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Der bedeutende Psychoanalytiker Fritz Wittels (1880-1950) war der erste Biograph Sigmund Freuds (1924) und gleichzeitiger Weggefährte und Rivale Freuds, Wilhelm Stekels und deren satirischem Kontrahenten Karl Kraus. Gegen Ende seines Lebens, als Wittels als Analytiker in den Vereinigten Staaten lebte und arbeitete, schrieb er ein Zweihundertseiten-Manuskript über seine Jugendjahre und den Beginn seiner beruflichen Karriere in Wien. Das im Archiv der Abraham Brill Library in New York verwahrte Typoskript wird hier erstmals in deutscher Sprache veröffentlicht. Das teilweise unvollständige…mehr

Produktbeschreibung
Der bedeutende Psychoanalytiker Fritz Wittels (1880-1950) war der erste Biograph Sigmund Freuds (1924) und gleichzeitiger Weggefährte und Rivale Freuds, Wilhelm Stekels und deren satirischem Kontrahenten Karl Kraus. Gegen Ende seines Lebens, als Wittels als Analytiker in den Vereinigten Staaten lebte und arbeitete, schrieb er ein Zweihundertseiten-Manuskript über seine Jugendjahre und den Beginn seiner beruflichen Karriere in Wien. Das im Archiv der Abraham Brill Library in New York verwahrte Typoskript wird hier erstmals in deutscher Sprache veröffentlicht. Das teilweise unvollständige Manuskript wurde vom Karl-Kraus-Spezialisten Edward Timms sorgfältig redigiert und mit einer Einleitung versehen. Timms gelang es auch, das im Titel genannte ""Kindweib"" zu identifizieren. In seinen Memoiren beschreibt Wittels freizügig und lebendig die erotische Subkultur der kulturellen Avantgarde im Wien des Fin de siècle.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 01.03.1997

Ezechiel verunglimpft Haderlump
Die Gefährten des Freud-Schülers Fritz Wittels in seinen Memoiren

Längst ist sein Name aus dem Gedächtnis des breiten Publikums entschwunden. Für Literaturwissenschafter und Historiker der Psychoanalyse jedoch zählt Fritz Wittels zu den bemerkenswerten, ja spannenden Studienobjekten: eine wahrlich vielseitige, schillernde Gestalt. Der Schriftsteller, Arzt und Analytiker aus der ersten Generation nach Freud schrieb in New York ein Erinnerungsbuch, in dem er die Vaterfiguren seines Lebens Revue passieren läßt.

Naturgemäß war sein Verhältnis zu ihnen zutiefst ambivalent: Karl Kraus hat ihn gefördert, ihm eine sehr junge Geliebte überantwortet und sich später von ihm abgewandt. Aus Rachsucht sollte Wittels in der Wiener Psychoanalytischen Vereinigung einen Vortrag über "Die Fackel-Neurose" halten und den ehemaligen Mentor in dem Schlüsselroman "Ezechiel der Zugereiste" heftig verunglimpfen. Die Causa endete übrigens vor Gericht und ging zuungunsten des Verfassers aus.

Sigmund Freud wiederum, Wittels' Lehrer, hatte vergeblich versucht, das Erscheinen des skandalträchtigen Werks zu verhindern. Bevor der widerspenstige Schüler aus der Vereinigung ausgeschlossen werden konnte, empfahl er sich lieber selbst. Eine Analyse bei dem hochbegabten Wilhelm Stekel, den Freud wegen charakterlicher Bedenken aus seinem Kreis "verstoßen" hatte, führte indes wieder zu einer Annäherung. Wittels veröffentlichte 1924 eine Monographie über Sigmund Freud. Sie zeugt von seinen gemischten Gefühlen dem großen Vorbild gegenüber; Wittels schwankte zwischen Bewunderung und Aggression.

Trotzdem hat er dann in Amerika als gleichsam orthodoxer Freudianer die reine Lehre des Meisters hartnäckig verteidigt. Den populär klingenden Titel des Memoirenbandes, "Freud und das Kindweib", ersann nicht Wittels, sondern der renommierte Kraus-Forscher Edward Timms. Seltsam, daß dieser hervorragende Kenner der Epoche und der Materie die einzige wissenschaftlich bedeutsame Arbeit zu seinem Thema - jene von Leo Lensing - ignoriert. Seltsam muten zudem einige interpretatorische Unbeholfenheiten des Herausgebers an, von der dürftigen Übersetzung gar nicht zu reden. Dennoch überwiegt beim Leser die Dankbarkeit für den Quellenwert der Publikation.

Sie gewährt Einblick in einen vertrackten erotischen Kosmos. Die aus einfachsten Verhältnissen stammende Irma Karczewska, das "Kindweib", war vor allem das verführerische Produkt von Projektionen, eines dionysischen Frauenbildes. In seinen Phantasien galt sie Kraus als Wiedergeburt der antiken Hetäre, die ihre Sexualität unter lauter zivilisatorisch verkümmerten Geschöpfen ungehemmt auszuleben verstand. In der kruden Wirklichkeit fiel ihm das verwahrloste Mädchen vom Typ "Haderlump" (Sigmund Freud) freilich bald auf die Nerven. Gleichwohl hat Kraus noch in seinem Testament für die Pflege von Irmas Grab gesorgt. Daß Wittels nicht imstande war, seine bilanzierende Rückschau auf die Dreiecksbeziehung frei von Ranküne vorzubringen, ist bedauerlich. Darum vermochte er Karl Kraus bloß aus der beschränkten Lokalperspektive wahrzunehmen, seinen Rang als Satiriker verkannte er durchaus. Freuds Ratschlag - "Wenn eine Freundschaft zerbrochen ist, egal aus welchem Grund, muß man schweigen" - konnte oder wollte er nicht beherzigen.

Wittels' Memoiren enthalten einige interessante Passagen über die Behandlungsmethode und die Eigenarten Wilhelm Stekels, dessen außerordentliches traumdeuterisches Talent Wittels zu Recht hervorhebt. Überhaupt scheint seine Darstellung in puncto psychoanalytischer Querelen reflektierter, weniger getrübt von unbewußten Motiven: Mit seiner zweiten Vaterfigur, mit Freud, kam Wittels offenbar besser zu Rande und ins reine als mit seinem literarischen Über-Ich. Die abgedruckten Originalbriefe Freuds an Wittels haben erheblichen dokumentarischen Reiz. Auch deshalb und ungeachtet mancher Einwände wird "Freud und das Kindweib" gewiß seinen Platz in den Fachbibliotheken finden. ULRICH WEINZIERL

Edward Timms (Herausgeber): "Freud und das Kindweib". Die Memoiren von Fritz Wittels. Aus dem Englischen von Marie-Therese Pitner. Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar 1996. 216 S., Abb., geb., 58,- DM.

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