Jugendliches Genie, Revolutionär, Dichter. Rüdiger Safranski entstaubt in seiner Schiller-Biographie eine der schwungvollsten Gestalten unserer Literatur. Friedrich Schiller läutete mit seinem Enthusiasmus die Epoche der deutschen Geistesgeschichte ein, die man später den "Deutschen Idealismus" genannt hat. Mit diesem großen Buch über Schillers Leben und Denken könnte seine Renaissance beginnen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.2004Erzählte Leben
ALS SCHILLER 1789 seine Antrittsvorlesung in Jena hielt, glaubte er noch, daß "die Tat lebt und weiter eilt", während der Name ihres Urhebers hinter ihr zurückbleibt. Heute, da auch Taten oft Schall und Rauch sind, zählt die Biographie zu den beliebtesten Genres. Ein Mann auf der Kippe - so zeigt Rüdiger Safranski Friedrich Schiller. Safranskis Buch ist die Biographie des Jahres, nicht nur, weil das Schiller-Jahr bevorsteht, sondern vor allem, weil es Safranski gelungen ist, sich von den ungezählten Titeln und Früchten der Schiller-Literatur freizumachen, ohne sie schlicht zu ignorieren.
Nachdem Harry Graf Kessler gleich für zwei Biographen nicht recht zu fassen war, sollen Selbstzeugnisse für Abhilfe sorgen. In seinen Tagebüchern zeigt sich jetzt eine Gestalt, die unserer Zeit auf faszinierende Weise den Spiegel vorhält, indem sie demonstriert, welch armselige Mischung Selbstbezogenheit und falsch verstandene Weltläufigkeit abgeben. Pflichtlektüre für die Sklaven des guten Geschmacks. Eine Biographie ganz eigener Art hat Viktor Jerofejew geschrieben: Er erzählt einen dramatischen Vater-Sohn-Konflikt im Schatten Stalins und seiner Nachfolger als bewegende Doppelbiographie.
igl
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
ALS SCHILLER 1789 seine Antrittsvorlesung in Jena hielt, glaubte er noch, daß "die Tat lebt und weiter eilt", während der Name ihres Urhebers hinter ihr zurückbleibt. Heute, da auch Taten oft Schall und Rauch sind, zählt die Biographie zu den beliebtesten Genres. Ein Mann auf der Kippe - so zeigt Rüdiger Safranski Friedrich Schiller. Safranskis Buch ist die Biographie des Jahres, nicht nur, weil das Schiller-Jahr bevorsteht, sondern vor allem, weil es Safranski gelungen ist, sich von den ungezählten Titeln und Früchten der Schiller-Literatur freizumachen, ohne sie schlicht zu ignorieren.
Nachdem Harry Graf Kessler gleich für zwei Biographen nicht recht zu fassen war, sollen Selbstzeugnisse für Abhilfe sorgen. In seinen Tagebüchern zeigt sich jetzt eine Gestalt, die unserer Zeit auf faszinierende Weise den Spiegel vorhält, indem sie demonstriert, welch armselige Mischung Selbstbezogenheit und falsch verstandene Weltläufigkeit abgeben. Pflichtlektüre für die Sklaven des guten Geschmacks. Eine Biographie ganz eigener Art hat Viktor Jerofejew geschrieben: Er erzählt einen dramatischen Vater-Sohn-Konflikt im Schatten Stalins und seiner Nachfolger als bewegende Doppelbiographie.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.09.2004Mein Geist war heiter
Gegenüber dem Vortrefflichen gibt es keine Freiheit als Lesen: Heute erscheint Rüdiger Safranskis Schiller-Buch
Die Person Friedrich Schillers ist von Klischees umstellt, seine Dichtung dem Vorurteil unterworfen. Die Kritik hat in seinem Frühwerk - dem Empörungsrausch der „Räuber”, dem kalten Kalkül des „Fiesko”, der rasenden Empfindsamkeit von „Kabale und Liebe” - den anmaßenden Ton eines Subjekts entdecken wollen, das sich zum Maß des Allgemeinen spreizt und in dieser Vergrößerung des zufälligen Ich allzeit gewalt- und vernichtungsbereit scheint. Seinen späten Dramen werden die große Maschinerie, die sicher erzielten Effekte, die Fülle der Sentenzen - Eigenschaften, die sie einst zu klassischen Mustern stempelten - zum Verhängnis. Seine Lyrik gilt als rednerisch, sein Traum vom „ästhetischen Staat” als Flucht in die „überschwängliche Misere”. Im Lachen über sein Frauenbild vereinen sich Macho und Feministin.
