"Fremde Verwandtschaften" ist ein sprachliches Kunstwerk, eine groß angelegte Reflexion über das Sein, voller
Details und Feinheiten, doppelter Böden und versteckter Gänge. Thomas Stangl gibt seinen Figuren Raum zur
Entfaltung.
Während seiner Reise zu einer Konferenz nach Westafrika öffnen sich einem Wiener Architekten ungeahnte Denkregionen.
In schlaflosen Nächten, auf Irrwegen durch die fremde Stadt und bei immer weniger einzuordnenden
Begegnungen werden dem Mittvierziger seine Vorstellungen und sein Handeln, seine Verantwortung und seine
Routinen als Architekt, Europäer, Vater, Sohn und Ehemann immer fremder. Je tiefer er in sein Inneres eindringt,
desto größere Risse und poröse Stellen bekommen die Säulen seiner Existenz. Die Möglichkeit eines ganz anderen
Lebens blitzt auf.
Eine parallele Reise unternimmt ein namenloses Ich, das wie ein Rauschen, Rascheln und Hallen aus dem Hintergrund
zu hören ist. Seine halluzinatorischen und verstörenden Gedanken- und Erinnerungsbilder schieben sich - in fremder Verwandtschaft - in die Erzählung hinein.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Details und Feinheiten, doppelter Böden und versteckter Gänge. Thomas Stangl gibt seinen Figuren Raum zur
Entfaltung.
Während seiner Reise zu einer Konferenz nach Westafrika öffnen sich einem Wiener Architekten ungeahnte Denkregionen.
In schlaflosen Nächten, auf Irrwegen durch die fremde Stadt und bei immer weniger einzuordnenden
Begegnungen werden dem Mittvierziger seine Vorstellungen und sein Handeln, seine Verantwortung und seine
Routinen als Architekt, Europäer, Vater, Sohn und Ehemann immer fremder. Je tiefer er in sein Inneres eindringt,
desto größere Risse und poröse Stellen bekommen die Säulen seiner Existenz. Die Möglichkeit eines ganz anderen
Lebens blitzt auf.
Eine parallele Reise unternimmt ein namenloses Ich, das wie ein Rauschen, Rascheln und Hallen aus dem Hintergrund
zu hören ist. Seine halluzinatorischen und verstörenden Gedanken- und Erinnerungsbilder schieben sich - in fremder Verwandtschaft - in die Erzählung hinein.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.05.2018Nur ein Fehler, und alles ist verloren
Eine U-Bahn für Afrika: Im Roman "Fremde Verwandtschaften" schickt Thomas Stangl einen Architekten in den Süden und lässt ihn dabei die Hohlräume seines Inneren erkunden.
Zu beschreiben, wer man ist, mag eine der Haupttriebkräfte von Literatur sein. Dabei könnte sie es sich leichtmachen und sich bei den Sozialwissenschaften bedienen: davon sprechen, dass man Rollen spielt (und welche) oder psychologische Termini heranziehen oder gar den schwammigen Begriff "Identität". Thomas Stangl geht indessen seit seinem Debüt "Der einzige Ort" (2004) einen ganz eigenwilligen Weg, betont langsam in der Art, wie er wahrnimmt und erzählt, fragend, hinterfragend und bedächtig. Auf diese Langsamkeit zu erarbeitender Erkenntnisse sollte man sich einlassen wollen, um die Perlen in Stangls neuem Roman zu bergen.
"Fremde Verwandtschaften" erzählt von einem Wiener Architekten, der, noch in Gedanken an Ehefrau und Kinder, zu einem Kongress in Westafrika fliegt. Bereits am Flughafen, wo sich alle Teilnehmer treffen, fällt ihm die Frau auf, mit der ihn schon auf früheren Tagungen mehr als nur das Berufliche verband. Er nennt sie konsequent nur "die Belgierin", und es wird in diesem Buch, das von Afrika und Europa handelt, auch darum gehen, wie viel Raum er ihr gibt und sie sich geben lässt. Man unterschätzte Stangl aber, wenn man ihn auf dieses bekannte Muster reduzierte. Die mal erwünschte, mal abgewehrte Affäre bildet vielmehr nur den Verlaufsfaden und ist mit dessen wenig überraschender, körperfixierter Blickführung das Schwächste an diesem Roman.
Der 1966 in Wien geborene Thomas Stangl, der Philosophie und Hispanistik studierte, beschreibt keine Welten, sondern eher Choreographien, Bewegungen zueinander hin und voneinander weg. Am besten gelingt das, wenn er Kongresserfahrungen mit Afrika-Impressionen montiert. Die Gruppe ist vor Ort, um einen bislang als Universität und Wohnheim genutzten Gebäudekomplex zu überplanen. Ein Kollege schlägt den absurden Bau einer U-Bahn vor. Man diskutiert kritisch "Aneignungsprozesse" und die gereichten "Stützen". Dieses bizarre Szenario zwischen Empfängen, Busausflügen und prägnanten Stadtbildern erfasst ernüchternd das diffuse Hierarchietheater schlecht funktionierender Projekte.
