Die Geschichte der Firma Fromms Act und ihres Gründers Julius Fromm sind ein eindrucksvolles Stück politische Sittenkunde der Deutschen im 20. Jahrhundert. Götz Aly und Michael Sontheimer erzählen, wie der Sohn armer jüdischer Wirtschaftsmigranten aus Russland 1923 in Berlin mit der Massenproduktion von Kondomen anfing und das ebenso begehrte wie umstrittene Produkt in Deutschland zum Erfolg führte.Herrmann Göring sorgte 1938 dafür, dass seine Patentante Fromms Firma bekam und erhielt dafür von ihr zwei Burgen. Fromms erhebliches Vermögen überführten deutsche Beamte in Hitlers Kriegskasse. Der Gummifabrikant und die meisten Mitglieder seiner Familie konnten aus Berlin fliehen und überlebten den Holocaust - über den Globus verstreut. Doch nach dem Krieg enteigneten deutsche Kommunisten Julius Fromm ein zweites Mal.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.03.2007Feine Membran, zart und stark
Aufstieg und Enteignung des Kondomfabrikanten Fromm
So ein Kondom ist ja kein Objekt, das man wirklich mag. Aber es ist doch nützlich und kann einiges bewirken. Ob jemand geboren wird, ob er gesund bleibt oder stirbt und ob zwei Leute sich lieben dürfen. Die großen Fragen des Lebens können von einem kleinen Gummi abhängen, und mit etwas Geschick kann man in so ein Präservativ die Geschichte eines halben Jahrhunderts packen.
„Fromms” heißt das Buch, das Götz Aly und Michael Sontheimer geschrieben haben, und es handelt vom Unternehmer Julius Fromm, der mit Kondomen reich geworden ist, dann „unter die deutschen Räuber fiel”, wie es im Untertitel heißt, und seine Firma mitsamt seinem Vermögen verlor: erst ans nationalsozialistische Deutschland und später an die kommunistische DDR.
Julius Fromm, das war ein Mann, den nicht jeder mochte, und auf den wenigen Fotos, die es gibt, sieht man einen Herrn mit steifer Fliege, der meistens ernst guckt, hinter zugezogenen Vorhängen Bilanzen prüft und gar nicht wirkt wie ein Lebemann aus einer etwas anrüchigen Branche. Fromm wurde vom Zigarettendreher zum Millionär, und seine Geschichte handelt von einem Aufstieg, von Anpassung bis zu Selbstverleugung und dem Trotz eines Mannes, der alles sein will, nur kein Opfer.
Die beiden Autoren sind unabhängig voneinander auf den Kondomfabrikanten gestoßen. Sontheimer schreibt für den Spiegel, Aly ist NS-Forscher und sorgte zuletzt mit dem Buch „Hitlers Volksstaat” für Streit. Darin sprach er von einer Gefälligkeitsdiktatur, die sich die Zustimmung des Volkes mit Wohlstand durch Vernichtung erkaufte. Auch Fromm, der Gummimillionär, wird Opfer dieses Raubzugs. Dies rekonstruiert das Buch mit Liebe zum Detail – und es unterschlägt nicht, dass Fromms Bild ein „Schattenriss” bleibt. Wichtige Quellen wie Firmenarchiv und Nachlass sind verloren, und die einzige Verwandte, die den Unternehmer noch kannte, mochte ihn offenbar nie leiden.
Wer also war dieser Erfolgsmensch, der behauptete, er heiße Julius und stamme aus Posen? Sein Leben beginnt woanders, im russischen Konin, einem ärmlichen Schtetl, dessen Synagogenbuch 1883 die Geburt des „Israel From” vermerkt. Der Vater ist Händler, die Mutter setzt insgesamt acht Kinder in eine Welt, in der Empfängnisverhütung als Todsünde gilt. Israel From ist neun, als die Eltern ins gelobte Land aufbrechen - und im Berliner Scheunenviertel landen. Da hausen sie neben Huren und Säufern, die Kinder verdienen selbstverständlich mit. Familie From dreht Zigaretten.
