Freud's enduring appeal, as a thinker and as an individual, extends to both general readers and professionals. This highly readable biography, the first in English since 1998, addresses current issues in psychoanalysis, philosophy, gender studies, and social theory from a Freudian perspective, and illuminates the life of the man himself.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2018Es fehlt die Mutter
Joel Whitebook legt Sigmund Freud auf die Couch
An Darstellungen, die das Leben Sigmund Freuds unter die Lupe nehmen, herrscht kein Mangel. Der Begründer der Psychoanalyse hatte ja bereits zu Lebzeiten vielfach am eigenen Leib erfahren müssen, wie seine Lehren von rebellischen und abtrünnigen Schülern auf seine eigene Person angewendet wurden. Kurz vor dem endgültigen Zerwürfnis mit dem Meister warf C.G. Jung 1913 diesem vor, in einem "neurotischen Vaterkomplex" steckengeblieben zu sein und seine Schüler zu infantilisieren. In den seither ausgefochtenen Theorieschlachten innerhalb der Psychoanalyse hat das Argument ad hominem, das die Gegner auf die Couch legt, seinen festen Platz. Es verwundert kaum, dass seit der ersten, von Fritz Wittels 1924 veröffentlichten Biographie Freuds Leben überwiegend zum Kampfschauplatz geriet. Hagiographische Darstellungen, die dem Genie huldigten, wechselten dabei geradezu rituell mit ikonoklastischen Versuchen. Letztere suchen durch das Aufdecken von peinlichen Personalien aus Leben und Karriere problematische oder unwillkommene Aspekte von Freuds Theorien abzuleiten, um sie so erledigen zu können.
Die gut geölte Maschinerie der biographistischen Retourkutsche, die Freud post festum auf die Couch zu legen trachtet, sieht man auch im Buch des New Yorker Psychoanalytikers Joel Whitebook am Werk. Man ist versucht, dem Autor zu danken, dass er im Gegensatz zu anderen Verfassern missglückter Freud-Biographien davon absieht, sein Buch als Resultat neuer historischer Forschungen auszugeben. Wie Whitebook frei bekennt, war ihm erst bei der zweiten intensiveren Lektüre von Freuds Schriften (die erste sei vor mehr als dreißig Jahren erfolgt) aufgefallen, dass die Mutter in Freuds Theorie des Ödipuskomplexes so gut wie keine Rolle spiele und das Bild der weiblichen Sexualität dringend revisionsbedürftig sei. Man mag sich fragen, warum der in New York ausgebildete Autor so lange für eine Erkenntnis brauchte, zu der bereits einige von Freuds Zeitgenossen in den zwanziger Jahren gekommen waren (nicht nur Karen Horney, sondern auch der oft geschmähte Ernest Jones) und die spätestens seit den sechziger Jahren einem konservativen Establishment der Psychoanalyse erhebliche Probleme bereiten musste.
Anstatt seine eigene Biographie in diesem institutionellen Kontext zu befragen, was ein schönes Stück soziologischer Selbstanalyse abgeworfen hätte, begibt sich Whitebook auf die Suche in der Biographie des Meisters. In der einschlägigen Literatur wird er rasch fündig, denn die von ihm beschrittenen Pfade sind bereits gut ausgetreten, insbesondere durch den Psychoanalytiker Louis Breger in einem vor fast zwanzig Jahren veröffentlichten Buch. Dass Freud die Mutter nicht in seine Theorie aufnehmen konnte, wird mit Rekurs auf zahlreiche angenommene traumatische Erfahrungen Freuds in dessen früher Kindheit erklärt. Denn Amalia Freud, so erfahren wir, war eine "schwierige Person": "infantil, abhängig, anspruchsvoll und egozentrisch" sowie obendrein noch depressiv, kurz gesagt "alles andere als eine liebende Ehefrau und Mutter", wie es für eine normale Entwicklung des kleinen Sigmund wohl notwendig gewesen wäre. Nachdem er als "goldener Sigi" idealisiert, erst von der Mutter und später von seiner katholischen Kinderfrau verlassen worden sei, legte die frühe, prä-ödipale Phase den Grundstein zu seinem narzisstischen Charakter: "phallologozentrisch", "maskulinistisch" und "hyperrational" lautet die Diagnose Whitebooks.