Auch wer Schillers Werk nicht ganz verwerfen, die Größe „Wallensteins”, die berührende Klarheit der „Nänie”, die intellektuelle Raffinesse in den „Briefen über die ästhetische Erziehung” nicht dreingeben will, ist versucht, zu ihm herabzublicken, so wie im neunzehnten Jahrhundert Handwerksgesellen, Sozialdemokraten, Professoren und Gymnasiallehrer immer bewundernd hinauf schauten zu ihm. Avancierte Literaten haben früh schon das Schillersche Idealisierungsgebot verworfen, weil ihnen der Idealismus „die schmählichste Verachtung der Natur” (Georg Büchner) schien. Als Nietzsche den „Moraltrompeter von Säckingen” attackierte, traf er noch den Zitatenlieferanten der Sonntagsredner und Spießer. Das ist Schiller längst nicht mehr, und kann es in lauen Zeiten wie diesen kaum wieder werden, aber das Verdikt über den Götzen vergangener Tage lebt. Dabei scheint kaum eine Figur geeigneter, jene Leerstelle zu füllen, in die jetzt mit viel Aufwand Alexander von Humboldt gepresst wird.
Einem Irrenhause gleich
Es ist wohl ein Zeichen von Ignoranz, Kleinmut auch und Schwäche, Schillers Größe nicht verstehen oder ihm Größe nur für seine Zeit zusprechen zu können. Zumindest wird, wer Rüdiger Safranskis große Schiller-Biografie liest, diese Vermutung nicht von der Hand weisen. Nach Jahrzehnten der Verachtung, nach Jahren der interesselosen Kommentierung nimmt Safranski einen abgerissenen Faden wieder auf. Er schaut nicht hinauf, und er schaut nicht herab. Er sieht Schiller, was selbst Rudolf Borchardt als Unmöglichkeit galt, „Auge in Auge”.
Das äußere Leben des 1759 geborenen Schwaben bietet hier und da dramatische Szenen. Wir wissen Bescheid über die aufgeklärte Despotie an der Karlsschule, die Flucht nach Mannheim, während ein Feuerwerk den Himmel über Stuttgart erhellte. Bekannt sind erregte Stunden im Theater, etwa die Uraufführung der „Räuber” am 13. Januar 1782, als das Theater „einem Irrenhause glich, „ rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraum! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Tür.” Ein beispielloser Triumph, mit bacchantischen Jubelrufen, Pauken und Trompeten, wird auch die Leipziger Aufführung der „Johanna von Orleans” am 17. September 1801. Aber Schillers Weg von Mannheim nach Weimar, der brüderliche Bund mit Körner und Huber, die Auftritte als Professor in Jena, die Freundschaft mit Goethe bieten dem Biografen doch weit weniger Erzählstoff als die wendungsreichen Lebensgänge der Hölderlin, Kleist, Brentano oder Goethe. Wenige Reisen, einiger Erfolg, viel Arbeit. Dies war ein Leben für den Schreibtisch.
Dramatik verleiht ihm Safranski, indem er Schiller als einen Abenteurer des Gedankens wie der geglückten Formulierung zeigt. Er gilt ihm als „Enthusiast der Freiheit”, der das „Ungeheure der Freiheit erkundet wie kaum ein anderer vor ihm”. Der Wille, sich von äußerem Druck, physischen Begierden und körperlichen Schwächen, vom „Gemeinen”, nicht unterkriegen zu lassen, verbindet Werk und Leben. Dank dieser Intuition kann Safranski uns die Peinlichkeit vieler Biografien ersparen, die ihre Helden im Alltäglichen versinken lassen, um der Erzählung Farbe zu verleihen. Details über den Mann mit den rötlichen Haaren, den schnell blinzelnden Augen und dem öfteren Lächeln findet der Leser genug, aber sie dienen beinahe restlos dem Ganzen. Safranskis These von der Erfindung des Idealismus durch Schiller ordnet den Stoff zwanglos. Auf Vollständigkeit und literaturwissenschaftlichen Jargon, die Peter-André Alts Schiller-Biografie so unlesbar wie für Studenten nützlich machen, wird hier verzichtet. Safranski resümiert nicht bereits Gewusstes, er will ein Bild entwerfen, und das gelingt auf großartige Weise.