Israel From bricht bald aus und als Julius Fromm auf in ein Leben, das eine Flucht nach vorn bleibt. Er hat Geschäftssinn und einen Riecher für den Zeitgeist, bringt sich ein bisschen Chemie bei, und als 1914 der Krieg ausbricht, macht er in einem Hinterhof Kondome. Die Nachfrage nach Präservativen steigt rapide, schließlich muss der deutsche Soldat sich vor Geschlechtskrankheiten schützen. In Feldfreudenhäusern gilt Kondompflicht, die Qualität der Gummis aber ist lausig. Das Präservativ, das wohl 1901 in der US-Reifenfirma Goodyear erfunden wurde, erinnert an einen Fahrradschlauch und ist mit einem misslichen Wulst genäht. Fromm arbeitet fieberhaft an der Optimierung, er taucht zylindrische Glaskörper in flüssigen Kautschuk und Benzol, bestäubt das Produkt mit einem Gleitmittel, um ihm eine „sammetartige Oberfläche” zu verpassen. Dann wird es aufgepumpt und auf Reißfestigkeit geprüft. Der Kunde schweigt. Und ist zufrieden.
Fünf Jahre nach der Gründung seiner Firma kauft Fromm im feinen Berliner Vorort Nikolassee eine Villa. Er baut eine Fabrik, deren Glasfassade der Architekt als „große, geheimnisvolle Membrane, zart und stark zugleich” besingt. In den Revuepalästen der Stadt tanzen die Damen jetzt oben ohne, eine Sexualwissenschaftliche Buchhandlung eröffnet, und die Lust verabschiedet sich von der Vermehrung. 1926 hat die Firma „Fromms Act” Filialen in halb Europa, sie produziert 24 Millionen Präservative im Jahr und 1931 schon 50 Millionen.
Manchmal wünscht man sich beim Lesen des Buches, es hätte sich näher herangewagt an die Sittengeschichte der Weimarer Republik, an die junge Sexualforschung und das boomende Lustgewerbe. Vielleicht hat es an Quellen gefehlt oder an Zeit. Umso ausführlicher ist dafür das Ende dieser Welt beschrieben. 1933 lässt Fromm in seiner Kantine eine Hakenkreuzfahne aufhängen und ermutigt seine Direktoren, in die NSDAP einzutreten. Seine Gummis verscherbelt er jetzt als „siegreiche Qualitätsware” und kann sich nicht vorstellen, dass man ihn, den Gewinner, vom Hof jagen wird wie einen Hund.
In vollendet bürokratischer Akkuratesse wird der Unternehmer dann enteignet. Göring schustert die „arisierte” Fabrik seiner Patentante zu. Fromm kann seine Familie mit einem Bruchteil des Geldes noch nach London retten, einige Verwandte aber werden ermordet. Die Deutsche Bank bricht sein Schließfach auf, den Betrieb kassiert der Staat, Haus und Möbel schnappen sich die Volksgenossen. 1962 wird sich die Bundesrepublik weigern, für das „Imstichlassen von Möbeln” Entschädigung zu zahlen. Und die DDR, die Fromm als „kapitalistischen Ausbeutertyp” diffamiert, sackt die Gummiwerke als „Vermögen von Kriegsverbrechern” ein.
Julius Fromm erlebt das nicht mehr. Er stirbt 1945 in London und hofft offenbar bis zuletzt, sein feines Produkt noch ein bisschen feiner machen zu können. CONSTANZE VON BULLION
Götz Aly, Michael Sontheimer
Fromms
Wie der jüdische Kondomfabrikant Julius F. unter die deutschen Räuber fiel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007. 224 Seiten, 19,90 Euro.
Foto: Fromms
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Aufstieg und Enteignung des Kondomfabrikanten Fromm
So ein Kondom ist ja kein Objekt, das man wirklich mag. Aber es ist doch nützlich und kann einiges bewirken. Ob jemand geboren wird, ob er gesund bleibt oder stirbt und ob zwei Leute sich lieben dürfen. Die großen Fragen des Lebens können von einem kleinen Gummi abhängen, und mit etwas Geschick kann man in so ein Präservativ die Geschichte eines halben Jahrhunderts packen.
