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Das "Genie unter Preußens Herrschern"
Friedrich II. der Große (1712-1786), volkstümlich der "Alte Fritz" genannt, wurde schon zu Lebzeiten zum Mythos. Vor dem Hintergrund der Geschichte des 18. Jahrhunderts zeigt der Autor den König und Staatsmann, den Feldherrn und Philosophen, den Schöngeist und den "privaten" Friedrich. Nach einer durch den eskalierenden Konflikt mit seinem Vater Friedrich Wilhelm I. schwierigen Jugend und den von hemmungslosem und persönlich motiviertem Expansionsdrang geprägten ersten Regierungsjahren wuchs Friedrich II. in eine Herrschaftsauffassung hinein, die sich…mehr

Produktbeschreibung
Das "Genie unter Preußens Herrschern"

Friedrich II. der Große (1712-1786), volkstümlich der "Alte Fritz" genannt, wurde schon zu Lebzeiten zum Mythos. Vor dem Hintergrund der Geschichte des 18. Jahrhunderts zeigt der Autor den König und Staatsmann, den Feldherrn und Philosophen, den Schöngeist und den "privaten" Friedrich. Nach einer durch den eskalierenden Konflikt mit seinem Vater Friedrich Wilhelm I. schwierigen Jugend und den von hemmungslosem und persönlich motiviertem Expansionsdrang geprägten ersten Regierungsjahren wuchs Friedrich II. in eine Herrschaftsauffassung hinein, die sich an den Erfordernissen des Staates orientierte. Aus dem jungen Mann, der völlig verzweifelt der Hinrichtung seines besten Freundes wegen Hochverrats zusehen musste, wurde ein König, der sich von den Prinzipien einer nüchtern und kalkulierbaren Politik führen ließ.
Autorenporträt
Kunisch, Johannes
Johannes Kunisch war vor seiner Emeritierung Professor für Neuere Geschichte an der Universität Köln. Zahlreiche Veröffentlichungen.
Rezensionen
"Ein mit immenser Gründlichkeit recherchiertes, quellengesättigtes, in plastischer, unprätentiöser Sprache und mit respektvoller Distanz geschriebenes, stets um ein abwägendes Urteil bemühtes und daher zwar behutsam, doch unverschnörkelt interpretierendes Lebensbild des umstrittensten aller Preußenkönige." (DIE ZEIT)

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.10.2004

Der König als Achtundsechziger auf dem Throne saß und regierte
Tadellos wie einst Schwerin mit seinen Truppen bei Mollwitz: Johannes Kunisch schreibt eine Biographie über Friedrich den Großen / Von Gerrit Walther

Unzählige Male ist sein Leben schon erzählt worden: seine harte Jugend unter dem tyrannischen Vater, der ihm seine musischen Neigungen auszuprügeln suchte und ihm Pflichtgefühl und Regierungskunst am Ende buchstäblich unter Todesdrohungen einpauken ließ. Seine gleichwohl heiteren Kronprinzenjahre auf Schloß Rheinsberg. Seine Freundschaft mit Aufklärern wie Voltaire. Sein "Anti-Machiavell". Dann aber, gleich nach seiner Thronbesteigung 1740, sein Überfall auf Schlesien, die reichste Provinz der jungen Kaiserin Maria Theresia. Die drei langen Kriege, in denen er seinen Raub unter schweren Blutopfern gegen eine erdrückende Koalition fast aller europäischen Großmächte wider Erwarten behauptete. Seine späten Jahre, in denen er, ein früh gealterter, autokratischer Zyniker, sein verwüstetes Preußen durch spektakuläre Reformen zum modernsten und - internationale Vergleiche zeigen es - zum liberalsten Gemeinwesen des damaligen Europa ausbaute.

