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Bernhard Steck ist mit diesem Buch eine Führung durch die Ethnologie gelungen, die außerordentlich spannend, allgemeinverständlich und doch wissenschaftlich fundiert ist. Er zeigt die Grundanliegen der Völkerkunde von ihren Anfängen bis heute. Das Anderssein der Kulturen wird an Beispielen von Mythos und Politik, Krieg und Religion, Hautfarbe und Diskriminierung, Wachstum und Stagnation, Maskenspiel und Totendienst illustriert.

Produktbeschreibung
Bernhard Steck ist mit diesem Buch eine Führung durch die Ethnologie gelungen, die außerordentlich spannend, allgemeinverständlich und doch wissenschaftlich fundiert ist. Er zeigt die Grundanliegen der Völkerkunde von ihren Anfängen bis heute. Das Anderssein der Kulturen wird an Beispielen von Mythos und Politik, Krieg und Religion, Hautfarbe und Diskriminierung, Wachstum und Stagnation, Maskenspiel und Totendienst illustriert.
Autorenporträt
Bernhard Streck, geboren 1945, war bis 2010 Professor auf dem Lehrstuhl für Ethnologie der Universität Leipzig. Seine zahlreichen Veröffentlichungen betreffen Kulturtheorie, Fachgeschichte, Ethnographie und Tsiganologie. Er ist Mitglied der Sächsischen Akademie der Wissenschaften und der Frobenius-Gesellschaft Frankfurt am Main.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.07.1998

Vernunft ist Unsinn, Wohltat Plage
Bernhard Streck zeigt, wie die Ethnologie unser Weltbild auf den Kopf stellt

Die postmoderne Debatte hat die Fundamente aller Kulturwissenschaften brüchig werden lassen. In der Ethnologie sind ihre Folgen besonders spürbar. Die Kritiker des Faches, die es in den sechziger und siebziger Jahren als "Handlanger" des Kolonialismus und Imperialismus denunzierten, hatten es zumindest noch ernst genommen. Kaum war diese Krise überwunden, stellte die Repräsentationsdebatte der achtziger Jahre seinen wissenschaftlichen Charakter selbst zur Disposition. Auch Ethnologen erzählten nur Geschichten, so ließen ihre postmodernen Kritiker nun verlauten, und ihr Geschäft sei letztlich immer darauf hinausgelaufen, die Grenze zwischen "uns" und den "anderen" festzuschreiben.

Kulturelle Differenzen bestehen nun aber einmal, und würde es wirklich helfen, sie zu leugnen? Erst ihre Anerkennung macht es möglich, zu einem besseren Verstehen des kulturell anderen zu gelangen. Und das bleibt letztlich das oberste Ziel der "Wissenschaft von der Differenz", als die der Leipziger Ethnologe Bernhard Streck die Ethnologie definiert. Sein als "Führung" deklariertes Buch dient der Ehrenrettung eines Faches, das der kulturellen Grenzen nur bedarf, um sie zu überschreiten.

Schon Herder, den Streck als einen Gründervater der Ethnologie reklamiert, sei es darum zu tun gewesen, kulturelle Differenz nicht als Gefälle wahrzunehmen, sondern als Annahme der eigenen Begrenztheit. An diesem Programm der Verunsicherung haben sich Ethnologen seither immer wieder versucht. Gegen die Infantilisierung nichteuropäischer Kulturen, wie sie auch heute noch in der Rede von den "Unterentwickelten" die öffentliche Meinung beherrscht, war die Ethnologie schon früh zu Felde gezogen. Deutsche Völkerkundler wiesen nach, daß die sogenannten Naturvölker nicht "geschichtsloser" als andere Völker sind, und die britischen Funktionalisten zeigten wenig später anhand des zweckrationalen Charakters ihrer Institutionen und Gebräuche, daß sie genauso pragmatisch denken wie wir. Als ein Versuch der Rehabilitierung läßt sich selbst das monumentale Werk Pater Wilhelm Schmidts lesen, der in seinem zwölfbändigen "Ursprung der Gottesidee" zu belegen suchte, daß der Monotheismus selbst bei den vermeintlich primitivsten Völkern zu finden sei. Kaum eine andere Schulrichtung aber hat nach Streck die Anerkennung des anderen so konsequent betrieben wie die von Leo Frobenius begründete Kulturmorphologie. Die von ihm propagierte Öffnung zur Nachtseite des Lebens, seine Suche nach dem Dämonischen im Menschen und sein intuitives Erfassen fremder Weltbilder hätten Einsichten zutage gefördert, die dem modernen Vernunftglauben oft entgegenliefen. Das Interesse von Frobenius und seinem Schüler Jensen habe dem Exzessiven, Elementaren und Grausamen primitiver Bräuche gegolten, die sie allerdings, anders als ihre zeitgenössischen Kollegen, als Darstellung einer tiefreligiösen Ergriffenheit vom So-Sein der Welt deuteten.

