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Sigmund Freuds Leben ist bis in die letzten Winkel ausgeleuchtet. Doch was wissen wir über den Rest seiner Familie? Goce Smilevski schildert in dieser fiktiven Autobiografie den Lebensweg Adolfines, der einzigen unverheirateten und kinderlosen Schwester Freuds, und wirft damit auch ein neues Licht auf das Leben ihres berühmten Bruders. Über Adolfine, die mit ihren Eltern bis zu deren Tod in einer Wohnung lebte, ist wenig bekannt. Als Sigmund 1938 nach London emigrierte, blieb sie mit ihren drei Schwestern zurück in Wien, wurde deportiert und starb 1943 in Theresienstadt. Ausgehend von diesen…mehr

Produktbeschreibung
Sigmund Freuds Leben ist bis in die letzten Winkel ausgeleuchtet. Doch was wissen wir über den Rest seiner Familie? Goce Smilevski schildert in dieser fiktiven Autobiografie den Lebensweg Adolfines, der einzigen unverheirateten und kinderlosen Schwester Freuds, und wirft damit auch ein neues Licht auf das Leben ihres berühmten Bruders. Über Adolfine, die mit ihren Eltern bis zu deren Tod in einer Wohnung lebte, ist wenig bekannt. Als Sigmund 1938 nach London emigrierte, blieb sie mit ihren drei Schwestern zurück in Wien, wurde deportiert und starb 1943 in Theresienstadt. Ausgehend von diesen Lebensdaten entwirft Smilevski in seinem bildermächtigen Roman ein großes Panorama der Zeit um 1900, er imaginiert Begegnungen mit Klara, der Schwester Gustav Klimts, oder Ottla, Kafkas Schwester, und erweckt jene schillernde Epoche zum Leben mit all ihren gesellschaftlichen und geistigen Um- und Aufbrüchen. Freuds Schwester schildert die Hoffnungen und Sehnsüchte einer Zeit des Aufbruchs ausder Perspektive der Frauen, die sich mit ihrem Schicksal als Unterdrückte nicht mehr widerspruchslos zufriedengeben wollen.
Autorenporträt
Goce Smilevski, 1975 in Skopje, Mazedonien, geboren, studierte Literatur- und Kulturwissenschaft in Prag, Budapest und Skopje. Er schrieb zahlreiche Theaterstücke und Romane. Freuds Schwester wurde 2011 mit dem European Union Prize for Literature ausgezeichnet und wird in dreißig Sprachen übersetzt. Smilevskis Stil wird mit Hermann Broch, José Saramago und Günter Grass verglichen: farbig, detailreich, europäisch.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.03.2013

Die Last der Kultiviertheit
Mit seinem Roman „Freuds Schwester“ hat der mazedonische Autor Goce Smilevski
einen weltweiten Überraschungserfolg gelandet – er erzählt das Leben von Adolfine Freud in Form einer fiktiven Autobiografie
VON FELIX STEPHAN
In den USA, und dank des Internets auch überall sonst, wird derzeit die US-Serie „Girls“ von ihren Fans als das gelungenste Selbstporträt zeitgenössischer Weiblichkeit gefeiert. In der Serie geht es um den Alltag amerikanischer College-Girls. Und der stellt sich im Vergleich zu den glamourösen Erwartungen meist unerfreulich wirklichkeitsbelastet dar: pragmatischer Sex, platzende Träume, schleichender Ausverkauf der Highschool-Ideale.
  Die Philosophin und Journalistin Emily Nussbaum hat im New Yorkerdie These vertreten, die Show werde deshalb von so vielen als große Befreiung empfunden, weil sie ständig das oberste Gebot der kultivierten Frau verletzt: Do not make anyone uncomfortable. Verursache niemandem ein schlechtes Gefühl. Wenn Frauen die moralischen Standards ihrer Umwelt öffentlich entblößten, so Nussbaum, wurden sie in der Vergangenheit allzu leicht als wohlstandsverwahrloste Tratschtanten mit zu viel Zeit und zu wenig echten Sorgen diskreditiert. Wenn sich Männer hingegen öffentlich an ihren Ex-Freundinnen rächen, nenne man sie gemeinhin „Comedians“, „Schriftsteller“ oder „Philip Roth“.