Der Tenor der Geschichte aber wechselt. Mal wurde Friedrichs Leben als Heldenepos gestaltet, mal als Schurkenstück, mal von Adolf Menzel und mal von Otto Gebühr, mal als Preußens Gloria und mal als deutsches Verhängnis. Beweisbar ist alles. Jede neue Friedrich-Biographie braucht deshalb vor allem eine starke These, am besten eine politische und eine, die den Zeitgeist zu provozieren fähig ist. So verfuhr Gerhard Ritter, als er es 1936 wagte, nicht Wehr und Waffen, sondern das Recht zum Kern preußischen Wesens zu erklären. So Rudolf Augstein, als er rechtzeitig zum Jahr 1968 die altehrwürdige Tradition sozialdemokratischer Preußen-Polemik schmissig restaurierte. So Ingrid Mittenzwei, als sie dem DDR-Publikum 1979 in einer bis heute vorzüglichen, nach endlosen Zensurverfahren doch noch genehmigten Biographie bewies, daß Friedrich mehr war als ein reaktionärer Klassenfeind. So schließlich Theodor Schieder, als er 1983, am Anfang der Ära Kohl, all dem noch einmal einen ganz realpolitischen Friedrich entgegenstellte.

Auch die Friedrich-Biographie, die der Kölner Emeritus Johannes Kunisch, Schieders einstiger Fakultätskollege, jetzt, nach zwanzig Jahren, vorlegt, versteht sich als Revision: als Versuch, den "Wissensvorrat, den die Geschichtswissenschaft im Hinblick auf den Preußenkönig zusammengetragen und bereitgestellt hat, nach einem heutigen Erkenntnisinteresse neu zu strukturieren". Welches Interesse dies jedoch sei, muß der Leser selbst herausfinden. Das ist um so schwerer, als das Werk mit souveräner Kennerschaft schlechthin alle Aspekte des Zeitalters zusammenführt - vom Militär bis zur Architektur, von den Wissenschaften bis zur fürstlichen Erbpolitik. Auch die "Strukturierung" gibt keinen Hinweis. Ungestört, retardiert nur von einigen Exkursen zu Spezialthemen, führt eine gerade Zeitlinie von Friedrichs Geburt bis zu seinem Tod. Nirgends eine schiefe Schlachtordnung. Nicht der schneidige General Seydlitz, der bei Roßbach plötzlich hinter dem Hügel hervorbricht und auf die überraschten Feinde losprescht, ist Kunischs strategisches Vorbild, sondern jener besonnene Schwerin, der den Sieg bei Mollwitz rettet, indem er die zersprengten Truppen sammelt und in parademäßiger Ordnung erneut nach vorne führt.

Der Autor erzählt in einer klaren, sorgsam geformten Sprache, in einem leisen, vornehmen Ton, jederzeit präzise, distinguiert, unendlich gebildet. So erscheint Friedrichs Welt als eine geordnete und verstehbare. Auch der Held selbst wirkt weder dämonisch oder "widersprüchlich" (wie einst bei Schieder) noch eignet ihm jene "Fremdheit", die Verfechter einer anthropologischen Geschichtsforschung auch im Zeitalter der Vernunft finden wollen. Selbst die sonderbarsten Züge in Friedrichs Wesen glaubt Kunisch rational erklären zu können. Er vertraut der Aufklärung, deren politisches Idol er schildert.

Psychologisch argumentiert er, wenn er in Friedrichs Konflikt mit dem Vater den Schlüssel zu seinem Charakter erkennt. Um sich der "Angst und Schrecken einflößenden Bedrohlichkeit" der "Macht- und Körperfülle des Vaters" zu erwehren, habe der Prinz jene Verstellungskunst, die dieser an ihm haßte, erst recht perfektioniert. Seit der demütigenden Haft 1730 in Küstrin habe er eine "sarkastische Verächtlichkeit" gegen sich selbst und andere gezeigt, die ihn nie mehr verließ und auf Dauer auch nahe Vertraute abstieß. Zugleich habe die im Kerker durchlebte, "von Todesangst erschütterte Einsamkeit seine Fähigkeit, sich auch in ausweglos erscheinenden Situationen zu behaupten, noch stärker auszuprägen vermocht". Seither aber habe er unter dem unwiderstehlichen inneren Zwang gelebt, sein Schicksal als "Bedrohungskonstellation" inszenieren zu müssen, stets "in Extremen zu denken und als Möglichkeiten seines Handelns nur die Katastrophe oder den Triumph zu erkennen". Daß Friedrich trotz nüchterner Kalkulation der Folgen "gar nicht anders konnte" als den Streich auf Schlesien zu wagen und in seinen Schlachten stets alles auf eine Karte zu setzen, deutet Kunisch als eine obsessive "Spiegelung literarischer Denkfiguren".

