Schloss Friedrichstein, der Familiensitz der Grafen von Dönhoff, war das prächtigste unter den Schlössern Ostpreußens. Erbaut im frühen 18. Jahrhundert ist es heute vor allem bekannt als Heimatort von Marion Gräfin von Dönhoff, die im Januar 1945 aus Ostpreußen fliehen musste. Nach dem Krieg wurde das Schloss von den Sowjets dem Erdboden gleichgemacht. Der Kunsthistoriker Kilian Heck und der Dirigent Christian Thielemann erforschen seit Jahren mit Leidenschaft und Akribie die wechselhafte Geschichte des Barockschlosses. Dabei haben sie Erstaunliches ans Licht gebracht: Entgegen der bisherigen Annahme sind bedeutende Teile der Ausstattung wie prachtvolle Wandteppiche und kostbare Gemälde keineswegs verloren, sondern bis heute gut erhalten. Ihre begeisternden Funde präsentiert der prachtvoll ausgestattete Band hier erstmals der Öffentlichkeit. Darüber hinaus wird von ausgewiesenen Fachleuten die Geschichte dieses trotz seiner immensen Bedeutung nie gründlich erforschten Schlosses von den Anfängen bis in die Gegenwart erzählt.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 18.05.2007Das Herrenhaus der Grafen Dönhoff in Ostpreußen
Die Rote Armee zerstörte 1945 Schloss Friedrichstein - ein meisterliches Buch hat den geschichtsträchtigen Barockbau rekonstruiert
"Ein Urwald hat die Zivilisation verschlungen", klagte die Publizistin Marion Gräfin Dönhoff 1989 nach einem lange hinausgeschobenen Besuch ihres Vaterhauses Friedrichstein. "Das riesige Schloss ist wie vom Erdboden verschluckt, nichts ist davon geblieben, nicht einmal ein Trümmerhaufen." Zu Schutt und Asche zerfallen war das schönste Herrenhaus Ostpreußens, von Angehörigen der Roten Armee in Brand gesetzt, bereits im Januar 1945. Bis zur endgültigen Vernichtung des Gebäudes zwölf Jahre später hielten sich noch ruinöse Reste des Erdgeschosses; danach wurde der Baugrund aufkeimenden Brennesseln und wild wucherndem Gesträuch überlassen.
Marion Dönhoffs einprägsame Schilderungen einer unbeschwerten Kindheit im Memelland bewogen den Dirigenten Christian Thielemann noch zu Lebzeiten der 2002 gestorbenen Autorin, eine wissenschaftliche Untersuchung des alteingesessenen Adelsgeschlechtes und seines Stammhauses anzuregen. Einen couragierten Mitstreiter für sein Projekt fand er in dem Kunsthistoriker Kilian Heck, der namhafte Fachleute zur Bearbeitung von Teilaspekten heranzog. Sonderkapitel der Neuerscheinung gelten der Genealogie, den Gartenanlagen, der Tafelkultur, der Person des kunstsinnigen August von Dönhoff und den Schnappschüssen, die dessen jüngste Tochter Marion dem elterlichen Anwesen und seiner berückend schönen Umgebung widmete.
Naturgemäß galt das Hauptinteresse der Initiatoren einer Bestandsaufnahme des unwiederbringlich verlorenen Schlosses, eines Juwels barocker Architektur, das nach neueren Forschungen auf den Franzosen Jean de Bodt zurückgeht, der in Berlin am Bau des Zeughauses mitwirkte und in Potsdam Teile des Stadtschlosses entwarf. Dass in Friedrichstein zwischen 1709 und 1714 eine reich gegliederte "Palast-Fassade" von 67 Metern Länge entstehen konnte, ist der vorgesehenen Nutzung als "Königsschloss" zu danken. Mit Finckenstein und Schlobitten sollte Friedrichstein preußischen Potentaten bei Inspektionsreisen in die östlichen Provinzen eine standesgemäße Unterkunft bieten.
