Eva Kanturková ist in den sechziger Jahren durch mehrere Prosabände bekanntgeworden. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings bekam sie Publikationsverbot, schrieb für Exilzeitschriften und veröffentlichte ihre Werke in Exilverlagen. 1981 wurde sie verhaftet und musste für ein Jahr ins Gefängnis. 1985 machte sie als Sprecherin der Charta 77 auf sich aufmerksam. Der dokumentarische Roman Freundinnen aus dem Haus der Traurigkeit schöpft aus den Erfahrungen der Haftzeit. Es sind psychologische Porträts der Frauen, die mit Eva Kanturková eingesperrt waren. Die Autorin wirft einen Blick aus allernächster, geradezu quälender Nähe auf sie und zeigt, wie Menschen sich im Leben unter dem kommunistischen Regime durchgeschlagen haben und wie sie, dem Repressionsapparat ausgeliefert, versuchen, trotz allem ihre Menschlichkeit zu bewahren. Eva Kanturkovás Buch ist ein zutiefst anrührendes Zeitdokument.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.05.2004Die traurigen Freundinnen
Eva Kanturkovás Frauenporträts aus einem Prager Gefängnis
Die Traumatisierung der tschechischen Gesellschaft durch die Ereignisse des Jahres 1968 ist tiefer und nachhaltiger, als das Land es heute wahrhaben will. Die forcierte Westorientierung der Tschechen verdeckt die Scheu der Gesellschaft, sich mit der eigenen jüngsten Vergangenheit auseinanderzusetzen. Allein die Literatur hat den zur Gesundung des nationalen Bewußtseins notwendigen Prozeß der Aufarbeitung in den nahezu vierzig Jahren seit dem gewaltsamen Ende des "Prager Frühlings" unter den Panzerketten des Warschauer Paktes zu leisten versucht. Sie ist allerdings dabei von der Gesellschaft weitgehend allein gelassen worden. Eine unübersehbare Tragik liegt über jener Generation tschechischer Autoren, die in den sechziger Jahren nicht nur altersmäßig auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft waren, sondern den Versuch, einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" zu schaffen, als kollektive kulturpolitische Anstrengung begriffen. Die unheilvolle Politik der "Normalisierung" nach 1969 hat diese Generation mundtot zu machen versucht.
Der Überlebenskampf dieser Literatur, die für sich mit Recht in Anspruch nahm, der Ort zu sein, an dem die kulturelle Identität des tschechischen Volkes aufgehoben war, hat sie thematisch bestimmt und gleichzeitig beschränkt. Überschaut man heute rückwirkend die Produktion dieser Literatur, die jahrzehntelang nur in den verschiedenen Samisdat-Editionen erscheinen konnte, so fällt der eklatante Mangel an Themen auf, die nicht mit der Geschichte und den politischen Erfahrungen dieser Generation zu tun haben. Es kommt noch hinzu, daß der Literaturbetrieb im Westen sein Interesse nahezu ausschließlich auf diese Themen fokussiert hat und darüber hinaus vor allem die persönlichen Schicksale von Autoren wie Václav Havel oder Pavel Kohout unabhängig von ihrer Literatur im Vordergrund des Interesses standen.
So bestand für viele Jahre eine absurde Situation: In der CSSR selbst durfte diese "Bewältigungsliteratur" nicht erscheinen, während sie im Westen Konjunktur hatte. Nach der Wende durften diese Bücher mit der entsprechenden Verspätung im eigenen Lande gedruckt werden, und nun interessierte sich nur eine Minderheit der Leser dafür. Die Gesellschaft hatte sich anderen Themen und Problemen zugewandt; vor allem die Jungen wollten an die Probleme ihrer Eltern nicht mehr erinnert werden. Von den durch die politischen Erfahrungen der sechziger Jahre geprägten Autoren hat vielleicht der nach Frankreich emigrierte Milan Kundera es am elegantesten vermocht, die seiner Generation aufgegebene Aufgabe literarisch in einer Form zu lösen, die ihn vor der zu engen Fixierung bewahrt hat, in der andere gefangen blieben.