Schiller, der zu dichten begann aus „Lust am rednerischen Effekt” und im Wissen, dass er zu wenig von den Menschen erfahren, zu wenig Welt kennengelernt hatte, erscheint als „Mensch des Vorgriffs”. „Wenn es eine Erfahrungsarmut gibt, kann man auf sie spekulieren”, schreibt Safranski, „wie man mit Geld spekuliert, das einem nicht gehört. ... man erfindet etwas, das später vielleicht als Erfahrung gelten kann.”
Nach diesem Muster zeigt Safranskis Schiller sich stets unwillig vor den Tatsachen, der Welt, wie sie nun einmal ist, das Haupt zu beugen. Er rechnet mit ihnen, aber er lässt ihnen nicht das letzte Wort. „Das Wirkliche machte einen ängstlichen Eindruck auf ihn”, erzählte seine Frau Charlotte. Was für Goethe das Vertrauen in die Welt, war für Schiller der Glaube an die Kraft des Individuums und des Geistes. Einem Jugendfreund gab er den Laufpass, weil er dem Ideal eines Freundes nicht entsprach. Zu Körner und Huber fährt er, ohne sie näher zu kennen, weil ihm gewiss schien, dass der idealische Schwung das Leben formen könne. Und im Vorgriff entwarf er ein Bild seiner selbst, dem er dann folgen musste. Inmitten der Zwänge von Natur und Gesellschaft wird die Kunst zur „ultimativen Lockerungsübung”.
Zum Heroismus dieses Lebens gehört der ständige Kampf gegen die Krankheit, der das gesamte klassische Werk abgerungen ist. Er kennt, spürt seine Leiden, Krämpfe, Verstopfungen, er lässt sie nicht gelten, will unsern „physischen Zustand, der durch die Natur bestimmt werden kann, gar nicht zu unserm Selbst rechnen, sondern als etwas Auswärtiges und Fremdes”.
Aber dieser Idealismus ist nicht blind, keine Flucht, sondern Folge präziser Beobachtung. Schiller war Mediziner, berüchtigt für Rosskuren und mit den Anfechtungen eines physiologischen Materialismus gut vertraut. Im Durchgang durch die drei medizinischen Dissertationen des Karlsschülers zeigt Safranski, wie inmitten der Beschäftigung mit der Maschinerie des Körpers eine Philosophie der Freiheit entsteht. Wenn Reize unsere Vorstellungen erzeugen, diese Vorstellungen unser Handeln bestimmen, dann scheint in dieser kausal geordneten Welt kein Platz für die Freiheit. Der junge Schiller findet ihn dennoch, indem er eine Theorie der Aufmerksamkeit entwickelt: Die Seele lenkt das Denkorgan, wählt Eindrücke und Ideenverbindnungen, mithin ist Freiheit.
Enthusiast und Skeptiker
Ihren Höhepunkt erreicht die Biografie, wenn Safranski sich dem Räderwerk des „Don Karlos” zuwendet, dieses „Drama über eine republikanische Verschwörung von Links” mit dem „Geisterseher”, „den Roman über eine Verschwörung von Rechts” konfrontiert, wenn er den universalhistorischen Optimismus der Jenenser Antrittsvorlesung mit dem Nihilismus des philosophischen Gespräches aus dem Geisterseher konfrontiert. In einer tour de force gelangt er zu jener gern übersehenen Doppelgesichtigkeit des Schillerschen Idealismus, dem beides vertraut war: die Ansicht, wir seien einer fühllosen Notwendigkeit ohne jeden Sinn unterworfen wie der Glaube an einen „lebenden und liebenden Zusammenhang”, dem der philosophische Kopf einen Zweck, ein Endziel unterstellen mag. Der Enthusiast Schiller ist, so Safranski, ohne den Skeptiker nicht zu haben. Wer Schiller ins Auge blickt, mag einen Götterjüngling erblicken, aber einen, der die Hölle, das Nichts, besser kennt als all die schwunglosen Gestalten, die ihn aus beinahe gleichen Gründen verachten oder bewundern.
