"From Kabbalah to Class Struggle" is an intellectual biography of Meir Wiener (1893-1941), a Austrian Jewish intellectual and a student of Jewish mysticism, who emigrated to the Soviet Union in 1926 and reinvented himself as a Marxist scholar and Yiddish writer.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2012Lebenswege von West nach Ost
Meir Wiener zwischen Zionismus, Sowjetmarxismus und jiddischer Literatur
Die Stürme der Geschichte sind über den Literaturwissenschaftler Meir Wiener (1893 bis 1941) hinweggefegt und haben sein Werk im Schutt seiner zerstörten Kultur begraben, weil er sich als Intellektueller in die falsche Richtung bewegte, nämlich von West nach Ost, statt wie die jüdischen Massen von Ost nach West. Der Sohn eines Krakauer Textilkaufmanns besuchte ein deutsches Gymnasium und wurde zu Hause in klassische jüdische Texte eingeführt. Er studierte in Wien, Basel und Zürich Philosophie, kehrte aber schon 1919 ohne Abschluss nach Wien zurück. Im Jahr darauf veröffentlicht er seine Übersetzungen mittelalterlicher hebräischer Dichtung ("Die Lyrik der Kabbalah") sowie einen Band eigener expressionistischer Lyrik unter dem Titel "Messias"
Der spirituelle Utopismus, der sich in diesen Publikationen ausdrückte, sollte für Wieners weiteres Leben bezeichnend bleiben. Sein Zionismus, dem er im Kreis um den Schriftsteller Eugen Höflich (Moshe Ben-Gavriel), Herausgeber der antibürgerlichen Zeitschrift "Esra," in Wien das Wort redete, war noch radikaler idealistisch als der Martin Bubers. Unter Höflichs Einfluss machte die religiöse und individualistische Kompenente in Wieners Denken einer materiellen Platz, die sich mit der Idee vom Volk als kollektiver Kraft verband. Wiener schrieb für "Esra" gegen die Parteipolitik der Zionisten; er glaubte, dass der von den angloamerikanischen Zionisten pragmatisch betriebene Aufbau eines jüdischen Staates in Palästina den spirituellen Zionismus zerstöre und die nötige geistige Wiedergeburt der Juden verhindere.
Wie viele assimilierte Intellektuelle seiner Zeit glaubte Wiener, dass die Erlösung der Juden vom spirituell entwurzelnden, aggressiven Materialismus des Westens im Osten zu finden war. Mikhail Krutikov spricht in seinem Buch "From Kabbalah to Class Struggle. Expressionism, Marxism, and Yiddish Literature in the Life and Work of Meir Wiener" (2011) von einer durch Buber in die Welt gesetzten Illusion eines "deutsch-jüdischen Orientalismus", und er zeigt, welche bizarre Blüten sie trieb: von Else Lasker-Schüler bis Leopold Weiss aus Lemberg, der unter dem Namen Muhammad Asad am Aufbau des islamischen Staates Pakistan beteiligt war.
Meir Wiener selbst kam nur bis in die Sowjetunion, wo er sich in den dreißiger Jahren als marxistischer Kritiker der jiddischen Literatur etablierte. Zur jiddischen Sprache fand Wiener, weil er vom Kult der Ostjuden erfasst wurde und dadurch 1921 in Berlin die Bekanntschaft der russisch-jiddischen Schriftsteller Leib Kwitko und Pinchas Kaganowitsch (der Nister) machte, die später Opfer Stalins wurden. Wiener gab den Bitten Kwitkos nach und siedelte 1926 als einer von 433 Österreichern in die Sowjetunion über. In Kiew und Charkow erfuhr er eine kulturelle Verwandlung, die ihn nicht nur zu einem der führenden Literaturmarxisten machte, sondern auch zum Romancier und Novellisten. Krutikov vergleicht ihn mit Walter Benjamin und Georg Lukács und zeigt, wie Wiener die Synthese von jüdischen und sowjetischen Denken gelang.
Wieners ehrgeizigstes Projekt, das er nach seiner Niederlassung in Moskau 1931 vorantrieb, war nichts Geringeres als eine marxistische Geschichte der jiddischen Literatur seit der Aufklärung. Als er 1941 fiel, war sie unvollendet. Doch Wieners Auseinandersetzungen mit den großen jiddischen Autoren des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts lagen schon vor und erschienen 1945 und 1946 in New York in einer zweibändigen, von Nakhmen Mayzel besorgten Ausgabe unter dem Titel "Tsu der geshikhte fun yidisher literatur in 19ten yorhundert". Wieners Analysen waren rabiat. Vor allem, was die beiden Gründerväter der modernen jiddischen Literatur betraf, Sholem Abramovitsh und Sholem Rabinovitsh, die unter den Pseudonymen Mendele Moykher-Sforim und Sholem Aleichem schrieben. Nicht als volkstümliche Humoristen erschienen sie ihm, sondern als entschiedene Modernisten. 1941 meldete sich Wiener als Freiwilliger zum Moskauer Schriftsteller-Bataillon. Er fiel wenige Monate später bei Wjasma. Hätte er überlebt, wäre er vermutlich in den judenfeindlichen Kampagnen der Jahre 1948 bis 1953 verfolgt worden.
