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Produktdetails
  • Film - Medium - Diskurs 28
  • Verlag: Königshausen & Neumann
  • Seitenzahl: 200
  • Erscheinungstermin: 24. Januar 2011
  • Deutsch
  • Abmessung: 235mm x 155mm
  • Gewicht: 390g
  • ISBN-13: 9783826042140
  • ISBN-10: 382604214X
  • Artikelnr.: 28239094
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Autorenporträt
Urs Büttner studierte Germanistik, Soziologie und Philosophie in Hagen, Eichstatt, Konstanz, Tübingen und Harvard. Zur Zeit schreibt er seine Doktorarbeit über Achim von Arnim in Tübingen.Christoph Bareither arbeitete mehrere Jahre bei Theater, Film und Fernsehen in den Bereichen Produktion, Drehbuch und Regie. Er studiert Neuere deutsche Literaturwissenschaft und Empirische Kulturwissenschaft an der Universität Tübingen und der University of North Carolina at Chapel Hill, wo er auch als Teaching Assistant tätig war.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.2011

Ermittlungen im Bauch von Berlin
Aufklärung als Suspense: Fritz Langs Jahrhundertfilm "M" in einer neuen Edition - und ein Buch zum Film

Der Regisseur ist der Mörder. Zumindest in einer sehr konkreten Hinsicht. Denn Peter Lorre, dem scheinbar alles möglich war in der Rolle des Kindermörders in Fritz Langs "M", konnte eines nicht: Er konnte nicht pfeifen. Das aber war für den Part unentbehrlich, denn das gepfiffene Lied "In der Halle des Bergkönigs" aus Edvard Griegs "Peer Gynt"-Suite ist die einzige Musik des Films und wird zum Leitmotiv für die aufkeimende Mordlust dieses Mannes - also pfiff es Lang kurzerhand selbst und drehte die Szenen so, dass der Trick nicht auffiel. So zumindest erzählte es Lang (1890 bis 1976) in einem seiner allerletzten Interviews im Frühjahr 1975. Es ist ebenso wie eine Reihe anderer Gespräche jetzt auszugsweise in einem Sammelband nachgedruckt, der sich ganz mit Langs wichtigstem und besten Film beschäftigt.

Ganz sicher, ob diese Anekdote stimmt, kann man sich allerdings nicht sein, denn für eine gute Pointe verriet der Regisseur schon gern einmal die reine Wahrheit und spitzte die Tatsachen entsprechend zu, auf dass sie sich noch besser erzählen ließen. Dies gilt zum Beispiel für die berühmte Behauptung, Joseph Goebbels habe Lang aufgrund des Erfolgs von "M" kurz nach der Machtergreifung in einem persönlichen Gespräch angeboten, "die Führerschaft des deutschen Films" zu übernehmen; er, Lang, habe jedoch brüsk abgelehnt, und "noch in derselben Nacht" Deutschland verlassen. Historiker haben das längst widerlegt - für das Treffen mit Goebbels gibt es keinen Beleg, dafür war Lang nach seiner offiziellen Emigration im Frühjahr 1933 nachweislich noch ein paarmal in Deutschland. Nur: Was ändert das alles am Ende schon? An Langs früher antinazistischer Gesinnung, am durch und durch liberalen Republikanismus des Regisseurs kann kein Zweifel bestehen, trotz mancher martialischer Heldenepen, die Lang selbst in späteren Jahren als "Schinken" ironisierte. Eine weitere Anekdote Langs, die bereits Siegfried Kracauer in seinem Buch "Von Caligari zu Hitler" (1947) zitiert, berichtet von jenem Berliner Produktionschef, der Lang sein Studio nicht für die Dreharbeiten zu "M" zur Verfügung stellen wollte - weil er Mitglied der NSDAP war und den Arbeitstitel "Mörder unter uns" intuitiv auf die Partei bezog.