  Nun ist in Deutschland mit Goce Smilevskis „Freuds Schwester“ ein Roman erschienen, der die kulturellen Wurzeln dieses Frauenbildes in die Zeit der vorletzten Jahrhundertwende zurückverfolgt. Smilevski, der 1975 in Mazedonien geboren wurde, hat in Prag, Budapest und seiner Heimatstadt Skopje studiert. Sein Roman, der bereits in 30 Sprachen übersetzt wurde, tritt als fiktionale Autobiografie Adolfine Freuds auf. Er erzählt von der Kindheit in ärmlichen Verhältnissen, der Liebe zum aufgeweckten Bruder, von der ersten großen Romanze, aber auch von den zahllosen Erniedrigungen, die über jene Frauen niedergehen, die sich nicht in die bloße Mutterrolle ergeben.
  Adolfine ist das hässliche Entlein der fünf Freud-Schwestern, die einzige, die unverheiratet bleibt, die nicht in Paris ihre Manieren schärfen darf. Ihre eigene Mutter hält ihr Leben für verschwendet, der pubertierende Sigmund wendet sich von ihr ab, nachdem sie ihn beim Masturbieren erwischt, und selbst ihre große Liebe rettet sie nicht. Als sie gar niemanden mehr hat, der zu ihr hält, lässt sie sich in eine Irrenanstalt mit dem klingenden Namen Nest einliefern, dem einzigen Ort, an dem man sie in Frieden lässt.
  Ein großer Teil der Romanhandlung findet in diesen Nicht-Orten statt: Hospitäler, Anstalten, Konzentrationslager. Im KZ trifft Adolfine Freud auf Ottla Kafka, die Schwester von Franz, auf Johanna Broch, Mutter von Hermann, auf Mia Kraus, Schwester von Karl. Im Nest begegnet sie der Frauenrechtlerin Klara Klimt, der ersten Wienerin, die öffentlich Hosen trägt und zugleich das Pech hat, die Schwester des stadtbekannten Schürzenjägers und Malers Gustav zu sein. Klara ist die einzige Frau im Roman, die es wagt, sich öffentlich Gehör zu verschaffen. Dafür wird sie von bezahlten Schlägertrupps so lange verprügelt, bis sie schließlich tatsächlich wahnsinnig wird und sich die allfälligen Diagnosen sozusagen von selbst erfüllen.
  Das gesellschaftliche Grundproblem, das in Smilevskis großartigem Roman zutage tritt, besteht darin, dass die aufklärerische Verschiebung von christlicher zu medizinisch-säkularer Wissensproduktion an der Situation der Frauen herzlich wenig geändert hat. Zwar wurden zur Legitimierung der männlichen Vormundschaft im späten 19. Jahrhundert nicht mehr nur Bibelzitate herangezogen, doch ließen sich Sigmund Freuds Konzepte etwa der Hysterie oder des Penisneids leicht in das überkommene Frauenbild integrieren.
  In unserer Gegenwart wird geistige Gesundheit durch das Bekenntnis zum unendlichen Spaß ausgedrückt. Dass Frauen gerade den nicht mehr verstünden, ist deshalb ein gängiger Vorwurf in der gegenwärtigen Sexismus-Debatte. Wo allerdings Spaß aufhört und Erniedrigung anfängt, entscheiden nach wie vor oft Männer. Lena Dunham, die in der Serie „Girls“ die Hauptrolle spielt, das Drehbuch schreibt und Regie führt, hat sich diese Deutungshoheit einfach genommen.
