Über die Beziehung zwischen Hermann Broch und Thomas Mann ist bisher wenig bekannt geworden. Die einschlägigen Biographien über Thomas Mann kommen nicht auf Broch zu sprechen, und auch für die Kenner des Werkes von Hermann Broch ist dessen Verbindung zu Thomas Mann ein nur selten diskutierter Aspekt. Für Broch war die frühe Lektüre von Manns Tod in Venedig ein lange nachwirkendes Erlebnis; die Besprechung des Buches war seine erste Publikation überhaupt. Spuren dieser Lektüre sind noch in seinem Spätwerk, dem Tod des Vergil auszumachen. In der Mitte seiner literarischen Laufbahn waren es Thomas Manns Josephs-Romane, die Broch wegen der romanhaften Gestaltung mythischer Geschichten faszinierte, und die damit indirekt einen Einfluß auf sein Buch Die Verzauberung hatten. Broch begann, wie er selbst sagte, den Einstieg in die Literatur mit der Rezension über den Tod in Venedig, und er hätte seinen Abschied von ihr gerne mit einem Essay über den Doktor Faustus beendet. Dazu kam es zwar nicht, aber die häufige Erwähnung des Buches in der Korrespondenz seiner letzten Lebensjahre belegt, wie stark ihn die theologischen Aspekte und musikalischen Themen in dem Buch ansprachen. Broch kannte alle Romane Thomas Manns und die meisten seiner Essays, und umgekehrt hatte Thomas Mann Die Schlafwandler und den Tod des Vergil sowie eine Reihe der damals zugänglichen literarischen und politischen Studien Brochs gelesen. Die Beziehung zwischen den beiden Autoren erschöpfte sich nicht im gegenseitigen Wahrnehmen ihrer dichterischen und essayistischen Publikationen. Im Exil kam es zu einer langjährigen Zusammenarbeit. Sie umgriff Hilfsmaßnahmen für Flüchtlinge und Exilierte, politische Pamphlete und Aktionen und nicht zuletzt ein geselliges Leben, so weit es sich in der Emigration aufrecht erhalten ließ. Besonders intensiv war die Beziehung während des Princetoner Exils Thomas Manns in den Jahren zwischen 1938 und 1941. Der persönliche Kontakt riß aber auch danach nicht ab, wie die relativ häufigen Treffen bei Besuchen Thomas Manns an der Ostküste der USA zeigen. Um einen Eindruck von der Vielfalt der Kontakte während der freundschaftlichen Beziehung der beiden Autoren zur Exilzeit zu vermitteln, reichte es nicht, lediglich ihre Briefe zu publizieren. Was immer Mann und Broch übereinander geschrieben haben, wurde ebenfalls in diese Dokumentation aufgenommen. Darüber hinaus wird den Spuren ihrer Kooperation insgesamt nachgegangen und all jene Stellen in veröffentlichten und unveröffentlichten Briefwechseln abgedruckt, in denen die beiden Schriftsteller Dritten gegenüber aufeinander zu sprechen kommen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.08.2005Er hat angefangen!
Schwierige Freundschaft: Thomas Mann und Hermann Broch
Thomas Mann hat in seinem Leben etwa 30 000 Briefe geschrieben: eines der bedeutenden Briefwerke der deutschen Literatur. Trotzdem fällt auf, daß er - von der repräsentativen Debatte mit dem Bruder Heinrich abgesehen - nur wenig Korrespondenz mit anderen hochrangigen Autoren führte. Eine spürbare Lücke.
Deshalb bietet auch der Band "Freundschaft im Exil", der das Verhältnis zu Hermann Broch dokumentiert, mehr als die über immerhin zwei Jahrzehnte sporadisch gewechselten Briefe. Der Herausgeber Paul Michael Lützeler, der profundeste Broch-Kenner dieser Welt, versammelt darüber hinaus alles, was die beiden je übereinander schriftlich äußerten. Gründlich kommentiert und mit einem glänzenden, sehr gerecht austarierten Einführungsessay versehen, wird so ein Kapitel der Literaturgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts nachgetragen.