Erwartungsgemäß mündet dieses Bild in eine Sicht, der zufolge die Psychoanalyse nur als reine Männersache begründet werden konnte, mit frauenfeindlichem und (wenn auch nicht offen) homosexuellem Gepräge. Als Freud die "Traumdeutung" schreibt, ist sein Gesprächspartner der Arzt Wilhelm Fliess, der nach dieser Version eine Art Proto- oder Uranalytiker, zugleich Mutter- und Vaterersatz, darstellt. Die Freudsche Selbstanalyse ist für Whitebook eine "Übertragungsneurose" (ein Begriff, den Freud erst mehr als ein Jahrzehnt später einführt), in der Fliess in einer prä-ödipalen Schicht zur "allmächtigen Brustmutter" wird, der das Kind sich unterwerfen muss, so wie er auf einer ödipalen Ebene die Rolle des mächtigen Vaters spielt, dem gegenüber Freud sich in eine "passiv-homosexuelle" Haltung begeben hätte ("er wollte sich dieser starken phallischen Figur ergeben und von ihr penetriert werden").
Dieses Muster habe sich später in Freuds Beziehung zu Jung wiederholt, der schematisch als Vertreter der "Gegenaufklärung" präsentiert und dessen Werk ebenso gnadenlos ausschließlich psychobiographisch - als Folgeerscheinung der schizophrenen Dissoziation seiner geistergläubigen Mutter - erklärt wird. Mit einem gewissen Befremden vernimmt man, dass Whitebook sich selbst mit diesem Buch, das eher den Untertitel ,Phantasien eines Psychoanalytikers' verdient hätte, in der Tradition der Kritischen Theorie von Adorno und Horkheimer sieht. Diese hätten sich sicherlich mit Grausen davon abgewandt.
ANDREAS MAYER
Joel Whitebook: "Freud". Sein Leben und Denken.
Aus dem Englischen von Elisabeth Vorspohl. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2018. 559 S., geb., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Joel Whitebook legt Sigmund Freud auf die Couch
An Darstellungen, die das Leben Sigmund Freuds unter die Lupe nehmen, herrscht kein Mangel. Der Begründer der Psychoanalyse hatte ja bereits zu Lebzeiten vielfach am eigenen Leib erfahren müssen, wie seine Lehren von rebellischen und abtrünnigen Schülern auf seine eigene Person angewendet wurden. Kurz vor dem endgültigen Zerwürfnis mit dem Meister warf C.G. Jung 1913 diesem vor, in einem "neurotischen Vaterkomplex" steckengeblieben zu sein und seine Schüler zu infantilisieren. In den seither ausgefochtenen Theorieschlachten innerhalb der Psychoanalyse hat das Argument ad hominem, das die Gegner auf die Couch legt, seinen festen Platz. Es verwundert kaum, dass seit der ersten, von Fritz Wittels 1924 veröffentlichten Biographie Freuds Leben überwiegend zum Kampfschauplatz geriet. Hagiographische Darstellungen, die dem Genie huldigten, wechselten dabei geradezu rituell mit ikonoklastischen Versuchen. Letztere suchen durch das Aufdecken von peinlichen Personalien aus Leben und Karriere problematische oder unwillkommene Aspekte von Freuds Theorien abzuleiten, um sie so erledigen zu können.
Die gut geölte Maschinerie der biographistischen Retourkutsche, die Freud post festum auf die Couch zu legen trachtet, sieht man auch im Buch des New Yorker Psychoanalytikers Joel Whitebook am Werk. Man ist versucht, dem Autor zu danken, dass er im Gegensatz zu anderen Verfassern missglückter Freud-Biographien davon absieht, sein Buch als Resultat neuer historischer Forschungen auszugeben. Wie Whitebook frei bekennt, war ihm erst bei der zweiten intensiveren Lektüre von Freuds Schriften (die erste sei vor mehr als dreißig Jahren erfolgt) aufgefallen, dass die Mutter in Freuds Theorie des Ödipuskomplexes so gut wie keine Rolle spiele und das Bild der weiblichen Sexualität dringend revisionsbedürftig sei. Man mag sich fragen, warum der in New York ausgebildete Autor so lange für eine Erkenntnis brauchte, zu der bereits einige von Freuds Zeitgenossen in den zwanziger Jahren gekommen waren (nicht nur Karen Horney, sondern auch der oft geschmähte Ernest Jones) und die spätestens seit den sechziger Jahren einem konservativen Establishment der Psychoanalyse erhebliche Probleme bereiten musste.
