Wer kümmert sich um Oma?
„Fremde Federn“ von Alina Lindermuth ist ein sehr einfühlsames Buch zur Thematik 24-Stunden-Pflege.
Klappentext:
Tom zieht bei seiner Großmutter ein und erfüllt ihr den Wunsch eines lang ersehnten Hühnerstalls im Garten. Die unkonventionelle Wohngemeinschaft
funktioniert überraschend gut, bis Rosmarie nach einem Unfall nicht mehr allein zurechtkommt. Neben seinem…mehrWer kümmert sich um Oma?
„Fremde Federn“ von Alina Lindermuth ist ein sehr einfühlsames Buch zur Thematik 24-Stunden-Pflege.
Klappentext:
Tom zieht bei seiner Großmutter ein und erfüllt ihr den Wunsch eines lang ersehnten Hühnerstalls im Garten. Die unkonventionelle Wohngemeinschaft funktioniert überraschend gut, bis Rosmarie nach einem Unfall nicht mehr allein zurechtkommt. Neben seinem Start-Up-Job ist Tom überfordert mit der Situation und entscheidet sich schließlich für ein 24-Stunden-Pflegemodell. Als dann Betreuerin Kata ins Haus kommt, blüht Rosmarie auf. Doch der zweiten, Josipa, traut sie nicht über den Weg. Hat sie es etwa auf die Hühner abgesehen?
Das Buch ist eine exquisit ausgeführte Hardcover-Ausgabe. Es verfügt nicht nur über einen Schutzumschlag, sondern das beige-braune Blütenmeer auf der Außenseite ist wunderschön. Erschienen ist der Roman 2023, spielt in der Gegenwart und ist in vier Abschnitte untergliedert, in die vier Jahreszeiten. Die Handlung spannt sich somit über ein Jahr, vom Frühling voller Tatendrang und Neubeginn, über den Sommer, der den Umbruch mit sich bringt bis zum Herbst und Winter, quasi symbolisierend, wie Rosmaries Realitätsbewusstsein langsam nachlässt und auch die Stimmung trüber wird. Der Schreibstil ist flüssig, bildhaft bis poetisch und liest sich trotz des doch ernsten Themas sehr leicht und angenehm.
Es ist kein Ratgeber, dennoch vermittelt der Roman einen realistischen Eindruck, wie schwierig das Leben mit einem demenzkranken Menschen ist, wie herausfordernd es ist, sich auf dessen Realitätsverlust einzustellen und wie viel Einfühlungsvermögen und Geduld man aufbringen muss. Fröhliche, berührende Momente lockern die Ernsthaftigkeit der Thematik etwas auf.
Die Handlung entwickelt sich durch Rosmaries Gesundheitszustand. Je schwieriger es mit ihr wird, desto herausfordernder wird es für ihren Enkel und die Betreuerinnen. Obwohl einerseits Tom im Mittelpunkt der Handlung steht, andererseits Rosmaries Wesensänderung, beleuchtet die Autorin durch die jeweils den Kapiteln vorangestellten Notizen der Betreuerinnen auch deren Perspektive. Letztlich endet die Geschichte sehr realistisch mit vielen Fragezeichen.
Die Protagonisten sind authentisch und gut vorstellbar dargestellt, nicht nur Tom, sondern auch Rosmaries Eigenwilligkeit und Verlorenheit, sowie die charakterlich verschiedenen Betreuerinnen. Tom wirkt sehr sympathisch. Er ist seiner Großmutter seit Kindheitstagen sehr zugetan. Er ist häuslich und fürsorglich, und er kümmert sich liebevoll um sie und fühlt sich für sie verantwortlich. Er möchte sich eigentlich in seinem neuen Job profilieren, gerät aber durch die einsetzende Demenz und Hilfsbedürftigkeit der Großmutter immer mehr unter Druck, beide Aufgaben unter einen Hut zu bekommen. Selbst als die 24-Stunden-Kräfte ihn unterstützen, ist es ihm nicht möglich, sich voll berufsmäßig einzubringen, trotz Home-Office und verständnisvollen Mitarbeiter*innen. Toms Charakter erschließt sich in vielen Facetten, seine Kochbegabung, die Begeisterung für seinen Beruf ebenso wie seine Überforderung und die Beziehungsprobleme. Ihm fehlt auch ein Mensch an seiner Seite, mit dem er seine Sorgen besprechen kann. Sein Dilemma wird sehr anschaulich dargestellt, ich konnte es sehr gut nachempfinden. Da sich Tom berufsmäßig mit der Aufzucht von Mehlwürmern und der Kreation von darauf basierenden Produkten befasst, erhält man en passant einen sehr interessanten Einblick in diese Materie.
„Fremde Federn“ hat mich berührt, nachdenklich gestimmt und die Art und Weise, wie an das Thema herangegangen wurde, hat mich begeistert.