Broch meinte einmal, er sei 1913 mit einem Essay über den "Tod in Venedig" "in die Literatur eingetreten". Die Novelle war sein großes, nie mehr übertroffenes Thomas-Mann-Erlebnis, das noch bis in sein ambitioniertes Spätwerk "Der Tod des Vergil" deutliche Spuren hinterließ. Andere Werke Thomas Manns aus jenen Jahren erschienen ihm dagegen bloß als "gediegene Unterhaltungslektüre". Wenn er noch 1931 die "fürchterliche Einrichtung der ,gebildeten' Rede" in manchem deutschen Großroman beklagt, dann ist das auch gegen den "Zauberberg" gesagt.
Diese mit Respekt gemischten Vorbehalte hinderten ihn nicht, Thomas Manns Fürsprache zu suchen. Er erhoffte sich von ihm - vergeblich - eine Rezension der Anfang der dreißiger Jahre erschienenen "Schlafwandler"-Trilogie. Noch lieber wäre es ihm gewesen, wenn der Nobelpreisträger, damals Jurymitglied beim New Yorker "Book of the Month"-Club, mitgeholfen hätte, die "Sleepwalkers" auf dem amerikanischen Markt durchzusetzen. Thomas Mann war jedoch der Auffasssung, das Buch stelle "zu hohe Anforderungen" an die amerikanischen Leser.
1932 kam es im Verlauf einer Mannschen Lesereise zu einer Begegnung im Wiener Arbeiterbildungsverein. "Im übrigen verlief die ganze Angelegenheit in großer beidseitiger Steifheit, womit allerdings er angefangen hat", berichtet Broch darüber. "Er hat was gegen mich, aber da kann man nichts machen." Zugleich ist Broch sehr angetan von "Joseph und seine Brüder" - von der "protestantischen Würde, mit der hier orientalische Geilheit gemacht wird".
Ganz allmählich rückt auch Broch in Thomas Manns Blickfeld: "Unwohl, der Magen überladen. In der Rundschau wenig gewinnende Geschichte von Broch", heißt es im April 1933 im Tagebuch. Und bereits vier Monate später: "Im Garten Lektüre der Rundschau. Broch unerfreulich . . ." Drei Jahre später ist Hermann Broch zu Besuch im Hause Mann. Das Tagebuch vermerkt knapp: "Zum Thee Ernst Broch" - da ist wohl etwas durcheinandergeraten. Immerhin liefert er zu Brochs 50. Geburtstag eine positive Stellungnahme: "Nach meiner Überzeugung gehört Brochs Roman-Trilogie ,Die Schlafwandler' zu den wenigen - heute wohl für Europa an den Fingern einer Hand herzuzählenden - wahrhaft bedeutenden und überzeugenden Gestaltungen dieser Art, die bleiben und von unserer Zeit zeugen werden." Überzeugung, überzeugen, zeugen: nicht sehr wahrscheinlich, daß der sonst so sorgsame Stilist diesen Satz nach dem Diktieren noch einmal durchgelesen hat.
Die gemeinsame Frontstellung zu Nazi-Deutschland intensiviert die Beziehungen. Thomas Mann setzt sich für Broch ein, verhilft ihm zur Emigration. Dieses Engagement für Kollegen, das nicht nur zu schönen Worten, sondern meist auch zu Stipendien, Universitätsstellen, Einreisevisa führt, ist eine Seite Thomas Manns, die bis heute wenig gewürdigt wird. Im Fall Brochs verfaßt er nicht nur selbst ein "Affidavit of Support", jenes mit einer Bürgschaft verbundene Gutachten, das für mittellose Einwanderer in die Vereinigten Staaten wichtig war, sondern mobilisierte auch andere, dasselbe zu tun.
Während Thomas Mann freilich auch im Exil ein hartnäckiger Villenbewohner blieb, mußte Broch sich mit einem Zimmerchen begnügen, in dem kaum Platz für seine langen Beine war. In den gemeinsamen Princetoner Jahren 1938 bis 41 trifft man sich im Durchschnitt alle sechs Wochen. Später kommt es zu langen Briefen, es geht um literarische Projekte und politische Perspektiven, Memoranden und Appelle. Man versichert sich regelmäßig gegenseitiger Hochschätzung, nur gelegentlich wird der Ton auch mal locker, etwa wenn Thomas Mann 1941 zu Hitlers Übernahme des Oberkommandos des Heeres schreibt: "Desto mehr Vergnügen macht uns unser Adolf, dessen Tagesbefehl bei Übernahme des Kommandos mit seinen ,inneren Stimmen' (. . .) das Romantischste war, was es seit der Jungfrau von Orleans gegeben hat."