Otto Magnus Graf von Dönhoff, der Erbauer des Schlosses, besaß als preußischer General und aktiver Teilnehmer an der Krönung Friedrichs III. in Königsberg die Gunst des Hauses Hohenzollern. Zur obligatorischen Ausstattung eines königlichen Logis gehörten seinerzeit monumentale Wandteppiche mit mythologischen oder historischen Darstellungen. Vermutlich bereits von Otto Magnus in die Gesellschaftsräume integriert wurden acht Gobelins mit Szenen aus dem Leben Alexanders des Großen, die auf Vorlagen von Jacob Jordaens basierten. Fotografische Bestandsaufnahmen von 1910 zeigen das stilistische Bric-à-brac des Möbelinventars vor der Kulisse kostbarer Tapisserien aus Flandern. Voluminöse Danziger Aufsatzschränke hatten sich wohl oder übel mit einem gründerzeitlichen Harmonium, neobarocken Buffets und einer Kommode im erlesenen Geschmack des friderizianischen Rokoko zu vertragen, die 1983 von der Potsdamer Schlösserverwaltung erworben wurde.
Entgegen der Erklärung Marion Dönhoffs, die in ihrem Erfolgsbuch "Namen, die keiner mehr nennt" 1962 noch vom Totalverlust der Kunstschätze und Archive gesprochen hatte, überdauerte den Flammensturm von 1945 eine größere Zahl vorsorglich "evakuierter" Objekte, die August von Dönhoff in engem Kontakt mit dem Berliner Museumsdirektor Wilhelm von Bode erwerben konnte. Als Vorsitzender des 1897 gegründeten Kaiser-Friedrich-Museums-Vereins zum Kenner herangereift, frönte der vormalige Diplomat nicht nur seiner Neigung zu weiblichen Akten in Gestalt von Göttinnen, Nymphen und Sabinerinnen, sondern versuchte darüber hinaus, den in zweihundert Jahren erworbenen Hausstand im Kontext der Epochen zu ergänzen und zu verbessern.
Auf Augusts Urgroßvater Christian geht die Umgestaltung weiter Teile des barocken Gartens in eine Parklandschaft nach englischem Vorbild zurück. Seinen topographischen Reiz zog Friedrichstein aus einem vorgelagerten See, dessen natürliche Schönheit, wie aktuelle Fotos zeigen, keinerlei Schaden erlitt, wohingegen die Gutshäuser Groß Barthen und Skandau kriegsbedingt zerstört wurden und Dönhoffstädt, dessen Fassade der Schauseite von Friedrichstein geschwisterlich ähnelt, zu verfallen droht.
CAMILLA BLECHEN
Kilian Heck, Christian Thielemann (Hrsg.): "Friedrichstein". Das Schloss der Grafen von Dönhoff in Ostpreußen. Deutscher Kunstverlag, München 2006. 320 S., 60 Farbtafeln, 200 S/W-Abb., geb., 68,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Die Rote Armee zerstörte 1945 Schloss Friedrichstein - ein meisterliches Buch hat den geschichtsträchtigen Barockbau rekonstruiert
"Ein Urwald hat die Zivilisation verschlungen", klagte die Publizistin Marion Gräfin Dönhoff 1989 nach einem lange hinausgeschobenen Besuch ihres Vaterhauses Friedrichstein. "Das riesige Schloss ist wie vom Erdboden verschluckt, nichts ist davon geblieben, nicht einmal ein Trümmerhaufen." Zu Schutt und Asche zerfallen war das schönste Herrenhaus Ostpreußens, von Angehörigen der Roten Armee in Brand gesetzt, bereits im Januar 1945. Bis zur endgültigen Vernichtung des Gebäudes zwölf Jahre später hielten sich noch ruinöse Reste des Erdgeschosses; danach wurde der Baugrund aufkeimenden Brennesseln und wild wucherndem Gesträuch überlassen.
Marion Dönhoffs einprägsame Schilderungen einer unbeschwerten Kindheit im Memelland bewogen den Dirigenten Christian Thielemann noch zu Lebzeiten der 2002 gestorbenen Autorin, eine wissenschaftliche Untersuchung des alteingesessenen Adelsgeschlechtes und seines Stammhauses anzuregen. Einen couragierten Mitstreiter für sein Projekt fand er in dem Kunsthistoriker Kilian Heck, der namhafte Fachleute zur Bearbeitung von Teilaspekten heranzog. Sonderkapitel der Neuerscheinung gelten der Genealogie, den Gartenanlagen, der Tafelkultur, der Person des kunstsinnigen August von Dönhoff und den Schnappschüssen, die dessen jüngste Tochter Marion dem elterlichen Anwesen und seiner berückend schönen Umgebung widmete.