„Fromms” heißt das Buch, das Götz Aly und Michael Sontheimer geschrieben haben, und es handelt vom Unternehmer Julius Fromm, der mit Kondomen reich geworden ist, dann „unter die deutschen Räuber fiel”, wie es im Untertitel heißt, und seine Firma mitsamt seinem Vermögen verlor: erst ans nationalsozialistische Deutschland und später an die kommunistische DDR.
Julius Fromm, das war ein Mann, den nicht jeder mochte, und auf den wenigen Fotos, die es gibt, sieht man einen Herrn mit steifer Fliege, der meistens ernst guckt, hinter zugezogenen Vorhängen Bilanzen prüft und gar nicht wirkt wie ein Lebemann aus einer etwas anrüchigen Branche. Fromm wurde vom Zigarettendreher zum Millionär, und seine Geschichte handelt von einem Aufstieg, von Anpassung bis zu Selbstverleugung und dem Trotz eines Mannes, der alles sein will, nur kein Opfer.
Die beiden Autoren sind unabhängig voneinander auf den Kondomfabrikanten gestoßen. Sontheimer schreibt für den Spiegel, Aly ist NS-Forscher und sorgte zuletzt mit dem Buch „Hitlers Volksstaat” für Streit. Darin sprach er von einer Gefälligkeitsdiktatur, die sich die Zustimmung des Volkes mit Wohlstand durch Vernichtung erkaufte. Auch Fromm, der Gummimillionär, wird Opfer dieses Raubzugs. Dies rekonstruiert das Buch mit Liebe zum Detail – und es unterschlägt nicht, dass Fromms Bild ein „Schattenriss” bleibt. Wichtige Quellen wie Firmenarchiv und Nachlass sind verloren, und die einzige Verwandte, die den Unternehmer noch kannte, mochte ihn offenbar nie leiden.
Wer also war dieser Erfolgsmensch, der behauptete, er heiße Julius und stamme aus Posen? Sein Leben beginnt woanders, im russischen Konin, einem ärmlichen Schtetl, dessen Synagogenbuch 1883 die Geburt des „Israel From” vermerkt. Der Vater ist Händler, die Mutter setzt insgesamt acht Kinder in eine Welt, in der Empfängnisverhütung als Todsünde gilt. Israel From ist neun, als die Eltern ins gelobte Land aufbrechen - und im Berliner Scheunenviertel landen. Da hausen sie neben Huren und Säufern, die Kinder verdienen selbstverständlich mit. Familie From dreht Zigaretten.
Israel From bricht bald aus und als Julius Fromm auf in ein Leben, das eine Flucht nach vorn bleibt. Er hat Geschäftssinn und einen Riecher für den Zeitgeist, bringt sich ein bisschen Chemie bei, und als 1914 der Krieg ausbricht, macht er in einem Hinterhof Kondome. Die Nachfrage nach Präservativen steigt rapide, schließlich muss der deutsche Soldat sich vor Geschlechtskrankheiten schützen. In Feldfreudenhäusern gilt Kondompflicht, die Qualität der Gummis aber ist lausig. Das Präservativ, das wohl 1901 in der US-Reifenfirma Goodyear erfunden wurde, erinnert an einen Fahrradschlauch und ist mit einem misslichen Wulst genäht. Fromm arbeitet fieberhaft an der Optimierung, er taucht zylindrische Glaskörper in flüssigen Kautschuk und Benzol, bestäubt das Produkt mit einem Gleitmittel, um ihm eine „sammetartige Oberfläche” zu verpassen. Dann wird es aufgepumpt und auf Reißfestigkeit geprüft. Der Kunde schweigt. Und ist zufrieden.