"Als Kriegsheld aber", so Krutikov, "blieb ihm die posthume Diffamierung erspart, und seine Familie wurde in Frieden gelassen."
SUSANNE KLINGENSTEIN
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Meir Wiener zwischen Zionismus, Sowjetmarxismus und jiddischer Literatur
Die Stürme der Geschichte sind über den Literaturwissenschaftler Meir Wiener (1893 bis 1941) hinweggefegt und haben sein Werk im Schutt seiner zerstörten Kultur begraben, weil er sich als Intellektueller in die falsche Richtung bewegte, nämlich von West nach Ost, statt wie die jüdischen Massen von Ost nach West. Der Sohn eines Krakauer Textilkaufmanns besuchte ein deutsches Gymnasium und wurde zu Hause in klassische jüdische Texte eingeführt. Er studierte in Wien, Basel und Zürich Philosophie, kehrte aber schon 1919 ohne Abschluss nach Wien zurück. Im Jahr darauf veröffentlicht er seine Übersetzungen mittelalterlicher hebräischer Dichtung ("Die Lyrik der Kabbalah") sowie einen Band eigener expressionistischer Lyrik unter dem Titel "Messias"
Der spirituelle Utopismus, der sich in diesen Publikationen ausdrückte, sollte für Wieners weiteres Leben bezeichnend bleiben. Sein Zionismus, dem er im Kreis um den Schriftsteller Eugen Höflich (Moshe Ben-Gavriel), Herausgeber der antibürgerlichen Zeitschrift "Esra," in Wien das Wort redete, war noch radikaler idealistisch als der Martin Bubers. Unter Höflichs Einfluss machte die religiöse und individualistische Kompenente in Wieners Denken einer materiellen Platz, die sich mit der Idee vom Volk als kollektiver Kraft verband. Wiener schrieb für "Esra" gegen die Parteipolitik der Zionisten; er glaubte, dass der von den angloamerikanischen Zionisten pragmatisch betriebene Aufbau eines jüdischen Staates in Palästina den spirituellen Zionismus zerstöre und die nötige geistige Wiedergeburt der Juden verhindere.
Wie viele assimilierte Intellektuelle seiner Zeit glaubte Wiener, dass die Erlösung der Juden vom spirituell entwurzelnden, aggressiven Materialismus des Westens im Osten zu finden war. Mikhail Krutikov spricht in seinem Buch "From Kabbalah to Class Struggle. Expressionism, Marxism, and Yiddish Literature in the Life and Work of Meir Wiener" (2011) von einer durch Buber in die Welt gesetzten Illusion eines "deutsch-jüdischen Orientalismus", und er zeigt, welche bizarre Blüten sie trieb: von Else Lasker-Schüler bis Leopold Weiss aus Lemberg, der unter dem Namen Muhammad Asad am Aufbau des islamischen Staates Pakistan beteiligt war.
Meir Wiener selbst kam nur bis in die Sowjetunion, wo er sich in den dreißiger Jahren als marxistischer Kritiker der jiddischen Literatur etablierte. Zur jiddischen Sprache fand Wiener, weil er vom Kult der Ostjuden erfasst wurde und dadurch 1921 in Berlin die Bekanntschaft der russisch-jiddischen Schriftsteller Leib Kwitko und Pinchas Kaganowitsch (der Nister) machte, die später Opfer Stalins wurden. Wiener gab den Bitten Kwitkos nach und siedelte 1926 als einer von 433 Österreichern in die Sowjetunion über. In Kiew und Charkow erfuhr er eine kulturelle Verwandlung, die ihn nicht nur zu einem der führenden Literaturmarxisten machte, sondern auch zum Romancier und Novellisten. Krutikov vergleicht ihn mit Walter Benjamin und Georg Lukács und zeigt, wie Wiener die Synthese von jüdischen und sowjetischen Denken gelang.
Wieners ehrgeizigstes Projekt, das er nach seiner Niederlassung in Moskau 1931 vorantrieb, war nichts Geringeres als eine marxistische Geschichte der jiddischen Literatur seit der Aufklärung. Als er 1941 fiel, war sie unvollendet. Doch Wieners Auseinandersetzungen mit den großen jiddischen Autoren des neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhunderts lagen schon vor und erschienen 1945 und 1946 in New York in einer zweibändigen, von Nakhmen Mayzel besorgten Ausgabe unter dem Titel "Tsu der geshikhte fun yidisher literatur in 19ten yorhundert". Wieners Analysen waren rabiat. Vor allem, was die beiden Gründerväter der modernen jiddischen Literatur betraf, Sholem Abramovitsh und Sholem Rabinovitsh, die unter den Pseudonymen Mendele Moykher-Sforim und Sholem Aleichem schrieben. Nicht als volkstümliche Humoristen erschienen sie ihm, sondern als entschiedene Modernisten. 1941 meldete sich Wiener als Freiwilliger zum Moskauer Schriftsteller-Bataillon. Er fiel wenige Monate später bei Wjasma. Hätte er überlebt, wäre er vermutlich in den judenfeindlichen Kampagnen der Jahre 1948 bis 1953 verfolgt worden.
"Als Kriegsheld aber", so Krutikov, "blieb ihm die posthume Diffamierung erspart, und seine Familie wurde in Frieden gelassen."
SUSANNE KLINGENSTEIN
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