Neben Afrika beschäftigt den Architekten aber auch seine eigene Vergangenheit: Vater und Mutter, der viel zu früh an Drogen gestorbene, einst erfolgreiche Bruder, vor allem aber die Angst, die mit diesen Erinnerungen einhergeht. Nachts fantasiert der mal in Ich-, mal in Er-Perspektive belichtete Architekt den toten Vater im Hotelzimmer. Tagsüber realisiert er das Verdrängte zusammenhangslos in versichernden Sätzen während der Tagungsausflüge: "Mein Bruder, denkt er, ist wirklich nicht mehr da." Je mehr er mit sich selbst beschäftigt ist, desto ferner rücken die Vorgänge vor Ort. Schon immer eher eine Randfigur, droht er aus allen Kontexten herauszustürzen. Und auch die ewig gedehnte Annäherung an "die Belgierin" wirkt eher wie ein Film-Loop ohne Vollzug, stetig unterfüttert mit Lebensweisheiten, die Kollegen diffus raunend fallenlassen wie Brosamen in einem surrealen Märchen: "Wenn man am falschen Punkt des Spielfelds einen Fehler macht, sagt der Mann mit der Foucaultglatze lächelnd, kann man alles verlieren."
Nun ließe sich Stangls Roman mit dem hier assoziierten französischen Philosophen sicherlich entschlüsseln, etwa als Versuch, die komplizierte Beziehung zwischen Subjekt und Gesellschaft am Beispiel kolonial geprägter Historie in die Gegenwart zu holen, indem man sie zerlegt: in Träume, Wahrnehmungen, Ängste. Zu lesen wäre der Architekt dann ästhetisch wohlwollend als Figur, die wie im postdramatischen Theater Spielfigur und Projektionsfläche ist - hätte er nicht doch zu viel enervierende, subjektive, leidvolle Substanz. Vieles, was er wahrnimmt, führt früher oder später zu ihm selbst. Schlafende Menschen - und ihm fällt ein, dass er selbst schlecht schläft. Netze - und er stellt fest, dass er nie Teil eines Netzes werden kann.
Das Gelangweiltsein angesichts des Allzuvertrauten breitet sich wie ein Virus in diesem Text aus und übertönt den Zauber vieler Beschreibungen und irisierender Gedanken. Abwehr dieses subjektiven Sogs in Stangls Spiegellabyrinth eines reflexionsfreudigen Irritierten sind regieartige Anweisungen dieser Art: "Der Architekt schaut aus dem Autobusfenster, er sitzt allein in seiner Reihe, einen Fuß hochgelegt, stützt die schmerzende Schläfe in die offene Hand. Hohlräume in seinem Inneren." Wenn gar nichts mehr gegen den Überdruss hilft, rettet sich der Erzähler gerne in Aufzählungen: "Es gibt die Familie, die Siedlung, den Stand (die Beamten, die Bauern, die Schmiede, die Priester), das Büro, die Firma, die Clique."
Die Klammern mögen die Grenzen des Erzählbaren markieren, wirken aber oft genug manieriert. Sie stehen symptomatisch für die allgemeine Bedeutungsanreicherung in anderen theorielastigen oder gedankenschweren Passagen. Bei aller sprachlich beeindruckenden Musikalität und Tempiwechseln fühlt man sich auf Dauer doch etwas sediert. Und so entblößt die hier gestellte Frage, was "echtes Leben" ist und wie es sich anfühlt, am Ende doch kaum mehr als ihre eigene Mechanik.
ANJA HIRSCH
Thomas Stangl: "Fremde Verwandtschaften".
Roman.
Literaturverlag Droschl, Graz 2018. 272 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Eine U-Bahn für Afrika: Im Roman "Fremde Verwandtschaften" schickt Thomas Stangl einen Architekten in den Süden und lässt ihn dabei die Hohlräume seines Inneren erkunden.
Zu beschreiben, wer man ist, mag eine der Haupttriebkräfte von Literatur sein. Dabei könnte sie es sich leichtmachen und sich bei den Sozialwissenschaften bedienen: davon sprechen, dass man Rollen spielt (und welche) oder psychologische Termini heranziehen oder gar den schwammigen Begriff "Identität". Thomas Stangl geht indessen seit seinem Debüt "Der einzige Ort" (2004) einen ganz eigenwilligen Weg, betont langsam in der Art, wie er wahrnimmt und erzählt, fragend, hinterfragend und bedächtig. Auf diese Langsamkeit zu erarbeitender Erkenntnisse sollte man sich einlassen wollen, um die Perlen in Stangls neuem Roman zu bergen.