Die von der Robert Bosch Stiftung unterstützte "Tschechische Bibliothek", die in der Deutschen Verlags-Anstalt erscheint, hatte von Anfang an den Anspruch, ein Gesamtbild der tschechischen Literatur herzustellen und nicht nur die Periode des Prager Frühlings und seiner Folgen aufzuarbeiten. Deshalb muß das Buch von Eva Kanturková, "Freundinnen aus dem Haus der Traurigkeit", in der Reihe eine Funktion übernehmen, mit der es vielleicht überfordert ist, nämlich diese thematisch so wichtige Literatur einer ganzen Generation bisher fast allein zu repräsentieren.
Eva Kanturková hat die Erfahrungen ihrer Generation geradezu exemplarisch gemacht. Sie hatte vor dem Prager Frühling als Redakteurin und Autorin aktiv an den politischen Prozessen teilgenommen und war wie die meisten ihrer engagierten Kollegen mit Publikationsverbot belegt worden. Sie wurde Sprecherin der "Charta 77" und büßte ihr politisches Engagement und ihre persönliche Integrität schließlich 1981 mit einem Jahr Haft in dem berüchtigsten Prager Gefängnis Ruzyne. In ihrem Buch, das sie "Roman" nennt und das sie unmittelbar nach ihrer Haftentlassung geschrieben hat, porträtiert sie eine Reihe von Frauen, mit denen sie für Tage, manchmal Wochen in einer Zelle zusammen war. Keine dieser Frauen ist eine "politische" Gefangene wie sie, und keine erreicht auch nur annähernd ihr Bildungsniveau. Im Gegenteil, die Autorin kommt hier mit einem Teil der Gesellschaft zusammen, von dem sie vorher kaum etwas geahnt und mit dem sie schon gar keinen unmittelbaren Kontakt hatte. Aber sie macht schnell die Erfahrung: "Wer einmal im Gefängnis war, ist den Häftlingen ein Bruder, mag der Grund für die Inhaftierung sein, wie er will."
Aber während die meisten Frauen im Gefängnis Kriminelle sind und die Haft gleichsam als "Berufsrisiko" hinnehmen, ist die Autorin unbescholten, fälschlich und widerrechtlich inhaftiert, allein der Willkür der totalitären politischen Macht ausgesetzt. Aus diesem Bewußtsein heraus muß sie beobachten, wie die besonderen Mechanismen dieser "Gesellschaft" funktionieren: "Ein Häftling lehnt die Unfreiheit ab und hält dem Gefängnis stand, ein Krimineller akzeptiert die Unfreiheit und paßt sich an das Gefängnis an." Eva Kanturková gelingt es, sich ihren Blick als Autorin zu bewahren, obwohl sie als Häftling Teil dieser abgeschlossenen Gesellschaft mit ihren sehr speziellen Regeln und Ritualen ist. Gleichzeitig hält sie eisern an ihren eigenen Prinzipien fest. Sie ist gegen jede Erniedrigung des Menschen, in welcher Situation er auch sein mag und was er sich auch immer hat zuschulden kommen lassen. Zwar beschleicht sie mit der Dauer der Inhaftierung die Sorge, "wie ich Worte, die mir ständig in den Ohren klingen, wieder loswerde", aber in Wahrheit sammelt sie diese Worte wie die Erfahrungen, die sie in Ruzyne macht.
Da bleibt es nicht aus, daß der Leser die literarische Verarbeitung dieser Erfahrungen in den Kontext der reichhaltigen Gefängnisliteratur stellt, die in vielen Fällen, wie Solschenizyns "Archipel GULag", Weltliteratur darstellt. Eva Kanturková hat eine Art Doku-Roman geschrieben. Sie hält sich penibel an die Sprache der von ihr Porträtierten, erzählt deren Geschichten und bleibt dabei selbst ganz im Hintergrund. Allein vom Sujet her - porträtiert werden ausschließlich Frauen, von einer Frau - hätte man erwarten können, daß der Autorin ein Stück Emanzipationsliteratur gelungen wäre. Aber Kanturkovás Frauenbild bleibt trotz der sehr unterschiedlichen Schicksale und Charaktere merkwürdig klischeehaft. Schildert sie etwa einen lesbischen Annäherungsversuch, beschreibt sie die Abwehrhaltung der Bedrängten so: "Sie schrie zwar, doch dabei lächelte sie matt, und ein mattes Lächeln ist das Lächeln von Nur-Frauen, matt, abwesend und lockend."
