Harro Zimmermann begibt sich auf die Spur einer schillernden Persönlichkeit des 19. Jahrhunderts. Er stellt Gentz in allen seinen Facetten vor: den staatsphilosophischen Theoretiker des moderaten Konservatismus, den antifranzösischen Publizisten, den Glücksspieler und Verführer von Theaterschönheiten, den altersmild gewordenen Sekretär Metternichs. Die lange überfällige neue Biographie einer zentralen Gestalt im Zeitalter des Wiener Kongresses!Mit großer Sachkunde lässt der Autor die Epoche der Französischen Revolution und des Wiener Kongresses lebendig werden, wenn er seinen Helden an dessen Wirkungsstätten begleitet, die heißen Debatten für und wider Revolution und Napoleon erneut aufleben lässt oder nachspürt, mit wessen Hilfe Gentz seine immensen Spielschulden in letzter Minute begleichen konnte.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Johannes Willms schildert den Werdegang des Publizisten und Staatsmanns Friedrich Gentz, um sodann Harro Zimmermanns umfassende intellektuelle Biografie des Mannes als Meilenstein der Gentz-Forschung zu preisen. Willms versäumt allerdings auch nicht Zimmermanns Vorgänger zu nennen, aus deren Arbeiten der Autor ausgiebig schöpft. Die enorme Materialschlacht, die der Autor nicht zuletzt mit dem riesigen publizistischen Nachlass Gentzens ausgefochten hat, flößt Willms Respekt ein. Das so enstandene Buch, meint er, ersetzt nicht Golo Manns Monografie, stellt sich aber selbstbewusst an dessen Seite, und zwar indem sie nicht den Dandy Gentz in den Blick nimmt, doch umso mehr dessen politische Anschauungen, besonders die antirevolutionären.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.11.2012Der Verteidiger des Alten
Harro Zimmermann erzählt von Leben und Meinungen des ehrgeizigen Schriftstellers und Beamten Friedrich Gentz
Seinen Bewunderern hat es Friedrich von Gentz stets wesentlich schwerer gemacht als seinen Verächtern und Kritikern. Dieses Schicksal teilt er mit manchen Zeitgenossen, deren Lebensspanne die gesamte Revolutionsepoche umfasste. Was ihn von den meisten jedoch unterscheidet, ist seine schon früh ausgeprägte Neigung, die revolutionär beschleunigten Umbrüche ausgiebig publizistisch zu deuten und deren gemutmaßten Auswirkungen durch eigene Ordnungsentwürfe zu begegnen.
Das war eine Herausforderung, die den Fähigkeiten, Interessen und dem Ehrgeiz des 1754 in Breslau als Sohn eines preußischen Beamten geborenen Gentz sehr zupass kamen. Dessen wurde er 1791 unter der Lektüre von Edmund Burkes Buch „Reflections on the Revolution in France“ endgültig gewahr, das er zwei Jahre später in einer kommentierten Übersetzung auf Deutsch vorlegte, eine Arbeit, die ihm auf Anhieb Bekanntheit und Anerkennung verschaffte. Gentz, der bis dahin wie die meisten in den Kreisen der Berliner Gesellschaft der Französischen Revolution mit Sympathie begegnet war, reihte sich nun in die rasch wachsende Schar jener ein, die, im Widerspruch zu seinem Lehrer Immanuel Kant etwa, den Umbruch in Frankreich mit Schärfe verurteilten.
