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Mit wenig Assoziationen beschwert; künstlich, neu oder nur vorübergehend im Sprachgebrauch - Fremdwörter scheinen sich für ihre Existenz zu entschuldigen: »Ich erfülle hier nur Begriffsfunktion, habe einen Arbeitsplatz inne, für den es im Moment keinen qualifizierten Deutschen gibt.«Können sie das ernst meinen? Ann Cotten baut sie in die ratternden Denkmaschinen ihrer Gedichte ein: jugendliches Ungestüm im sonettischen Gewand, das klipp und klar Gedachte, die Liebe mit ihren Rückkopplungen. Pete Doherty, Patti Smith und Sappho geistern mit unbekannten DJs und freundlichen Allegorien durch die…mehr

Produktbeschreibung
Mit wenig Assoziationen beschwert; künstlich, neu oder nur vorübergehend im Sprachgebrauch - Fremdwörter scheinen sich für ihre Existenz zu entschuldigen: »Ich erfülle hier nur Begriffsfunktion, habe einen Arbeitsplatz inne, für den es im Moment keinen qualifizierten Deutschen gibt.«Können sie das ernst meinen? Ann Cotten baut sie in die ratternden Denkmaschinen ihrer Gedichte ein: jugendliches Ungestüm im sonettischen Gewand, das klipp und klar Gedachte, die Liebe mit ihren Rückkopplungen. Pete Doherty, Patti Smith und Sappho geistern mit unbekannten DJs und freundlichen Allegorien durch die nächtlichen Verse und wachen am anderen Tag in einem Sprachsubstrat auf, das ihnen ganz fremd vorkommen muß.
Autorenporträt
Ann Cotten wurde 1982 in Iowa geboren und wuchs in Wien auf. Ihre literarische Arbeit wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Gert-Jonke-Preis 2021 und dem Christine Lavant Preis 2024. Sie lebt in Wien und Berlin.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.11.2007

Im gemachten Streckbett

Die junge, in Wien aufgewachsene Ann Cotten gilt als Hoffnungsträgerin der Berliner Dichterszene. Ihr Debüt versammelt "Fremdwörterbuchsonette".

Auf Kindergeburtstagen früher gab es oft das Fremdwörterspiel. Alle erhielten Stift und Zettel, einer griff zum Fremdwörterbuch und gab daraus ein möglichst schweres Wort zum Besten, wie zum Beispiel "Loxodrom". Alle machten sich daran, sich eine denkbare Bedeutung dafür auszudenken und aufzuschreiben. Anschließend wurden sämtliche Vorschläge verlesen, inklusive des Wörterbucheintrags. Punkte aber - und das war das Entscheidende - bekam man dafür, dass möglichst viele Mitspieler die selbst ausgedachte Definition für die richtige hielten. Gewinner war daher nicht, wer die meisten schweren Vokabeln kannte, sondern wer ausreichend Witz und Chuzpe hatte, die abstrusesten Worterklärungen plausibel zu verkaufen. Nicht Wissen, sondern Erfindungsgabe sowie Rhetorik zählen hier also. Loxodrom? Das ist doch sicher eine Tausch- und Secondhandstation für ausrangierte Lokomotiven.

Der Debüt-Gedichtband "Fremdwörterbuchsonette" der jungen Lyrikerin Ann Cotten wirkt durchweg, als sei er von solchen Erfahrungen inspiriert. Das Spielerische überwiegt. Ganz unterschiedliche rhetorische Register werden munter ausprobiert, doch der eigentliche Kick, so scheint es, kommt stets dann, wenn eine möglichst schwere und weithergeholte Vokabel sprachlich neu umspielt wird: "Klick. Wo begann zu drehen es / sich zeigte an der Ufern so / den Fluss an. Anorganisch lumenesk, / bloß an der Oberfläche Wüten" und so weiter. Dies ist der Anfang eines Textes mit dem Titel "Extension, Ekstase". Syntax und Semantik sind, man merkt es gleich, schlicht nachgeordnet. Das Wüten an der Oberfläche ist wichtiger und ergibt sich aus der schieren Lust, derlei wilde Wortaufschüttungen so lange sich selbst zu überlassen, bis sich ihr Material zu drehen beginnt. Wer kann, mag das ekstatisch finden.

Nachgeschlagen aber hat die Autorin ihre Wörter wirklich. Gleich der Eingangstext erklärt "Loxodrom" weitgehend lexikongerecht: "die Längenkreise kreisen / um Kreise (siehe auch: Meridian) / einer Kugel her beziehungsweise / der Erdkugel unter gleichem Winkel / schneidend". Damit kommt jedoch von Anfang an noch eine andere Dimension ins Spiel, die Lesern, welche weniger von sphärischer Mathematik als von Poetik wissen, sofort auffallen dürfte: Spätestens seit Paul Celans Büchnerpreis-Rede von 1960 ist der "Meridian" auch eine poetologische Figur, mit der moderne Lyrik sich gegen die Zurichtungen einer zeitgenössisch interessierten Rhetorik zur Wehr setzt. Hier wird diese Beziehungsfigur zwar weniger erinnert als geschnitten. Gleichwohl, Anspielungen dieser Art suchen und umkreisen Cottens Texte viel. Von Shakespeare bis zu Reinhard Mey, von Hölderlin bis Hitchcock und von Patti Smith bis Eichendorff reicht das fremde Sprachmaterial, das unentwegt gesampelt wird. Ganz wie es am Ende eines Gedichts heißt: "ich mach Sonette über Oberflächen fremder Betten".