Diese "Nur-Frau" verkörpert für die Autorin offenbar eine Art Natur-Weiblichkeit, die als unabwendbares Schicksal erfahren wird. An einer Stelle heißt es, "die Frau lauerte in ihr wie eine Wildkatze", und man fragt sich, von welchem kulturellen Standpunkt aus Frau Kanturková solche Beobachtungen an anderen Frauen macht. Zu den positiven, auch anrührenden Passagen des Buches gehören jene über sehr junge Mithäftlinge, meist Mädchen, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft schließlich schuldig geworden und im Gefängnis gelandet sind.
Der Anspruch indessen, mit diesen Porträts im Gefängnis auch das Porträt einer totalitären Gesellschaft geben zu wollen, wird nicht erfüllt. Die Mechanismen im Gefängnis Ruzyne sind nicht wirklich durch das Husak-Regime besonders brutal. Sie sind ebendie Mechanismen, die man wahrscheinlich in jedem Gefängnis studieren kann, nur ist die Autorin eben aus politischen Gründen in diese absurde Welt geraten, was ihren Blick prägt. So bleibt die Galerie der zehn Frauen merkwürdig blaß und sie können daher auch nicht in einen gesellschaftlichen Kontext gestellt werden, in dem sie dann paradigmatischen Charakter annehmen würden. Eva Kanturková hat eine traumatische Erfahrung literarisch zu verarbeiten versucht und projiziert dabei ihre eigenen ethischen Maßstäbe auf ihre Mitgefangenen. Die aber sind mehrheitlich als Projektionsfläche nur bedingt geeignet und ziehen so an der Autorin wie auch am Leser vorbei, ehe er ihrer wirklich habhaft werden kann.
HANS-PETER RIESE.
Eva Kanturková: "Freundinnen aus dem Haus der Traurigkeit". Roman. Aus dem Tschechischen übersetzt von Silke Klein. Nachwort von Ales Haman. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2003. 422 S., geb., 22,90 [Euro].
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Eva Kanturkovás Frauenporträts aus einem Prager Gefängnis
Die Traumatisierung der tschechischen Gesellschaft durch die Ereignisse des Jahres 1968 ist tiefer und nachhaltiger, als das Land es heute wahrhaben will. Die forcierte Westorientierung der Tschechen verdeckt die Scheu der Gesellschaft, sich mit der eigenen jüngsten Vergangenheit auseinanderzusetzen. Allein die Literatur hat den zur Gesundung des nationalen Bewußtseins notwendigen Prozeß der Aufarbeitung in den nahezu vierzig Jahren seit dem gewaltsamen Ende des "Prager Frühlings" unter den Panzerketten des Warschauer Paktes zu leisten versucht. Sie ist allerdings dabei von der Gesellschaft weitgehend allein gelassen worden. Eine unübersehbare Tragik liegt über jener Generation tschechischer Autoren, die in den sechziger Jahren nicht nur altersmäßig auf dem Höhepunkt ihrer Schaffenskraft waren, sondern den Versuch, einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" zu schaffen, als kollektive kulturpolitische Anstrengung begriffen. Die unheilvolle Politik der "Normalisierung" nach 1969 hat diese Generation mundtot zu machen versucht.
Der Überlebenskampf dieser Literatur, die für sich mit Recht in Anspruch nahm, der Ort zu sein, an dem die kulturelle Identität des tschechischen Volkes aufgehoben war, hat sie thematisch bestimmt und gleichzeitig beschränkt. Überschaut man heute rückwirkend die Produktion dieser Literatur, die jahrzehntelang nur in den verschiedenen Samisdat-Editionen erscheinen konnte, so fällt der eklatante Mangel an Themen auf, die nicht mit der Geschichte und den politischen Erfahrungen dieser Generation zu tun haben. Es kommt noch hinzu, daß der Literaturbetrieb im Westen sein Interesse nahezu ausschließlich auf diese Themen fokussiert hat und darüber hinaus vor allem die persönlichen Schicksale von Autoren wie Václav Havel oder Pavel Kohout unabhängig von ihrer Literatur im Vordergrund des Interesses standen.