Eine solche Sicht erstaunt bei einem zünftigen Historiker. Vorbilder für diese Art, Friedrich zu betrachten, wird man denn auch eher bei Schriftstellern finden: bei Thomas Mann, dessen 1915 verfaßte Skizze über "Friedrich und die große Koalition" sich in vielem wie eine Kurzfassung dieses Werks liest (etwa in der Widerlegung von Friedrichs angeblicher Frauenfeindschaft), aber auch bei Theodor Fontane, der immer wieder als Gewährsmann hervortritt. Daß Kunisch seinen Helden mit den Augen des Ästheten sieht, zeigt sich nicht zuletzt an der Eleganz, mit der er politische Konstellationen in Kunstwerken zu spiegeln weiß: wie er etwa die kalte Pracht des Neuen Palais in Potsdam gerade nicht als Beweis für Friedrichs höfisches Stilgefühl erklärt, sondern als Symbol für dessen Verlust.

Aus dem gleichen Grund fällt ihm ein Wesenszug des Königs auf, der bislang selten so klar erfaßt worden ist: Friedrichs Lust an der "ostentativen Verweigerung" alles dessen, was den adligen Zeitgenossen des "schönen achtzehnten Jahrhunderts" selbstverständlich schien. Das reichte von der provokanten Nachlässigkeit seiner Kleidung, die sich beim "Alten Fritz" zu bestürzender Verwahrlosung steigerte, bis zu seiner Verachtung militärischer Grundregeln (der etwa, das Leben der Soldaten möglichst zu schonen). Friedrich wurde zum Idol der bürgerlichen Aufklärer, weil er sich unter Fürsten als Aussteiger inszenierte: weil er als absoluter Monarch einen Habitus an den Tag legte, den selbst erbitterte Gegner des absoluten Königtums kaum zu zeigen gewagt hätten. Mit der ihm eigenen Diskretion zeichnet Kunisch seinen Helden als einen Achtundsechziger auf dem Thron.

Das aber sagt er nicht. Die Leser müssen es selbst bemerken - so wie es ihnen überlassen bleibt, Kunischs Erkenntnisinteresse zu entdecken. Sie finden es in dem, was er nicht sagt. Was in verblüffender Weise fehlt in diesem umfassenden Werk, sind jene moralischen Aufwallungen, jene politischen Bekenntnisse und Reflexionen über "die Folgen", die seit jeher zum eisernen Inventar einer Friedrich-Biographie zählen. Offenkundig will Kunisch ein Bild des Königs zeichnen, das die ideologischen Debatten um seine Person so weit wie möglich ausblendet - insofern in der Tat ein "heutiges", ein postmodernes Bild. Das "kollektive Gedächtnis" über Friedrich zu rekonstruieren, sagt er, "wäre ein eigenes Thema". Seines ist es offenkundig nicht.

Das ist legitim. Vielleicht fällt es ihm deshalb so schwer, zu sagen, was an Friedrich "groß" gewesen sei. Kein anderer Fürst, meint er, habe eine "solche Fülle außerordentlicher Talente" besessen, kein anderer Wesen und Prinzipien aufgeklärter Herrschaft so tief "zu erfassen und theoretisch zu begründen vermocht". Die Zeitgenossen hätten darüber den Kopf geschüttelt. Für sie gründete Friedrichs Größe in seinen konkreten Erfolgen, und diese erklärten sie als einen Triumph der Aufklärung, die er in jeder Hinsicht zum Markenzeichen seiner Person gemacht hatte. Auch wer Preußen skeptisch betrachtete, ließ sich von diesem Selbstbild imponieren. Nicht preußisch sei man gesinnt gewesen, erinnert sich Goethe, sondern "Fritzisch" - "denn was ging uns Preußen an". Damit ging des Königs Kalkül auf: durch die Personalisierung seiner Politik und die Politisierung seiner Person im Zeichen aufgeklärter Ideale Solidarität mit seinem Staat zu stiften. Indem Kunisch Person und Wirkung trennt, entgeht er der ideologischen Falle, die sein Held auch seinen Biographen gestellt hat. Gehört die Einheit beider Momente nicht trotzdem zu dessen wichtigsten Wesenszügen?