Wie Burke bekannte sich Gentz von nun an zu einer auf Rationalität und Kontinuität gegründeten maßvollen Reformpolitik, verknüpft mit der Gewissheit, dass sich jede Revolution durch kluge Politik vereiteln ließe. Konsequenterweise gab er sich auch als Gegner aller revolutionären Errungenschaften wie der Garantie der Menschenrechte, der Proklamation der Volkssouveränität oder der grundlegenden Prinzipien von Freiheit und Gleichheit zu erkennen, die er als unhistorisch ablehnte, weil sie für ihn im Widerspruch standen zur bewährten Tradition. Diese zu wahren, war nach Gentz die Aufgabe der überkommenen monarchischen Ordnung, die es deshalb um so gut wie jeden Preis zu verteidigen galt. Beflügelt von dem großen Erfolg seiner Burke-Übersetzung, erkannte Gentz die Chance zum gesellschaftlichen Aufstieg. Als kleiner preußischer Beamter, dem nur ein bescheidenes Avancement als Lohn für Mühen und Opfer in Aussicht stand, verlegte er sich darauf, das aktuelle Geschehen mit einer Fülle von Beiträgen kritisch zu reflektieren. Diese rege publizistische Tätigkeit, die ihm dank seines großen schriftstellerischen Talents flott von der Hand ging, verschaffte ihm nicht zuletzt wegen der von ihm vertretenen politischen Ansichten wohlwollende Aufmerksamkeit in ganz Europa, aber die Hoffnung, sich als publizistischer Widersacher der Revolution zu etablieren, zerschlug sich nicht zuletzt an der Neutralitätspolitik, die Berlin seit dem Sonderfrieden von Basel 1795 mit Rücksicht auf seine polnische Beute gegenüber dem revolutionären Frankreich verfolgte.
Daher wandte sich Gentz 1802 von Berlin nach Wien, um sich der kaiserlichen Regierung als „Feder“ anzudienen. Er erhielt eine Anstellung in der Staatskanzlei, der politischen Schaltzentrale des Reichs, und auf einer im nämlichen Jahr unternommenen Reise nach England gelang es ihm, Kontakte mit Vertretern der britischen Regierung zu knüpfen, die in ihm einen propagandistisch wertvollen „Gegenspieler Napoleons“ erkannte und ihm seine Publizistik mit fürstlichen Honoraren vergalt. In den ersten, mehr als zehn, Jahren seiner Tätigkeit in Wien sah sich Gentz durch Anstellung und Besoldung lediglich „unter Wert“ anerkannt und seinen brennenden Ehrgeiz nicht befriedigt. Das änderte sich grundlegend erst mit dem absehbaren Sturz Napoleons, als es Gentz an der Seite seines Förderers Metternich, der seit 1809 als österreichischer Außenminister fungierte, gelang, in das Zentrum der Macht vorzudringen und hier als vertrauter Berater des Leitenden Ministers eine seinem Lebensentwurf angemessene Stellung einzunehmen. Im Tandem mit Metternich gehörte Gentz zum kleinen Kreis jener, der auf dem Wiener Kongress 1814/15 die neue europäische Friedensordnung entwarf, die mehr als ein halbes Jahrhundert Bestand haben sollte. Als oberster Protokollführer des Kongresses fungierte Gentz als der „Sekretär Europas“. Ob sein oder Metternichs Wirken für das Ergebnis des Kongresses tatsächlich so ausschlaggebend waren, wie dies die Biografen des einen wie des anderen gern hervorheben, muss dahinstehen. Fraglos jedoch stand Gentz jetzt im Zenit jener öffentlichen Bedeutung, nach der es ihn sein ganzes Leben verlangt hatte. Auf diesen einmal erreichten Höhen wandelte er auch in den kommenden Jahren, als er gemeinsam mit Metternich auf den großen Kongressen der europäischen Mächte weilte, die von 1818 bis 1822 in Aachen, Karlsbad, Troppau, Laibach und Verona stattfanden, wie er sich überhaupt bis 1830 als rastloser Propagandist der stetig reaktionärer werdenden Politik des Staatskanzlers unverzichtbar machte.
Dem Nachruhm von Gentz am meisten geschadet hat aber zweifellos seine Teilhabe an den berüchtigten Karlsbader Beschlüssen von 1819, die über die unter der Fuchtel Österreichs stehenden deutschen Staaten tiefe Friedhofsruhe verhängten. Die obrigkeitliche Gängelung des öffentlichen Diskurses, von Universitäten und Presse wie schließlich die Verfolgung von als „Demagogen“ gebrandmarkten harmlosen Dissidenten hat er noch Jahre später in einem privaten Schreiben gerechtfertigt: „Jeder Feudalismus, selbst ein sehr mittelmäßig geordneter, soll mir willkommen seyn, wenn er uns von der Herrschaft des Pöbels, der falschen Gelehrten, der Studenten und besonders der Zeitungsschreiber befreit“. Der Sündenfall der Karlsbader Beschlüsse ließ sich auch nicht dadurch wiedergutmachen, dass Gentz in seinen letzten Lebensjahren – er starb im Juni 1832 – zunehmend auf Distanz zu Metternichs reaktionärem Starrsinn ging. Die Pariser Juli-Revolution von 1830, mit der das Bürgertum in Frankreich die ultrareaktionäre Monarchie, die nach 1815 an die Macht gekommen war, verjagte, hatte ihm die Augen geöffnet. Jetzt begann ihm zu dämmern, dass legitimistische Agitation und Repression nicht genügten, um die dynastischen Regime gegen die Ausbildung der Nationalstaaten zu verteidigen und den damit einhergehenden Wandel und Fortschritt aufzuhalten.