So grandios, pointenreich, in schlagfertigen Sätzen Safranski dem Denker ein Gesicht zu geben weiß, so wenig sagt er über den Meister der Form. Die Werke sind ihm „Spielformen der Lebensarbeit”, klug inszenierte Experimente, Formanalyse findet nicht statt, obwohl doch Schiller im letzten Jahrzehnt seines Lebens als Fetischist des Formbegriffs gelten muss. Das Fehlen hat seine Gründe in der Sache, schließlich ließ sich Schiller nicht hindern, Formen nach seinem Willen und Zweck zu entwerfen, sodass manches in seinem Werk jedem Klassizisten formlos, ohne Gestalt erscheinen muss. Hier wird das Problem übergangen. Auch wundert man sich, wie wenig Raum den späten Dramen zugemessen ist, wie brav Safranski, der doch in wenigen Sätzen eine Denklandschaft ohne Vergröberung darzustellen vermag, der Freundschaft mit Goethe gegenüber tritt. Aber das sind kleine Mäkeleien angesichts eines Buches, in dem uns Schiller als Zeitgenosse wieder geschenkt wird.
JENS BISKY
RÜDIGER SAFRANSKI: Schiller oder die Erfindung des deutschen Idealismus. Carl Hanser Verlag, München, Wien 2004. 560 Seiten, 25,90 Euro.
„Hab ich mein Weib ermordet, Genueser? - Ich beschwöre Euch, schielt nicht so geisterbleich auf dieses Spiel der Natur. . . ” Vor einem Entwurf zur Bühnenbearbeitung des „Fiesko” eine zeitgenössische Illustration zum zwölften Auftritt des fünften Aktes. In sechsunddreißig essayistisch angelegten Kapiteln, nüchtern und plastisch zugleich, wird Schillers Leben hier erzählt, werden zeitgenössische Abbildungen mit aktuellen Fotografien kombiniert - sodass der Abstand der Zeiten sichtbar wird. (Axel Gellhaus, Norbert Oellers: Schiller. Bilder und Texte zu seinem Leben. Böhlaus Verlag Köln, Weimar 2004. 406 Seiten, 29,90 Euro).
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Gegenüber dem Vortrefflichen gibt es keine Freiheit als Lesen: Heute erscheint Rüdiger Safranskis Schiller-Buch
Die Person Friedrich Schillers ist von Klischees umstellt, seine Dichtung dem Vorurteil unterworfen. Die Kritik hat in seinem Frühwerk - dem Empörungsrausch der „Räuber”, dem kalten Kalkül des „Fiesko”, der rasenden Empfindsamkeit von „Kabale und Liebe” - den anmaßenden Ton eines Subjekts entdecken wollen, das sich zum Maß des Allgemeinen spreizt und in dieser Vergrößerung des zufälligen Ich allzeit gewalt- und vernichtungsbereit scheint. Seinen späten Dramen werden die große Maschinerie, die sicher erzielten Effekte, die Fülle der Sentenzen - Eigenschaften, die sie einst zu klassischen Mustern stempelten - zum Verhängnis. Seine Lyrik gilt als rednerisch, sein Traum vom „ästhetischen Staat” als Flucht in die „überschwängliche Misere”. Im Lachen über sein Frauenbild vereinen sich Macho und Feministin.
Auch wer Schillers Werk nicht ganz verwerfen, die Größe „Wallensteins”, die berührende Klarheit der „Nänie”, die intellektuelle Raffinesse in den „Briefen über die ästhetische Erziehung” nicht dreingeben will, ist versucht, zu ihm herabzublicken, so wie im neunzehnten Jahrhundert Handwerksgesellen, Sozialdemokraten, Professoren und Gymnasiallehrer immer bewundernd hinauf schauten zu ihm. Avancierte Literaten haben früh schon das Schillersche Idealisierungsgebot verworfen, weil ihnen der Idealismus „die schmählichste Verachtung der Natur” (Georg Büchner) schien. Als Nietzsche den „Moraltrompeter von Säckingen” attackierte, traf er noch den Zitatenlieferanten der Sonntagsredner und Spießer. Das ist Schiller längst nicht mehr, und kann es in lauen Zeiten wie diesen kaum wieder werden, aber das Verdikt über den Götzen vergangener Tage lebt. Dabei scheint kaum eine Figur geeigneter, jene Leerstelle zu füllen, in die jetzt mit viel Aufwand Alexander von Humboldt gepresst wird.