In der Nachfolge dieses Ansatzes sieht auch Streck selbst sich als einen guide noir: Aufgabe der Ethnologie sei es, die Residuen des Archaischen, Primitiven und Heidnischen in fremden Kulturen ebenso wie in der eigenen, aufgeklärten Welt aufzudecken. Dementsprechend gerät seine "Führung" durch Ethnologie eher zu einer Umleitung in die oft dunklen Randzonen des Faches. Ein längerer Ausflug in die Geschichte des 1914 gegründeten Leipziger ethnologischen Instituts, an der sich die Indienstnahme des Faches für kolonialistische, rassistische und antiimperialistische Ideologien exemplarisch verfolgen läßt, eröffnet den Reigen. Es folgen Exkurse in die Entdeckungsgeschichte Afrikas, Anmerkungen zum islamischen Fundamentalismus und zum Heiligen Krieg, zu den mythischen Überlieferungen und zu den Fruchtbarkeitsriten südsudanesischer Völker. Ausführungen zur diskriminierenden Rolle, die Hautfarbenschattierungen auch in Afrika spielen, zur ethnologischen Reziprozitätstheorie und dem Beitrag, den sie für das Verständnis des "Korruptionssumpfs" in den Staaten der Dritten Welt leisten kann, zu Maskenspiel und Totendienst stehen oft unverbunden nebeneinander.

Durchgängig aber bleibt der Bezug auf Frobenius' kulturmorphologische Schule. Ein Kapitel über Jensens während des Krieges entwickelte Dema-Gottheiten-Theorie gilt der Wiederentdeckung eines heute zweifellos zu Unrecht in Vergessenheit geratenen Ansatzes. Streck zeigt überraschende Korrespondenzen zu neueren Untersuchungen auf. Hatte Jensen den in archaischen Mythen und Kulten zum Ausdruck gebrachten Zusammenhang von Leben und Tod, Wachstum und Vergehen noch unter dem Gesichtspunkt der Ergriffenheit und Erhabenheit interpretiert, so erfährt derselbe Sachverhalt bei dem von der Studentenbewegung geprägten Hans Peter Duerr eine hedonistische Umdeutung: Die entsprechenden Kulte erscheinen bei ihm als ein "lustvolles Happening". Beide Ethnologen betreiben eine Auslegung des Fremden im Eigenen, die sich an zeitgenössischen Strömungen orientiert. Beiden ist aber auch gemeinsam, daß sie wider den Stachel dessen löcken, was Streck als die "Monokultur der Vernunft" bezeichnet.

In gewisser Hinsicht gleichen Ethnologen den Tricksterfiguren der Mythologie und den heiligen Narren mystischer Traditionen, stellt Streck am Ende seines Rundgangs durch das Panoptikum ethnologischer An- und Einsichten fest. Ethnologen sind notorische Grenzgänger, die zu einer Erschütterung unserer eigenen Denkhorizonte beitragen. Provokant ist dementsprechend auch der Tenor von Strecks Buch. Liest es sich auch erfrischend, wenn er fortlaufend gegen die Regeln heutiger politischer Korrektheit verstößt, gegen die Entwicklungsgläubigen zu Felde zieht und das Lob archaischer Lebensformen singt, so vermag man ihm doch nicht in jedem Fall zu folgen. Wenn er vor der Brisanz ethnizistischer Bewegungen warnt und in diesem Zusammenhang seine Skepsis gegenüber der bei uns heute grassierenden "Ausländertümelei" zum Ausdruck bringt, bedient er sich einer Analogie, die Verhaltensweisen in eins setzt, wie sie unterschiedlicher kaum sein könnten. Auch erscheint der Respekt, den er den raunenden Altvorderen der deutschen Völkerkunde zollt, bisweilen übertrieben. Waren sie zu ihrer Zeit wirklich nonkonformistisch? Sie werden es durch die Lektüre, der man ihre Werke heute unterzieht. Unkonventionell im Blick auf den gegenwärtig vorherrschenden Zeitgeist ist dagegen Strecks eigener Zugang zum Fach. Auf diese Weise ist ein eigenwilliges, ein wichtiges Buch entstanden. KARL-HEINZ KOHL

Bernhard Streck: "Fröhliche Wissenschaft Ethnologie". Eine Führung. Edition Trickster im Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1997. 264 S., br., 36,- DM.

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