Natürlich ist jedes Sonett immer ein Sprachspiel, dessen Herausforderung darin liegt, es sich in einer vorgefundenen und reichlich harten Form bequem zu machen - wohl kaum ein gemachtes Bett, in das man sich gern legt, eher ein Streckbrett, auf das man sich freiwillig spannt. Ann Cotten setzt zwar weniger auf Endreime als auf Zeilensymbolik, erhöht ansonsten aber ihren Einsatz dadurch, dass sie gleich eine ganze Serie von Doppelsonetten abliefert, und zwar in wahrhaft barocker Kombinatorik: Jeder der durchnumerierten 78 Texte ist chiastisch angelegt und korrespondiert mit einem anderen, dessen Zahl die eigene zur Summe von 79 ergänzt, so dass die gesamte Folge wie ein großer Chiasmus oder eine Doppelhelix in sich verschränkt ist: "Um von den süßen Schmerzen abzusehen, / die C und G und T und A verrücken, / in sich verschlungen sind wir manchmal redundant." Manchmal aber, so dürfen wir schmerzlos hinzufügen, auch einfach etwas redselig.

Gewiss, bei so viel Spieltrieb findet sich im Textmaterial nicht nur viel Witziges, Anarchisches, zuweilen Geistreiches, sehr oft Kalauerndes und vorsätzlich Albernes, sondern auch einiges, was wirklich beeindruckt und berührt. Zumeist sind dies kurze Zweizeiler oder knappe Formulierungen, die im Gedächtnis bleiben - "Im Urwald, wo die wilden Wörter wohnen, / befand ich mich, als ich das Einhorn ritt"; "Steig aus dem Fenster in die dunkle Luft / und leise klirrt die Scheibe hinter deinem Arm"; "die uns vertraute Zeit war schluckähnlich vorbei"; oder "da stehst / du, umlaubt von trashigen Sonettkränzen" -, und man wünscht sich, die Autorin hätte deren Kraft einfach vertraut, anstatt sie sogleich holpernd in Jamben, Alexandriner, Limericks, Walzer oder sonst was Kunstgerechtes sonettförmig einzubauen. Denn das Manieristische der Formwut generiert viel Leerlauf. Nur in ihren stärksten Momenten machen diese Texte daher klar, dass jedes Wort, sobald es im Gedicht erscheint, zum Fremdwort wird, weil es sich der Gewohnheit und Gewöhnlichkeit entfremdet.

Ann Cotten, Jahrgang 1982, wurde in Iowa geboren, ist in Wien aufgewachsen und lebt seit Abschluss ihres Studiums neuerdings in Berlin. Bislang in der Poetry-Szene der Clubs und Slams und Literaturzeitschriften schon ein Name, hat sie mit diesem Band ein selbstbewusstes Debüt in der Edition Suhrkamp hingelegt. Witz und Chuzpe, Erfindungsgeist wie rhetorisches Vermögen hat sie sicher zu Genüge. Vielleicht werden wir bei ihrem nächsten Buch erfahren, ob diese Autorin uns auch etwas zu sagen hat.

TOBIAS DÖRING

Ann Cotten: "Fremdwörterbuchsonette". Gedichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 160 S., br., 8,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Der Debüt-Gedichtband "Fremdwörterbuchsonette" der 1982 in Iowa geborenen, in Wien aufgewachsenen und nun in Berlin lebenden Lyrikerin Ann Cotten erinnert Tobias Döring an ein Gesellschaftsspiel, bei dem man Fremdwörter so originell und plausibel erklären muss, dass es die meisten Mitspieler überzeugt, auch wenn die Erklärung frei erfunden ist. Die selbe Spielfreude ist auch bei diesen Sonetten am Werk und schlägt aus dem aufgefundenen Wortmaterial, kombiniert mit zahlreichen Anspielungen aus dem Werk von Paul Celan bis Reinhard Mey, Funken, stellt der allerdings nur mäßig begeisterte Rezensent fest. Denn nur wenige Zeilen haben Döring wirklich "beeindruckt und berührt", der Rest scheint ihm neben der durchaus vorhandenen Komik und dem Hang zum Anarchischen allzu leer, wie er kritisiert. Da er Cotten aber sowohl Schreibtalent wie Originalität attestiert, wartet er geduldig auf ihren nächsten Gedichtband, von dem er hofft, das er dann nicht nur der Form nach, sondern auch inhaltlich zu überzeugen vermag.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Ann Cotten ist die avancierteste junge deutschsprachige Lyrikerin unserer Zeit.« Volker Weidermann DER SPIEGEL