In seinem Aufsatz "Die mythische Erbschaft der Dichtung", 1945 erschienen in der "Neuen Rundschau" zum siebzigsten Geburtstag Thomas Manns, stellt Broch den Autor der Josephsromane an die Seite von James Joyce. "Mit welchem wertvollen Beitrag Sie dieses erstaunliche Heft versehen haben", schwärmt der Geehrte. Der Vergleich habe ihn "frappiert und auf eine gewisse schmeichelhafte Weise überzeugt". Und seine Traditionsgebundenheit, die ihn laut Broch denn doch von Joyce unterscheide, habe immerhin gewisse Vorteile: verleihe sie dem Werk doch die "demokratische Eigenschaft des Genußmittels".
Fast scheint es, als könnte nun doch von jener Freundschaft die Rede sein, die im Titel des Bandes etwas leichtfertig angekündigt wird und die Lützeler den Dokumenten manchmal etwas gewaltsam abliest. Als dann aber Adorno zu Besuch kommt und es an kritischen Worten über Broch nicht fehlen läßt, notiert Thomas Mann dazu im Tagebuch: "Hat schon recht." Und fügt hinzu: "Wo es sich bei mir nicht um die Toleranz der Gleichgültigkeit handelt, bin ich zu bestechlich." Auch ein Verriß des "Vergil" durch Günther Anders - "ein Buch für Niemanden", lautet das vernichtende Resümee - hat ihm Spaß gemacht. Selbst hatte er bereits im Tagebuch seinen zwiespältigen Eindruck von Brochs ambitioniertem Werk lakonisch festgehalten: "Subtile Tiefseelen-Dichtung, das Leben abstreifend, sicher bemerkenswert." Er war zu sehr im Realismus verwurzelt, als daß ihn eine Literatur, die "das Leben abstreift", hätte befriedigen können.
Beide Autoren wurden von den Zeitumständen aufs politische Feld gezogen. Während Mann tagesaktuelle Stellungnahmen schrieb, ging es Broch, der schon zehn Jahre vor Hannah Arendt mit dem Begriff des Totalitarismus operierte, um die Analyse von epochalen Entwicklungen, um Grundsatzfragen. Thomas Mann hatte dafür nicht immer die Geduld. Über Brochs Entwurf einer Völkerbund-Resolution notiert er: "Wohlgedacht, wohlgesinnt, aber dickflüssig, undurchsichtig, unübersetzbar." Broch seinerseits störte sich am Nachwirken eines "prekären Dichterfürstentums" bei Thomas Mann: "halb Führer der Nation, halb Gaukler für die Menge, immerzu aber bedeutend".
1947 vermittelte Broch im Streit zwischen Exil und innerer Emigration, der auch ein Streit um und mit Thomas Mann war. Der Autor Frank Thiess forderte Mann zur Rückkehr nach Deutschland auf, was bei diesem nur die alte Aversion gegen die inneren Emigranten wachrief ("diese sitzengebliebenen Esel und Ofenhocker des Unglücks"). Da Thiess einer der wenigen Freunde Brochs gewesen war, die ihm, dem Juden, 1938 bei der Flucht aus Wien vor den Nazis geholfen hatten, verteidigte er ihn auf die Gefahr einer Verstimmung gegenüber Thomas Mann, während er in Briefen an Thiess wiederum Mann in Schutz vor den Vorwürfen der inneren Emigration nahm. Ein nobler Zug; die Kontrahenten blieben indessen bei ihrer Feindseligkeit, und Broch wurde durch diese leidige Angelegenheit um eine Akademie-Mitgliedschaft gebracht.