Sieht man den Film heute wieder - in der ausgezeichnet restaurierten Fassung der schön ausgestatteten "Special Edition", die jetzt bei Universum erschienen ist -, dann wirkt er tatsächlich wie ein unmittelbarer, ätzender Kommentar zu seiner Entstehungszeit: den Wirren der untergehenden Weimarer Republik zwischen Brünings Notverordnungen und dem aufkommenden Nationalsozialismus. Denn "M" ist nicht nur eins der ersten Kinoportraits eines Serienkillers; in der detailliert geschilderten Verfolgung des Mörders zeigt Lang auch die Facetten der Gesellschaft seiner Zeit. Die Aggression der Menschenjagd und des Feme-Prozesses, den die Ganoven dem gefassten Täter machen, legt das wahre Gesicht der Epoche frei.

Die Kriminellen sind die effektivere Polizei; doch neben diese Effizienz tritt eine Skrupellosigkeit und latente Brutalität, in der noch heute leicht zu erkennen ist, dass Lang hier kommende Entwicklungen vorwegnimmt. Gustaf Gründgens spielt den "Schränker", einen Gangsterführer, der mit seinem Spazierstock und seinen schwarzen Lederhandschuhen als schillernder Engel der Brutalität erscheint - ein Heydrich der Unterwelt. Sein dämonischer Monolog in der Konferenz der Kriminellen wirkt wie eine Verkörperung des Bösen an sich, gerade weil er zunächst kühl mit ökonomischer Vernunft argumentiert ("ein Außenseiter verdirbt uns das Geschäft") und dafür plädiert, "wieder geordnete Verhältnisse" zu bekommen. Ohne Umschweife kündigt er an, wie das zu bewerkstelligen sei: "Diese Bestie hat kein Recht zu existieren, die muss ausgerottet und vertilgt werden, ohne Gnade und Barmherzigkeit." Dann legt der "Schränker" seine schwarze Hand auf die Straßenkarte von Berlin und fordert die totale Mobilmachung der Verbrecherorganisationen: "Wir müssen die Stadt mit einem Netz von Spitzeln überziehen. Jeder Quadratmeter muss unter ständiger Kontrolle stehen. Kein Kind darf einen Schritt tun, von dem wir nichts wissen." Gründgens' Hände über der Stadt werden unter Langs Blick zum Sinnbild des heraufziehenden Totalitarismus.

Berühmt sind diese Szenen auch durch die Montage, in der die Lagebesprechungen der Polizei und der Gangster ineinander verschränkt werden: Obwohl die Polizei als Wächter von Moral und Sicherheit auch gezeichnet wird, verschwimmen organisatorisch die Grenzen zwischen Polizei und Kriminellen, Staat und Verbrechen zusehends. Man sieht einfach zwei konkurrierende Systeme und ihre Manager bei der Arbeit.

Während solche Abschnitte auch Züge einer Gesellschaftssatire tragen, nimmt Lang eines immer ernst: das Leid der Kinder - und nicht nur jener, die zum Opfer des Mörders werden. Immer wieder schafft "M", auch ohne oberflächliche Schockeffekte, beim Zuschauer ein Bewusstsein für die Grausamkeit der Verbrechen, von denen die Rede ist. Noch in der letzten, durch ihre Sentimentalität aus dem Rahmen fallenden Szene sieht man die weinenden Mütter der Opfer und verlässt das Kino mit einem moralischen Appell: "Man muss eben noch besser auf die Kinder achtgeben!"

Mehr als alles andere bleibt aus dem Film das Gesicht von Peter Lorre im Gedächtnis. Der Schrecken scheint ihm doppelt eingeschrieben zu sein: Man sieht das zur Bestie gewordenen, ebenso brutale wie kranke Individuum: aber man sieht doch auch immer einen Menschen - eine Kreatur, die an sich selbst leidet und so unser Mitleid herausfordert. Zugrunde lagen dem Drehbuch die realen Fälle der bekannten, von der Massenpresse der Weimarer Republik nach allen Regeln der Kunst ausgeschlachteten Serienmörder Peter Kürten, Fritz Haarmann, Karl Denke und Carl Grossmann - Lang und seine Coautorin und Ehefrau Thea von Harbou bedienten sich aus Motiven ihrer Taten.