So bestand für viele Jahre eine absurde Situation: In der CSSR selbst durfte diese "Bewältigungsliteratur" nicht erscheinen, während sie im Westen Konjunktur hatte. Nach der Wende durften diese Bücher mit der entsprechenden Verspätung im eigenen Lande gedruckt werden, und nun interessierte sich nur eine Minderheit der Leser dafür. Die Gesellschaft hatte sich anderen Themen und Problemen zugewandt; vor allem die Jungen wollten an die Probleme ihrer Eltern nicht mehr erinnert werden. Von den durch die politischen Erfahrungen der sechziger Jahre geprägten Autoren hat vielleicht der nach Frankreich emigrierte Milan Kundera es am elegantesten vermocht, die seiner Generation aufgegebene Aufgabe literarisch in einer Form zu lösen, die ihn vor der zu engen Fixierung bewahrt hat, in der andere gefangen blieben.
Die von der Robert Bosch Stiftung unterstützte "Tschechische Bibliothek", die in der Deutschen Verlags-Anstalt erscheint, hatte von Anfang an den Anspruch, ein Gesamtbild der tschechischen Literatur herzustellen und nicht nur die Periode des Prager Frühlings und seiner Folgen aufzuarbeiten. Deshalb muß das Buch von Eva Kanturková, "Freundinnen aus dem Haus der Traurigkeit", in der Reihe eine Funktion übernehmen, mit der es vielleicht überfordert ist, nämlich diese thematisch so wichtige Literatur einer ganzen Generation bisher fast allein zu repräsentieren.
Eva Kanturková hat die Erfahrungen ihrer Generation geradezu exemplarisch gemacht. Sie hatte vor dem Prager Frühling als Redakteurin und Autorin aktiv an den politischen Prozessen teilgenommen und war wie die meisten ihrer engagierten Kollegen mit Publikationsverbot belegt worden. Sie wurde Sprecherin der "Charta 77" und büßte ihr politisches Engagement und ihre persönliche Integrität schließlich 1981 mit einem Jahr Haft in dem berüchtigsten Prager Gefängnis Ruzyne. In ihrem Buch, das sie "Roman" nennt und das sie unmittelbar nach ihrer Haftentlassung geschrieben hat, porträtiert sie eine Reihe von Frauen, mit denen sie für Tage, manchmal Wochen in einer Zelle zusammen war. Keine dieser Frauen ist eine "politische" Gefangene wie sie, und keine erreicht auch nur annähernd ihr Bildungsniveau. Im Gegenteil, die Autorin kommt hier mit einem Teil der Gesellschaft zusammen, von dem sie vorher kaum etwas geahnt und mit dem sie schon gar keinen unmittelbaren Kontakt hatte. Aber sie macht schnell die Erfahrung: "Wer einmal im Gefängnis war, ist den Häftlingen ein Bruder, mag der Grund für die Inhaftierung sein, wie er will."
Aber während die meisten Frauen im Gefängnis Kriminelle sind und die Haft gleichsam als "Berufsrisiko" hinnehmen, ist die Autorin unbescholten, fälschlich und widerrechtlich inhaftiert, allein der Willkür der totalitären politischen Macht ausgesetzt. Aus diesem Bewußtsein heraus muß sie beobachten, wie die besonderen Mechanismen dieser "Gesellschaft" funktionieren: "Ein Häftling lehnt die Unfreiheit ab und hält dem Gefängnis stand, ein Krimineller akzeptiert die Unfreiheit und paßt sich an das Gefängnis an." Eva Kanturková gelingt es, sich ihren Blick als Autorin zu bewahren, obwohl sie als Häftling Teil dieser abgeschlossenen Gesellschaft mit ihren sehr speziellen Regeln und Ritualen ist. Gleichzeitig hält sie eisern an ihren eigenen Prinzipien fest. Sie ist gegen jede Erniedrigung des Menschen, in welcher Situation er auch sein mag und was er sich auch immer hat zuschulden kommen lassen. Zwar beschleicht sie mit der Dauer der Inhaftierung die Sorge, "wie ich Worte, die mir ständig in den Ohren klingen, wieder loswerde", aber in Wahrheit sammelt sie diese Worte wie die Erfahrungen, die sie in Ruzyne macht.