Ein anderer bedeutender Biograph unserer Tage, der Mediävist Jacques Le Goff, hat dieses Problem ins Zentrum seines Werks gestellt. In einer spannenden Studie über Ludwig den Heiligen (1996, deutsch 2000) untersucht er die kontroversen, konkurrierenden Vorstellungen und Vereinnahmungen, die dieser König bei der Mit- und Nachwelt provozierte. Keine blasse "Rezeptionsgeschichte" entsteht daraus, sondern das lebendige Porträt einer realen Person, die "groß" war, weil sie einen nicht minder realen kollektiven Traum verkörperte. Als ein solches "globalisierendes Subjekt" im Sinne Le Goffs ließe sich künftig auch der große Friedrich schildern. Gewiß ist es nicht die geringste Stärke von Johannes Kunischs inspirierendem Buch, daß es nicht nur zum Weiterlesen zwingt, sondern auch zum Weiterdenken.

Johannes Kunisch: "Friedrich der Große". Der König und seine Zeit. C. H. Beck Verlag, München 2004. 624 S., 29 Abb., 16 Karten, geb., 29,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 19.10.2004

Der Hasardeur
Dem König gewachsen, dem bösen Mann nicht: Johannes Kunischs Biografie über Friedrich den Großen
So sieht also eine moderne Biografie Friedrichs des Großen aus. Ein neues umfassendes Buch zu dieser zwiespältigen Schicksalsfigur der deutschen Geschichte war überfällig, denn die letzten größeren Darstellungen - Theodor Schieders fein äquilibrierter Abhandlungsband über das „Königtum der Widersprüche” und Christopher Duffys Werk über Friedrich als Feldherrn - liegen fast zwanzig Jahre zurück; die letzten seriösen durchgeschriebenen Biografien, das schmissige Werk Gerhard Ritters und der steife Abriss der DDR-Historikerin Ingrid Mittenzwei sind noch älter, tief befangen in den Revisionen, wie sie nach der Katastrophe von 1945 und im Kalten Krieg auf die Tagesordnung kommen mussten: Noch Schieder sah sich genötigt, den österreichisch-preußischen Zwiespalt fast archäologisch unter dem viel späteren Ost-West-Konflikt auszugraben, um seine einstige Vehemenz wieder lebendig werden zu lassen.
Johannes Kunisch, der nun die umfassendste Biografie Friedrichs seit Reinhold Kosers allerdings noch viel weiter ausgreifender Darstellung (in vielen Auflagen seit der vorletzten Jahrhundertwende), vorlegt, konnte in einer weit günstigeren Umgebung als seine Vorgänger schreiben. Seit der Wiedervereinigung hat die kleindeutsche Lösung der deutschen Frage ihr katastrophales Gepräge wieder verloren, und zugleich gehören jene Kräfte, die das preußisch geformte Deutschland in den Untergang führten, endgültig der Vergangenheit an. Der Militarismus ist tot. Und Schlesien, der Zankapfel zwischen Österreich und Preußen, gehört heute einem Dritten, den Polen. Die Grenzen sind wieder offen, und jeder kann, wie er möchte, zwischen Potsdam, Posen und Breslau hin- und herreisen, ja selbst Königsberg ist wieder zugänglich.
Diese neue Freiheit im Verhältnis zu seinem Gegenstand hat Kunisch, ein vorzüglicher Kenner der Staatenpolitik und Militärgeschichte des absolutistischen Zeitalters, zu konsequenter Historisierung genutzt, also dazu, Friedrich so lückenlos, wie es noch nie getan wurde, auf seine zeitgenössische Umwelt zu beziehen. Von einer hohenzollerisch-protestantisch-kleindeutschen Teleologie fehlen sogar Spurenelemente. Ja die Frage, welche Auswirkungen Friedrichs Wirken auf die spätere deutsche Nationalgeschichte hatte, wird kaum gestreift.