Anstatt seine eigene Biographie in diesem institutionellen Kontext zu befragen, was ein schönes Stück soziologischer Selbstanalyse abgeworfen hätte, begibt sich Whitebook auf die Suche in der Biographie des Meisters. In der einschlägigen Literatur wird er rasch fündig, denn die von ihm beschrittenen Pfade sind bereits gut ausgetreten, insbesondere durch den Psychoanalytiker Louis Breger in einem vor fast zwanzig Jahren veröffentlichten Buch. Dass Freud die Mutter nicht in seine Theorie aufnehmen konnte, wird mit Rekurs auf zahlreiche angenommene traumatische Erfahrungen Freuds in dessen früher Kindheit erklärt. Denn Amalia Freud, so erfahren wir, war eine "schwierige Person": "infantil, abhängig, anspruchsvoll und egozentrisch" sowie obendrein noch depressiv, kurz gesagt "alles andere als eine liebende Ehefrau und Mutter", wie es für eine normale Entwicklung des kleinen Sigmund wohl notwendig gewesen wäre. Nachdem er als "goldener Sigi" idealisiert, erst von der Mutter und später von seiner katholischen Kinderfrau verlassen worden sei, legte die frühe, prä-ödipale Phase den Grundstein zu seinem narzisstischen Charakter: "phallologozentrisch", "maskulinistisch" und "hyperrational" lautet die Diagnose Whitebooks.
Erwartungsgemäß mündet dieses Bild in eine Sicht, der zufolge die Psychoanalyse nur als reine Männersache begründet werden konnte, mit frauenfeindlichem und (wenn auch nicht offen) homosexuellem Gepräge. Als Freud die "Traumdeutung" schreibt, ist sein Gesprächspartner der Arzt Wilhelm Fliess, der nach dieser Version eine Art Proto- oder Uranalytiker, zugleich Mutter- und Vaterersatz, darstellt. Die Freudsche Selbstanalyse ist für Whitebook eine "Übertragungsneurose" (ein Begriff, den Freud erst mehr als ein Jahrzehnt später einführt), in der Fliess in einer prä-ödipalen Schicht zur "allmächtigen Brustmutter" wird, der das Kind sich unterwerfen muss, so wie er auf einer ödipalen Ebene die Rolle des mächtigen Vaters spielt, dem gegenüber Freud sich in eine "passiv-homosexuelle" Haltung begeben hätte ("er wollte sich dieser starken phallischen Figur ergeben und von ihr penetriert werden").
Dieses Muster habe sich später in Freuds Beziehung zu Jung wiederholt, der schematisch als Vertreter der "Gegenaufklärung" präsentiert und dessen Werk ebenso gnadenlos ausschließlich psychobiographisch - als Folgeerscheinung der schizophrenen Dissoziation seiner geistergläubigen Mutter - erklärt wird. Mit einem gewissen Befremden vernimmt man, dass Whitebook sich selbst mit diesem Buch, das eher den Untertitel ,Phantasien eines Psychoanalytikers' verdient hätte, in der Tradition der Kritischen Theorie von Adorno und Horkheimer sieht. Diese hätten sich sicherlich mit Grausen davon abgewandt.
ANDREAS MAYER
Joel Whitebook: "Freud". Sein Leben und Denken.
Aus dem Englischen von Elisabeth Vorspohl. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2018. 559 S., geb., 32,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
'This is a brilliant book that combines psychoanalytic thinking and intellectual history to demonstrate that Freud remains central to current debates not only in psychoanalysis, but also in cultural theory, philosophy and gender studies. With his expertise in psychoanalytic theory, Joel Whitebook elucidates the development of Freud's thinking and presents a radically new way of reading him. He appropriates insights from feminism, pre-Oedipal theory, and clinical experience with non-neurotic patients to transform our picture of the founder of the field. When one focuses on early development, the maternal presence and the repudiation of femininity, Freud no longer appears as another dead white male, but as a vital thinker whose ideas have important consequences for the contemporary world.' Christine Anzieu-Premmereur, Director of the Columbia University Psychoanalytic Center's Parent-Infant Program, and member of the New York Psychoanalytic Institute and of the Société Psychanalytique de Paris