Aus der Zeit, als John Maynard Keynes Mitglied der britischen Delegation in Versailles war, stammt diese Erinnerung an Carl Melchior, jüdischer Bankier aus Hamburg, Keynes Verhandlungspartner auf Seiten der besiegten Deutschen, der zum Freund wurde. Dies ist eine einzigartige Nahaufnahme der Monate nach Ende des Ersten Weltkriegs, die schicksalshaft für Europa wurden. Für seinen Biographen Robert Skidelski ist dieser Text, zusammen mit de hier erstmals auf deutsch veröffentlichten Erinnerung an Bloomsbury das "persönlichste und beste, was Keynes je geschrieben hat".
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.10.2004Keynes outet sich
Von dem deutschen Sozialwissenschaftler Edgar Salin stammt die Feststellung, der große britische Ökonom John Maynard Keynes sei kein geborener Professor gewesen, sondern ein Mann, der sich im linksliberalen Londoner Intellektuellenzirkel, der Bloomsbury-Gruppe, und im Ballett - Frau Keynes war eine russische Tänzerin - wohler gefühlt habe als im Hörsaal. Diesen Eindruck stützt die Veröffentlichung zweier Erinnerungstexte, die vor Mitgliedern der Bloomsbury-Gruppe vorgetragen wurden. Der wichtigere Essay behandelt die Freundschaft - Keynes spricht sogar offen von Liebe - des Briten zu einem Mitglied der deutschen Delegation bei den Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg in Versailles. Der Hamburger Privatbankier Julius Melchior erschien nicht nur Keynes als das würdigste Mitglied der deutschen Unterhändler. Es ist darüber spekuliert worden, ob Keynes' enger Umgang mit Melchior die deutschfreundliche Haltung des Briten beeinflußt hat, der schon früh in einem bekannten Buch die aus seiner Sicht unsinnige wirtschaftliche Bürde kritisierte, die Deutschland in Versailles tragen mußte.
gb.
John Maynard Keynes: Freund und Feind. Zwei Erinnerungen. Berenberg-Verlag, 19 [Euro]
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Von dem deutschen Sozialwissenschaftler Edgar Salin stammt die Feststellung, der große britische Ökonom John Maynard Keynes sei kein geborener Professor gewesen, sondern ein Mann, der sich im linksliberalen Londoner Intellektuellenzirkel, der Bloomsbury-Gruppe, und im Ballett - Frau Keynes war eine russische Tänzerin - wohler gefühlt habe als im Hörsaal. Diesen Eindruck stützt die Veröffentlichung zweier Erinnerungstexte, die vor Mitgliedern der Bloomsbury-Gruppe vorgetragen wurden. Der wichtigere Essay behandelt die Freundschaft - Keynes spricht sogar offen von Liebe - des Briten zu einem Mitglied der deutschen Delegation bei den Friedensverhandlungen nach dem Ersten Weltkrieg in Versailles. Der Hamburger Privatbankier Julius Melchior erschien nicht nur Keynes als das würdigste Mitglied der deutschen Unterhändler. Es ist darüber spekuliert worden, ob Keynes' enger Umgang mit Melchior die deutschfreundliche Haltung des Briten beeinflußt hat, der schon früh in einem bekannten Buch die aus seiner Sicht unsinnige wirtschaftliche Bürde kritisierte, die Deutschland in Versailles tragen mußte.
gb.
John Maynard Keynes: Freund und Feind. Zwei Erinnerungen. Berenberg-Verlag, 19 [Euro]
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Literarisches Meisterwerk", "glänzend geschrieben" - Henning Ritter hat in dem Nationalökonomen John Maynard Keynes einen vorzüglichen Schriftsteller entdeckt. Ausgezeichnet findet der Rezensent auch die Übersetzung dieser beiden unter dem Sammeltitel "Freund und Feind" nun endlich auf Deutsch vorliegenden Erinnerungstexte. Keynes beschreibt eine untergegangene Welt, eine Welt zwischen Cambridge und Bloomsbury, zwischen dem Vertrag von Versailles und G. E. Moores "Principia Ethica", geistreich bis zur Überheblichkeit, idealistisch bis zur Narretei. In dem Text "Meine frühen Überzeugungen" blickt der berühmte Wissenschaftler kopfschüttelnd auf die realitätsfremden Überzeugungen seiner Jugend zurück; in "Ein besiegter Feind" wendet er sich, gleichfalls kopfschüttelnd, dem lächerlichen Gebaren der Delegierten während der Versailler Friedensverhandlungen zu. Der Titel des letzteren Textes, so Ritter, bezieht sich auf eine mit dieser satirisch-scharfsichtigen Abrechnung dezent verwobene Liebesgeschichte, in der ein jüdischer Bankier aus Hamburg, einer der besiegten Feinde, die zweite Hauptrolle spielte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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