Im Handstreich
Kunisch deutet Friedrich als fast typischen spätabsolutistischen Herrscher. Ein solcher Fürst lebt in einer konstant instabilen Welt des ewigen Wettstreits um Macht, Ruhm und Glanz, in einem europäischen „Konkurrenzgefüge” (Kunisch), in dem schon Untätigkeit Zurückfallen bedeutet. Staaten und Territorien sind verschiebbare Verfügungsmasse im Namen dynastischer oder feudaler Rechtsansprüche, de facto immer neuer Machtproben. Diese Welt dynastischer Agonalität verlangt stehende Armeen, gefüllte Staatsschätze, aber auch brillante Residenzen, Opernhäuser und Akademien. Ihr Leitbegriff ist „gloire”, Ruhm.
Daraus ergibt sich fast schon alles. Friedrichs sensationeller Handstreich von 1740, die Eroberung Schlesiens in der habsburgischen Erbkrise nach dem Tod Kaiser Karls VI., hält die Dynamik dieses Lebens in den folgenden viereinhalb Jahrzehnten in Gang. Friedrich hat zu Beginn alles gewagt, das muss er nun drei- oder fünfmal wiederholen, um Preußen als fünfte Großmacht Europas neben Frankreich, England, Habsburg und Russland zu etablieren. Zugleich aber hat diese hochriskante Behauptung des anfänglichen Raubes der preußischen Macht ihre Grenzen gesteckt: Weiterer Gebietserwerb ist von nun an nur noch im Einklang mit anderen Mächten möglich, so bei den polnischen Teilungen.
Dieses absolutistische Hasardeurtum - kulturell ausstaffiert durch galant-konventionelle Antike-Reminiszenzen, materiell gesichert durch eine rigoros effiziente Verwaltung - findet auf der persönlichen Ebene ihr Pendant in einem Psychogramm, dessen Theorie Kunisch einer Studie des Psychoanalytikers Ernst Lürßen entnimmt. Demnach sei Friedrichs Leben als Abfolge von „Reinszenierungen” eines massiven Traumas zu verstehen, aus dem impulsiven Zwang, immer neue existenzielle Bedrohungssituationen aufzusuchen und zu überwinden. So ist dann auch der furchtbare Konflikt mit dem Vater, der seinen ungebärdigen Sohn brechen wollte und vielleicht wirklich gebrochen hat, in eine sinnvolle staatengeschichtliche Perspektive gebracht.
In dieser Sicht verdampft fast alle Besonderheit. Friedrich, der Intellektuelle, ist ein Musenglanz suchender Fürst, so wie Friedrich, der Eroberer, ein Kriegsruhm suchender Held ist, und selbst Friedrich, der stoisch den Selbstmord ins Auge fasst, erscheint nur als Übersteigerung eines Charaktermusters, welches vom Herrscher das Wagnis als Rollengeste erwartet. Dass Friedrichs Schläue und Kälte, seine persönlichen Leistungen als Heerführer in einer solchen Konzeption besser sichtbar werden als seine schriftstellerischen, denkerischen und musischen Gaben, leuchtet ein. Kunischs Bevorzugung der Gleichzeitigkeit geht so weit, dass er der hohenzollerischen Familiengeschichte nur Streiflichter gönnt, so bei der Untersuchung von Friedrichs höfischer Repräsentation (im Kontrast zu seinem Großvater Friedrich I.) oder bei den heiklen Nachfolgefragen des kinderlosen Monarchen.