"Fremde Verwandtschaften" erzählt von einem Wiener Architekten, der, noch in Gedanken an Ehefrau und Kinder, zu einem Kongress in Westafrika fliegt. Bereits am Flughafen, wo sich alle Teilnehmer treffen, fällt ihm die Frau auf, mit der ihn schon auf früheren Tagungen mehr als nur das Berufliche verband. Er nennt sie konsequent nur "die Belgierin", und es wird in diesem Buch, das von Afrika und Europa handelt, auch darum gehen, wie viel Raum er ihr gibt und sie sich geben lässt. Man unterschätzte Stangl aber, wenn man ihn auf dieses bekannte Muster reduzierte. Die mal erwünschte, mal abgewehrte Affäre bildet vielmehr nur den Verlaufsfaden und ist mit dessen wenig überraschender, körperfixierter Blickführung das Schwächste an diesem Roman.
Der 1966 in Wien geborene Thomas Stangl, der Philosophie und Hispanistik studierte, beschreibt keine Welten, sondern eher Choreographien, Bewegungen zueinander hin und voneinander weg. Am besten gelingt das, wenn er Kongresserfahrungen mit Afrika-Impressionen montiert. Die Gruppe ist vor Ort, um einen bislang als Universität und Wohnheim genutzten Gebäudekomplex zu überplanen. Ein Kollege schlägt den absurden Bau einer U-Bahn vor. Man diskutiert kritisch "Aneignungsprozesse" und die gereichten "Stützen". Dieses bizarre Szenario zwischen Empfängen, Busausflügen und prägnanten Stadtbildern erfasst ernüchternd das diffuse Hierarchietheater schlecht funktionierender Projekte.
Neben Afrika beschäftigt den Architekten aber auch seine eigene Vergangenheit: Vater und Mutter, der viel zu früh an Drogen gestorbene, einst erfolgreiche Bruder, vor allem aber die Angst, die mit diesen Erinnerungen einhergeht. Nachts fantasiert der mal in Ich-, mal in Er-Perspektive belichtete Architekt den toten Vater im Hotelzimmer. Tagsüber realisiert er das Verdrängte zusammenhangslos in versichernden Sätzen während der Tagungsausflüge: "Mein Bruder, denkt er, ist wirklich nicht mehr da." Je mehr er mit sich selbst beschäftigt ist, desto ferner rücken die Vorgänge vor Ort. Schon immer eher eine Randfigur, droht er aus allen Kontexten herauszustürzen. Und auch die ewig gedehnte Annäherung an "die Belgierin" wirkt eher wie ein Film-Loop ohne Vollzug, stetig unterfüttert mit Lebensweisheiten, die Kollegen diffus raunend fallenlassen wie Brosamen in einem surrealen Märchen: "Wenn man am falschen Punkt des Spielfelds einen Fehler macht, sagt der Mann mit der Foucaultglatze lächelnd, kann man alles verlieren."
Nun ließe sich Stangls Roman mit dem hier assoziierten französischen Philosophen sicherlich entschlüsseln, etwa als Versuch, die komplizierte Beziehung zwischen Subjekt und Gesellschaft am Beispiel kolonial geprägter Historie in die Gegenwart zu holen, indem man sie zerlegt: in Träume, Wahrnehmungen, Ängste. Zu lesen wäre der Architekt dann ästhetisch wohlwollend als Figur, die wie im postdramatischen Theater Spielfigur und Projektionsfläche ist - hätte er nicht doch zu viel enervierende, subjektive, leidvolle Substanz. Vieles, was er wahrnimmt, führt früher oder später zu ihm selbst. Schlafende Menschen - und ihm fällt ein, dass er selbst schlecht schläft. Netze - und er stellt fest, dass er nie Teil eines Netzes werden kann.
Das Gelangweiltsein angesichts des Allzuvertrauten breitet sich wie ein Virus in diesem Text aus und übertönt den Zauber vieler Beschreibungen und irisierender Gedanken. Abwehr dieses subjektiven Sogs in Stangls Spiegellabyrinth eines reflexionsfreudigen Irritierten sind regieartige Anweisungen dieser Art: "Der Architekt schaut aus dem Autobusfenster, er sitzt allein in seiner Reihe, einen Fuß hochgelegt, stützt die schmerzende Schläfe in die offene Hand. Hohlräume in seinem Inneren." Wenn gar nichts mehr gegen den Überdruss hilft, rettet sich der Erzähler gerne in Aufzählungen: "Es gibt die Familie, die Siedlung, den Stand (die Beamten, die Bauern, die Schmiede, die Priester), das Büro, die Firma, die Clique."
Die Klammern mögen die Grenzen des Erzählbaren markieren, wirken aber oft genug manieriert. Sie stehen symptomatisch für die allgemeine Bedeutungsanreicherung in anderen theorielastigen oder gedankenschweren Passagen. Bei aller sprachlich beeindruckenden Musikalität und Tempiwechseln fühlt man sich auf Dauer doch etwas sediert. Und so entblößt die hier gestellte Frage, was "echtes Leben" ist und wie es sich anfühlt, am Ende doch kaum mehr als ihre eigene Mechanik.
ANJA HIRSCH
Thomas Stangl: "Fremde Verwandtschaften".
Roman.
Literaturverlag Droschl, Graz 2018. 272 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Gegenwärtig einer der besten, weil feinsten und ernsthaftesten Autoren im deutschsprachigen Raum." (Katja Gasser, ORF Fernsehen)