Als ihm selbst doch einmal eine kleine Ehrung widerfuhr, stellte er nicht ohne berechtigten Neid fest: Sehe man, wie auf Thomas Mann "die Ehrendoktorate nur so geregnet haben, finde ich, daß man mir bloß ein Trinkgeld gibt". Insgeheim hoffte er seit Jahren auf den Nobelpreis. Im Frühjahr 1951 standen die Chancen gut - mit Thomas Mann als international gewichtigem Fürsprecher. Aber dann hieß der Nobelpreisträger jenes Herbstes doch Pär Fabian Lagerkvist. Der schon seit längerem über Erschöpfung klagende Broch war Ende Mai gestorben. Thomas Mann zeigte sich respektvoll erschüttert.
WOLFGANG SCHNEIDER
Paul Michael Lützeler (Hrsg.): "Freundschaft im Exil". Thomas Mann und Hermann Broch. Thomas-Mann-Studien Bd. 31. Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2004. 245 S., geb., 39,- [Euro].
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Schwierige Freundschaft: Thomas Mann und Hermann Broch
Thomas Mann hat in seinem Leben etwa 30 000 Briefe geschrieben: eines der bedeutenden Briefwerke der deutschen Literatur. Trotzdem fällt auf, daß er - von der repräsentativen Debatte mit dem Bruder Heinrich abgesehen - nur wenig Korrespondenz mit anderen hochrangigen Autoren führte. Eine spürbare Lücke.
Deshalb bietet auch der Band "Freundschaft im Exil", der das Verhältnis zu Hermann Broch dokumentiert, mehr als die über immerhin zwei Jahrzehnte sporadisch gewechselten Briefe. Der Herausgeber Paul Michael Lützeler, der profundeste Broch-Kenner dieser Welt, versammelt darüber hinaus alles, was die beiden je übereinander schriftlich äußerten. Gründlich kommentiert und mit einem glänzenden, sehr gerecht austarierten Einführungsessay versehen, wird so ein Kapitel der Literaturgeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts nachgetragen.
Broch meinte einmal, er sei 1913 mit einem Essay über den "Tod in Venedig" "in die Literatur eingetreten". Die Novelle war sein großes, nie mehr übertroffenes Thomas-Mann-Erlebnis, das noch bis in sein ambitioniertes Spätwerk "Der Tod des Vergil" deutliche Spuren hinterließ. Andere Werke Thomas Manns aus jenen Jahren erschienen ihm dagegen bloß als "gediegene Unterhaltungslektüre". Wenn er noch 1931 die "fürchterliche Einrichtung der ,gebildeten' Rede" in manchem deutschen Großroman beklagt, dann ist das auch gegen den "Zauberberg" gesagt.
Diese mit Respekt gemischten Vorbehalte hinderten ihn nicht, Thomas Manns Fürsprache zu suchen. Er erhoffte sich von ihm - vergeblich - eine Rezension der Anfang der dreißiger Jahre erschienenen "Schlafwandler"-Trilogie. Noch lieber wäre es ihm gewesen, wenn der Nobelpreisträger, damals Jurymitglied beim New Yorker "Book of the Month"-Club, mitgeholfen hätte, die "Sleepwalkers" auf dem amerikanischen Markt durchzusetzen. Thomas Mann war jedoch der Auffasssung, das Buch stelle "zu hohe Anforderungen" an die amerikanischen Leser.
1932 kam es im Verlauf einer Mannschen Lesereise zu einer Begegnung im Wiener Arbeiterbildungsverein. "Im übrigen verlief die ganze Angelegenheit in großer beidseitiger Steifheit, womit allerdings er angefangen hat", berichtet Broch darüber. "Er hat was gegen mich, aber da kann man nichts machen." Zugleich ist Broch sehr angetan von "Joseph und seine Brüder" - von der "protestantischen Würde, mit der hier orientalische Geilheit gemacht wird".