Da bleibt es nicht aus, daß der Leser die literarische Verarbeitung dieser Erfahrungen in den Kontext der reichhaltigen Gefängnisliteratur stellt, die in vielen Fällen, wie Solschenizyns "Archipel GULag", Weltliteratur darstellt. Eva Kanturková hat eine Art Doku-Roman geschrieben. Sie hält sich penibel an die Sprache der von ihr Porträtierten, erzählt deren Geschichten und bleibt dabei selbst ganz im Hintergrund. Allein vom Sujet her - porträtiert werden ausschließlich Frauen, von einer Frau - hätte man erwarten können, daß der Autorin ein Stück Emanzipationsliteratur gelungen wäre. Aber Kanturkovás Frauenbild bleibt trotz der sehr unterschiedlichen Schicksale und Charaktere merkwürdig klischeehaft. Schildert sie etwa einen lesbischen Annäherungsversuch, beschreibt sie die Abwehrhaltung der Bedrängten so: "Sie schrie zwar, doch dabei lächelte sie matt, und ein mattes Lächeln ist das Lächeln von Nur-Frauen, matt, abwesend und lockend."
Diese "Nur-Frau" verkörpert für die Autorin offenbar eine Art Natur-Weiblichkeit, die als unabwendbares Schicksal erfahren wird. An einer Stelle heißt es, "die Frau lauerte in ihr wie eine Wildkatze", und man fragt sich, von welchem kulturellen Standpunkt aus Frau Kanturková solche Beobachtungen an anderen Frauen macht. Zu den positiven, auch anrührenden Passagen des Buches gehören jene über sehr junge Mithäftlinge, meist Mädchen, die aufgrund ihrer sozialen Herkunft schließlich schuldig geworden und im Gefängnis gelandet sind.
Der Anspruch indessen, mit diesen Porträts im Gefängnis auch das Porträt einer totalitären Gesellschaft geben zu wollen, wird nicht erfüllt. Die Mechanismen im Gefängnis Ruzyne sind nicht wirklich durch das Husak-Regime besonders brutal. Sie sind ebendie Mechanismen, die man wahrscheinlich in jedem Gefängnis studieren kann, nur ist die Autorin eben aus politischen Gründen in diese absurde Welt geraten, was ihren Blick prägt. So bleibt die Galerie der zehn Frauen merkwürdig blaß und sie können daher auch nicht in einen gesellschaftlichen Kontext gestellt werden, in dem sie dann paradigmatischen Charakter annehmen würden. Eva Kanturková hat eine traumatische Erfahrung literarisch zu verarbeiten versucht und projiziert dabei ihre eigenen ethischen Maßstäbe auf ihre Mitgefangenen. Die aber sind mehrheitlich als Projektionsfläche nur bedingt geeignet und ziehen so an der Autorin wie auch am Leser vorbei, ehe er ihrer wirklich habhaft werden kann.
HANS-PETER RIESE.
Eva Kanturková: "Freundinnen aus dem Haus der Traurigkeit". Roman. Aus dem Tschechischen übersetzt von Silke Klein. Nachwort von Ales Haman. Deutsche Verlags-Anstalt, München 2003. 422 S., geb., 22,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Der "politische Wahrheitsroman" der 1981 für ein Jahr inhaftierten tschechischen Autorin ist nicht nur eine bewegende literarische Verarbeitung ihrer Haftzeit; es ist zugleich ein Buch mit einer "unerhörten Botschaft", berichtet Katharina Ranzin. Die Insassinnen des Gefängnis - alles Frauen, "die laut realsozialisitischer Staatsdoktrin eigentlich gar nicht hätten existieren dürfen" - habe die Autorin "in feinen psychologischen Porträts mitreißend lebendig" geschildert. Vermöge ihrer narrativen Kraft hat es Kanturkova "bei aller Differenziertheit der Darstellung" bewerkstelligen können, das Zentralnervensystem unserer Rezensentin unmittelbar mit dem Innenleben ihrer Erzählerin zu verbinden: Ihre emotionale Beteiligung übertrage "direkt ins Rückenmark", versichert unsere bewegte Rezensentin. Doch nicht nur darum sei Kanturova Buch mehr als nur ein anrührendes Zeitdokument, bekräftigt Ranzin: "Hätte es zu Zeiten der Diktatur erscheinen dürfen, wäre es eine Sensation gewesen."
© Perlentaucher Medien GmbH
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