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»Freud auf Hebräisch« zeichnet auf der Grundlage bisher unbekannter Quellen, darunter auch Briefe Sigmund Freuds, den Weg der Psychoanalyse aus dem deutschsprachigen Raum in das vorstaatliche Israel nach. Im Zentrum der Studie steht die Frage nach Akzeptanz und Einfluss der Psychoanalyse in einem durch jüdische Einwanderung, nationale Spannungen, britische Kolonialherrschaft und jüdische Staatsbildung charakterisierten Kontext. Der Psychoanalytiker und Historiker Eran Rolnik beschreibt, wie die Psychoanalyse die Diskurse von Pädagogik, Literatur, Medizin und Politik zu Beginn des 20.…mehr

Produktbeschreibung
»Freud auf Hebräisch« zeichnet auf der Grundlage bisher unbekannter Quellen, darunter auch Briefe Sigmund Freuds, den Weg der Psychoanalyse aus dem deutschsprachigen Raum in das vorstaatliche Israel nach. Im Zentrum der Studie steht die Frage nach Akzeptanz und Einfluss der Psychoanalyse in einem durch jüdische Einwanderung, nationale Spannungen, britische Kolonialherrschaft und jüdische Staatsbildung charakterisierten Kontext. Der Psychoanalytiker und Historiker Eran Rolnik beschreibt, wie die Psychoanalyse die Diskurse von Pädagogik, Literatur, Medizin und Politik zu Beginn des 20. Jahrhunderts durchdrang und schließlich zu einer therapeutischen Disziplin der jungen jüdischen Gemeinschaft wurde. Indem das Buch die Psychoanalyse in einem breiten Umfeld untersucht, versteht es sich auch als Beitrag zu ihrer Historisierung.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Autorenporträt
Dr. Eran Rolnik ist Psychiater, Psychoanalytiker und Historiker. Er lehrt an der Universität Tel Aviv und am Max Eitingon Institute for Psychoanalysis in Jerusalem und führt eine eigene Praxis in Tel Aviv.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.06.2013

Der unwissende Meister im fernen Wien
Die zionistische Suche nach dem wahren Selbst: Der israelische Historiker Eran Rolnik beschreibt, wie Sigmud Freuds Schüler und Ideen nach Palästina auswanderten

Sigmund Freud hatte bekanntlich ein distanziertes Verhältnis zum Judentum. Auch wenn der Großteil seiner ersten Patienten wie auch seiner deutschsprachigen Schüler jüdischer Abstammung war, wollte er seine psychoanalytische Methode keinesfalls als eine "jüdische Wissenschaft" verstanden wissen. Wie ihr Lehrer waren auch Letztere säkular ausgerichtet und zeigten zunächst kaum Interesse am Zionismus. Weniger traf dies auf diejenigen seiner Adepten zu, die aus Osteuropa stammten. Sie trugen Freuds Ideen in den osteuropäischen Raum, wo sie auch zionistisch-sozialistische Kreise erreichten, über die sie Anfang der zwanziger Jahre nach Palästina gelangten. Dieser Ideentransfer wird nun in der Studie des israelischen Psychiaters und Historikers Eran Rolnik anschaulich.

Zu den ersten Vermittlern der Freud'schen Lehre gehörte der aus Galizien stammende jüdische Wiener Pädagoge und Psychoanalytiker Siegfried Bernfeld, der Freuds Psychoanalytischer Vereinigung 1918 beigetreten war. Um diese Zeit knüpfte er Kontakte zu Mitgliedern der in Galizien einige Jahre zuvor gegründeten zionistischen Jugendorganisation "Haschomer Hatzair" (Der junge Wächter), die sich von Bernfelds jugenderzieherischen Methoden, welche auf dem freudianischen Konzept der Verdrängung basierten, inspirieren ließen. Damit hofften sie die Identitätsspaltung, unter der aus ihrer und auch Bernfelds Sicht jüdische Jugendliche besonders litten, zu überwinden.

Kaum war ihr Anführer Meir Yaari 1920 in Palästina angekommen, plädierte er dafür, "Freud und seine Schule aufmerksam" zu studieren. Die Suche nach dem "ursprünglichen wahren Selbst" nahm bei "Haschomer Hatzair" schon bald Züge einer Gruppentherapie an: Gemeinsam reflektierte man die eigenen - auch sexuellen - Empfindungen und meinte so die vermeintlichen Neurosen des Diasporajuden hinter sich zu lassen. Als sich die Organisation zunehmend sozialistischen Ideen verschrieb, wurde Freuds Trieblehre instrumentalisiert, um die Befreiung von der "heuchlerischen bürgerlichen Verdrängung der natürlichen Triebe" zu propagieren. Nicht nur in den Kibbuzim dieser Jugendbewegung wurde versucht, sich der geglaubten Macht des Ödipuskomplexes dadurch zu entziehen, dass man die Kinder weitgehend getrennt von ihren Eltern aufzog. Bei "Haschomer Hatzair" herrschte zudem die Überzeugung, den kindlichen Sexualtrieb im Sinne des Kollektivs lenken zu können, indem man Mädchen und Jungen schon von klein auf gemeinsames Duschen verordnete.