Harro Zimmermann, der 2009 das Buch „Friedrich Schlegel oder Die Sehnsucht nach Deutschland“ veröffentlichte, hat nun eine akribisch aus den reichlich sprudelnden Quellen der Publizistik seines Protagonisten geschöpfte intellektuelle Biografie des Friedrich von Gentz vorgelegt. Sein Buch ersetzt nicht, tritt aber durchaus selbstbewusst an die Seite der vielgerühmten Gentz-Monografie von Golo Mann, die erstmals 1947 auf Deutsch erschienen ist und die ein farbiges Panorama der Zeit von Revolution und Restauration entwarf. Schilderungen davon, ein wie großer Dandy, Spieler und verschwenderischer Genussmensch Gentz war, hat sich Zimmermann weitgehend versagt. Stattdessen besticht seine Darstellung mit einer virtuosen Erörterung der Genese und Wandlungen von Gentz’ politischen Anschauungen, von denen die anti-revolutionäre und anti-napoleonische Ideologie detailliert reflektiert wird, die den legitimistischen Mächten Europas den Kitt für ihre mehr als zwei Jahrzehnte bestehende Allianz gegen Frankreich lieferte.
Dem Vorgehen, das unverwechselbare Timbre der Stimme von Gentz in diesem vielstimmigen Chor zu identifizieren, ihn gar als einen der Vorsänger zu erweisen, stehen Schwierigkeiten entgegen, auf die bereits Carl Welcker hinwies. In seinem Gentz gewidmeten Beitrag, im fünften Band des von ihm und Carl von Rotteck 1847 vorgelegten „Staats-Lexikon“, bezeichnete er es als eine „schwere Aufgabe“, dessen Wirken angemessen zu würdigen. „Sie ist schwer, weil Herr v. Gentz in seinem praktischen politischen Wirken keine selbständige Stellung einnahm und seine Berufspflicht es wohl mit sich brachte, dass er auch bei demjenigen, was in Gedanken und Ausführung etwa von ihm ausging, zurücktreten, dass er in allen officiellen Ausführungen, Proclamationen und Staatsschriften, ja zum Theil selbst in seiner scheinbar blos literarischen Schriftstellerei, seine eigenen Ansichten bis zu einem gewissen Grade denen seines Hofes und seines Chefs anzuschließen suchen musste.“ Dem Beschwernis, das noch dem wackeren Welcker zu schaffen machte, stellte sich Golo Mann ein Jahrhundert später in weit geringerem Umfang, weil Gentz’ wichtigste Denkschriften und ein Teil seines privaten Briefwechsels unterdessen veröffentlicht worden waren. Aber erst seit wenigen Jahren liegen die verstreut publizierten Gentz-Schriften in einer zwölfbändigen Ausgabe vor, die Günther Kronenbitter 1997 bis 2004 herausgab. Was auch darin nicht enthalten ist, das findet der Forscher in der Dokumentensammlung, die Günther Herterich in mehr als 20-jähriger Sammeltätigkeit zusammentrug und die seit 2008 in 432 Aktenordnern und auf
522 Mikrofilmen gespeichert in der Kölner Stadt- und Universitätsbibliothek der Öffentlichkeit zur Verfügung steht.
In seiner Monografie „Friedrich Gentz. Die Erfindung der Realpolitik“ hat Harro Zimmermann aus diesem immensen Material die Essenz destilliert und in die umfassende Darstellung des politischen Denkens des Protagonisten eingearbeitet. Das ist eine Leistung, die für die Gentz-Forschung für lange Zeit Bestand haben wird. Ob der „Sekretär“ Gentz tatsächlich die Statur eines europäischen Staatsmanns beanspruchen kann, die ihm Golo Mann und Harro Zimmermann unisono zusprechen, wird sich zweifelsfrei aber erst im Vergleich mit einer ihrem Gegenstand adäquaten Metternich-Biografie erweisen lassen, die bislang noch aussteht.