Fünf Jahre nach der Gründung seiner Firma kauft Fromm im feinen Berliner Vorort Nikolassee eine Villa. Er baut eine Fabrik, deren Glasfassade der Architekt als „große, geheimnisvolle Membrane, zart und stark zugleich” besingt. In den Revuepalästen der Stadt tanzen die Damen jetzt oben ohne, eine Sexualwissenschaftliche Buchhandlung eröffnet, und die Lust verabschiedet sich von der Vermehrung. 1926 hat die Firma „Fromms Act” Filialen in halb Europa, sie produziert 24 Millionen Präservative im Jahr und 1931 schon 50 Millionen.
Manchmal wünscht man sich beim Lesen des Buches, es hätte sich näher herangewagt an die Sittengeschichte der Weimarer Republik, an die junge Sexualforschung und das boomende Lustgewerbe. Vielleicht hat es an Quellen gefehlt oder an Zeit. Umso ausführlicher ist dafür das Ende dieser Welt beschrieben. 1933 lässt Fromm in seiner Kantine eine Hakenkreuzfahne aufhängen und ermutigt seine Direktoren, in die NSDAP einzutreten. Seine Gummis verscherbelt er jetzt als „siegreiche Qualitätsware” und kann sich nicht vorstellen, dass man ihn, den Gewinner, vom Hof jagen wird wie einen Hund.
In vollendet bürokratischer Akkuratesse wird der Unternehmer dann enteignet. Göring schustert die „arisierte” Fabrik seiner Patentante zu. Fromm kann seine Familie mit einem Bruchteil des Geldes noch nach London retten, einige Verwandte aber werden ermordet. Die Deutsche Bank bricht sein Schließfach auf, den Betrieb kassiert der Staat, Haus und Möbel schnappen sich die Volksgenossen. 1962 wird sich die Bundesrepublik weigern, für das „Imstichlassen von Möbeln” Entschädigung zu zahlen. Und die DDR, die Fromm als „kapitalistischen Ausbeutertyp” diffamiert, sackt die Gummiwerke als „Vermögen von Kriegsverbrechern” ein.
Julius Fromm erlebt das nicht mehr. Er stirbt 1945 in London und hofft offenbar bis zuletzt, sein feines Produkt noch ein bisschen feiner machen zu können. CONSTANZE VON BULLION
Götz Aly, Michael Sontheimer
Fromms
Wie der jüdische Kondomfabrikant Julius F. unter die deutschen Räuber fiel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007. 224 Seiten, 19,90 Euro.
Foto: Fromms
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.02.2007In Berlin, da sind die Räuber
Wie der jüdische Kondom-Hersteller Julius Fromm zweimal enteignet wurde
VON WINAND VON PETERSDORFF
Es ist das Drama eines deutsch-jüdischen Unternehmers, der mit nichts außer Fleiß, Geschäftssinn und dem Wunsch, seine Familie abzusichern, aus dem russischen Städtchen Konin nach Berlin kam, Erfolg hatte, von zwei Unrechtsregimen enteignet wurde und nie Gerechtigkeit bekam. Es ist eine Geschichte von vielen, und es ist trotzdem eine besondere Geschichte, weil sie die Perfidität zeigt, mit der sich die Reichsregierung unter Mitwirkung von Beamten, Bankiers und Beratern zu einem Spottpreis der Firma bemächtigte.
Julius Fromm war nicht der Erste, als er 1914 begann, Präservative herzustellen. Im Jahr 1912 hatte das Königlich Preußische Ministerium des Inneren die Gründe für den Geburtenrückgang in Deutschland untersucht und festgestellt: Stadt und Land werden "geradezu überschwemmt mit Anpreisungen, Preisverzeichnissen und dergleichen, in denen solche als Gummiwaren, Schutzmittel und hygienische Bedarfsartikel bezeichnete Mittel" angeboten würden.
Doch Fromm, ein Autodidakt, war der Erste, der dem Produkt seinen Namen gab: Unter Fromms Act wurden die Kondome verkauft. "Das war die phantastische Idee meines Vaters", sagt Edgar Fromm den Autoren Götz Aly und Michael Sontheimer, die akribisch den Lebensweg dieses großen jüdischen Unternehmers nachgezeichnet haben.