Der systemische Ansatz erklärt auch dramaturgische Ungeschicklichkeiten im Aufbau der Darstellung, die jedem Erzähler das Blut in den Adern gefrieren lassen müssten - so wenn Kunisch Abschnitte des Siebenjährigen Krieges, die das Zusammenwirken in der Anti-Friedrich-Koalition betreffen, noch vor dem zeitlich früher liegenden Präventiveinfall Friedrichs in Sachsen zur Sprache bringt, als sei hier nicht auch ein überaus spannender Ablauf zu verfolgen. Oder wenn er am Vorabend des Einfalls in Schlesien die Lage mit folgendem Satz charakterisiert: „Aber unverkennbar ist, dass in dem Staat, dessen Herrschaft Friedrich im Jahre 1740 antrat, Potenziale steckten, die zu nutzen für einen Prinzen, der sich frühzeitig schon zu Höherem berufen fühlte, eine außerordentliche Herausforderung darstellte.” Ja, so kann man es auch sagen. Wobei der Gerechtigkeit halber anzufügen ist, dass Kunisch sich im Laufe des Buches fühlbar warmschreibt, sich also die Sache am Ende nicht mehr ganz so sandig liest.
Konventioneller Denker
„Modern”, also sozialwissenschaftlich, ist diese Biografie, weil sie Friedrich als auffälligen, aber im Kern nicht extravaganten Spezialfall eines allgemein verbreiteten Epochentypus, des absolutistischen Monarchen beschreibt, also alle Züge des Ausnahmehaften zurücknimmt. Die „Größe” Friedrichs, nach der auch Kunisch fragt, erscheint eher als Kraft denn als Eigentümlichkeit, als Seelen- und Willensstärke mehr denn als Genie, Bedenkenlosigkeit, Scharfsinn oder auch gedanklicher Originalität wie bei früheren Biografen. Mit Fleiß betont Kunisch die Konventionalität von Friedrichs Gedankenwelt, den Konservatismus seiner späten Jahre, die Verschlossenheit gegenüber den neuen Entwicklungen in der deutschen Gesellschaft, die Rückwärtsgewandtheit seiner Ästhetik.
Neben Lürßens „Reinszenierungs”-Theorem hat diese Biografie leider an Psychologie wenig zu bieten. Die heikle Frage nach dem Liebesleben Friedrichs verhandelt Kunisch in einem Exkurs zur Erbfolge im Hause Hohenzollern, ohne doch Friedrichs Freundschaften zu Vorlesern und Generälen und seine Grausamkeiten gegen seine Gattin und diverse Sängerinnen ganz übergehen zu können. Und so wie er ihm nicht nahekommt (und wohl auch nicht nahekommen will), so ist dieser Biograf, ganz festgelegt auf seine mittlere Entfernung, auch nicht geneigt, ihn aus größerem Abstand zu sehen.
Vielleicht fehlt dieser Abstand sogar noch mehr als die Nahsicht. Friedrich als Vorläufer der Bismarckschen Lösung der deutschen Frage zu sehen, hat sich gewiss erledigt. Was aber dennoch brisant bleibt, ist die Figur eines Risikopolitikers, der immer wieder auf Alles oder Nichts setzt, auf Sieg oder Untergang. Kunisch arbeitet das zwar immer wieder heraus, ohne jedoch Linien zu ziehen. Nicht umsonst war der Selbstmord in der religiös fundierten, legitimistischen Ordnung der absolutistischen Zeit selbstverständlich schon moralisch heikel, akzeptabel vor allem als antike Reminiszenz; auch strukturell gehört der König als potenzieller Selbstmörder einer anderen Ordnung an.
Zynischer Außenseiter
Wer sich so existenziell an den Erfolg bindet, der schert sich wenig ums Recht; er appelliert zudem an eine andere Art von Öffentlichkeit als der legitime Fürst, an eine Öffentlichkeit mit philosophischen Kriterien oder an die krude Popularität, ja die Nachwelt. Kurzum, die suizidalen Züge von Friedrichs Politik und Charakter weisen voraus auf einen fast bonapartistischen Typus von Herrschaft. Und von diesem Gesichtspunkt aus gesehen gewinnt auch Friedrichs Psychologie ein allgemeineres Interesse, nämlich sein Außenseitertum.
