Die Geschichte der Firma Fromms Act und ihres Gründers Julius Fromm sind ein eindrucksvolles Stück politische Sittenkunde der Deutschen im 20. Jahrhundert. Götz Aly und Michael Sontheimer erzählen, wie der Sohn armer jüdischer Wirtschaftsmigranten aus Russland 1923 in Berlin mit der Massenproduktion von Kondomen anfing und das ebenso begehrte wie umstrittene Produkt in Deutschland zum Erfolg führte.Herrmann Göring sorgte 1938 dafür, dass seine Patentante Fromms Firma bekam und erhielt dafür von ihr zwei Burgen. Fromms erhebliches Vermögen überführten deutsche Beamte in Hitlers Kriegskasse. Der Gummifabrikant und die meisten Mitglieder seiner Familie konnten aus Berlin fliehen und überlebten den Holocaust - über den Globus verstreut. Doch nach dem Krieg enteigneten deutsche Kommunisten Julius Fromm ein zweites Mal.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.02.2007In Berlin, da sind die Räuber
Wie der jüdische Kondom-Hersteller Julius Fromm zweimal enteignet wurde
VON WINAND VON PETERSDORFF
Es ist das Drama eines deutsch-jüdischen Unternehmers, der mit nichts außer Fleiß, Geschäftssinn und dem Wunsch, seine Familie abzusichern, aus dem russischen Städtchen Konin nach Berlin kam, Erfolg hatte, von zwei Unrechtsregimen enteignet wurde und nie Gerechtigkeit bekam. Es ist eine Geschichte von vielen, und es ist trotzdem eine besondere Geschichte, weil sie die Perfidität zeigt, mit der sich die Reichsregierung unter Mitwirkung von Beamten, Bankiers und Beratern zu einem Spottpreis der Firma bemächtigte.
Julius Fromm war nicht der Erste, als er 1914 begann, Präservative herzustellen. Im Jahr 1912 hatte das Königlich Preußische Ministerium des Inneren die Gründe für den Geburtenrückgang in Deutschland untersucht und festgestellt: Stadt und Land werden "geradezu überschwemmt mit Anpreisungen, Preisverzeichnissen und dergleichen, in denen solche als Gummiwaren, Schutzmittel und hygienische Bedarfsartikel bezeichnete Mittel" angeboten würden.
Doch Fromm, ein Autodidakt, war der Erste, der dem Produkt seinen Namen gab: Unter Fromms Act wurden die Kondome verkauft. "Das war die phantastische Idee meines Vaters", sagt Edgar Fromm den Autoren Götz Aly und Michael Sontheimer, die akribisch den Lebensweg dieses großen jüdischen Unternehmers nachgezeichnet haben.
Julius Fromm erfand das Markenkondom. Fromm bürgte für Dichtigkeit und Qualität der Kautschukhüllen mit seinem eigenen Namen. Damit grenzte der Unternehmer seine "Frommser" von jenen Kondomen unbekannter Herkunft und unzuverlässiger Güte ab, die Stadt und Land überschwemmten. Fromms oder Frommser wurden zu Gattungsbegriffen wie Tempo oder Cola.
Präservative waren ein gutes Geschäft. Im Ersten Weltkrieg grassierten Infektionskrankheiten unter den Soldaten. Offiziell predigte die Armeeführung Enthaltsamkeit als soldatische Tugend, gleichzeitig aber stellten sich die Militärs den Realitäten und betrieben selbst Feldbordelle, deren Hygiene Feldärzte zu überwachen hatten. Die Soldaten bekamen beim Bordellbesuch ein Kondom ausgeteilt.
Beworben werden durften Präservative nur sehr eingeschränkt, ihre Verhütungswirkung durfte gar nicht angepriesen werden, in Fachzeitschriften für Drogisten erschienen Hinweise über die infektionspräventive Wirkung.
Julius Fromm kam zu Wohlstand, kaufte eine Villa und baute eine Fabrik, die den Ansprüchen modernster Architektur genügte: hell, transparent wie seine Produkte. Dann wollte er Deutscher werden. Er musste zwei Anläufe unternehmen. 1914 beantragte er die preußische Staatsbürgerschaft, 1920 durfte er sich endlich Deutscher nennen. 1933, nach der Machtergreifung, begann ein Konkurrent sofort die antisemitische Stimmung zu nutzen und polemisierte gegen Fromm. Die Zulässigkeit seiner Einbürgerung wurde überprüft, eine Sonderrevision des Finanzamts wegen angeblicher Devisenvergehen wurde anberaumt, und von 1936 an begann das antisemitische Hetzblatt "Der Stürmer" eine Kampagne gegen die "Judenfirma Fromm".
Ende 1937 resignierte Fromm. Am Ende ging die Firma für einen Spottpreis an eine Patentante Hermann Görings. Fromm starb am 12. Mai 1945 in London drei Tage nach der Siegesfeier. Er musste nicht mehr erleben, wie das kommunistische Regime die Rückgabe der Firma an die Familie verweigerte. Ehemalige Mitarbeiter hatten "Belastungsmaterial" geliefert, das letztlich ein Konvolut antisemitischer Tiraden war. Das "Belastungsmaterial" war die Grundlage für die Entscheidung, die Firma in volkseigenes Vermögen umzuwandeln.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wie der jüdische Kondom-Hersteller Julius Fromm zweimal enteignet wurde
VON WINAND VON PETERSDORFF
Es ist das Drama eines deutsch-jüdischen Unternehmers, der mit nichts außer Fleiß, Geschäftssinn und dem Wunsch, seine Familie abzusichern, aus dem russischen Städtchen Konin nach Berlin kam, Erfolg hatte, von zwei Unrechtsregimen enteignet wurde und nie Gerechtigkeit bekam. Es ist eine Geschichte von vielen, und es ist trotzdem eine besondere Geschichte, weil sie die Perfidität zeigt, mit der sich die Reichsregierung unter Mitwirkung von Beamten, Bankiers und Beratern zu einem Spottpreis der Firma bemächtigte.