Julius Fromm erfand das Markenkondom. Fromm bürgte für Dichtigkeit und Qualität der Kautschukhüllen mit seinem eigenen Namen. Damit grenzte der Unternehmer seine "Frommser" von jenen Kondomen unbekannter Herkunft und unzuverlässiger Güte ab, die Stadt und Land überschwemmten. Fromms oder Frommser wurden zu Gattungsbegriffen wie Tempo oder Cola.
Präservative waren ein gutes Geschäft. Im Ersten Weltkrieg grassierten Infektionskrankheiten unter den Soldaten. Offiziell predigte die Armeeführung Enthaltsamkeit als soldatische Tugend, gleichzeitig aber stellten sich die Militärs den Realitäten und betrieben selbst Feldbordelle, deren Hygiene Feldärzte zu überwachen hatten. Die Soldaten bekamen beim Bordellbesuch ein Kondom ausgeteilt.
Beworben werden durften Präservative nur sehr eingeschränkt, ihre Verhütungswirkung durfte gar nicht angepriesen werden, in Fachzeitschriften für Drogisten erschienen Hinweise über die infektionspräventive Wirkung.
Julius Fromm kam zu Wohlstand, kaufte eine Villa und baute eine Fabrik, die den Ansprüchen modernster Architektur genügte: hell, transparent wie seine Produkte. Dann wollte er Deutscher werden. Er musste zwei Anläufe unternehmen. 1914 beantragte er die preußische Staatsbürgerschaft, 1920 durfte er sich endlich Deutscher nennen. 1933, nach der Machtergreifung, begann ein Konkurrent sofort die antisemitische Stimmung zu nutzen und polemisierte gegen Fromm. Die Zulässigkeit seiner Einbürgerung wurde überprüft, eine Sonderrevision des Finanzamts wegen angeblicher Devisenvergehen wurde anberaumt, und von 1936 an begann das antisemitische Hetzblatt "Der Stürmer" eine Kampagne gegen die "Judenfirma Fromm".
Ende 1937 resignierte Fromm. Am Ende ging die Firma für einen Spottpreis an eine Patentante Hermann Görings. Fromm starb am 12. Mai 1945 in London drei Tage nach der Siegesfeier. Er musste nicht mehr erleben, wie das kommunistische Regime die Rückgabe der Firma an die Familie verweigerte. Ehemalige Mitarbeiter hatten "Belastungsmaterial" geliefert, das letztlich ein Konvolut antisemitischer Tiraden war. Das "Belastungsmaterial" war die Grundlage für die Entscheidung, die Firma in volkseigenes Vermögen umzuwandeln.
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Wie der jüdische Kondom-Hersteller Julius Fromm zweimal enteignet wurde
VON WINAND VON PETERSDORFF
Es ist das Drama eines deutsch-jüdischen Unternehmers, der mit nichts außer Fleiß, Geschäftssinn und dem Wunsch, seine Familie abzusichern, aus dem russischen Städtchen Konin nach Berlin kam, Erfolg hatte, von zwei Unrechtsregimen enteignet wurde und nie Gerechtigkeit bekam. Es ist eine Geschichte von vielen, und es ist trotzdem eine besondere Geschichte, weil sie die Perfidität zeigt, mit der sich die Reichsregierung unter Mitwirkung von Beamten, Bankiers und Beratern zu einem Spottpreis der Firma bemächtigte.
Julius Fromm war nicht der Erste, als er 1914 begann, Präservative herzustellen. Im Jahr 1912 hatte das Königlich Preußische Ministerium des Inneren die Gründe für den Geburtenrückgang in Deutschland untersucht und festgestellt: Stadt und Land werden "geradezu überschwemmt mit Anpreisungen, Preisverzeichnissen und dergleichen, in denen solche als Gummiwaren, Schutzmittel und hygienische Bedarfsartikel bezeichnete Mittel" angeboten würden.
Doch Fromm, ein Autodidakt, war der Erste, der dem Produkt seinen Namen gab: Unter Fromms Act wurden die Kondome verkauft. "Das war die phantastische Idee meines Vaters", sagt Edgar Fromm den Autoren Götz Aly und Michael Sontheimer, die akribisch den Lebensweg dieses großen jüdischen Unternehmers nachgezeichnet haben.