JOHANNES WILLMS
Harro Zimmermann: Friedrich Gentz. Die Erfindung der Realpolitik. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2012. 344 Seiten, 39,90 Euro.
Die englische Regierung zahlte
dem Widersacher Napoleons
fürstliche Honorare
Wie eigenständig konnte der
„Sekretär Europas“ wirken?
Friedrich von Gentz, zwei Jahre vor seinem Tod.
FOTO: BRIDGEMAN
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Harro Zimmermann erzählt von Leben und Meinungen des ehrgeizigen Schriftstellers und Beamten Friedrich Gentz
Seinen Bewunderern hat es Friedrich von Gentz stets wesentlich schwerer gemacht als seinen Verächtern und Kritikern. Dieses Schicksal teilt er mit manchen Zeitgenossen, deren Lebensspanne die gesamte Revolutionsepoche umfasste. Was ihn von den meisten jedoch unterscheidet, ist seine schon früh ausgeprägte Neigung, die revolutionär beschleunigten Umbrüche ausgiebig publizistisch zu deuten und deren gemutmaßten Auswirkungen durch eigene Ordnungsentwürfe zu begegnen.
Das war eine Herausforderung, die den Fähigkeiten, Interessen und dem Ehrgeiz des 1754 in Breslau als Sohn eines preußischen Beamten geborenen Gentz sehr zupass kamen. Dessen wurde er 1791 unter der Lektüre von Edmund Burkes Buch „Reflections on the Revolution in France“ endgültig gewahr, das er zwei Jahre später in einer kommentierten Übersetzung auf Deutsch vorlegte, eine Arbeit, die ihm auf Anhieb Bekanntheit und Anerkennung verschaffte. Gentz, der bis dahin wie die meisten in den Kreisen der Berliner Gesellschaft der Französischen Revolution mit Sympathie begegnet war, reihte sich nun in die rasch wachsende Schar jener ein, die, im Widerspruch zu seinem Lehrer Immanuel Kant etwa, den Umbruch in Frankreich mit Schärfe verurteilten.
Wie Burke bekannte sich Gentz von nun an zu einer auf Rationalität und Kontinuität gegründeten maßvollen Reformpolitik, verknüpft mit der Gewissheit, dass sich jede Revolution durch kluge Politik vereiteln ließe. Konsequenterweise gab er sich auch als Gegner aller revolutionären Errungenschaften wie der Garantie der Menschenrechte, der Proklamation der Volkssouveränität oder der grundlegenden Prinzipien von Freiheit und Gleichheit zu erkennen, die er als unhistorisch ablehnte, weil sie für ihn im Widerspruch standen zur bewährten Tradition. Diese zu wahren, war nach Gentz die Aufgabe der überkommenen monarchischen Ordnung, die es deshalb um so gut wie jeden Preis zu verteidigen galt. Beflügelt von dem großen Erfolg seiner Burke-Übersetzung, erkannte Gentz die Chance zum gesellschaftlichen Aufstieg. Als kleiner preußischer Beamter, dem nur ein bescheidenes Avancement als Lohn für Mühen und Opfer in Aussicht stand, verlegte er sich darauf, das aktuelle Geschehen mit einer Fülle von Beiträgen kritisch zu reflektieren. Diese rege publizistische Tätigkeit, die ihm dank seines großen schriftstellerischen Talents flott von der Hand ging, verschaffte ihm nicht zuletzt wegen der von ihm vertretenen politischen Ansichten wohlwollende Aufmerksamkeit in ganz Europa, aber die Hoffnung, sich als publizistischer Widersacher der Revolution zu etablieren, zerschlug sich nicht zuletzt an der Neutralitätspolitik, die Berlin seit dem Sonderfrieden von Basel 1795 mit Rücksicht auf seine polnische Beute gegenüber dem revolutionären Frankreich verfolgte.