Julius Fromm war nicht der Erste, als er 1914 begann, Präservative herzustellen. Im Jahr 1912 hatte das Königlich Preußische Ministerium des Inneren die Gründe für den Geburtenrückgang in Deutschland untersucht und festgestellt: Stadt und Land werden "geradezu überschwemmt mit Anpreisungen, Preisverzeichnissen und dergleichen, in denen solche als Gummiwaren, Schutzmittel und hygienische Bedarfsartikel bezeichnete Mittel" angeboten würden.
Doch Fromm, ein Autodidakt, war der Erste, der dem Produkt seinen Namen gab: Unter Fromms Act wurden die Kondome verkauft. "Das war die phantastische Idee meines Vaters", sagt Edgar Fromm den Autoren Götz Aly und Michael Sontheimer, die akribisch den Lebensweg dieses großen jüdischen Unternehmers nachgezeichnet haben.
Julius Fromm erfand das Markenkondom. Fromm bürgte für Dichtigkeit und Qualität der Kautschukhüllen mit seinem eigenen Namen. Damit grenzte der Unternehmer seine "Frommser" von jenen Kondomen unbekannter Herkunft und unzuverlässiger Güte ab, die Stadt und Land überschwemmten. Fromms oder Frommser wurden zu Gattungsbegriffen wie Tempo oder Cola.
Präservative waren ein gutes Geschäft. Im Ersten Weltkrieg grassierten Infektionskrankheiten unter den Soldaten. Offiziell predigte die Armeeführung Enthaltsamkeit als soldatische Tugend, gleichzeitig aber stellten sich die Militärs den Realitäten und betrieben selbst Feldbordelle, deren Hygiene Feldärzte zu überwachen hatten. Die Soldaten bekamen beim Bordellbesuch ein Kondom ausgeteilt.
Beworben werden durften Präservative nur sehr eingeschränkt, ihre Verhütungswirkung durfte gar nicht angepriesen werden, in Fachzeitschriften für Drogisten erschienen Hinweise über die infektionspräventive Wirkung.
Julius Fromm kam zu Wohlstand, kaufte eine Villa und baute eine Fabrik, die den Ansprüchen modernster Architektur genügte: hell, transparent wie seine Produkte. Dann wollte er Deutscher werden. Er musste zwei Anläufe unternehmen. 1914 beantragte er die preußische Staatsbürgerschaft, 1920 durfte er sich endlich Deutscher nennen. 1933, nach der Machtergreifung, begann ein Konkurrent sofort die antisemitische Stimmung zu nutzen und polemisierte gegen Fromm. Die Zulässigkeit seiner Einbürgerung wurde überprüft, eine Sonderrevision des Finanzamts wegen angeblicher Devisenvergehen wurde anberaumt, und von 1936 an begann das antisemitische Hetzblatt "Der Stürmer" eine Kampagne gegen die "Judenfirma Fromm".
Ende 1937 resignierte Fromm. Am Ende ging die Firma für einen Spottpreis an eine Patentante Hermann Görings. Fromm starb am 12. Mai 1945 in London drei Tage nach der Siegesfeier. Er musste nicht mehr erleben, wie das kommunistische Regime die Rückgabe der Firma an die Familie verweigerte. Ehemalige Mitarbeiter hatten "Belastungsmaterial" geliefert, das letztlich ein Konvolut antisemitischer Tiraden war. Das "Belastungsmaterial" war die Grundlage für die Entscheidung, die Firma in volkseigenes Vermögen umzuwandeln.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Als "vorzüglich lesbare, spannende Unternehmensgeschichte" würdigt Rezensent Oliver Pfohlmann diese Arbeit über den jüdischen Kondomfabrikanten Julius Fromm und seine Firma, die Götz Aly und Michael Sontheimer vorgelegt haben. Verständlich wird für ihn nicht nur die kulturgeschichtliche Bedeutung Fromms, der aus einer zweifelhaften, halb legalen "Bückware" ein sorgfältig geprüftes Massenprodukt entwickelte und eine erstaunliche Karriere vom Zigarettenverkäufer zum verantwortungsvollen Leiter eines internationalen Unternehmens hinlegte. Er sieht in der Geschichte Fromms auch ein erschreckendes Beispiel für die Ausplünderung jüdischer Unternehmen im Dritten Reich. So bescheinigt er den Autoren eine auf genauen Recherchen basierende, minuziöse Rekonstruktion der Arisierung des Unternehmens, die verdeutlichte, wie Hitlers "Gefälligkeitsdiktatur" funktionierte.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Götz Aly und Michael Sontheimer haben in den Archiven recherchiert, mit den noch lebenden Familienangehörigen gesprochen und eine vorzüglich lesbare, spannende Unternehmensgeschichte vorgelegt. Oliver Pfohlmann Frankfurter Rundschau 20070224