Julius Fromm erfand das Markenkondom. Fromm bürgte für Dichtigkeit und Qualität der Kautschukhüllen mit seinem eigenen Namen. Damit grenzte der Unternehmer seine "Frommser" von jenen Kondomen unbekannter Herkunft und unzuverlässiger Güte ab, die Stadt und Land überschwemmten. Fromms oder Frommser wurden zu Gattungsbegriffen wie Tempo oder Cola.
Präservative waren ein gutes Geschäft. Im Ersten Weltkrieg grassierten Infektionskrankheiten unter den Soldaten. Offiziell predigte die Armeeführung Enthaltsamkeit als soldatische Tugend, gleichzeitig aber stellten sich die Militärs den Realitäten und betrieben selbst Feldbordelle, deren Hygiene Feldärzte zu überwachen hatten. Die Soldaten bekamen beim Bordellbesuch ein Kondom ausgeteilt.
Beworben werden durften Präservative nur sehr eingeschränkt, ihre Verhütungswirkung durfte gar nicht angepriesen werden, in Fachzeitschriften für Drogisten erschienen Hinweise über die infektionspräventive Wirkung.
Julius Fromm kam zu Wohlstand, kaufte eine Villa und baute eine Fabrik, die den Ansprüchen modernster Architektur genügte: hell, transparent wie seine Produkte. Dann wollte er Deutscher werden. Er musste zwei Anläufe unternehmen. 1914 beantragte er die preußische Staatsbürgerschaft, 1920 durfte er sich endlich Deutscher nennen. 1933, nach der Machtergreifung, begann ein Konkurrent sofort die antisemitische Stimmung zu nutzen und polemisierte gegen Fromm. Die Zulässigkeit seiner Einbürgerung wurde überprüft, eine Sonderrevision des Finanzamts wegen angeblicher Devisenvergehen wurde anberaumt, und von 1936 an begann das antisemitische Hetzblatt "Der Stürmer" eine Kampagne gegen die "Judenfirma Fromm".
Ende 1937 resignierte Fromm. Am Ende ging die Firma für einen Spottpreis an eine Patentante Hermann Görings. Fromm starb am 12. Mai 1945 in London drei Tage nach der Siegesfeier. Er musste nicht mehr erleben, wie das kommunistische Regime die Rückgabe der Firma an die Familie verweigerte. Ehemalige Mitarbeiter hatten "Belastungsmaterial" geliefert, das letztlich ein Konvolut antisemitischer Tiraden war. Das "Belastungsmaterial" war die Grundlage für die Entscheidung, die Firma in volkseigenes Vermögen umzuwandeln.
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Als "vorzüglich lesbare, spannende Unternehmensgeschichte" würdigt Rezensent Oliver Pfohlmann diese Arbeit über den jüdischen Kondomfabrikanten Julius Fromm und seine Firma, die Götz Aly und Michael Sontheimer vorgelegt haben. Verständlich wird für ihn nicht nur die kulturgeschichtliche Bedeutung Fromms, der aus einer zweifelhaften, halb legalen "Bückware" ein sorgfältig geprüftes Massenprodukt entwickelte und eine erstaunliche Karriere vom Zigarettenverkäufer zum verantwortungsvollen Leiter eines internationalen Unternehmens hinlegte. Er sieht in der Geschichte Fromms auch ein erschreckendes Beispiel für die Ausplünderung jüdischer Unternehmen im Dritten Reich. So bescheinigt er den Autoren eine auf genauen Recherchen basierende, minuziöse Rekonstruktion der Arisierung des Unternehmens, die verdeutlichte, wie Hitlers "Gefälligkeitsdiktatur" funktionierte.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Götz Aly und Michael Sontheimer haben in den Archiven recherchiert, mit den noch lebenden Familienangehörigen gesprochen und eine vorzüglich lesbare, spannende Unternehmensgeschichte vorgelegt. Oliver Pfohlmann Frankfurter Rundschau 20070224