Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kamen sie aus ganz Mittel- und Osteuropa nach Deutschland, es waren rund zwölf Millionen Menschen, nichts im Gepäck als die Erinnerung an die verlorene Heimat und den festen Willen, sich nicht aufzugeben. Sie waren keineswegs willkommen - die Flüchtlinge aus Schlesien, Pommern, Ostpreußen oder dem Sudetenland mussten nicht nur ihr Leben neu organisieren, sondern auch mit Ressentiments, gar Anfeindungen fertigwerden. Wie haben die Vertriebenen ihre Lage gemeistert? Wie haben die Alteingesessenen auf den Massenansturm reagiert? War das erzwungene Zusammenleben tatsächlich von Solidarität und gegenseitigem Verständnis geprägt? "Fremde Heimat" widmet sich diesem dramatischen Kapitel von Flucht und Vertreibung. Erst heute sind viele Betroffene bereit, über ihr Schicksal als Vertriebene im Nachkriegsdeutschland offen zu reden. Auf der Grundlage unveröffentlichter Quellen und zahlreicher Interviews mit ehemaligen Flüchtlingen entsteht ein berührendes, eindrückliches Porträt dieser wichtigen Phase der jüngeren deutschen Geschichte.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.02.2012Neuanfang
Deutsche Vertriebene
Seit dem Buch "Kalte Heimat" von Andreas Kossert (2008) werden verstärkt die Schwierigkeiten gesehen, mit denen sich Vertriebene, die meist gar nicht so willkommen waren, im Vier-Zonen-Deutschland auseinandersetzen mussten. Im Begleitbuch zu einem ARD-Zweiteiler stellt Henning Burk anhand von Zeitzeugeninterviews unterschiedliche Erfahrungen von Vertriebenen in beiden Teilen Deutschlands dar. Deutlich wird die sehr unterschiedliche Fallhöhe der Betroffenen, ebenso die verschiedenen Methoden, sich in der fremden und abweisenden neuen Heimat eine Existenz aufzubauen: Der Ostpreuße Robert Brokoph, aus gutbürgerlichen Verhältnissen stammend, verdingte sich anfangs als Knecht, gab seinen ursprünglichen Wunsch, Sänger zu werden, auf und brachte es zum Architekten und Mitarbeiter im Landesbauamt Kiel. Hartmut Brandenburg, dessen Vater Wilhelm bereits im hinterpommerschen Rügenwalde eine kleine Wurstfabrik betrieben hatte, fing in Klein Timmendorf neu an und war dort als Produzent von "Rügenwalder Teewurst" bald der größte Arbeitgeber am Ort. Auch wenn durchweg Erfolgsgeschichten präsentiert werden, so verzichtet der Band doch auf eine nachträgliche Verklärung der Ereignisse.
Die mannigfaltigen "Verwundungen" durch Heimatverlust, traumatisierende Erlebnisse bei Flucht und Vertreibung, vielfältige Diskriminierungen, auch und gerade durch Landsleute, an deren Folgen die Betroffenen teilweise bis heute tragen, werden überaus deutlich. Das Subjektive der Berichte der Zeitzeugen wird zudem dadurch aufgefangen, dass die Augsburger Historikerin Marita Krauss historische Überblicksbeiträge beisteuert, die gewissermaßen einen Rahmen bilden. Im laufenden Text gibt es zudem immer wieder Stichwortseiten, auf denen wichtige Begriffe beziehungsweise Fakten knapp und übersichtlich abgehandelt werden. Ein kurzes Literaturverzeichnis soll zum Weiterlesen animieren. Kleinere Fehler - so war etwa Otto Grotewohl Ministerpräsident und nicht Staatspräsident der DDR - trüben den positiven Gesamteindruck nicht: Es handelt sich um ein sehr gelungenes Lesebuch zur Vertriebenenintegration, das ein wichtiges Thema überzeugend aufbereitet.
MATTHIAS STICKLER
Henning Burk: Fremde Heimat. Das Schicksal der Vertriebenen nach 1945. Das Buch zur Fernsehserie. Rowohlt Verlag, Berlin 2011. 272 S., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Deutsche Vertriebene
Seit dem Buch "Kalte Heimat" von Andreas Kossert (2008) werden verstärkt die Schwierigkeiten gesehen, mit denen sich Vertriebene, die meist gar nicht so willkommen waren, im Vier-Zonen-Deutschland auseinandersetzen mussten. Im Begleitbuch zu einem ARD-Zweiteiler stellt Henning Burk anhand von Zeitzeugeninterviews unterschiedliche Erfahrungen von Vertriebenen in beiden Teilen Deutschlands dar. Deutlich wird die sehr unterschiedliche Fallhöhe der Betroffenen, ebenso die verschiedenen Methoden, sich in der fremden und abweisenden neuen Heimat eine Existenz aufzubauen: Der Ostpreuße Robert Brokoph, aus gutbürgerlichen Verhältnissen stammend, verdingte sich anfangs als Knecht, gab seinen ursprünglichen Wunsch, Sänger zu werden, auf und brachte es zum Architekten und Mitarbeiter im Landesbauamt Kiel. Hartmut Brandenburg, dessen Vater Wilhelm bereits im hinterpommerschen Rügenwalde eine kleine Wurstfabrik betrieben hatte, fing in Klein Timmendorf neu an und war dort als Produzent von "Rügenwalder Teewurst" bald der größte Arbeitgeber am Ort. Auch wenn durchweg Erfolgsgeschichten präsentiert werden, so verzichtet der Band doch auf eine nachträgliche Verklärung der Ereignisse.
Die mannigfaltigen "Verwundungen" durch Heimatverlust, traumatisierende Erlebnisse bei Flucht und Vertreibung, vielfältige Diskriminierungen, auch und gerade durch Landsleute, an deren Folgen die Betroffenen teilweise bis heute tragen, werden überaus deutlich. Das Subjektive der Berichte der Zeitzeugen wird zudem dadurch aufgefangen, dass die Augsburger Historikerin Marita Krauss historische Überblicksbeiträge beisteuert, die gewissermaßen einen Rahmen bilden. Im laufenden Text gibt es zudem immer wieder Stichwortseiten, auf denen wichtige Begriffe beziehungsweise Fakten knapp und übersichtlich abgehandelt werden. Ein kurzes Literaturverzeichnis soll zum Weiterlesen animieren. Kleinere Fehler - so war etwa Otto Grotewohl Ministerpräsident und nicht Staatspräsident der DDR - trüben den positiven Gesamteindruck nicht: Es handelt sich um ein sehr gelungenes Lesebuch zur Vertriebenenintegration, das ein wichtiges Thema überzeugend aufbereitet.
MATTHIAS STICKLER
Henning Burk: Fremde Heimat. Das Schicksal der Vertriebenen nach 1945. Das Buch zur Fernsehserie. Rowohlt Verlag, Berlin 2011. 272 S., 19,95 [Euro].
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