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In diesem originellen Buch untersucht Schmidbauer, der Entdecker des "Helfer-Syndroms", Freuds Äußerungen zum Verhältnis zwischen Kunst und Wissenschaft, vor allem an den Beispielen Leonardo da Vinci und Michelangelo. Gerade die hier aufgespießten Widersprüche und "Freudschen Fehlleistungen" bei Freud selber ermöglichen überraschende Aufschlüsse über das Wesen der psychoanalytischen Jahrhundertlehre.

Produktbeschreibung
In diesem originellen Buch untersucht Schmidbauer, der Entdecker des "Helfer-Syndroms", Freuds Äußerungen zum Verhältnis zwischen Kunst und Wissenschaft, vor allem an den Beispielen Leonardo da Vinci und Michelangelo. Gerade die hier aufgespießten Widersprüche und "Freudschen Fehlleistungen" bei Freud selber ermöglichen überraschende Aufschlüsse über das Wesen der psychoanalytischen Jahrhundertlehre.
Autorenporträt
Dr. phil. Wolfgang Schmidbauer, geb. 1941, studierte Psychologie und promovierte 1968 über 'Mythos und Psychologie'. Er lebte dann einige Jahre als Autor in Italien. 1972 gründete er mit Kollegen ein Institut für analytische Gruppendynamik und wenig später die Münchner Arbeitsgemeinschaft für Psychoanalyse. 1977 prägte er in dem Bestseller 'Die hilflosen Helfer' den Begriff des Helfer-Syndroms. Heute arbeitet Wolfgang Schmidbauer als Autor und Psychoanalytiker in eigener Praxis in München.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.06.1999

Das Lächeln des Geiers
Identifikation mit Leonardo da Vinci: Wolfgang Schmidbauer analysiert Freuds Fehlleistungen

Der "Geier" ist das Erkennungszeichen der naturwissenschaftlichen Skeptiker, die der Glaube verbindet, daß die Freudsche Psychoanalyse der empirischen Grundlage entbehrt. Er ist einer "Kindheitserinnerung des Leonardo da Vinci" entsprungen, der Freud 1910 ein gleichnamiges Heft der "Schriften zur angewandten Seelenkunde" gewidmet hat: "Als ich noch in der Wiege lag, ist ein Geier (un nibio) zu mir herabgekommen, hat mir den Mund mit seinem Schwanz geöffnet und viele Male mit diesem seinem Schwanz gegen meine Lippen gestoßen." Auf diesen "Geier" baut Freud seine ebenso weitreichende wie waghalsige und verwegene Deutungskonstruktion der sublimierten Homosexualität Leonardos, die von der geierköpfigen ägyptischen Muttergottheit "Mut" über ihre Bemächtigung durch die Kirchenväter bis zur Überzärtlichkeit von Leonardos Mutter Caterina und zum Lächeln der Mona Lisa führt, aber auf einem Übersetzungsfehler ruht, den Freud mit seiner wichtigsten Quelle teilt, dem 1903 übersetzten Roman "Leonardo da Vinci" von Dmitri Mereschkowski: Beim "nibio" handelt es sich keineswegs um den heiligen Geier der alten Ägypter, sondern um die Gabelweihe oder den roten Milan. Freud hält an diesem Übersetzungsfehler auch in späteren Auflagen fest, als er durch eine Besprechung im "Burlington Magazine" hätte eines Besseren belehrt worden sein können. Über diese eingestürzte Deutungsbrücke führt kein Weg zurück zur unschuldigen Reinheit und Rationalität der psychoanalytischen Interpretation; sie ist nur zu retten, indem man sie auf sich selbst anwendet und durch die Lethe der unbewußten Verdrängungen Freuds watet, die sich in dieser Fehlleistung verbergen.

Tatsächlich ist der "Geier" nicht der einzige Lapsus, der Freud im Zusammenhang mit Leonardo da Vinci unterläuft. In seinem Vortrag "Über Psychotherapie" schreibt er ihm 1904 fälschlicherweise den von Michelangelo geprägten Gegensatz zwischen den Künsten zu, die "per via di porre und per via di levare" verfahren, und vergleicht diesen mit dem Gegensatz zwischen der suggestiven und der analytischen Technik, die ebenfalls durch (illusionäres) Zusetzen und (ernüchterndes) Wegnehmen arbeiten.

In diesen Fehlleistungen verrät sich nach Ansicht des Münchner Psychoanalytikers Wolfgang Schmidbauer Freuds anhaltende Identifikation mit Leonardo, in dessen Kindheit sich der Vater der Psychoanalyse selbst wiederzuerkennen glaubte, Schmidbauer, der mit "Freuds Dilemma" sein siebenunddreißigstes Buch vorlegt und mehr über sein eigenes Ideal verrät als über Leonardo, wenn er errechnet, daß dessen Nachlaß von 13 000 Manuskriptseiten "etwa 70 gedruckten Büchern mit einem Umfang von je 185 Seiten" entspricht, untersucht, wie Freud "in einer Projektion auf Leonardo gerade die in der Auseinandersetzung mit der Homosexualität stockende Selbstanalyse" seiner "Traumdeutung" fortsetzt. Als Projektionsfläche erweist sich dabei weniger die Leinwand des historischen Renaissancemalers als die fiktive Gestalt von Mereschkowskis Leonardo-Roman, der ganz in der schwülen Atmosphäre der Décadence-Ästhetik gehalten ist und seinem christusgleich sich opfernden Helden die geschlechtliche Fortpflanzung versagt.

Etwas unvermittelt mündet Schmidbauers Darstellung nach dieser anregungsreichen Beweisführung in verschiedene Kapitel über Freuds Wortzauber, seine Befangenheit in der alteuropäischen Tradition der antiken Rhetorik und die Ethik des Verzichts - aber das sind andere Bücher.

MARTIN STINGELIN

Wolfgang Schmidbauer: "Freuds Dilemma". Die Wissenschaft von der Seele und die Kunst der Therapie. Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1999. 190 S., br., 16,90 DM.

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