In der zweiten Hälfte der zwanziger Jahre blieb die weitere Freud-Rezeption auf wenige Kreise von Interessierten beschränkt. Zu ihnen gehörte bezeichnenderweise der Hebräische Lehrerverband, der 1928 die erste Übersetzung aus Freuds Schriften ins Hebräische veranlasste. Von seiner Abhandlung "Massenpsychologie und Ich-Analyse" versprachen sich die zionistischen Pädagogen, die das Werk gleich zur Pflichtlektüre erklärten, offenbar ein besseres Verständnis der Mechanismen des Gruppenverhaltens, mit dessen Hilfe sie ihr volkserzieherisches Projekt in Palästina voranzutreiben hofften. Aufmerksam verfolgte Freud im fernen Wien diese Entwicklung. An den Vorsitzenden des Hebräischen Lehrerverbands schrieb er einen bislang unbekannten Brief, aus dem Rolnik zitiert und einen gewissen Einstellungswandel des Wieners gegenüber dem Judentum herauszulesen meint. "Mit besonderer Genugtuung", bekundete Freud im September 1928, "habe ich die Übersetzung meiner Massenpsychologie in unsere heilige Sprache zur Hand genommen. Ich, unwissendes Kind einer vorzionistischen Zeit, kann sie leider nicht lesen."

Für die beiden 1930 erschienenen hebräischen Übersetzungen aus seinem Werk - "Totem und Tabu" und "Neue Folge der Vorlesungen zur Einführung in die Psychoanalyse" - lieferte ihr Verfasser nicht nur die Vorreden, sondern dankte sichtlich bewegt auch brieflich dem Übersetzer. Wieder bedauerte er, Hebräisch nicht von seinem Vater, der ihn "in voller Unwissenheit über alles, was das Judentum betrifft", habe aufwachsen lassen, gelernt zu haben. Beinahe wie eine Selbstrechtfertigung klang Freuds Bekenntnis, sich bereits in seiner Studienzeit, und zwar als Reaktion auf den deutschen Antisemitismus, als Jude gefühlt zu haben. Trotz dieses Zugehörigkeitsgefühls lehnte Freud den politischen Zionismus ab. Wie konsequent er an dieser Haltung festhielt, illustriert Rolnik anhand bislang unveröffentlichter Korrespondenzen, die Freud mit Angehörigen führte.

Weniger bekannt sind die verschiedenen Facetten der Migrationsgeschichte seiner Berliner Anhänger nach Palästina, mit der sich mehrere Abschnitte der Studie befassen. Max Eitingon, Mitbegründer und bis 1933 Leiter des Berliner Psychoanalytischen Instituts, sorgte unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten für den Transfer der Institutsbibliothek und -akten nach Jerusalem. Sein Nachlass, den Rolnik erstmals ausgewertet hat, gibt Aufschluss über Eitingons Wirken und das seiner ebenfalls emigrierten Berliner Kollegen in Palästina, mit denen er bereits im Herbst 1933 das Jerusalemer Psychoanalytische Institut gründete.

Seine zunehmende zionistische Orientierung ermöglichte zwar die relativ schnelle Etablierung der Psychoanalyse unter den Juden Palästinas, entfremdete ihn aber seinem Mentor Freud immer mehr. Auch musste er für Freuds negative Einstellung zum Zionismus die Konsequenzen tragen: Die von Eitingon angestrebte Angliederung seiner Einrichtung an die Jerusalemer Hebräische Universität wurde ihm verwehrt - und wie Rolnik mutmaßt, auch deshalb, weil Freud in seiner diesbezüglichen Korrespondenz mit der Universitätsleitung bisweilen einen falschen Eindruck von den Vorstellungen seines Schülers vermittelte.

Von dem eigentlichen fachlichen Beitrag, den die Psychoanalytiker-Gruppe um Eitingon zur Entwicklung der Psychiatrie und des psychologischen Diskurses in Palästina leistete, vermittelt das Buch ein eher disparates Bild. Und dass sie sich politisch in den Dienst des zionistischen Besiedlungsprojekts stellte, wird zwar angedeutet, aber nicht ausreichend vertieft. Spannend liest sich der Abschnitt über die von Rolnik zum ersten Mal analysierten - überwiegend negativen - Reaktionen, die Freuds 1939 veröffentlichtes Werk "Der Mann Moses und die monotheistische Religion" auslöste. Hilfreich wären hier an einigen Stellen nähere Quellenangaben wie auch der Hinweis gewesen, dass die umstrittene Abhandlung mehrere Jahrzehnte brauchte, um ins Hebräische übersetzt zu werden.

JOSEPH CROITORU

Eran Rolnik: "Freud auf Hebräisch". Geschichte der Psychoanalyse im jüdischen Palästina.

Mit einem Vorwort von Dan Diner. Aus dem Hebräischen von David Ajchenrand. Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2013. 285 S., Abb., geb., 59,99 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Joseph Croitoru liest Eran Rolniks Studie zum Transfer der Ideen Freuds in den osteuropäischen Raum, namentlich in die zionistisch-sozialistischen Kreisen, etwa durch Siegfried Bernfeld, mit Gewinn. Auch wenn er dem Autor nicht immer folgen zu können scheint, so bei der Entdeckung eines Einstellungswandels Freuds gegenüber dem Judentum, stößt er im Buch auf spannende, teils unbekannte Facetten zur Migrationsgeschichte von Freuds Berliner Anhängerschaft, zum Beispiel zu dem Gründer des Jerusalemer Psychoanalytischen Instituts, Max Eitingon. Just hier allerdings vermisst der Rezensent Hinweise auf Eitingons Engagement für die zionistischen Siedlungsvorhaben.

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