  Adolfine Freud hatte dazu nie die Gelegenheit. Als jüdische, empfindsame Frau war sie in jedem Kampf, den ihr ihre Zeit aufbürdete, chancenlos. Die bittere Pointe ist, dass sie bis heute einen Mann braucht, um ihre Stimme erheben zu können. Zwar hören wir in Goce Smilevskis überraschendem Weltbestseller nicht sie selbst, es ist Smilevski, der ihr seine Stimme leiht, aber immerhin. Bei einem Ausflug nach Venedig erklärt sie ihrem Bruder, als der bereits in den Geschichtsbüchern Platz genommen hat: „Alle, die glauben, dass sie durch das von ihnen Geschaffene unsterblich werden – ganz gleich, ob das Kinder sind, die sie gezeugt haben und die durch ihr Blut das Blut der Erzeuger weitertragen, oder ob es künstlerische oder wissenschaftliche Werke sind -, sie alle irren sich ganz furchtbar. Denn all das ist ja aus Materie gemacht und eines Tages wird die Materie erlöschen und verschwinden.“
  Man wird dem Buch nicht gerecht, wenn man es als feministischen Roman bezeichnet. In erster Linie ist es eine entschieden romantische Erzählung, die jegliche kulturelle Konvention als Gewalt gegen die reine Existenz versteht. Die ideelle Internierung der Frauen ist hier nur das grellste Beispiel. Dem Roman gerät seine Parteinahme für die unberühmte Schwester und gegen den berühmten Bruder bisweilen arg pathetisch, aber vielleicht ist es gerade dieses grimmige Empfindsamkeitspathos, den die ironiemüde Gegenwartsliteratur mal wieder gebraucht hat.
  Gleich zu Beginn erfahren wir, was Adolfine bevorsteht, und je mehr wir sie lieben lernen, desto langsamer möchten wir blättern, weil wir wissen, worauf sich das alles unaufhaltsam zubewegt. Als Hitler Österreich anschließt, glaubt Freud an eine vorübergehende Unannehmlichkeit. Erst als ihn seine internationalen Freunde geradezu nötigen, Österreich zu verlassen, fertigt er eine Liste derer an, die mit ihm nach London emigrieren dürfen. Auf dieser von der illusionären Verkennung der politischen Situation geprägten Liste stehen seine Ehefrau, deren Schwester, der Hausarzt samt Familie, die Hausangestellten und der Familienhund. Die Namen seiner fünf Schwestern finden sich dort nicht. Wenige Jahre später werden vier von ihnen in Theresienstadt und Auschwitz ermordet. Im Roman nimmt Adolfine die Entscheidung des Bruders widerstandslos zur Kenntnis. Sie ist eine gut erzogene Dame, sie will niemandem Schwierigkeiten bereiten.
Das oberste Gebot der kultivierten
Frau: Verursache
niemandem ein schlechtes Gefühl!
Mit einigem Pathos nimmt dieser
Roman Partei für die Schwester –
und gegen den berühmten Bruder
Die Familie Freud um 1876: Vater Jakob, Mutter Amalie, mit der Hand an ihrem Stuhl Sigmund. Links die Schwestern Paula, Adolfine (sitzend) und Anna.
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Goce Smilevski: Freuds Schwester. Aus dem
Mazedonischen von
Benjamin Langer. Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2013. 328 Seiten, 19,99 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Insa Wilke gibt dem Buch eine Chance. Nicht als Engführung von Historie und Biografie, sondern als Versuch, eine museale Gestalt wie Freuds Schwester Adolfine und ihren gesamten Background in die Gegenwart zu retten. Dass Goce Smilevskis Konstruktion aus psycholanalytischen Theorien, Antisemitismus und weiblicher Identitätssuche, aus Erfindung und Dokumenten riskant und oft unglaubwürdig ist, entgeht Wilke dabei keineswegs.

© Perlentaucher Medien GmbH