Einem Irrenhause gleich
Es ist wohl ein Zeichen von Ignoranz, Kleinmut auch und Schwäche, Schillers Größe nicht verstehen oder ihm Größe nur für seine Zeit zusprechen zu können. Zumindest wird, wer Rüdiger Safranskis große Schiller-Biografie liest, diese Vermutung nicht von der Hand weisen. Nach Jahrzehnten der Verachtung, nach Jahren der interesselosen Kommentierung nimmt Safranski einen abgerissenen Faden wieder auf. Er schaut nicht hinauf, und er schaut nicht herab. Er sieht Schiller, was selbst Rudolf Borchardt als Unmöglichkeit galt, „Auge in Auge”.
Das äußere Leben des 1759 geborenen Schwaben bietet hier und da dramatische Szenen. Wir wissen Bescheid über die aufgeklärte Despotie an der Karlsschule, die Flucht nach Mannheim, während ein Feuerwerk den Himmel über Stuttgart erhellte. Bekannt sind erregte Stunden im Theater, etwa die Uraufführung der „Räuber” am 13. Januar 1782, als das Theater „einem Irrenhause glich, „ rollende Augen, geballte Fäuste, stampfende Füße, heisere Aufschreie im Zuschauerraum! Fremde Menschen fielen einander schluchzend in die Arme, Frauen wankten, einer Ohnmacht nahe, zur Tür.” Ein beispielloser Triumph, mit bacchantischen Jubelrufen, Pauken und Trompeten, wird auch die Leipziger Aufführung der „Johanna von Orleans” am 17. September 1801. Aber Schillers Weg von Mannheim nach Weimar, der brüderliche Bund mit Körner und Huber, die Auftritte als Professor in Jena, die Freundschaft mit Goethe bieten dem Biografen doch weit weniger Erzählstoff als die wendungsreichen Lebensgänge der Hölderlin, Kleist, Brentano oder Goethe. Wenige Reisen, einiger Erfolg, viel Arbeit. Dies war ein Leben für den Schreibtisch.
Dramatik verleiht ihm Safranski, indem er Schiller als einen Abenteurer des Gedankens wie der geglückten Formulierung zeigt. Er gilt ihm als „Enthusiast der Freiheit”, der das „Ungeheure der Freiheit erkundet wie kaum ein anderer vor ihm”. Der Wille, sich von äußerem Druck, physischen Begierden und körperlichen Schwächen, vom „Gemeinen”, nicht unterkriegen zu lassen, verbindet Werk und Leben. Dank dieser Intuition kann Safranski uns die Peinlichkeit vieler Biografien ersparen, die ihre Helden im Alltäglichen versinken lassen, um der Erzählung Farbe zu verleihen. Details über den Mann mit den rötlichen Haaren, den schnell blinzelnden Augen und dem öfteren Lächeln findet der Leser genug, aber sie dienen beinahe restlos dem Ganzen. Safranskis These von der Erfindung des Idealismus durch Schiller ordnet den Stoff zwanglos. Auf Vollständigkeit und literaturwissenschaftlichen Jargon, die Peter-André Alts Schiller-Biografie so unlesbar wie für Studenten nützlich machen, wird hier verzichtet. Safranski resümiert nicht bereits Gewusstes, er will ein Bild entwerfen, und das gelingt auf großartige Weise.
Schiller, der zu dichten begann aus „Lust am rednerischen Effekt” und im Wissen, dass er zu wenig von den Menschen erfahren, zu wenig Welt kennengelernt hatte, erscheint als „Mensch des Vorgriffs”. „Wenn es eine Erfahrungsarmut gibt, kann man auf sie spekulieren”, schreibt Safranski, „wie man mit Geld spekuliert, das einem nicht gehört. ... man erfindet etwas, das später vielleicht als Erfahrung gelten kann.”
Nach diesem Muster zeigt Safranskis Schiller sich stets unwillig vor den Tatsachen, der Welt, wie sie nun einmal ist, das Haupt zu beugen. Er rechnet mit ihnen, aber er lässt ihnen nicht das letzte Wort. „Das Wirkliche machte einen ängstlichen Eindruck auf ihn”, erzählte seine Frau Charlotte. Was für Goethe das Vertrauen in die Welt, war für Schiller der Glaube an die Kraft des Individuums und des Geistes. Einem Jugendfreund gab er den Laufpass, weil er dem Ideal eines Freundes nicht entsprach. Zu Körner und Huber fährt er, ohne sie näher zu kennen, weil ihm gewiss schien, dass der idealische Schwung das Leben formen könne. Und im Vorgriff entwarf er ein Bild seiner selbst, dem er dann folgen musste. Inmitten der Zwänge von Natur und Gesellschaft wird die Kunst zur „ultimativen Lockerungsübung”.
