele zu seiner Zeit im Krieg.
Die große Leistung des Romans besteht in Lees bei aller Präzision doch eleganter Sprache: In unaufdringlichem Ton werden Ereignisse geschildert, die in krassem Gegensatz zu der polierten, gesetzten Stimme des Erzählers stehen. Allein, die schönen Worte können das Grauen nicht vertreiben, zumal sich das Buch mit jedem weiteren Schritt zurück in die Vergangenheit schließlich unnötig in die Länge zieht. Nicht erst am Ende bedauert man, daß sich dieser begabte Schriftsteller eine Figur ausgesucht hat, die dem sprachlichen Aufwand so wenig entgegenzusetzen hat.
Chang-rae Lee: "Fremd im eigenen Leben". Roman. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Marcus Ingendaay. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2001. 395 S., geb., 44,89 DM.
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