Im Gegensatz zu anderen Weimarer Filmen Langs gehört dieser ganz zum Kino der "Neuen Sachlichkeit". Momente eines dokumentarischen Realismus wie in Wilder/Siodmaks "Menschen am Sonntag" und Szenen, in denen durch rasante Montage Bilder einer "Stadt an sich" und eine Sinfonie der Massengesellschaft auf die Leinwand gebracht werden, verbinden sich mit einem humanen Naturalismus in der Schilderung der "kleinen Leute", der von Hauptmann und Brecht nicht so weit entfernt ist, wie man glauben möchte. Zugleich erlebt man die filmischen Umsetzung neuester Erkenntnisse der modernen Wissenschaften: Kriminologie, Psychologie, Soziologie, Physiognomie kommen zu ihrem Recht. Obwohl der Mörder schon nach wenigen Minuten zum ersten Mal zu sehen ist, handelt der Film wesentlich von der Suche nach ihm.

Immer wieder versetzt uns "M" in die Lage der Ermittler, zeigt Indizien, schildert Erkenntnisprozesse und schaut so der Vernunft bei der Arbeit zu: Aufklärung als Suspense. Auch filmtechnisch war "M" überaus innovativ. Als einer der Ersten nutzte Lang die Möglichkeiten des neuen Filmtons thematisch, und auch sein Spiel mit mehreren ineinander verschränkten Parallelhandlungen verdient Bewunderung: Ständig wechselt die Perspektive zwischen dem Mörder selbst, der ermittelnden Polizei und den verschiedenen Unterwelt banden, die, weil die Mörderjagd ihre Schattenwirtschaft stört, auf eigene Faust ermitteln.

Viel ließe sich noch über den Film sagen. Einiges davon übernimmt das Bonusmaterial. Dort findet man ein schönes Interview, dass Erwin Leiser Anfang der sechziger Jahre mit Lang geführt hat. Der Regisseur spricht in seinem englisch eingefärbten Wienerisch, gestikuliert mit großen, knöchernen Händen, und spürt das Charisma dieses Mannes. Über "M" selbst sagt Lang allerdings nichts Neues. Anstelle einer filmgeschichtlichen Einordnung und Weiterführung liefert der Audiokommentar von Elisabeth Lenk, Autorin eines Buches über Peter Kürten, und Regine Stürickow, die Biographin des Kürten-Jägers Ernst Gennat, viel Wissenswertes aus der Kriminalgeschichte der zwanziger Jahre, insbesondere Berlins. Hier erfährt man etwa, dass die heute feinste Gegend von Berlin-Mitte einst die ärmste war, in der sich Bauch und Unterleib der Hauptstadt befanden. Weitere Dokumentationen runden die gut ausgestattete Edition ab.

"Es ist möglich, dass wir in diesen Welten unsere jetzige wiedererkennen und sie so neu sehen lernen", schreibt der Filmwissenschaftler Anton Kaes in seinem lesenswerten Beitrag im erwähnten Sammelband. In den dort abgedruckten Kritiken zum damaligen Filmstart finden sich bereits die gleichen Argumente und Frontlinien, die auch die heutige Debatte über Gewalt im Kino zwischen Verherrlichung und Jugendschutz prägen.

Wie betrachtet man aus der Distanz von achtzig Jahren einen Film wie "M"? Als nostalgisches Zeugnis vergangener, vergleichsweise unschuldiger Zeiten? Oder gar ästhetisierend, wie manche heutige Kritiker nahelegen? Inzwischen erkennt man insbesondere, wie auch die im Jahre 1931 noch fernere Zukunft des Kinos bereits präsent oder mindestens angedeutet ist. Länger zu denken gibt allerdings ein Gedanke Kracauers: Lang, schrieb er, gebe in "M" in seiner Wendung weg von den "Nibelungen" und "Metropolis" zur Gegenwart "den Mythos nur preis, um auch das aktuelle Geschehen zu mythologisieren". Da ist etwas dran. Kein Film über Serienmörder ist ganz ohne Komplizenschaft.

RÜDIGER SUCHSLAND.

Fritz Lang: "M - Eine Stadt jagt einen Mörder".

Universum Film. Special Edition mit 2 DVDs. Zahlreiche Extras. Auch als Bluray.

Christoph Bareither, Urs Büttner (Hrsg.): "Fritz Lang ,M - Eine Stadt sucht einen Mörder'".

Königshausen & Neumann; Würzburg 2010; 224 Seiten, 29,80 [Euro].

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