Ganz allmählich rückt auch Broch in Thomas Manns Blickfeld: "Unwohl, der Magen überladen. In der Rundschau wenig gewinnende Geschichte von Broch", heißt es im April 1933 im Tagebuch. Und bereits vier Monate später: "Im Garten Lektüre der Rundschau. Broch unerfreulich . . ." Drei Jahre später ist Hermann Broch zu Besuch im Hause Mann. Das Tagebuch vermerkt knapp: "Zum Thee Ernst Broch" - da ist wohl etwas durcheinandergeraten. Immerhin liefert er zu Brochs 50. Geburtstag eine positive Stellungnahme: "Nach meiner Überzeugung gehört Brochs Roman-Trilogie ,Die Schlafwandler' zu den wenigen - heute wohl für Europa an den Fingern einer Hand herzuzählenden - wahrhaft bedeutenden und überzeugenden Gestaltungen dieser Art, die bleiben und von unserer Zeit zeugen werden." Überzeugung, überzeugen, zeugen: nicht sehr wahrscheinlich, daß der sonst so sorgsame Stilist diesen Satz nach dem Diktieren noch einmal durchgelesen hat.
Die gemeinsame Frontstellung zu Nazi-Deutschland intensiviert die Beziehungen. Thomas Mann setzt sich für Broch ein, verhilft ihm zur Emigration. Dieses Engagement für Kollegen, das nicht nur zu schönen Worten, sondern meist auch zu Stipendien, Universitätsstellen, Einreisevisa führt, ist eine Seite Thomas Manns, die bis heute wenig gewürdigt wird. Im Fall Brochs verfaßt er nicht nur selbst ein "Affidavit of Support", jenes mit einer Bürgschaft verbundene Gutachten, das für mittellose Einwanderer in die Vereinigten Staaten wichtig war, sondern mobilisierte auch andere, dasselbe zu tun.
Während Thomas Mann freilich auch im Exil ein hartnäckiger Villenbewohner blieb, mußte Broch sich mit einem Zimmerchen begnügen, in dem kaum Platz für seine langen Beine war. In den gemeinsamen Princetoner Jahren 1938 bis 41 trifft man sich im Durchschnitt alle sechs Wochen. Später kommt es zu langen Briefen, es geht um literarische Projekte und politische Perspektiven, Memoranden und Appelle. Man versichert sich regelmäßig gegenseitiger Hochschätzung, nur gelegentlich wird der Ton auch mal locker, etwa wenn Thomas Mann 1941 zu Hitlers Übernahme des Oberkommandos des Heeres schreibt: "Desto mehr Vergnügen macht uns unser Adolf, dessen Tagesbefehl bei Übernahme des Kommandos mit seinen ,inneren Stimmen' (. . .) das Romantischste war, was es seit der Jungfrau von Orleans gegeben hat."
In seinem Aufsatz "Die mythische Erbschaft der Dichtung", 1945 erschienen in der "Neuen Rundschau" zum siebzigsten Geburtstag Thomas Manns, stellt Broch den Autor der Josephsromane an die Seite von James Joyce. "Mit welchem wertvollen Beitrag Sie dieses erstaunliche Heft versehen haben", schwärmt der Geehrte. Der Vergleich habe ihn "frappiert und auf eine gewisse schmeichelhafte Weise überzeugt". Und seine Traditionsgebundenheit, die ihn laut Broch denn doch von Joyce unterscheide, habe immerhin gewisse Vorteile: verleihe sie dem Werk doch die "demokratische Eigenschaft des Genußmittels".
Fast scheint es, als könnte nun doch von jener Freundschaft die Rede sein, die im Titel des Bandes etwas leichtfertig angekündigt wird und die Lützeler den Dokumenten manchmal etwas gewaltsam abliest. Als dann aber Adorno zu Besuch kommt und es an kritischen Worten über Broch nicht fehlen läßt, notiert Thomas Mann dazu im Tagebuch: "Hat schon recht." Und fügt hinzu: "Wo es sich bei mir nicht um die Toleranz der Gleichgültigkeit handelt, bin ich zu bestechlich." Auch ein Verriß des "Vergil" durch Günther Anders - "ein Buch für Niemanden", lautet das vernichtende Resümee - hat ihm Spaß gemacht. Selbst hatte er bereits im Tagebuch seinen zwiespältigen Eindruck von Brochs ambitioniertem Werk lakonisch festgehalten: "Subtile Tiefseelen-Dichtung, das Leben abstreifend, sicher bemerkenswert." Er war zu sehr im Realismus verwurzelt, als daß ihn eine Literatur, die "das Leben abstreift", hätte befriedigen können.