Zum Heroismus dieses Lebens gehört der ständige Kampf gegen die Krankheit, der das gesamte klassische Werk abgerungen ist. Er kennt, spürt seine Leiden, Krämpfe, Verstopfungen, er lässt sie nicht gelten, will unsern „physischen Zustand, der durch die Natur bestimmt werden kann, gar nicht zu unserm Selbst rechnen, sondern als etwas Auswärtiges und Fremdes”.
Aber dieser Idealismus ist nicht blind, keine Flucht, sondern Folge präziser Beobachtung. Schiller war Mediziner, berüchtigt für Rosskuren und mit den Anfechtungen eines physiologischen Materialismus gut vertraut. Im Durchgang durch die drei medizinischen Dissertationen des Karlsschülers zeigt Safranski, wie inmitten der Beschäftigung mit der Maschinerie des Körpers eine Philosophie der Freiheit entsteht. Wenn Reize unsere Vorstellungen erzeugen, diese Vorstellungen unser Handeln bestimmen, dann scheint in dieser kausal geordneten Welt kein Platz für die Freiheit. Der junge Schiller findet ihn dennoch, indem er eine Theorie der Aufmerksamkeit entwickelt: Die Seele lenkt das Denkorgan, wählt Eindrücke und Ideenverbindnungen, mithin ist Freiheit.
Enthusiast und Skeptiker
Ihren Höhepunkt erreicht die Biografie, wenn Safranski sich dem Räderwerk des „Don Karlos” zuwendet, dieses „Drama über eine republikanische Verschwörung von Links” mit dem „Geisterseher”, „den Roman über eine Verschwörung von Rechts” konfrontiert, wenn er den universalhistorischen Optimismus der Jenenser Antrittsvorlesung mit dem Nihilismus des philosophischen Gespräches aus dem Geisterseher konfrontiert. In einer tour de force gelangt er zu jener gern übersehenen Doppelgesichtigkeit des Schillerschen Idealismus, dem beides vertraut war: die Ansicht, wir seien einer fühllosen Notwendigkeit ohne jeden Sinn unterworfen wie der Glaube an einen „lebenden und liebenden Zusammenhang”, dem der philosophische Kopf einen Zweck, ein Endziel unterstellen mag. Der Enthusiast Schiller ist, so Safranski, ohne den Skeptiker nicht zu haben. Wer Schiller ins Auge blickt, mag einen Götterjüngling erblicken, aber einen, der die Hölle, das Nichts, besser kennt als all die schwunglosen Gestalten, die ihn aus beinahe gleichen Gründen verachten oder bewundern.
So grandios, pointenreich, in schlagfertigen Sätzen Safranski dem Denker ein Gesicht zu geben weiß, so wenig sagt er über den Meister der Form. Die Werke sind ihm „Spielformen der Lebensarbeit”, klug inszenierte Experimente, Formanalyse findet nicht statt, obwohl doch Schiller im letzten Jahrzehnt seines Lebens als Fetischist des Formbegriffs gelten muss. Das Fehlen hat seine Gründe in der Sache, schließlich ließ sich Schiller nicht hindern, Formen nach seinem Willen und Zweck zu entwerfen, sodass manches in seinem Werk jedem Klassizisten formlos, ohne Gestalt erscheinen muss. Hier wird das Problem übergangen. Auch wundert man sich, wie wenig Raum den späten Dramen zugemessen ist, wie brav Safranski, der doch in wenigen Sätzen eine Denklandschaft ohne Vergröberung darzustellen vermag, der Freundschaft mit Goethe gegenüber tritt. Aber das sind kleine Mäkeleien angesichts eines Buches, in dem uns Schiller als Zeitgenosse wieder geschenkt wird.
JENS BISKY
RÜDIGER SAFRANSKI: Schiller oder die Erfindung des deutschen Idealismus. Carl Hanser Verlag, München, Wien 2004. 560 Seiten, 25,90 Euro.