Naturgemäß galt das Hauptinteresse der Initiatoren einer Bestandsaufnahme des unwiederbringlich verlorenen Schlosses, eines Juwels barocker Architektur, das nach neueren Forschungen auf den Franzosen Jean de Bodt zurückgeht, der in Berlin am Bau des Zeughauses mitwirkte und in Potsdam Teile des Stadtschlosses entwarf. Dass in Friedrichstein zwischen 1709 und 1714 eine reich gegliederte "Palast-Fassade" von 67 Metern Länge entstehen konnte, ist der vorgesehenen Nutzung als "Königsschloss" zu danken. Mit Finckenstein und Schlobitten sollte Friedrichstein preußischen Potentaten bei Inspektionsreisen in die östlichen Provinzen eine standesgemäße Unterkunft bieten.
Otto Magnus Graf von Dönhoff, der Erbauer des Schlosses, besaß als preußischer General und aktiver Teilnehmer an der Krönung Friedrichs III. in Königsberg die Gunst des Hauses Hohenzollern. Zur obligatorischen Ausstattung eines königlichen Logis gehörten seinerzeit monumentale Wandteppiche mit mythologischen oder historischen Darstellungen. Vermutlich bereits von Otto Magnus in die Gesellschaftsräume integriert wurden acht Gobelins mit Szenen aus dem Leben Alexanders des Großen, die auf Vorlagen von Jacob Jordaens basierten. Fotografische Bestandsaufnahmen von 1910 zeigen das stilistische Bric-à-brac des Möbelinventars vor der Kulisse kostbarer Tapisserien aus Flandern. Voluminöse Danziger Aufsatzschränke hatten sich wohl oder übel mit einem gründerzeitlichen Harmonium, neobarocken Buffets und einer Kommode im erlesenen Geschmack des friderizianischen Rokoko zu vertragen, die 1983 von der Potsdamer Schlösserverwaltung erworben wurde.
Entgegen der Erklärung Marion Dönhoffs, die in ihrem Erfolgsbuch "Namen, die keiner mehr nennt" 1962 noch vom Totalverlust der Kunstschätze und Archive gesprochen hatte, überdauerte den Flammensturm von 1945 eine größere Zahl vorsorglich "evakuierter" Objekte, die August von Dönhoff in engem Kontakt mit dem Berliner Museumsdirektor Wilhelm von Bode erwerben konnte. Als Vorsitzender des 1897 gegründeten Kaiser-Friedrich-Museums-Vereins zum Kenner herangereift, frönte der vormalige Diplomat nicht nur seiner Neigung zu weiblichen Akten in Gestalt von Göttinnen, Nymphen und Sabinerinnen, sondern versuchte darüber hinaus, den in zweihundert Jahren erworbenen Hausstand im Kontext der Epochen zu ergänzen und zu verbessern.
Auf Augusts Urgroßvater Christian geht die Umgestaltung weiter Teile des barocken Gartens in eine Parklandschaft nach englischem Vorbild zurück. Seinen topographischen Reiz zog Friedrichstein aus einem vorgelagerten See, dessen natürliche Schönheit, wie aktuelle Fotos zeigen, keinerlei Schaden erlitt, wohingegen die Gutshäuser Groß Barthen und Skandau kriegsbedingt zerstört wurden und Dönhoffstädt, dessen Fassade der Schauseite von Friedrichstein geschwisterlich ähnelt, zu verfallen droht.
CAMILLA BLECHEN
Kilian Heck, Christian Thielemann (Hrsg.): "Friedrichstein". Das Schloss der Grafen von Dönhoff in Ostpreußen. Deutscher Kunstverlag, München 2006. 320 S., 60 Farbtafeln, 200 S/W-Abb., geb., 68,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Camilla Blechen schwelgt in dem Glanz des ostpreußischen Adels, den der Kunsthistoriker Kilian Heck und der Dirigent Christian Thielemann mit diesem Band wiederauferstehen lassen. Er rekonstruiert das Schloss Friedrichstein der Familie Dönhoff, angeblich das "schönste Herrenhaus Ostpreußens". Das Hauptinteresse der Herausgeber, so die Rezensentin, gilt der Bestandsaufnahme der 1945 zerstörten Anlage, die bei Blechen nicht nur als "Juwel barocker Architektur" Bewunderung hervorruft, sondern auch mit ihren Tapisserien, Gobelins und einem Jahrunderte umfassenden Bric-a-brac.
© Perlentaucher Medien GmbH
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