Beide Autoren wurden von den Zeitumständen aufs politische Feld gezogen. Während Mann tagesaktuelle Stellungnahmen schrieb, ging es Broch, der schon zehn Jahre vor Hannah Arendt mit dem Begriff des Totalitarismus operierte, um die Analyse von epochalen Entwicklungen, um Grundsatzfragen. Thomas Mann hatte dafür nicht immer die Geduld. Über Brochs Entwurf einer Völkerbund-Resolution notiert er: "Wohlgedacht, wohlgesinnt, aber dickflüssig, undurchsichtig, unübersetzbar." Broch seinerseits störte sich am Nachwirken eines "prekären Dichterfürstentums" bei Thomas Mann: "halb Führer der Nation, halb Gaukler für die Menge, immerzu aber bedeutend".
1947 vermittelte Broch im Streit zwischen Exil und innerer Emigration, der auch ein Streit um und mit Thomas Mann war. Der Autor Frank Thiess forderte Mann zur Rückkehr nach Deutschland auf, was bei diesem nur die alte Aversion gegen die inneren Emigranten wachrief ("diese sitzengebliebenen Esel und Ofenhocker des Unglücks"). Da Thiess einer der wenigen Freunde Brochs gewesen war, die ihm, dem Juden, 1938 bei der Flucht aus Wien vor den Nazis geholfen hatten, verteidigte er ihn auf die Gefahr einer Verstimmung gegenüber Thomas Mann, während er in Briefen an Thiess wiederum Mann in Schutz vor den Vorwürfen der inneren Emigration nahm. Ein nobler Zug; die Kontrahenten blieben indessen bei ihrer Feindseligkeit, und Broch wurde durch diese leidige Angelegenheit um eine Akademie-Mitgliedschaft gebracht.
Als ihm selbst doch einmal eine kleine Ehrung widerfuhr, stellte er nicht ohne berechtigten Neid fest: Sehe man, wie auf Thomas Mann "die Ehrendoktorate nur so geregnet haben, finde ich, daß man mir bloß ein Trinkgeld gibt". Insgeheim hoffte er seit Jahren auf den Nobelpreis. Im Frühjahr 1951 standen die Chancen gut - mit Thomas Mann als international gewichtigem Fürsprecher. Aber dann hieß der Nobelpreisträger jenes Herbstes doch Pär Fabian Lagerkvist. Der schon seit längerem über Erschöpfung klagende Broch war Ende Mai gestorben. Thomas Mann zeigte sich respektvoll erschüttert.
WOLFGANG SCHNEIDER
Paul Michael Lützeler (Hrsg.): "Freundschaft im Exil". Thomas Mann und Hermann Broch. Thomas-Mann-Studien Bd. 31. Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2004. 245 S., geb., 39,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Jürgen Heizmann findet diesen 31. Band der Thomas-Mann-Studien, den Paul Michael Lützeler herausgegeben hat und der sich der Beziehung von Hermann Broch zu Thomas Mann verschrieben hat, sehr informativ und lobt ihn überschwänglich als "mustergültig ediert". Er enthält neben der gesamten Korrespondenz der beiden Schriftsteller auch alle Briefe, Aufsätze und Essays, in denen der andere Erwähnung findet sowie einen informativen Kommentar und ein "umfassendes Personenverzeichnis", lobt der Rezensent zufrieden. Der Band macht deutlich, wie er angetan bemerkt, dass der eher antibürgerliche Broch trotz aller Differenzen Thomas Mann als großen Schriftsteller verehrte und "akzeptierte". Eine wirkliche Freundschaft dagegen, wie es der Titel suggeriert, mag der Rezensent in dem Verhältnis der beiden Schriftsteller nicht erkennen, wohl eher eine Schicksalsgemeinschaft, die sich im Protest gegen die Nationalsozialisten und im amerikanischen Exil einander annäherten. Insgesamt aber lobt Heizmann dieses Buch als "guten Einblick" in das literarische, das politische und das ganz alltägliche Leben der Schriftsteller und empfiehlt allen Interessierten den Erwerb dieses Bandes.
© Perlentaucher Medien GmbH
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