„Hab ich mein Weib ermordet, Genueser? - Ich beschwöre Euch, schielt nicht so geisterbleich auf dieses Spiel der Natur. . . ” Vor einem Entwurf zur Bühnenbearbeitung des „Fiesko” eine zeitgenössische Illustration zum zwölften Auftritt des fünften Aktes. In sechsunddreißig essayistisch angelegten Kapiteln, nüchtern und plastisch zugleich, wird Schillers Leben hier erzählt, werden zeitgenössische Abbildungen mit aktuellen Fotografien kombiniert - sodass der Abstand der Zeiten sichtbar wird. (Axel Gellhaus, Norbert Oellers: Schiller. Bilder und Texte zu seinem Leben. Böhlaus Verlag Köln, Weimar 2004. 406 Seiten, 29,90 Euro).
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Als einen Sartre des 18. Jahrhunderts zeichnet Rüdiger Safranski Schiller in seinem biografischen Porträt, als einen Philosophen der Freiheit, so Rezensent Manfred Koch. Allerdings handele es sich um einen problematischen, einen gebrochenen Freiheitsbegriff, in dessen Zentrum das Pathos der Wahl steht, die jeder Mensch, auch in der auswegslosesten Situation noch, hat. Safranski zeige in seinem Werk, das pünktlich zu Schillers anstehendem 200. Geburtstag auf den Markt kommt, wie der existenzialistisch-idealistische Dichterphilosoph sich in allen seinen Dramen an der "Tragik einer letztlich heimatlosen Freiheit" abgearbeitet hat. Dabei erweise sich Safranski, wie schon in seinen Studien über Nietzsche und Heidegger, als absolut souverän im Umgang mit den kulturgeschichtlichen Zeithintergründen . Wie der Biograf etwa Fichtes Ich-Philosophie bündelt, nötigt dem Rezensenten Respekt ab. Als wohltuend notiert Koch auch Safranskis Verzicht auf "dramatische Stilisierungen", zu denen ein "Athlet des Willens" wie Schiller natürlich Anlass gegeben hätte.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"... grandios, pointenreich, schlagfertig. Ein Buch, in dem uns Schiller als Zeitgenosse wieder geschenkt wird." Jens Bisky, Süddeutsche Zeitung, 18./19.09.04
"Die Schiller-Biographie für unsere Zeit. Allein dafür ist dieses Buch bereits zu loben und zu preisen, daß es so elegant die Balance hält zwischen lebenssatten Anekdoten und intellektueller Biographie. Die Abenteuer des Denkens, in die sich dieser Dichter versteigt, mit sicherer Hand nachzuzeichnen und pointiert zu bewerten, ist Safranskis große Stärke. Besser kann das Schillerjahr 2005 nicht eingeläutet werden." Tilman Krause, Die Welt, 09.10.04
"Rüdiger Safranski präsentiert einen modernen Dichter, einen Meister der Ambivalenz, einen Vordenker. ... Anspruchsvoll, doch gut lesbar verbindet Safranski Schillers Denken, Schreiben, sein privates wie öffentliches Leben und die Zeithintergründe zu einem Gesamtbild, das die Modernität nicht behauptet, sondern in herausragenden Werkanalysen evident macht." Rolf-Bernhard Essig, Die Zeit, 07.10.04
"Faktenreich, prägnant und verständlich ... Eine Schiller-Biographie, die Verstand und Gefühl gleichermaßen anspricht und viele überraschende Einsichten und Entdeckungen bietet, fraglos ein großer Wurf. Sie regt an, sich mit Schiller näher zu befassen - erneut oder zum ersten Mal, je nachdem. Aber auch Safranskis Werk selbst lädt ein zum Wiederlesen und Nachschlagen, ist es doch eine wahre Fundgrube, die man so schnell nicht ausschöpft." Ursula Homann, Frankfurter Rundschau, 22.09.04
"Man greife zu Safranskis Buch, und man wird die Erfahrung machen: Schiller ist immer noch da. Und wie! Rüdiger Safranski ist ein souveräner und nobler Anwalt seines Autors, ein Ritter ohne Furcht und Tadel, der in vollkommener Liberalität daherkommt." Hans-Jürgen Schings, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.10.04