Die Züge von Zynismus und Menschenverachtung, die privatistische Lebensführung bis zum Begrabenwerdenwollen bei den Jagdhunden, das Schreiben und Flötespielen, die absichtsvolle Reduktion des eigenen Bildes auf den schrägen Kopf mit Dreispitz, selbst das Amtsethos des obersten Staatsdieners - all das weist doch weit über die repräsentative Perücken- und Brokatwelt auch des späten Absolutismus hinaus. Gewiss hat es immer Sonderlinge auf europäischen Thronen gegeben, aber nur Friedrich lebte in einer Welt aufblühenden Geniekults, bürgerlicher Empfindsamkeit und philosophischer Kälte.
Jeder kann heute wieder nach Schlesien reisen und dort die Monumente einer grandiosen habsburgischen Reichskultur, die escorialhaften riesigen Klöster, die Dientzenhofer-Kirchen, die Nepomukstatuen an den Brücken bewundern - alle kurz vor 1740 in einer enormen Bauwelle errichtet. Man ahnt dann etwas von der Gewaltsamkeit der territorialen und kulturgeografischen Verschiebung, die aus Friedrichs Willensakt folgte. Wenn man dann neben den überlebensgroßen Kaiserstatuen und den schwellenden Bildnisbüsten in nachträglich hinzugefügten kleinen Voluten das zynische Spöttergesicht des preußischen Eroberers sieht, erkennt man etwas von der schockierenden Sonderrolle dieser Figur in ihrer Zeit, von dem, was seine größte Gegnerin Maria Theresia in die Formulierung vom „bösen Mann” brachte.
Johannes Kunisch hat ein vorzügliches, glänzend informiertes, nüchtern formuliertes Buch vorgelegt, dem leider alle Würze der Bosheit fehlt.
GUSTAV SEIBT
JOHANNES KUNISCH: Friedrich der Große. Der König und seine Zeit. Verlag C.H. Beck, München 2004. 624 Seiten, 29, 90 Euro.
Das Gemälde von Antoine Pesne zeigt Friedrich II. vor einer Kampfszene im Schlesischen Krieg.
Abb.: Sammlung Hanfstaengl / Blanc Kunstverlag
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Hans-Ulrich Wehler zieht den Hut vor seinem Kollegen Johannes Kunisch, der eine "mit immenser Gründlichkeit recherchierte, quellengesättigte, in plastischer, unprätentiöser Sprache und mit respektvoller Distanz geschriebene" Biografie Friedrichs II. vorgelegt hat. Kunisch, der durchaus Sympathie für Friedrich den Großen zeigt, zeichnet den Lebensweg des preußischen Königs auf über 600 Seiten nach und ist in der Wahl seiner Mittel offenbar ganz undogmatisch. So lobt Wehler, dass der Biograf zum besseren Verständnis der psychischen Folgen, die die äußerst brutale Erziehung Friedrichs hinterließ, auch eine neuere psychoanalytische Studie heranzieht. Eine besondere Stärke sieht Wehler vor allem in der genauen Schilderung der Kriege, die Friedrich führte: Kriegsgeschichte, so der Rezensent, werde von den meisten Historikern sonst eher ignoriert. Doch waren es gerade seine Kriege, die Preußen von einer unbedeutenden Provinz in eine Großmacht verwandelten und Friedrich den Beinamen "der Große" einbrachten. An dieser Stelle hat der Rezensent allerdings auch eine kleine Kritik vorzubringen: Er hätte sich gewünscht, dass Kunisch die preußischen Kriege auch aus einer universalgeschichtlichen Perspektive beleuchtet. Denn der Kampf um Schlesien, so Wehler, war ein "Nebenschauplatz des englisch-französischen Großkonflikts". Den Gesamteindruck trübt dies jedoch nicht. Für Wehler hat Johannes Kunisch "eine Biografie in der Perspektive unserer Zeit geschrieben: glänzend informiert, differenziert im Urteil, letztlich anerkennend, doch ganz frei von blinder Verehrung."

© Perlentaucher Medien GmbH
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