Daher wandte sich Gentz 1802 von Berlin nach Wien, um sich der kaiserlichen Regierung als „Feder“ anzudienen. Er erhielt eine Anstellung in der Staatskanzlei, der politischen Schaltzentrale des Reichs, und auf einer im nämlichen Jahr unternommenen Reise nach England gelang es ihm, Kontakte mit Vertretern der britischen Regierung zu knüpfen, die in ihm einen propagandistisch wertvollen „Gegenspieler Napoleons“ erkannte und ihm seine Publizistik mit fürstlichen Honoraren vergalt. In den ersten, mehr als zehn, Jahren seiner Tätigkeit in Wien sah sich Gentz durch Anstellung und Besoldung lediglich „unter Wert“ anerkannt und seinen brennenden Ehrgeiz nicht befriedigt. Das änderte sich grundlegend erst mit dem absehbaren Sturz Napoleons, als es Gentz an der Seite seines Förderers Metternich, der seit 1809 als österreichischer Außenminister fungierte, gelang, in das Zentrum der Macht vorzudringen und hier als vertrauter Berater des Leitenden Ministers eine seinem Lebensentwurf angemessene Stellung einzunehmen. Im Tandem mit Metternich gehörte Gentz zum kleinen Kreis jener, der auf dem Wiener Kongress 1814/15 die neue europäische Friedensordnung entwarf, die mehr als ein halbes Jahrhundert Bestand haben sollte. Als oberster Protokollführer des Kongresses fungierte Gentz als der „Sekretär Europas“. Ob sein oder Metternichs Wirken für das Ergebnis des Kongresses tatsächlich so ausschlaggebend waren, wie dies die Biografen des einen wie des anderen gern hervorheben, muss dahinstehen. Fraglos jedoch stand Gentz jetzt im Zenit jener öffentlichen Bedeutung, nach der es ihn sein ganzes Leben verlangt hatte. Auf diesen einmal erreichten Höhen wandelte er auch in den kommenden Jahren, als er gemeinsam mit Metternich auf den großen Kongressen der europäischen Mächte weilte, die von 1818 bis 1822 in Aachen, Karlsbad, Troppau, Laibach und Verona stattfanden, wie er sich überhaupt bis 1830 als rastloser Propagandist der stetig reaktionärer werdenden Politik des Staatskanzlers unverzichtbar machte.
Dem Nachruhm von Gentz am meisten geschadet hat aber zweifellos seine Teilhabe an den berüchtigten Karlsbader Beschlüssen von 1819, die über die unter der Fuchtel Österreichs stehenden deutschen Staaten tiefe Friedhofsruhe verhängten. Die obrigkeitliche Gängelung des öffentlichen Diskurses, von Universitäten und Presse wie schließlich die Verfolgung von als „Demagogen“ gebrandmarkten harmlosen Dissidenten hat er noch Jahre später in einem privaten Schreiben gerechtfertigt: „Jeder Feudalismus, selbst ein sehr mittelmäßig geordneter, soll mir willkommen seyn, wenn er uns von der Herrschaft des Pöbels, der falschen Gelehrten, der Studenten und besonders der Zeitungsschreiber befreit“. Der Sündenfall der Karlsbader Beschlüsse ließ sich auch nicht dadurch wiedergutmachen, dass Gentz in seinen letzten Lebensjahren – er starb im Juni 1832 – zunehmend auf Distanz zu Metternichs reaktionärem Starrsinn ging. Die Pariser Juli-Revolution von 1830, mit der das Bürgertum in Frankreich die ultrareaktionäre Monarchie, die nach 1815 an die Macht gekommen war, verjagte, hatte ihm die Augen geöffnet. Jetzt begann ihm zu dämmern, dass legitimistische Agitation und Repression nicht genügten, um die dynastischen Regime gegen die Ausbildung der Nationalstaaten zu verteidigen und den damit einhergehenden Wandel und Fortschritt aufzuhalten.