"Eine bemerkenswerte und anspruchsvolle Biografie, die in den Lebensthemen des Dichters die Ideengeschichte einer der produktivsten Epochendes deutschen Denkens nachzeichnet. Safranski beweist, dass Biografien zugleich philosophie- und kulturgeschichtliche Einführungen auf höchstem Niveau sein können. Was Safranski in diesem Kontext leistet, ist erstaunlich." Manfred Koch, Neue Zürcher Zeitung, 25./26.09.04
"Ein herausragendes Buch. Safranski macht Lust auf Schiller." Odo Marquardt, Deutsche Welle, 26.09.04
"Die Biografie Safranskis lässt das Faszinierende von Schillers Ästhetik funkeln und leuchten, ja strahlen. ... Safranski zeigt auf eindrucksvolle Weise, welche Lust und welches Vergnügen es bereiten kann, sich einmal mit den Tugenden und Leistungen eines Autors wie Friedrich Schiller auseinander zu setzen. ...eine rundum gelungene Hommage." Gunther Nickel, Tages-Anzeiger, 16.10.04
"Erklärt klug und trotzdem enorm unterhaltsam, warum Schiller eine ganze Epoche in Schwung gebracht hat - und warum es höchste Zeit für eine Schiller-Renaisance wäre." Brigitte Kultur, 1/05
"Die Schiller-Biographie für unsere Zeit. Allein dafür ist dieses Buch bereits zu loben und zu preisen, daß es so elegant die Balance hält zwischen lebenssatten Anekdoten und intellektueller Biographie. Die Abenteuer des Denkens, in die sich dieser Dichter versteigt, mit sicherer Hand nachzuzeichnen und pointiert zu bewerten, ist Safranskis große Stärke. Besser kann das Schillerjahr 2005 nicht eingeläutet werden." Tilman Krause, Die Welt, 09.10.04
"Rüdiger Safranski präsentiert einen modernen Dichter, einen Meister der Ambivalenz, einen Vordenker. ... Anspruchsvoll, doch gut lesbar verbindet Safranski Schillers Denken, Schreiben, sein privates wie öffentliches Leben und die Zeithintergründe zu einem Gesamtbild, das die Modernität nicht behauptet, sondern in herausragenden Werkanalysen evident macht." Rolf-Bernhard Essig, Die Zeit, 07.10.04
"Faktenreich, prägnant und verständlich ... Eine Schiller-Biographie, die Verstand und Gefühl gleichermaßen anspricht und viele überraschende Einsichten und Entdeckungen bietet, fraglos ein großer Wurf. Sie regt an, sich mit Schiller näher zu befassen - erneut oder zum ersten Mal, je nachdem. Aber auch Safranskis Werk selbst lädt ein zum Wiederlesen und Nachschlagen, ist es doch eine wahre Fundgrube, die man so schnell nicht ausschöpft." Ursula Homann, Frankfurter Rundschau, 22.09.04
"Man greife zu Safranskis Buch, und man wird die Erfahrung machen: Schiller ist immer noch da. Und wie! Rüdiger Safranski ist ein souveräner und nobler Anwalt seines Autors, ein Ritter ohne Furcht und Tadel, der in vollkommener Liberalität daherkommt." Hans-Jürgen Schings, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.10.04
"Eine bemerkenswerte und anspruchsvolle Biografie, die in den Lebensthemen des Dichters die Ideengeschichte einer der produktivsten Epochendes deutschen Denkens nachzeichnet. Safranski beweist, dass Biografien zugleich philosophie- und kulturgeschichtliche Einführungen auf höchstem Niveau sein können. Was Safranski in diesem Kontext leistet, ist erstaunlich." Manfred Koch, Neue Zürcher Zeitung, 25./26.09.04
"Ein herausragendes Buch. Safranski macht Lust auf Schiller." Odo Marquardt, Deutsche Welle, 26.09.04
"Die Biografie Safranskis lässt das Faszinierende von Schillers Ästhetik funkeln und leuchten, ja strahlen. ... Safranski zeigt auf eindrucksvolle Weise, welche Lust und welches Vergnügen es bereiten kann, sich einmal mit den Tugenden und Leistungen eines Autors wie Friedrich Schiller auseinander zu setzen. ...eine rundum gelungene Hommage." Gunther Nickel, Tages-Anzeiger, 16.10.04
"Erklärt klug und trotzdem enorm unterhaltsam, warum Schiller eine ganze Epoche in Schwung gebracht hat - und warum es höchste Zeit für eine Schiller-Renaisance wäre." Brigitte Kultur, 1/05