Harro Zimmermann, der 2009 das Buch „Friedrich Schlegel oder Die Sehnsucht nach Deutschland“ veröffentlichte, hat nun eine akribisch aus den reichlich sprudelnden Quellen der Publizistik seines Protagonisten geschöpfte intellektuelle Biografie des Friedrich von Gentz vorgelegt. Sein Buch ersetzt nicht, tritt aber durchaus selbstbewusst an die Seite der vielgerühmten Gentz-Monografie von Golo Mann, die erstmals 1947 auf Deutsch erschienen ist und die ein farbiges Panorama der Zeit von Revolution und Restauration entwarf. Schilderungen davon, ein wie großer Dandy, Spieler und verschwenderischer Genussmensch Gentz war, hat sich Zimmermann weitgehend versagt. Stattdessen besticht seine Darstellung mit einer virtuosen Erörterung der Genese und Wandlungen von Gentz’ politischen Anschauungen, von denen die anti-revolutionäre und anti-napoleonische Ideologie detailliert reflektiert wird, die den legitimistischen Mächten Europas den Kitt für ihre mehr als zwei Jahrzehnte bestehende Allianz gegen Frankreich lieferte.
Dem Vorgehen, das unverwechselbare Timbre der Stimme von Gentz in diesem vielstimmigen Chor zu identifizieren, ihn gar als einen der Vorsänger zu erweisen, stehen Schwierigkeiten entgegen, auf die bereits Carl Welcker hinwies. In seinem Gentz gewidmeten Beitrag, im fünften Band des von ihm und Carl von Rotteck 1847 vorgelegten „Staats-Lexikon“, bezeichnete er es als eine „schwere Aufgabe“, dessen Wirken angemessen zu würdigen. „Sie ist schwer, weil Herr v. Gentz in seinem praktischen politischen Wirken keine selbständige Stellung einnahm und seine Berufspflicht es wohl mit sich brachte, dass er auch bei demjenigen, was in Gedanken und Ausführung etwa von ihm ausging, zurücktreten, dass er in allen officiellen Ausführungen, Proclamationen und Staatsschriften, ja zum Theil selbst in seiner scheinbar blos literarischen Schriftstellerei, seine eigenen Ansichten bis zu einem gewissen Grade denen seines Hofes und seines Chefs anzuschließen suchen musste.“ Dem Beschwernis, das noch dem wackeren Welcker zu schaffen machte, stellte sich Golo Mann ein Jahrhundert später in weit geringerem Umfang, weil Gentz’ wichtigste Denkschriften und ein Teil seines privaten Briefwechsels unterdessen veröffentlicht worden waren. Aber erst seit wenigen Jahren liegen die verstreut publizierten Gentz-Schriften in einer zwölfbändigen Ausgabe vor, die Günther Kronenbitter 1997 bis 2004 herausgab. Was auch darin nicht enthalten ist, das findet der Forscher in der Dokumentensammlung, die Günther Herterich in mehr als 20-jähriger Sammeltätigkeit zusammentrug und die seit 2008 in 432 Aktenordnern und auf
522 Mikrofilmen gespeichert in der Kölner Stadt- und Universitätsbibliothek der Öffentlichkeit zur Verfügung steht.
In seiner Monografie „Friedrich Gentz. Die Erfindung der Realpolitik“ hat Harro Zimmermann aus diesem immensen Material die Essenz destilliert und in die umfassende Darstellung des politischen Denkens des Protagonisten eingearbeitet. Das ist eine Leistung, die für die Gentz-Forschung für lange Zeit Bestand haben wird. Ob der „Sekretär“ Gentz tatsächlich die Statur eines europäischen Staatsmanns beanspruchen kann, die ihm Golo Mann und Harro Zimmermann unisono zusprechen, wird sich zweifelsfrei aber erst im Vergleich mit einer ihrem Gegenstand adäquaten Metternich-Biografie erweisen lassen, die bislang noch aussteht.
JOHANNES WILLMS
Harro Zimmermann: Friedrich Gentz. Die Erfindung der Realpolitik. Ferdinand Schöningh Verlag, Paderborn 2012. 344 Seiten, 39,90 Euro.
Die englische Regierung zahlte
dem Widersacher Napoleons
fürstliche Honorare
Wie eigenständig konnte der
„Sekretär Europas“ wirken?
Friedrich von Gentz, zwei Jahre vor seinem Tod.
FOTO: BRIDGEMAN
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de